2020-04-08 Die Zeit

(Barré) #1

ENTDECKEN


zungen für eine allgemeine Selbsthilfe
nach Paragraf 229 des BGB?
Ein Mitschüler hat seine Wasserflasche
zum Sichtschutz umfunktioniert, um in
Ruhe Ego-Shooter auf dem iPhone zu
spielen. Auch am letzten Kurstag fällt es
manchem hier schwer, zu sagen, was ein Ge-
waltmonopol ist und wer es in Deutschland
ausübt. Zum Glück ist die schriftliche
Prüfung ein Multiple-Choice-Test.


48 Stunden nach meiner ersten Schicht
könnte ich eine Verschnaufpause gut ge-
brauchen. »Ich mache mich doch hier nicht
zum Klops«, schreit mein Kollege den Aus-
richter einer CDU-Veranstaltung an. Doch
der setzt sich weiter über unseren Einlass-
stopp hinweg. Wir bewachen den Eingang
eines Festsaals. Bei 200 Personen sollte ei-
gentlich Schluss sein. Aber was bedeutet
schon die Ansage eines einfachen Security-
Mannes, wenn sich ein potenzieller nächster
Kanzler angekündigt hat?
Vor Ehrfurcht japsend, fährt mir der
Gastgeber immer wieder in die Parade:
»Aber Frau von Soundso, natürlich. Bitte
kommen Sie herein!« Trotzdem schaffen
es nicht alle an mir vorbei. Eine neue Er-
fahrung für Menschen, die für gewöhn-
lich bereits erwartet werden. Dass sie
heute Abend von einem Mann abhängig
sind, der 11,25 Euro pro Stunde verdient,
finde ich sehr befriedigend.
Doch nicht jeder akzeptiert ein Nein.
Unbeirrt steuert ein Herr mit grauen Lo-
cken auf die Garderobe zu. »Paul, Hände
frei machen«, befiehlt der Kollege. Mein
erstes Mal zupacken. Wir haken uns an
beiden Seiten unter und wuchten den
Mann hinaus. Als Zeichen des stillen Pro-
tests lässt er sich in unsere Arme fallen
und knurrt leise: »So läuft das hier also.«
Ab 20 Uhr bin ich die meiste Zeit mit
200 Unionsanhängern allein. Dabei weiß
ich nicht mal, wo sich die Toiletten befin-
den, geschweige denn die Notausgänge. Ich
kenne weder den Namen des Veranstalters,
noch habe ich eine Handynummer. Aber
wenn sich die Bevölkerung nur unsicher
fühlt, braucht es vielleicht auch nur einen
Security-Mann, der so tut, als ob.
Wirklich brenzlige Situationen erlebe
ich bei meinen ersten Einsätzen nicht. Die
Faustregel für spannende Schichten lerne
ich erst später: »Wenn du einen Anzug
tragen musst, wird es eigentlich immer
langweilig«, erklärt mir einer der Azubis.
In Cargo-Hose und festen Lederstiefeln
müsste es jetzt also zur Sache gehen.


Als ich durch das Drehkreuz ins Fußball-
stadion gehe, klopft mein Herz. Funk-
tioniert das tatsächlich? Obwohl die Polizei
mich immer noch als Gefährder führt? Ich
lege meinen Personalausweis am Kassen-
häuschen vor und denke: »Jetzt ist es vorbei.
Jetzt taucht auf dem Computer ein Warn-
hinweis auf. Die eigenen Kollegen ziehen
mich aus dem Verkehr.« Aber nichts pas-
siert. Der Mann hinter dem Fenster hakt
mich auf einem Klemmbrett ab.
Hinter dem Drehkreuz werde ich Teil
einer orangefarbenen Masse. Auf unseren
leuchtenden Ordner-Leibchen steht der
Name eines Konkurrenten. Im Stadion
arbeiten wir als Subunternehmer meist
unter falscher Flagge. An einem Abend
trage ich den Schriftzug der einen Firma
auf meinem Polo-Hemd, anderntags bau-
melt der Dienstausweis einer anderen um
meinen Hals. Ohne Namen oder Bild.
Beim Fußball lerne ich meine Kollegen
richtig kennen. Wir sind alle jung, weiß,
männlich. Trotzdem wären wir uns abseits
des Jobs vermutlich niemals begegnet. Die
Kollegen kommen aus Stadtteilen, in denen
ich höchstens lande, wenn ich betrunken in


der S-Bahn einschlafe. Weil sich die anderen
am liebsten mit »Fotze« oder »Schwuchtel«
anreden, schaffe ich es kaum, mir einzelne
Namen zu merken. Wahllos beleidigen die
Kollegen gegenseitig ihre Mütter, als Konter
schlagen sie sich mit der Faust gegen den
Magenschutz.
Die Ausrüstung ist für sie ein wichtiges
Thema. Vor dem Einsatz leiht mir einer
Handschuhe. Er hat zwei Paar dabei. Ich
bekomme die stichfesten »zum Abtasten«,
er selbst nimmt die »zum Wehtun«, be-
stückt mit einem Knöchelschutz aus Kunst-
stoff. Mit den Handschuhen kann er ohne
Schmerzen auf eine Steinmauer einschla-
gen. Sie sind bei den Kollegen sehr beliebt.
Auch unser Supervisor ist nicht zum
Quatschen hier. Eigentlich spiele er lieber
den »Prügelknaben«, sagt er. Dass er heute
verantwortlich ist, scheint ihn zu nerven.
Es bedeutet, dass alles ruhig und geordnet
ablaufen muss. Nicht wie bei dem Rock-
konzert, auf dem die Sanitäter am Ende
21 Knochenbrüche zählten. Einfach in die
Masse rein und zuschlagen, so sei das abge-
laufen. Die Vorstellung bringt ihn noch
immer zum Grinsen. Oder das Volksfest,
wo die Securitys am Ende betrunkener als
die Gäste waren. Laut Gesetz dürfen sie im
Dienst keinen Schluck Alkohol trinken.
In den Stadien aber sind wir weder
mächtig noch gefürchtet. Auch jetzt
scheitert mal wieder das Sicherheits-
konzept. Mit jeder Minute, die das Spiel
näher rückt, werden die Fans ungeduldi-
ger. Schließlich durchbrechen sie unsere
Kette. Wir schieben erst, dann weichen
wir zurück. Kinder weinen, eine Frau be-
kommt Atemnot. Allgemeine Panik.
Im Gedränge sehe ich in meinen Kolle-
gen das erste Mal keine halbstarken Groß-
mäuler. Als ich in der Menge untergehe,
zieht mich einer zurück in die Reihe. »Nie-
mals allein in der Masse«, sagt er. Ich bin
ihm in diesem Moment sehr dankbar.
»Missgeburt«, »Hurensohn«, schreien
sie uns entgegen, oder auch mit mehr
Gegnerbezug: »Verpiss dich mit deinem
Ein-Euro-Job.« Was sich die Fans bei der
Polizei nicht trauen, kriegen wir ab.
Nicht zurückzupöbeln ist gar nicht
einfach. Ich kann mir gut vorstellen, wie
es Kollegen geht, die das jeden Samstag
zu hören bekommen. Besinne mich aber
darauf, dass die Fans zu Recht sauer sind.
Wir Ordner handeln meist völlig kopflos,
drängeln uns in überfüllte Blöcke, tasten
dreimal denselben harmlosen Familien-
vater ab. Die Ultras zünden ihre bengali-
schen Fackeln am Ende trotzdem.
Als Ordner verhalte ich mich genau wie
die Typen, die ich als Fan verachte. Ich ver-
stecke mich hinter Sätzen wie »Ich führe nur
Anweisungen aus«. Aber es stimmt: Wenn
ich bei jeder sinnlosen Maßnahme meines
Chefs rumdiskutiert hätte, wäre ich noch
vor Anpfiff meinen Job los. Gelbe Weste
sagt an, oranges Leibchen führt aus. Das
sind die Regeln.
Im Stadion treffe ich Securitys, wie ich
sie mir vorgestellt habe. Sie nehmen jede
Einladung zu Gewalt gern an, auch wenn
sie am Ende einstecken müssen. Bei einer
Zigarette erzählt mir ein Kollege, wie ihm
einmal bei einem Spiel ein Typ die Nase
gebrochen habe. Dafür habe er zwei
fremde Zähne in der Hosenfalte gehabt.
Nach einer Nacht im Krankenhaus
habe er sich selbst entlassen, um gleich
wieder zu arbeiten. Ich frage mich: Ist
selbst eine gebrochene Nase besser als die
erdrückende Langeweile, gegen die wir
Securitys unter der Woche ankämpfen?
Auch der Supervisor hat noch eine
zerbrochene Brille aus derselben Nacht.
»Vielleicht sollten wir die Trophäen sam-
meln«, schlägt er vor.

Ich verspüre den


Drang, mich zu


beweisen. Muss


ja nicht gleich


ein bewaffneter


Überfall sein


Inzwischen gibt es Tage, an denen ich
gleich zwei Schichten übernehme. Dann
arbeite ich 15 Stunden, von denen ich 15
Stunden stehe. Erst hole ich mir die un-
freiwillige Bierdusche beim Fußball ab,
dann die richtige zu Hause, Anzug anzie-
hen, und ab in die Großraumdisco.
Konfettikanonen schießen im Takt
des Cotton Eye Joe. Betrunkene, verteilt
über mehrere Dancefloors, Ballermann-
Atmosphäre, für uns ein Hochsicher-
heitsspiel. Das macht sich im Einsatzteam
bemerkbar. Heute arbeiten fast nur Kan-
ten mit frisch rasierten Seiten. Unter ih-
ren Sakkos lugen Quarzsandhandschuhe
hervor. »Letztes Jahr gab es hier eine
Massen schlägerei«, erzählt einer. Dieses
Jahr eskaliere es bestimmt wieder.
Ich bin allein für den Einlass an der
VIP-Bühne eingeteilt. Einzelpositionen
sind für die Typen, die früher beim Fuß-
ball als Letzte gewählt wurden. Die
schweren Jungs bilden die Streifen, die
über die Tanzfläche patrouillieren und
nach Schlägereien Ausschau halten.
Je länger der Abend, desto begehrter der
VIP-Bereich. Mehrmals quetschen sich
Gäste durch Lücken im Zaun. Ich greife den
Leuten von hinten unter die Achseln und
schleife sie wieder raus. Wehren tut sich
keiner. Zum Glück sind die Eindringlinge
in meiner Gewichtsklasse. Sonst hätte ich
ein Problem. Wie wehre ich mich gegen
einen betrunkenen Randalierer? Wie setze
ich mein Gegenüber außer Gefecht, ohne
ihn ernsthaft zu verletzen? Fragen, auf die
ich keine Antwort habe. Es gibt zwar alle
zwei Wochen einen Selbstverteidigungs-
kurs, aber der wirkt eher wie eine Kampf-
kunstshow des Chefs. (»Wenn euch jemand
mit dem Messer angreift, dann knipst ihm
die Lichter aus.«)
Dann passiert in zwei Minuten mehr
als am ganzen Abend: Die Sanitäter rol-
len eine Trage mit einer jungen Frau im
Alkoholkoma auf mich zu. Ich öffne die
Schleuse und halte gleichzeitig die aufge-
löste Freundin davon ab, die Sanitäter bei
der medizinischen Versorgung zu stören.
Parallel telefoniere ich mit einem
iPhone, das mir nicht gehört, und einer
Frau, die ich nicht kenne. Wo genau sie
denn jetzt das verlorene Handy abholen
könne? Als ich sie abgewimmelt habe,
drängelt schon der Nächste. Der Gast for-
dert, dass ich die Seifenblasenmaschine an
der Bühne sofort abstelle. Die Leute wür-
den sich wegen der ausgetretenen Seifen-
lauge reihenweise auf die Schnauze legen.
Momente der Überforderung, die ich
in fast jeder Schicht erlebe. Als wir auf
einem Rockkonzert Crowdsurfer vor der
Bühne abfingen, kam eine Frau mit so
viel Karacho angeflogen, dass sie mir
durch die Arme rutschte und mit dem
Hinterkopf auf den Hallenboden knallte.
Meinen großen Auftritt in der Groß-
raumdisco habe ich gegen 5.30 Uhr. 20
Meter vor mir bahnt sich eine Schlägerei
an. Ein selbstverliebter Schlaks schubst
einen kleinen Giftigen. Der Kleine fährt
hoch. Meine Chance: Ich spurte hin und
drücke den Giftigen nach hinten. »Der
Idiot ist es nicht wert. Der provoziert
schon den ganzen Abend«, rede ich auf
ihn ein. »Er ist es nicht wert«, sage ich
immer wieder. Ein paarmal versucht er
noch, mit einem Ausfallschritt an mir
vorbeizukommen, dann sinkt sein Adre-
nalinspiegel. Ich bin stolz auf meine
schnelle Reaktion. Nur leider hat das
keiner meiner Kollegen gesehen.
Die Jungs von der Streife haben an-
dere Dinge im Kopf. Einer von ihnen
sucht den Boden vor dem Tresen nach
Getränke marken ab. Er sieht mich etwas
beschämt an: »Mal gucken, ob ich mei-

nen Stundenlohn bisschen aufbessern
kann«, sagt er. Mit einem Mal verliert
dieser Riesenschrank alles Bedrohliche.
Um sechs Uhr ist endlich Schluss. Die
Kollegen spannen Absperrbänder auf der
Tanzfläche. Das letzte bumsende Paar
muss die Männertoilette verlassen.
Auf dem Heimweg in der Bahn rechne
ich mir aus, was ich heute in 16 Stunden
verdient habe. Als Online-Redakteur be-
komme ich dasselbe für die Hälfte der Zeit.
In meinen sechs Wochen im Sicher-
heitsdienst höre ich regelmäßig rassis-
tische Sprüche (»Fidschis«, »Kanaken«, die
Südländer seien verantwortlich für die
Messerstechereien in Deutschland), dazu
Gefasel vom Krieg im eigenen Land. Ich
bin jedes Mal froh, dass wir keine Asyl-
unterkünfte bewachen.
Auch Polizei und Bundeswehr haben
Rechtsextreme in ihren Reihen. Doch
in Zeiten nationalsozialistischen Terrors
kommt mir das private Sicherheitsgewerbe
vor wie die schlechteste aller Alternativen.
Denn was in dem Geflecht aus Sub-
unternehmen unter ständig wechselnden
Firmenflaggen passiert, ist staatlich schwer
zu kontrollieren. Vergehen sind noch
schwerer zu ahnden.
Die meisten von uns üben ihren Job
nicht aus, sie halten ihn aus. Es sind
Männer mit geringen Gehältern und Be-
fugnissen. Daraus entsteht im besten Fall
Nachlässigkeit und im schlechtesten Fall
Aggression.
Doch es gibt auch Kollegen, die trotz
des miesen Lohns und der Überstunden
höflich bleiben. Die jeden Morgen zum
Dienst erscheinen, auch wenn sie mit
Rentnern darüber diskutieren müssen,
wer die Scheiße von der Toilettenbrille
putzt – der Verursacher oder die Reini-
gungskraft. Der größte Feind aber bleibt
für den Sicherheitsmann die Langeweile.
Das wird mir mal wieder klar, als der
Corona-Notfallplan für mich eine Schicht
im Objektschutz vorsieht.

Mit einem Kollegen patrouilliere ich
nachts auf einer 50 Hektar großen
Sportanlage, in den Pausen hocken wir
in einem Kabuff in der Größe meines
Ikea-Bettes.
Danach bettle ich beim Chef um eine
Supermarkt-Schicht. Er kommandiert
mich zu einem Laden am Stadtrand.
»Letzte Woche war hier Mord und Tot-
schlag«, sagt der Kollege aus der Früh-
schicht. Aber jetzt sei Hartz IV alle, jetzt
sei Ruhe. Lange dauert es trotzdem nicht,
bis mich ein Mann mit Handschuhen
und Mundschutz anschnauzt: »Sie lassen
zu viele Leute rein. Merken Sie das nicht?«
Ich installiere also eine Schlange vor der
Tür, was einem anderen Kunden nicht
passt. »Wer berechtigt Sie, diese Kontrol-
len durchzuführen?«, blafft er.
Die meisten aber sind solidarisch. Kei-
ner verstößt gegen meine Einlasspolitik,
prügelt sich um Toilettenpapier oder hus-
tet absichtlich das Obst an.
Stattdessen acht Stunden Leerlauf. Ich
verspüre den Drang, mich einmal richtig
beweisen zu können. Muss ja nicht gleich
ein bewaffneter Überfall sein – vielleicht
nur eine kleine Rangelei in der Schlange?
Kurz vor Ladenschluss rennt ein Typ
schreiend auf den Supermarkt zu. »Ein
Mörder läuft herum«, ruft er quer über
den Marktplatz. Ich stelle mich ihm in
den Weg und breite die Arme aus.
»Alles gut«, sagt er und dreht ab.
Schade, denke ich.
Auf dem Heimweg beschließe ich,
mich nie wieder moralisch über Securitys
zu erheben. Dann werfe ich meine Kün-
digung in den Briefkasten.

HINTER DER GESCHICHTE

Die Frage: Wer sind die Sicherheitsleute, die uns schützen sollen?

Die Recherche: Unser Autor hat sich unter seinem Klarnamen
bei einem privaten Sicherheitsunternehmen beworben.
Von seinen Erlebnissen berichtet er hier. Das Unternehmen hat
eine Möglichkeit zur Stellungnahme nicht genutzt.


  1. APRIL 2020 DIE ZEIT No 16 57


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