2020-04-08 Die Zeit

(Barré) #1
Für New Yorks Krankenhäuser, denen Masken
und Schutzanzüge fehlen, kommt das zu spät. Die
Bundesstaaten hätten sich selbst darum kümmern
müssen, sagte Trump vor wenigen Tagen. Die kon-
kurrieren inzwischen auf dem Markt um die nötigs-
ten medizinischen Güter.
Fehler wälzt Trump grundsätzlich auf andere ab.
Auf die Frage, ob er die Verantwortung für die Auf-
lösung der Pandemie-Arbeitsgruppe im Nationalen
Sicherheitsrat übernehme, zuckte er auf einer Presse-
konferenz mit den Schultern. »Ich? Ich habe die nicht
abgeschafft. Es gibt sehr viele Leute im Weißen Haus.
Mike hier, Mike Pence, er ist jetzt Chef der Corona-
Task-Force, vielleicht weiß er ja etwas darüber.«
Der amerikanische Staatsapparat ist von der
Trump-Regierung systematisch ausgehöhlt worden.
Trump sieht in der Washingtoner Bürokratie einen

Feind, den es durch Entzug von Ressourcen und Per-
sonal zu schwächen gilt. Das Heimatschutzministe-
rium (in etwa unserem Innenministerium entspre-
chend), zuständig unter anderem für Katastrophen-
schutz, wird seit einem Jahr kommissarisch geführt.
20 von 75 Leitungsposten dort sind unbesetzt.
Die Bestände des Nationalen Vorratslagers, in
dem auch Beatmungsmaschinen für den Katastro-
phenfall gelagert werden, sind seit geraumer Zeit
nicht mehr kontrolliert und gewartet worden. Der
Vertrag mit der zuständigen Firma war ausgelaufen,
die Regierung hatte es versäumt, rechtzeitig eine neue
anzuheuern. Zehn Prozent der Maschinen sind de-
fekt, wie nun festgestellt wurde.
Am vergangenen Donnerstag stellte Trump in
seiner täglichen Pressekonferenz den Mann vor, der
solche Probleme nun lösen soll: seinen Schwiegersohn
Jared Kushner, einen 39-Jährigen ohne politisches
Mandat und ohne jede Verwaltungserfahrung. Zu-
letzt hatte Kushner sich im Trumps Auftrag jahrelang
mit einem Friedensplan für den Nahen Osten be-
schäftigt und als Vorkenntnisse angegeben, »25 Bü-
cher über den Konflikt gelesen« zu haben.
Kushner hatte Covid-19 Anfang des Jahres als
»kein großes Problem« bezeichnet. Nun soll er für
die Katastrophenschutzbehörde FEMA mit einem
eigenen Team die Beschaffung und Verteilung von
medizinischem Material organisieren.
Anfang der Woche beklagten die USA das
zehntausendste Opfer der Seuche.

A http://www.zeit.deeaudio

Spürbare Erleichterung bringt das Schiff, das
mit großem Tamtam von Donald Trump per-
sönlich in Virginia verabschiedet wurde, da-
her kaum.
Dass in den USA womöglich mehr Menschen
an Covid-19 sterben werden als irgendwo sonst
auf der Welt, liegt auch an der Spaltung des Lan-
des, die trotz der Seuche anhält. Das Virus kann
sich gewissermaßen in den Rissen ansiedeln, die
die politischen und ideologischen Kämpfe in der
Gesellschaft hinterlassen haben.
Zu Beginn der Pandemie haben viele Gou-
verneure schnell und umsichtig reagiert – De-
mokraten wie Republikaner. Sie haben Schulen
und Geschäfte geschlossen und die Bürger auf-
gefordert, zu Hause zu bleiben. Schmerzhafte
wirtschaftliche Folgen wurden hingenommen,
um den Kollaps des Gesundheitssystems zu
verhindern. Über 297 Millionen Amerikaner,
etwa 90 Prozent der Bevölkerung, sind derzeit
unter Ausgangssperre.
Doch acht Bundesstaaten, darunter Arkan-
sas, Iowa, Florida, North Dakota und Utah,
scheren aus und ignorieren offen die Empfeh-
lungen des obersten amerikanischen Seuchen-
bekämpfers Dr. Anthony Fauci, das öffentliche
Leben mit klaren Ansagen herunterzufahren.
Die Gouverneure begründen das mit dem Cre-
do, jeder Bürger sei für sich selbst verantwort-
lich, der Staat dürfe soziale Distanzierung nicht
erzwingen. Dahinter steckt politischer Oppor-
tunismus. Donald Trump hat all diese acht
Staaten 2016 gewonnen. Die republikanischen
Gouverneure folgen daher dem Präsidenten
und dessen Haussender Fox News, die die Ge-
fahr immer noch relativieren.
An den Stränden Floridas wurden vor Kur-
zem noch Spring-Break-Partys von Studenten
am Strand geduldet. In Texas konnten evange-
likale Pastoren wie Robert Jeffress bis Ende
März noch Gottesdienste für 3000 Gläubige
abhalten. Seiner Gemeinde erklärte Jeffress, der
sich Trumps spiritueller Berater nennt, das Vi-
rus sei eine Strafe Gottes für Abtreibung und
Beten die wirksamste Kur dagegen. Aus dem
Weißen Haus gibt es keinen Widerspruch ge-
gen solch gefährlichen Unsinn. Die evangelika-
len Wähler sind einfach zu wichtig.
Die tägliche Pressekonferenz im briefing
room des Weißen Hauses hatte die Trump-
Regierung eigentlich abgeschafft. Seit der
Corona-Krise gibt es sie nun wieder. Trump
rühmt sich selbst als »Quoten-Hit«. Es fällt ihm
sichtlich schwer, die Aufmerksamkeit auf die
nationale Krise zu richten, nicht auf sich selbst.
Selbst wenn der Präsident angesichts der
Opferzahlen nun vor dem Virus warnt, erliegt
er im nächsten Moment wieder der Versu-
chung, die Gefahr herunterzuspielen. Mal stellt
er sich als »Kriegspräsidenten« dar, dann weist
er jede Verantwortung für schmerzhafte Ent-
scheidungen von sich. Lange hatte er gezögert,
ein Gesetz aus Zeiten des Korea-Kriegs zu nut-
zen, das ihm erlaubt, Firmen in einer Krise
etwa die Produktion von Masken und Beat-
mungsgeräten aufzuzwingen. Eine solche Ent-
scheidung liegt quer zu den Kampflinien der
Innenpolitik: Die Republikaner werfen den
Demokraten vor, sie wollten den »Sozialismus«
in Amerika einführen. Darum zauderte Trump,
eine Form der Staatswirtschaft einzusetzen, von
der Bernie Sanders, Linksaußen und Präsident-
schaftsbewerber unter den Demokraten, nicht
zu träumen gewagt hätte. Unter dem Druck
der Krise hat Trump das Gesetz schließlich
doch angewendet.

New York

D


er Kapitän, der letzte Woche
im Dunkel der Nacht auf der
Pazifikinsel Guam an Land
gehen musste, war für seine
Soldaten ein Held. Die Mari-
ne-Führung hatte Captain
Brett Crozier am Donnerstag
vergangener Woche von seinen Aufgaben als Kom-
mandant des Flugzeugträgers USS Theodore Roosevelt
entbunden. Seine Matrosen dagegen verabschiedeten
ihn mit donnerndem Applaus und begeisterten »Cap-
tain Crozier«-Rufen. Er hatte sich für ihre Gesundheit
entschieden, auf Kosten seiner eigenen Karriere.
Die elf Flugzeugträger der US Navy sind die wir-
kungsvollsten Instrumente und die stärksten Symbole
der amerikanischen Weltmacht. Jetzt ist einer zum
Schauplatz des Führungsversagens in der Corona-
Krise geworden.


Crozier hatte in einer Mail an knapp 30 Vorge-
setzte um dringende Hilfe gebeten, weil das Virus
sich in den engen Quartieren des USS Theodore
Roosevelt breitgemacht hatte. Er hatte wiederholt
von seinem direkten Vorgesetzten Unterstützung
erbeten und sie nicht bekommen. Der Hilferuf per
Mail gelangte an die Presse. Das Militär leitete eine
interne Ermittlung ein, weil der Kapitän den
Dienstweg nicht eingehalten habe. Der von Präsi-
dent Trump kürzlich eingesetzte Marineminister
Thomas Modly entließ Crozier jedoch noch vor
Beginn des Verfahrens. »Trump will, dass er gefeu-
ert wird«, soll Modly laut Zeitungsberichten einem
Mitarbeiter gesagt haben. Ein Kommandant wird
bestraft, weil sein Hilferuf Trumps Behauptung ad
absurdum geführt hat, man habe das Virus unter
Kontrolle. Trumps Angst, in den Augen der Welt
schwach zu erscheinen, ist größer als die Angst vor
dem Virus. Dienstweg geht vor Menschenleben.

Ein weiteres Schiff der US Navy symbolisiert,
wie schwer es der amerikanischen Regierung fällt,
das Ausmaß der Krise zur Kenntnis zu nehmen.
Das Lazarett-Schiff USNS Comfort dockt seit einer
Woche am Pier 90 in New York und soll der Stadt
mit seinen 1000 Betten und 1200 Personen Besat-
zung helfen. Doch während die Notaufnahmen der
New Yorker Krankenhäuser unter dem Ansturm
von Covid-19-Kranken zusammenbrechen, hatte
die USNS Comfort innerhalb einer Woche nur 20
Patienten aufgenommen. Der Kapitän hat Order,
keine Corona-Fälle an Bord zu lassen. Das Schiff
mit seinen schmalen Stockbetten ist für Soldaten
mit Kriegsverletzungen wie Schusswunden ausge-
stattet. Für die massenhafte Versorgung von Infi-
zierten, die möglicherweise beatmet werden
müssen, ist es nicht ausgelegt. Die USNS Comfort
sollte New Yorks Krankenhäuser von Routinefällen
entlasten. Davon gibt es zurzeit aber nur wenige.

Falsche Prioritäten, ausgezehrte Ministerien,


politischer Opportunismus: Die USA leiden nicht


nur unter Corona, sondern unter Führungsversagen


VON KERSTIN KOHLENBERG UND JÖRG LAU


Illustration: Sébastien Thibault

Tödliche


Feh ler


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Illustration: Lea Dohle

Das Politikteil
Am Ende der Woche sprechen
wir über Politik. Der neue Podcast
der ZEIT – jeden Freitag unter:
http://www.zeit.de/politikpodcast

Ein Herz für Italien


SpendenaufruffürdasleidendeNachbarland


BellaItalia–wiereichhatdieseswunderschöne,liebenswürdige,vorLebensfreudestrotzende,großzügigeLandvorallem
unsDeutschebeschenkt:mitseinerwunderbarenKüche,seinerMusik,seinerFilmkunst,demZauberseinerStädte,seinen
unvergesslichenLandschaften,seinerGastfreundschaftundWärme.FürAbermillionendeutscherTouristen,diejedesJahrnach
Italienreisen,istesgeradediesemitmenschlicheFreundlichkeitderItaliener,dieihrLandimmerwiederzumErlebnismacht.

Allesvergessen?

SeitsechsWochenwütetdieHöllederCoronaPandemiezwischenMailandundRom,gnadenloseralsinjedemanderenLand.
ItalienistinhöchsterNot: 15000 Tote, 120000 Infizierte(darunter 10000 ÄrzteundKrankenschwestern)undeinerschöpftes
HeervonüberarbeitetenÄrztenundKrankenschwestern,dieohneausreichendeSchutzkleidungundBeatmungsgerätenden
KampfgegendenVirusgewinnenmüssenundwollen.ÄhnlichdramatischeZahlengibtesausSpanien.

UndwastunEuropaundDeutschland?

Esgenügtnicht,vereinzeltPatientenaufzunehmenundwortreichSolidaritätzubekunden.DieStaatenderEuropäischenUnion
sindjetztgefordert,einegroßegemeinsameKraftanstrengungzuunternehmen.DeutschlandalsstärksteWirtschaftsnationmuss
vorangehen,Hilfezusichernundzukoordinieren,undauchBedenkengegengemeinschaftlicheUnterstützungzurückstellen.
AllesanderewärebeschämendundzeugtevonpolitischerKurzsichtigkeit,dennEuropaohneseineGründer-NationItalien
kannundwirdnichtüberleben.

Wir,eineGruppevoneuropäischdenkendenDeutschen,wollenmitderAktion„EinHerzfürItalien“unserenitalienischen
FreundenVerständnis,RespektundNähezeigen.Wir wollenSolidaritätnichtnurmitWorten,sondernmitgroßzügigen
Spendenbeweisen.

SpendenauchSiebitteandasStädtischeKrankenhausPapaGiovanniXXIIIvonBergamo.

Kontoverbindung:
AziendaSocioSanitariaTerritorialePapaGiovanniXXIII(TrägerdesKrankenhauses)
IBAN:IT 52 Z0 5696111000000 12000X
BIC/SWIFT:POSOIT
Causale(Verwendungszweck):
Covit-19-Aktion„EinHerzfürItalien“-campagna„Uncuoreperl‘Italia“

http://www.asst-pg23.it/2020/03/_emergenza_coronavirus_come_aiutarci/

Prof.JobstundInesPlog–MichaelNesselhaufundBirgitM.Kraatz-Nesselhauf

AnnaAugstein,MichaelBeckelundSybilleTerrahe,ReinholdBeckmann,ManfredundMargritBissinger,MonikaBlankenburg,
Prof.Dr.NielsundDr.ElisabethBleese,NikolausundCarolaBrender,JobstFiedlerundKatharinaFelixmüller,JürgenFlimm
undSusanneOttersbach-Flimm,SigmarundDr.AnkeGabriel,Prof.Dr. HeinzundAnnetteGlässgen,Dr.JürgenGrossmann
undDagmar Sikorski-Grossmann,Rüdiger Grubeund CorneliaPoletto, WolfgangIschingerund JuttaFalke-Ischinger,
JanKerhartundSandraMaischberger,HansWernerKilz,Prof.Dr. ManfredLahnsteinundDr.SonjaLahnstein-Kandel,
UlrichundNinaLenze,ThomasundTrauteLevy,Prof.VolkwinundEvaMarg,Dr.ThomasundBarbaraMirow,HansHermann
undJohannaMünchmeyer,Dr.Lore-MariaPeschel-Gutzeit,Dr.MathiasPetersen,Karl-HeinzundMartinaRummenigge,
Gerhard Spoerl und Patricia Schlesinger, Peer und Gertrud Steinbrück, Alexander und Gabriele von Sobeck,
HartmannvonderTannundAndreaMorgenthaler,MaxundDr.NagilaWarburg,UlrichWickertundJuliaJäkel,ReginaZiegler

8 POLITIK 8. APRIL 2020 DIE ZEIT No 16

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