2020-04-08 Die Zeit

(Barré) #1

54 GLAUBEN & ZWEIFELN 8. APRIL 2020 DIE ZEIT No 16


Blick von oben in den Altarraum des Petersdoms in Rom, am Palmsonntag 2020

Foto: Vatican Media/AFP/Getty Images

Ostern fällt nicht aus!


Wie die Christen weltweit ihr wichtigstes Fest feiern – den geschlossenen Kirchen zum Trotz. Und warum die Corona-Krise auch


neue Formen der Verkündigung hervorbringt VON LEA FREHSE, MARTIN KLINGST, GUDRUN SAILER, STEFAN SCHIRMER UND WOLFGANG THIELMANN


Deutschland


Der Berliner Dom, die imposanteste Kirche der
Hauptstadt, ist das zentrale Gotteshaus des deut-
schen Protestantismus. Hier wird der EKD-Rats-
vorsitzende Heinrich Bedford-Strohm seine Oster-
predigt halten. Doch statt zu 1500 Besuchern, die
hier Platz fänden, spricht er bloß vor vier kleinen
Kameras. Seine Ansprache wird in München auf-
gezeichnet und dann in die Übertragung einge-
fügt. Auch sonst sei diesmal vieles anders, sagt
Petra Zimmermann, die Dompredigerin.
Der riesige Dom ist abgeschlossen, davor stehen
Tut-uns-leid-Schilder. Früher lautete an Ostern die
Aufschrift: Dom überfüllt. Da feierten sie das Abend-
mahl parallel an sechs Tischen, dazu Orchester und
großer Chor. Und nun? Statt 70 Sängern werden es
drei sein, damit zu der einsamen Orgel überhaupt
Gesang ertönt. Zimmermann: »Der Kathedralen-
Sound ist natürlich weg. Aber ich hoffe, die Mit-
wirkenden bleiben gesund – etwa die Hälfte unserer
Domkantorei hat sich mit Corona angesteckt. Auch
ich war in Quarantäne.«
Nun grübeln sie über liturgische Fragen: Was wird
aus dem großen Einzug mit der Osterkerze – ist es
nicht albern, sie durch einen leeren zu Raum tragen?
Kann man übers Internet Abendmahl feiern? Grün-
donnerstag werden sie es ausprobieren: Wer mag,
feiert vor dem Bildschirm mit Brot und Wein oder
Saft mit. Je nach Resonanz machen sie das auch an
Ostern so. »Karfreitag zu begehen«, sagt die Dom-
predigerin, »ist dieser Tage leichter, als Ostern zu
feiern. Denn der Karfreitagsschmerz, etwas zu ver-
missen, ist da. Leider lässt er sich nicht mildern durch
eine Umarmung. Natürlich wünsche ich mir, dass
wir irgendwann wieder das alte Feiertagsgefühl zu-
rückhaben: eine volle Kirche, in der wir eng zusam-
menrücken, damit alle reinkommen.«
Inzwischen regt sich in Deutschland Widerstand
gegen die Schließung von Kirchen. So forderte der
Theologe und frühere ZDF-Moderator Peter Hahne,
an den Feiertagen die Türen zu öffnen: »Getränke-
märkte haben auf, das Gotteshaus nicht. Wem wollen
Sie das erklären?« Ein Münchner Anwalt klagte sogar
per Eilantrag vorm Bayerischen Verwaltungsgerichts-
hof (bei Redaktionsschluss stand eine Entscheidung
noch aus). Not macht aber nicht nur rebellisch, auch
erfinderisch. Der Wolfsburger Pastor Jörg Mosig
hängt zu Ostern »Wundertüten« auf einer Wäsche-
leine an seiner Kirche auf, darin Predigttexte,
Osterkerze, Schokolade. Mehrere Pfarrer erteilen den
Ostersegen an der Haustür – natürlich auf Abstand.
Der Shutdown bringt den Kirchen auch einen
digitalen Schub. Viele Gemeinden stellen Videos ins
Netz. Kirchenmusiker produzieren Podcasts. Und die
Jugenddelegierten der EKD-Synode starteten ein
»Hackathon«: Unter #glaubengemeinsam sammelten
sie Ideen. Leider hilft das vielen der treuesten, der
älteren Kirchgänger nicht. Die sind darauf angewie-
sen, dass man ihnen die ins Netz gestellten Predigt-

manuskripte ausdruckt und in den Briefkasten wirft.
Ob die Botschaft so ankommt?
Christoph Markschies, Kirchenhistoriker und
designierter Präsident der Berlin-Brandenburgischen
Akademie der Wissenschaften, ist froh, dass heute in
Deutschland niemand mehr behauptet, man müsse
Gottesdienste feiern, um dadurch das Virus aufzuhal-
ten. »Im Mittelalter hätte man Corona mit Weih-
rauch bekämpft. Heute ist klar, was Religion nicht
kann, aber auch, was sie kann: Trost und Barmher-
zigkeit verbreiten.« Das Gegenvirus sei jetzt, anderen
das Gefühl zu geben: »Ihr werdet immer Menschen
finden, die im schlimmsten Fall für euch da sind.«
Wolfgang Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der
EKD, sagt es ähnlich: »Der Glaube gibt uns Kraft,
nicht nur das eigene Leben zu schützen, sondern es
auch für andere einzusetzen.« Dass der Tod Jesu sich
in Golgatha, in der damals fernen römischen Provinz,
ereignete, sei bis heute bedeutsam für ein universalis-
tisches Ethos: »Mein Mitleid und meine Nächsten-
liebe gelten nie nur meinen Nächsten, sondern auch
den Fernsten, die ich nicht sehe.«
Nikolaus Schneider, ebenfalls Ratsvorsitzender
a. D., hat eine Botschaft auch für diejenigen, die sich
jetzt allzu sehr an die Wissenschaft klammern und
hoffen, Deutschland bleibe von einer allzu großen
Zahl Schwerstinfizierter verschont: »Ostern lehrt uns,
dass wir schon im Leben die Zeichen des Todes an
uns tragen. Jesus trägt ja als Auferstandener noch die
Wundmale der Kreuzigung.« Die könnten jetzt eine
Warnung sein vor der Panik und dem Perfektionis-
mus des Selbstschutzes. »Christen sollen nicht todes-
verliebt sein, aber mit Gelassenheit hinnehmen, dass
sie sterblich sind.«

Italien


Ostern ohne Volk, Papstmessen ohne Gläubige:
Am Faschingsdienstag hätte das nach einem
schlechten Witz geklungen, bald ist es Realität.
Franziskus wird, umgeben von einer Handvoll
Prälaten, Lektoren und versprengten Laien aus
dem Vatikanstaat, die Liturgien der Kar- und Os-
tertage feiern. Fast allein in seiner riesigen Kirche,
dem Petersdom. Millionen werden die Liveüber-
tragungen sehen. Aber physisch werden im Vati-
kan nur die biblischen »zwei oder drei« im Namen
Jesu versammelt sein, die dem zelebrierenden
Papst in liturgischer Wechselrede antworten.
Um zu verstehen, wie bestürzend anders das ist,
genügt es, sich den üblichen Ablauf vor Augen zu
führen. Am Gründonnerstag pflegte der Papst zwei
Gottesdienste zu feiern: morgens zur Weihe der hei-
ligen Öle und später die Abendmahlmesse. Erstere
findet nicht statt, Letztere hatte Franziskus bislang
ausgelagert: ins Pflegeheim oder ins Zuchthaus, wo
er den Menschen die Füße wusch. Nun bleibt er im
Petersdom. Wem er die Füße wäscht, ist noch offen.
Und dann kommt der Karfreitag, den die Päpste
seit 1964 als Kreuzweg am Kolosseum leiten, für

viele die schönste Andacht im Kirchenjahr. Zehn-
tausende bringen Kerzen und beten im Fackelschein
die 14 letzten Stationen auf dem irdischen Weg Jesu
mit. Diesmal begeht Franziskus den Kreuzweg auf
dem leeren Petersplatz. Die Meditationen dazu wur-
den von Strafgefangenen, Gefängniswärtern und
Verbrechensopfern geschrieben.
Die Osternacht, Samstag, bleibt an ihrem Ort, in
St. Peter. Dort gibt es diesmal auch die Auferste-
hungsmesse am Ostersonntag. Sonst fand die größte
Liturgie des Kirchenjahres auf einem randvollen
Petersplatz statt, geschmückt mit 50.000 Blumen,
traditionell ein Geschenk niederländischer Floristen.
Die waren im März die Ersten, die Ostern in Rom
absagten. Nach der Messe spendet der Papst den
Segen Urbi et Orbi, der Stadt und dem Erdkreis. Das
hat er wegen Corona schon einmal in der Fastenzeit
getan, um Trost und Hoffnung zu geben. Franziskus:
»Herr, du rufst uns auf, diese Zeit der Prüfung als eine
Zeit der Entscheidung zu nutzen. Es ist nicht die Zeit
deines Urteils, sondern unseres Urteils: zu entschei-
den, was wirklich zählt und was vergänglich ist. Es ist
die Zeit, den Kurs des Lebens wieder neu auf dich,
Herr, und unsere Mitmenschen auszurichten.«

Vereinigte Staaten


Amerikas Präsident Donald Trump, nicht als be-
sonders gläubig bekannt, hat in Corona-Zeiten
sein Herz für österliche Kirchgänger entdeckt.
Noch Ende März versprach er eine Öffnung der
Kirchen zum Osterfest. Dann verkündete er an-
gesichts der sich rasant ausbreitenden Pandemie
die Schließung bis Ende April. Doch am vergange-
nen Samstag machte er Gläubigen erneut Hoff-
nung: Sie könnten sich ja draußen vor den Kir-
chen versammeln, mit »großem Abstand«.
Anders als Deutschland sind die USA sowohl von
großen Kirchen als auch von kleinen, unabhängigen
Gemeinden geprägt. Selbst inmitten der Pandemie
gestatten viele Bundesstaaten deshalb religiöse Zu-
sammenkünfte. In Florida hielt der extreme Pastor
Rodney Howard-Browne entgegen der Anweisung
des Gouverneurs zwei Gottesdienste – und wurde
kurzzeitig verhaftet. Danach hob der Gouverneur
sein Verbot wieder auf und gestattete Gottesdienste –
wenn die Besucher Abstand halten.
Besonders viele fromme Amerikaner, vor allem
Evangelikale und konservative Katholiken, haben
Trump gewählt. Der Präsident weiß, dass sie Ostern
in Gemeinschaft feiern wollen. Trump selbst hat zu
diesem Fest fast jedes Jahr mit seiner Frau Melania
die anglikanische Kirche Bethesda-by-the-Sea in Palm
Beach besucht. Soeben sagte er, er leide, wenn Men-
schen nicht zum Gottesdienst gehen könnten.
Der Protest seiner Kritiker ließ nicht lange auf
sich warten. Der scharfzüngige Pastor und Bürger-
rechtler Al Sharpton, ein Demokrat, zürnte: »Herr
Präsident, wir haben den Hügel von Golgatha zum
Platz der Kreuzigung noch nicht einmal erklommen,

wir haben gerade einmal das Kreuz auf unserem
Rücken.« Mittlerweile haben in den USA alle großen
Glaubensgemeinschaften ihre Gottesdienste abgesagt.
Und in New York, dem Epizentrum der Krise, baute
die methodistische Paulus-und-Andreas-Gemeinde
ihre Kirche zum Hilfszentrum um. Methodisten sind
mit acht Millionen Anhängern nach den Baptisten
die zweitgrößte evangelische Kirche, größer noch als
die Lutheraner. In den Kirchenbänken liegen nun
blaue und weiße Plastiksäcke mit Lebensmitteln für
sozial schwache entlassene Patienten des Bellevue-
Krankenhauses in Manhattan, des ältesten öffentli-
chen Krankenhauses der USA. 1750 Rationen pro
Woche sollen gepackt werden.
Viele Kirchen springen ein, wo der Staat Arme
alleinlässt. In Queens, dem Viertel mit der höchsten
Infektionsrate, nähen Methodisten Schutzmasken für
Senioren. »Wir wollen zehntausend selbst gefertigte
Masken spenden«, sagt Pastor Chongho Kim. Auch
die methodistische Kirche hat Osterfeiern gestrichen.
Bischof Thomas J. Bickerton tröstete seine Gläubigen:
»Sich für das Leben einzusetzen heißt jetzt, dass man
zu Hause bleibt. Corona ist unser neues 9/11.«
Manche Fromme wollen das noch nicht einsehen.
So war bei Redaktionsschluss unklar, ob in Israel die
ultraorthodoxen Synagogen sich während des Pes-
sach-Festes an den Shutdown halten. In Georgien
fuhren orthodoxe Priester auf Pick-ups stehend und
Weihrauch schwenkend durch die Straßen, um die
Pandemie in Schach zu halten. In Rumänien erlaub-
te die orthodoxe Kirche zwar, das weingetränkte Brot
der Eucharistie auf einem mitgebrachten Löffel ein-
zunehmen, statt wie üblich denselben Löffel für alle
Gläubigen zu verwenden. Patriarch Daniel stellte aber
klar, dass der gemeinsame Löffel der Normalfall
bleibe. In Indonesien wollen Millionen Muslime zum
Fastenbrechen Ende Mai aus der Hauptstadt Jakarta
zu ihren Verwandten reisen. Der Präsident scheute
sich bislang, das zu verbieten.

Israel


Und die Christen im Heiligen Land? In Jerusalem
beginnen die Osterfeiern auf dem höchsten Gipfel
über der Stadt: dem Ölberg. Über diese Kuppe ritt
Jesus in die Stadt hinab, bevor er dort verraten und
gekreuzigt wurde, heißt es in der Bibel. Er dürfte
oben von seinem Esel gestiegen sein, um den Aus-
blick auf sich wirken zu lassen: Vor sich, etwa 150
Meter tiefer gelegen, der Tempel mit seinen Säulen
und Höfen, enge Wohnviertel und die Stadtmauer
aus tonnenschweren Quadern. Hinter sich die
Hügel der judäischen Wüste, die abfallen bis ans
Tote Meer. Es liegt mehr als 1000 Meter tiefer als
der Ölberg, doch das Wasser ist sichtbar. Im
Abendlicht schimmert das Meer silbrig, die Wüste
violett, Jerusalem golden.
Am Palmsonntag pilgerten vergangenes Jahr noch
25.000 Gläubige zu Fuß vom Ölberg hinunter bis
zum Löwentor, dem östlichen Eingang am Tempel-

berg. »Dass die ganze Welt hier zusammenkommt,
das hat Ostern in Jerusalem immer besonders ge-
macht«, sagt Gabriele Zander am Telefon. Zander,
Pfarrerin der Himmelfahrtskirche ganz oben auf dem
Ölberg, ist dieses Jahr nicht feiernd in die Stadt ge-
laufen, sondern allein einmal um den Kirchhof.
Wegen Corona fallen die Prozessionen aus. Gottes-
dienste aller Art – derzeit fast unmöglich. Die Him-
melfahrtskirche der deutschen evangelischen Ge-
meinde, gleich neben einem Krankenhaus gelegen,
musste Zander schon Anfang März dichtmachen.
In der Corona-Isolation kann es einem beim
Gedanken daran, wie die Osterzeit noch vergange-
nes Jahr in Jerusalem gefeiert wurde, kalt den Rü-
cken herunterlaufen: Tausende Christen, dicht
gedrängt auf der Via Dolorosa, Tausende fromme
Küsse auf denselben Stein, von dem Jesus womög-
lich einmal auferstand. Am Karfreitag läuten die
Glocken der Grabeskirche auf Golgatha gegen 15
Uhr die Gottesdienste ein, zur Stunde von Jesu
letztem Seufzer. In den Kapellen, Gewölben und
Hallen der verschachtelten Grabeskirche schwirr-
ten da noch Choräle und Gebete in allen Sprachen
durcheinander. Weihwassertropfen flogen.
2020 kann man hier, wie auch an der Klagemau-
er und auf dem Tempelberg, die Tauben gurren
hören. Israel hat sich früh gegen das Corona-Virus
abgeschottet. Pilger kommen seit Wochen nicht mehr
ins Land, kein Bürger darf sich weiter als 100 Meter
von der eigenen Wohnung wegbewegen. Die ver-
witterte Holztür zur Grabeskirche ist seit dem 25.
März geschlossen. Drinnen beten nur Mönche, die
innerhalb der Kirchenmauern leben. Für Ostern
haben Kirchenvertreter die israelischen Behörden um
Sondergenehmigung gebeten: Zu zehnt und Abstand
wahrend würden sie gern die Ostermessen halten und
per Livestream in die ganze Welt übertragen. Dem
jüdischen Oberrabbiner an der Klagemauer wurde
das für die Pessach-Tage schon gewährt.
Auf dem Ölberg feierten sie Ostern zuletzt
besinnlich in aller Früh, mit einem Auferstehungs-
gottesdienst bei Sonnenaufgang. Dieses Jahr wird
Pfarrerin Zander ihre Predigt mit dem Handy auf-
zeichnen und den Gemeindemitgliedern per Mail
schicken. »Die Geschichte der Auferstehung ist
eine Botschaft vom Leben, das über den Tod ob-
siegt«, sagt Zander. »So erlebe ich auch die Coro-
na-Zeit: Die Einschränkungen als Akte der Solida-
rität, um dem Virus zu widerstehen.«
Und was ist mit der Freiheit eines Christen-
menschen? Sie besteht darin, den Raum zu nutzen,
der bleibt. Und neue Unfreiheiten nicht hinzu-
nehmen, wo sie unmenschlich sind, weil sie etwa
Menschen zwingen, in der Todesstunde allein zu
sein. Selbst am Karfreitag, als Jesus starb, so sieht
man es auf den Passionsgemälden, war er nicht
allein – auch seine Mutter Maria harrte unterm
Kreuz aus. Sie bezeugt, dass der Heiland den Men-
schen vorausgegangen ist in den Tod. Und dass er
auch jetzt mit ihnen ist.
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