2020-04-08 Die Zeit

(Barré) #1

6 POLITIK 8. APRIL 2020 DIE ZEIT No 16


Angesteckt


Warum der Journalismus in der Corona-Krise besonders gebraucht wird – und vor welchen Problemen er steht VON MARC BROST UND BERNHARD PÖRKSEN


W


ir erleben nicht nur eine
Weltviruskrise, sondern
auch eine dramatische
Stunde des Journalismus
in einer offenen Gesell-
schaft. Denn gerade jetzt
sind das Sortieren von
Informationen und die Interpretation des Gesche-
hens besonders wichtig. Und gleichzeitig sind die
Medien besonders bedroht. Während Einzelver-
käufe und Einschaltquoten steigen, brechen die
Anzeigenerlöse ein, bei einigen Tageszeitungen um
bis zu 80 Prozent. Kurzarbeit ist wahrscheinlich,
Entlassungen drohen.
Beobachten, was in dieser Krise geschieht, und
erklären, warum es geschieht, um dann zu bewerten,
ob das Richtige geschieht – das müssen Journalisten
jetzt leisten. Denn wie in jeder Krise wächst mit der
Verunsicherung der Menschen auch ihr Bedürfnis
nach Orientierung und Information.
Natürlich gibt es nicht »die« Medien, genauso
wenig wie es »die« Politik gibt. Und wenn man sich
anschaut, was viele Journalisten jetzt schreiben oder
senden, dann stößt man auf großartige Hinter-
grundberichte, glänzende Recherchen, konstrukti-
ve Alltagshilfe, die kühle Demontage von Fake-
News. Alles unter Hochgeschwindigkeitsbedingun-
gen. Es hat schon einen Grund, dass der Zuspruch
zu vielen klassischen Medien gerade wächst.
Und dennoch gibt es eine dunkle Seite des Gan-
zen. Den Schnapp atmungs- Jour na lis mus. Zuspit-
zung und Dramatisierung. Und eine Rhetorik der
Alternativlosigkeit, die es im Verhältnis zur Trag-
weite der von der Politik im »Schnell, schnell«-
Modus getroffenen Entscheidungen so auch noch
nicht gegeben hat. Es ist die Gleichzeitigkeit des
Verschiedenen, die sich gerade beobachten lässt.
Und ganz bestimmt ist es kein Zufall, dass zuletzt
ausgerechnet der im Augenblick bekannteste Kom-
munikator dieser Krise sein Unbehagen darüber
erklärte. Er finde es »kontraproduktiv, wie politische
Journalisten im Moment fragen«, sagte der Virologe
Christian Drosten. In Talkshows werde versucht,
»Konflikte zwischen Wissenschaftlern zu schüren
und zu überzeichnen«. Er sei wütend, wie »Personen
für ein Bild missbraucht werden, das Medien zeich-
nen wollen, um zu kontrastieren«.
Natürlich könnte man Drostens Medienkritik
nun ihrerseits kritisieren. Man könnte fragen, wa-
rum er, der sonst differenziert, hier pauschalisiert.
Ergiebiger scheint es, die Kritik ernst zu nehmen
und zur Selbstbefragung zu nutzen. Womöglich
arbeiten manche Journalisten auf eine bestimmte
Art und schauen auf eine bestimmte Art auf die
Wirklichkeit – und können gar nicht mehr anders.
Womöglich gibt es einen Zwang zum Bescheidwis-
sen, der am Ende nur eigene Vorurteile reproduziert.
Woran liegt das? Und welche Rituale und Routinen
lenken von den entscheidenden Sachfragen ab?

Die Helden-Falle
Je komplexer das Geschehen, desto wichtiger wird
die Person im Verbund mit einer guten Geschichte.
Wir denken und leben in Geschichten. Aber irgend-
wann schiebt sich die Heldenstory vor die Sache,
und dann geht es – wie bei Edward Snowden – nicht
mehr um die anlasslose Massenüberwachung, son-
dern um das private Schicksal (eine archetypische
David-gegen-Goliath-Geschichte). Wie bei Greta
nicht mehr um den Klimawandel, sondern darum,
wie eine 16-Jährige ihren Ruhm verkraftet und wie
es so ist, im ICE durch Deutschland zu fahren. Per-
sonalisierung ist Komplexitätsreduktion, die das
eigentliche Thema verschwinden lassen kann.
Auch Christian Drosten erlebt das. Man nennt
ihn den »wichtigsten Mann der Republik« (stern)
oder zeigt sein Konterfei neben anderen und fragt:
»Welchem Virologen vertrauen Sie am meisten?«
(Bild). Als gehe es bei der Virologie nicht um Er-
kenntnis, sondern um Performance. »Ist das unser
neuer Kanzler?« betitelte die ZEIT einen abwägen-
den Artikel zu Drostens Arbeit, und eigentlich war

die Überschrift ironisch gemeint. Aber Ironie kann
schief klingen, wenn die Krise so fundamental ist.
Wird Veranschaulichung zum Personenkult, ist
das nicht nur deshalb schwierig, weil sich dann
kaum noch jemand ums eigentliche Thema küm-
mert. Es wird auch zum Problem für den Helden.
Aufstieg und Absturz liegen nahe beieinander.
Macht der Held einen Fehler, kippt die Stimmung
ins andere Extrem, nach dem Motto: Das haben wir
doch immer schon geahnt.
Politiker haben sich daran gewöhnt. Für Wissen-
schaftler aber, deren Ziel nicht Machterwerb, son-
dern Erkenntnisgewinn ist, kann die Personalisie-
rung die eigene Arbeit gefährden: In der Forschung
sind Fehler die Grundlage für Fortschritt. In der
personalisierten Öffentlichkeit sind sie gleichbedeu-
tend mit Niedergang und Versagen.

Die Zynismus-Falle
Auch für Journalisten ist diese Krise anders als jede
zuvor. Sie ist schwieriger zu begreifen und viel emo-
tionaler, weil sie jeden trifft, beruflich wie privat.
Dramen und Krisen, die eskalieren – das ist die in-
tensivste Zeit für Journalisten, und gleichzeitig fühlt
man sich ohnmächtig, kann schlechter recherchie-
ren, sehnt einfach das Ende der Krise herbei. Man
sucht Halt und verliert ihn zugleich.
Guter Journalismus ist so etwas wie die Karto-
grafie der Lebenswirklichkeit. Aber wenn das Leben
gerade ziemlich kompliziert geworden ist und die
Gründe und Folgen der Krise so vielschichtig sind,
dann ist es vor allem für politische Journalisten sehr
einfach, sich auf ein Feld zurückzuziehen, auf dem
sie sich auskennen – die Machtpolitik. Sie ist über-
schaubar, scheinbar eindeutig, und es gelten die
vertrauten Maßstäbe.
»Geht’s Ihnen darum, als der härteste Corona-
Bekämpfer wahrgenommen zu werden?«, fragte
Anne Will den bayerischen Ministerpräsidenten
Markus Söder in ihrer Sendung. Und sie wollte
wissen, ob sich NRW-Ministerpräsident Armin
Laschet »nicht doch durchgesetzt« habe bei den Aus-
gangsbeschränkungen. ZDF-Moderatorin Maybrit
Illner wollte in ihrer Sendung eine Stunde später
Details von Laschet zum Streit mit Söder wissen.
Als ob es an diesem Abend keine drängenderen
Fragen gegeben hätte.
Nur um nicht falsch verstanden zu werden:
Nichts spricht dagegen, in einer unübersichtlichen
Lage nach Konflikten zu fahnden. Aber die Meta-
phern von Wettkampf, Sieg oder Niederlage wirken
gerade in dieser Krise zynisch, weil sie Politik als
reines Machtspiel präsentieren.
Es ist jetzt nicht so wichtig, ob Jens Spahn auf
die Kanzlerschaft spekuliert. Oder ob Angela Mer-
kel über das Jahr 2021 hinaus Kanzlerin bleiben
könnte. Entscheidend ist im Moment, ob die Ver-
antwortlichen ihre Arbeit gut machen – und woran
man das erkennt oder eben nicht erkennt. Dem gilt
es hinterherzuspüren, auch wenn es mühsam ist: Für
die Journalisten ist ja nicht nur das Erklären oder
Bewerten der Regierungspolitik schwieriger gewor-
den – sondern (da fast das ganze Land im Home-
office ist) auch das bloße Beobachten.

Die Harmonie-Falle
Wenn in Krisenzeiten die politische Opposition
hinter der Exekutive verschwindet, reduziert sich
die Stimmenvielfalt. Und wenn dann auch noch die
journalistische Kritik fehlt und sich Expertenmono-
pole herausbilden, entsteht eine Harmonie der
Wohlmeinenden. Es macht schon einen Unter-
schied, ob Journalisten die Äußerungen von Politi-
kern darstellen – oder sie nachplappern.
Man könnte zum Beispiel fragen, warum der
Gesundheitsminister noch vor wenigen Wochen das
Land »gut vorbereitet« sah, wo die Beteiligten die
Dimension der Krise doch erkennbar unterschätzt
hatten. Man könnte auch fragen, warum es zu Be-
ginn noch hieß, dass das Tragen von Schutzmasken
nutzlos sei. Oder warum Wirtschaftsminister Peter
Altmaier erklärte, er kämpfe dafür, dass »kein Ar-

beitsplatz wegen Corona verloren geht«, während
viele Betriebe längst Mitarbeiter entlassen hatten.
In der ersten Phase der Krise mag es richtig ge-
wesen sein, vor allem auf Virologen zu hören und
medizinische Maßnahmen zu diskutieren. Aber nun
erleben wir die wohl größte Einschränkung von
Grundrechten in der Geschichte der Republik. Das
öffentliche Leben ist weitgehend lahmgelegt, die
Reisefreiheit ebenso beschnitten wie die Religions-
ausübung. Alte Menschen sterben, ohne dass sie von
ihren Angehörigen noch einmal besucht werden
können. Es geht in dieser zweiten Phase jetzt darum,
die gesellschaftspolitische Debatte zu öffnen. Es
braucht Ökonomen, Soziologen, Psychologen, Phi-
losophen und Juristen – und zwar nicht nur als
Hilfswissenschaftler, die sich bekümmert darüber
äußern, wie man die Kollateralschäden des Krisen-
managements abzufedern vermag.
Warum ist die Weitung der Perspektive zentral?
Weil es buchstäblich um alles geht. Um die Zu-
nahme häuslicher Gewalt. Um die Rolle von Men-
schen, die an der Supermarktkasse und als schlecht
bezahlte Pfleger ihren Dienst tun. Um den Verlust
der beruflichen Existenz. Vielleicht kommen die
Debatten auch deshalb so zaghaft in Gang, weil in
der Stunde der Krise die Lebenslüge der westlichen
Gesellschaften spürbar wird. Denn sie beschwört
einerseits den unbedingten Wert des menschlichen
Lebens, aber handelt ökonomisch und ökologisch
häufig nach den Prinzipien des Nützlichkeitsden-
kens. Wir sind – im Reden – Kantianer, aber im
Alltag Utilitaristen, für die es sehr wohl einen Un-
terschied macht, ob uns die potenziellen Opfer nahe
sind und ob wir selbst betroffen sein könnten. Wie
lange kann das Land einen Lockdown vertragen?
Ab wann sind die Kollateralschäden größer als die
Ur-Katastrophe? Welche Szenarien gibt es?
Doch hört und liest man: »Bloß keine Exit-
Debatte! Nicht jetzt!« Hier treffe »er wirklich einmal
zu, der berühmte Satz: Diese Politik ist alternativ-
los«, schrieb der Spiegel in seinem Morgennewsletter.
Aus Sicht der Regierung mag solch ein Diskurs-
tabu verständlich sein. Aber ist es das auch aus Sicht
der Bürger? Und wäre es nicht die Aufgabe der
Journalisten – im Bemühen um den richtigen Ton
und in der Sichtbarmachung von Trauer und eigener
Verzweiflung –, die schwierigsten Fragen zu stellen,
zu diskutieren und Dilemmata sichtbar zu machen?

Vom Umgang mit Ungewissheit
»Information ist schnell, Wahrheit braucht Zeit«,
hat der Netzphilosoph Peter Glaser einmal gesagt,
und ganz sicher würden die meisten Journalisten in
dieser Krise gern viel mehr Zeit zur Einordnung und
Sortierung haben. Eigentlich müsste man in jedem
Artikel die unsichere Datenlage und die Annahmen
hinter den Modellrechnungen transparent machen.
Das geschieht allerdings selten, weil: keine Zeit.
Eigentlich müsste man, wenn es um die Toten geht,
zwischen jenen unterscheiden, die an Corona ge-
storben sind, und jenen, die mit Corona starben.
Aber diese Daten gibt es nicht. Wichtige Zahlen
sind bestenfalls einzuschätzen. Und jede Stunde
kommen neue, ganz andere Zahlen dazu.
Auch Journalisten verfolgen die Entwicklung
atemlos, sind gehetzt, schlafen zu wenig. Auch sie
sind erschöpft, machen Fehler. Aber Journalismus
in Krisenzeiten verlangt das Kunststück der Parado-
xiebewältigung: Es gilt zu erklären und einzuordnen,
was sich noch gar nicht richtig erklären und ein-
ordnen lässt. Und es gilt, kritische Distanz zu wah-
ren, auch wenn man selbst gerade fortgerissen wird
von den Ereignissen oder der eigenen Angst.
Denn angenommen, die aktuellen Maßnahmen
würden sich im Nachhinein als unverhältnismäßig
erweisen – was wäre dann? Dann droht auch den
Medien ein Vertrauensverlust, gegen den sich die
Kritik an der Berichterstattung in der Flüchtlings-
krise wie ein höfliches Zuzwinkern ausnehmen wird.

Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft
an der Universität Tübingen

Der Designer
Christian Laesser
hat sich angesehen, in
welchem Ausmaß
sich die ZEIT mit dem
Coronavirus beschäftigt hat.
Die entsprechenden Artikel
der letzten Ausgabe sind rot
markiert. Seine
Visualisierungen finden sich
unter christianlaesser.com

Grafik: Christian Laesser

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