2020-04-08 Die Zeit

(Barré) #1

ENTDECKEN


56 8. APRIL 2020 DIE ZEIT No 16


B


ei einem Eishockeyspiel lerne ich meinen
neuen Kollegen kennen. Uwe sieht aus, als
hätte man ihn für die Rolle des Security-
Mannes gecastet. Er hat die Pranken eines
Maurergesellen, die Glatze frisch rasiert,
die Schultern breit. Dass sich Männlich-
keit in diesem Job noch an der Härte des
Händedrucks bemisst, spüre ich sofort.
Beim Rundgang durch die Katakom-
ben der Arena in einer deutschen Groß-
stadt erzählt mir Uwe, dass er gestern bei
einer Veranstaltung mit einem türkisch-
stämmigen Grünen-Politiker gearbeitet
habe. Reden könne der ja, »jetzt nicht so
ein Scheißkanakisch«. Ich weiche Uwes
Blick aus, damit ich den Spruch nicht
auch noch belächeln oder abnicken muss.
Uwe, der wie alle anderen Sicherheits-
leute in diesem Text eigentlich anders heißt,


kümmert sich um den VIP-Bereich. Er
überwacht den Speisesaal, scannt Hand-
gelenke nach rosafarbenen Bändchen ab
und schäkert mit den Empfangsdamen.
Nebenbei behält er mich, den Neuen auf
Probe, im Auge. Als ich für einen Moment
die Hände in die Hosentasche stecke, er-
mahnt er mich sofort. Mit dem Rücken
gegen die Wand lehnen? Ebenfalls verboten.
Schnacken mit Uwe hingegen ist er-
laubt, ich frage nach seiner Zeit als Tür-
steher. Hatte er da jede Nacht Stress? Es
gebe schon viele Betrunkene, die Tür-
steher provozieren oder angreifen wür-
den. Uwe beschreibt das so: »Natürlich
pellt der Türsteher mal jemandem eine zu
viel, und der legt sich dann schlafen.«
Aber ich bin heute Abend nicht nur hier,
um Uwe zuzuhören. Das macht mir Igor
klar. Er ist für die Sicherheit im Stadion zu-
ständig und nicht unbedingt ein Small talker.
Ansagen formuliert er klar: Jacke holen,
Dienstausweis umhängen, mitkommen.
Igor führt mich direkt ans Eis. An einem
Treppenaufgang soll ich verhindern, dass
Fans dem Spielfeld zu nahe kommen. Hin-
ter mir steht ein tätowierter Kollege mit
dem Kampfgewicht von Tim Wiese. Ich
stelle mich ein bisschen breitbeiniger hin
und schaue grimmig, um wenigstens ansatz-
weise ins Bild zu passen. Ohne Erfolg. »Der
hält keinen auf«, sagt ein Fan aus der ersten
Reihe – nicht zu mir, sondern zu Igor.
Die Einschätzung des Fans tut doppelt
weh. Als junger Mann, der sich bis eben

eingebildet hat, wenigstens ein bisschen
gefährlich auszusehen. Und als Security,
dessen Arbeitsgrundlage es ist, ernst genom-
men zu werden.
Igor ist am Ende trotzdem zufrieden mit
mir. Das richtet mir Uwe aus. Er zeigt mir
auf dem Handy Bilder von Fußballeinsät-
zen. Dort seien nur die Kampferprobten am
Start. Wenn ich den Vertrag bei der Sicher-
heitsfirma unterschreibe, vielleicht auch ich.
Auf dem Heimweg schäme ich mich
dafür, wie ich Uwe bei seinen Abenteuer-
geschichten an den Lippen hing. Damit ich
vor ihm nicht wie ein Schwächling wirke,
habe ich mir aus ein paar Boxtrainings eine
»solide Kampfsporterfahrung« zusammen-
gedichtet. Vermutlich macht gerade dieser
Profilierungsdrang den Job so gefährlich.
Sicherheitsleute gehören mittlerweile
zum Stadtbild wie Fahrradständer oder
Ampeln, sie beäugen einen an den Aus-
gängen im Elektromarkt, leuchten nachts
in verlassene Einkaufspassagen.
Mit dem Unsicherheitsgefühl der Be-
völkerung wuchs der Umsatz des Be-
wachungsgewerbes. In den vergangenen
zehn Jahren hat er sich nahezu verdop-
pelt: auf mehr als neun Milliarden Euro.
In Deutschland gibt es gut 270.000 Si-
cherheitskräfte, das entspricht in etwa
der Zahl der Polizeibeamten. Ehemals
hoheitliche Aufgaben werden von pri-
vaten Sicherheitsdiensten übernommen.
Securitys bewachen Bundeswehrkasernen,
Flughäfen, Gerichte.

Bisher habe ich bei Sicherheitsleuten
an die Männer in DB-Uniformen ge-
dacht, die einen Obdachlosen vor meinen
Augen zu Boden rangen. An den Türste-
her, der nur meinen Freund mit den ira-
nischen Wurzeln aussortierte. Oder die
Fußball-Ordner, die mich mit 14 aus
dem Stadion schmissen, weil ich ein
harmloses Fanmagazin verteilt habe.
Mein Eindruck war immer, dass Secu-
ritys mehr provozieren als deeskalieren,
dass man für den Job vor allem ein Ag-
gressionsproblem und ein McFit-Abo
mitbringen muss. Ist da etwas dran?
Was sind das für Leute, die uns schüt-
zen sollen?
Um das herauszufinden, habe ich sechs
Wochen als Sicherheitskraft gearbeitet, bei
Bundesligaspielen, auf Parteiveranstaltun-
gen, in der Großraumdisco. Und seit Co-
rona in einem Supermarkt am Stadtrand.

»Würdest du dir für Andi Scheuer eine
Kugel fangen?«, hat mich mein Mitbewoh-
ner gestern Abend gefragt. Zuerst fand ich
die Vorstellung noch lustig, jetzt habe ich
genug Zeit, ernsthaft über diese Frage nach-
zudenken. Vier Sicherheitsleute wurden für
die Veranstaltung des Verkehrsministers
gebucht, nötig wären höchstens zwei. Für
mich bedeutet das: sechs Stunden zwischen
einem Toiletteneingang und einem ver-
waisten Treppenhaus abzustehen. Laut Uwe
soll ich nur Personen durchlassen, die einen
Hausausweis haben. Jemand anderes möch-

te auch gar nicht an mir vorbei. Wie schlage
ich also die Zeit tot? Nach »Wo kann man
hier rauchen?« ist das die wichtigste Frage
für Sicherheitsleute.
Ich messe die Länge des Flurs in Tippel-
schritten (um die 75) und zähle die Anzahl
der Toilettenbesucher pro Reinigungsgang
(drei bis vier). Ab 10 Uhr schalte ich von
»Guten Morgen« auf »Guten Tag« um. Das
größte Sicherheitsrisiko besteht am ersten
Arbeitstag darin, von Uwe am Handy er-
wischt zu werden. Fürs Nichtstun bezahlt
zu werden klingt wie ein Traum. Tatsäch-
lich ist es deprimierend, nichts zu leisten,
was meine Anwesenheit rechtfertigen
würde. Habe ich dafür einen zehntägigen
Intensivkurs besucht?

Im Schulungsraum Sachsen-Anhalt ler-
ne ich die Grundlagen von BGB und
StGB kennen. Wer im Sicherheitsgewer-
be arbeiten will, muss laut Gesetz für die
meisten Jobs die »Sachkundeprüfung
nach Paragraf 34a der Gewerbeordnung«
ablegen. Wir behandeln das Waffenrecht
und den »Umgang mit Ausländern«. Das
heiße aber mittlerweile interkulturelle
Kompetenz, fügt der Dozent hinzu. Im
Halfter seines Ledergürtels hat er sein
Handy verstaut. Früher, als er noch Poli-
zist war, steckte darin eine Pistole.
Mit mir im Raum sitzt ein Bundes-
wehrsoldat, der in Afghanistan war und
sich danach beim Zoll und beim Verfas-
sungsschutz bewarb. Im März fängt er bei

einer Sicherheitsfirma am Flughafen an.
Da ist eine examinierte Pflegekraft, die
einen neuen Job sucht, in dem sie nicht
jeden Tag über ihre körperliche Belas-
tungsgrenze hinausgehen muss. Und der
Typ, der das »Gelaber der Spasten« im
Büro nicht mehr erträgt. Als Nachtwäch-
ter streift er nun allein über die leeren
Flure eines noblen Vorstadt-Hotels.
Vorbestrafte oder Mitglieder verfas-
sungsfeindlicher Organisationen hätten in
diesem Gewerbe keine Chance, erklärt uns
der Dozent. Doch immer wieder machen
Übergriffe von Securitys auf Bewohner von
Flüchtlingsunterkünften Schlagzeilen. Ein
YouTube-Video aus dem vergangenen Jahr
zeigt, wie ein Sicherheitsmann in Halber-
stadt auf einen Geflüchteten eintritt. »Was
los, du Fotze, willst du das?«, schreit er. In
Hamburg starb ein Psychiatriepatient, den
Sicherheitsleute fixiert hatten. Das Innen-
ministerium hat inzwischen ein zentrales
Bewacherregister eingerichtet, eine Daten-
bank, die dokumentiert, wer in der Branche
arbeitet und wie zuverlässig er ist.
Bin ich zuverlässig genug? Als Fuß-
ballfan wurde mir vorgeworfen, ich hät-
te illegale Pyrotechnik gezündet. Auch
wenn die Richterin die Anklage nicht zu-
ließ, bekomme ich vor Derbys immer
noch Gefährderansprachen geschickt.
Der Lernstoff ist schwerer als gedacht.
Wo liegt der juristische Unterschied zwi-
schen Entschuldigungs- und Rechtferti-
gungsgründen? Wie lauten die Vorausset-

Von den Kollegen höre ich so viele rassistische Sprüche,


dass ich froh bin, dass wir keine Asylunterkünfte bewachen


Illustration: Maxime Mouysset für DIE ZEIT

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