Neue Zürcher Zeitung - 22.02.2020

(Frankie) #1

Samstag, 22. Februar 2020 ZÜRICH UNDREGION 19


Gangster, Blüten, Trickbetrüger


Wie die Zürcher Kantonalbank sich in ihren 150 Jahren gege n Gier und List wappnete


RETO FLURY


Alles geht sehr schnell. Am Dienstag,
3.April1979, kurz nach neun Uhr, stür-
men fünf Männer in den Hauptsitz der
Zürcher Kantonalbank (ZKB) an der
Bahnhofstrasse. Ihre Gesichter haben
sie mitTüchern und Masken vermummt,
in den Händen halten sie Pistolen und
Maschinenpistolen. Drei von ihnen
zwingen Angestellte undKunden,sich
auf den Boden zu legen oder die Hände
über denKopf zu halten.
Zwei Komplizen springen auf die
rund einen Meter hohe Brüstung der
Schalter 10, 11 und 12, die «durchkei-
nerleiAufbauten geschützt» waren, wie
die NZZ später festhalten wird.Sie grei-
fen in dieoffenen Geldschubladen und
packen die Beute in eineTasche – ins-
gesamt 621000 Franken. «Ohne grosse
Hast» (NZZ) verlassen sie dieBank
durch den Haupteingang und flüchten
in einem blauen AlfaRomeo.
Die Marke des Fluchtautos ist typisch
für dieräuberischeTruppe. Die «Alfa-
Bande» verübt zu jener Zeit mehrere
Überfälle und bevorzugt bei Diebstählen
Autos aus ihrer Heimat. Der Raub in der
Bahnhofstrasse lässt in der ZKB die Illu-
sion platzen, dass niemand einen Angriff
auf den Hauptsitz wagen würde. Zudem
verleiht er internen Diskussionen um die
Sicherheit, die allerdings schon seitJahr-
zehnten geführt werden, zusätzlichen
Schub. Denn wo mit Geld hantiert wird,
ist auch die Gier nicht fern, wie ein Blick
in die unlängst veröffentlichteJubiläums-
schrift und auf dieWebsite zeigt.
Schon in ihren Anfängen lässt die
ZKB diePolizei die Bank nachts bewa-
chen und installiert Alarmanlagen. Spä-
ter erwägt dieBankenspitze, ihre Filial-
mitarbeiter zu bewaffnen.Während des
ZweitenWeltkriegs forciert sie Schiess-
übungen. DreiJahrzehnte später sind
solche Ideen passé, dagegen werden
Traditionen infrage gestellt.1972 regt
die OerlikerFiliale an, die Uniformen
der Geldboten abzuschaffen. Der beste
Schutz werde erreicht, «wenn sich die
Ausläufer unauffällig benehmen und
ihre Arbeit in gewöhnlicher Zivilklei-
dung verrichten», schreibt sie. Fünf Jahre
später wird dasTragen von Uniformen
für Bankboten, Speditionsangestellte
und Chauffeure aufgehoben.
Als die Alfa-Bande zuschlägt, ist
man schon einen Schritt weiter. Wenige
Monate zuvor hat dieBank einen Be-
richt zurVerglasung der bis dahin unge-
sicherten Schalter erstellt.Das Projekt
verzögerte sich aber einerseits wegen
Problemen mit der Klimatisierung der
Räume sowie wegen der langen Liefer-
zeiten vonPanzerglas.
In den Monaten undJahren nach
demRaubüberfall investiert die ZKB
Millionen vonFranken inPanzerglas,
nicht nur am Hauptsitz, sondern auch
in Zweigstellen.Für kleinere Agen-
turen gilt der Einbau aber als unver-
hältnismässig teuer, so dass einBankrat
eine etwas kuriose Alternative ins Spiel
bringt:Er schlägt vor, Hunde anzuschaf-
fen – nach demVorbild einer Agentur-
leiterin, die ihren Hund in dieBank
mitgenommen hat. Der Vorschlag wird
nicht weiterverfolgt.
In der150-jährigen Geschichte ver-
suchten Übeltäter aber nicht nur immer
wieder, mit Gewalt(androhung) an Geld
zu kommen,sondern auch mit List.Hier
ein paar Beispiele:


Frisch gedruckteDollarnoten


In den1970er Jahren tauscht ein Mann
in einer ZKB-Agentur 56 800 Dollar
um, die Schalterangestellte händigt ihm
ohne Umschweife 109 908Franken aus.
Was sich erst danach herausstellt: Die
Dollarnoten sind allesamt gefälscht.
Sie sei stark überlastet gewesen, weil
sie noch dieKontokorrentbuchhaltung
habe führen müssen, verteidigt sich die
Angestellte später. Sie habe auchkei-
nenVerdacht geschöpft,dass derKunde
«etwas Ungutes im Schilde» führe.
Die Versicherung war jedoch der
Meinung, da liege grobfahrlässigesVer-
halten vor. Die Höhe des Betrags, die
ungefaltetenTausendernoten undder


Umstand, dass die frische Druckfarbe
noch zu riechen gewesen sei, hätten zur
Vorsicht mahnen müssen. Sie zahlte da-
her nur gut 60000 Franken aus, den
Rest musste die ZKB abschreiben.Von
der Schalterangestellten verlangte das
Bankpräsidium eine Beteiligung von
3000 Franken.
Im August 1912 meldet sich ein Ein-
wohner aus Steg in derFiliale inBauma.
Sein Wohnhaus sei abgebrannt, und da-
durch seien auch seine ZKB-Obligatio-
nen imWert von 6000 Franken zerstört
worden.Wenig später teilt das Statthal-
teramt Hinwil derFiliale allerdings mit,
dass dieWertpapiere nicht verbrannt
seien. Sie wurden im Gegenteil gestoh-
len, und der Dieb hatte das Haus ange-
zündet, um die Spuren zu verwischen.
In derBankfiliale im hinterenTöss-
tal nimmt man das zurKenntnis, unter-
lässt es aber, die Hauptbank ins Bild zu
setzen.So k ann der Dieb dort dreimal
gestohlene Obligationen für 3000 Fran-
ken einlösen.Als er einen weiteren An-
lauf nimmt, fliegt die Sache auf. Er wird
ins Discontbüro gebeten, «fand aber für
gut, zu verschwinden», rapportiert der
Direktor an denBankrat. Später wird
der Dieb dennoch gefasst.

Trotzdem ist dieBank in einer unge-
müt lichenLage, denn die unterlassene
Meldung hat dieAuszahlung erst mög-
lich gemacht.Das Opfer verlangt denn
auch vollen Schadenersatz. Nach eini-
gem Feilschen einigt man sich auf 1250
Franken.

Ein (zu) junger Multimillionär


Es ist kurz vorWeihnachten, als bei der
Bank ein verdächtiger Zahlungsauf-
trag eingeht. Ein junger Schwede will
sich von seiner Heimat aus rund 240
Millionen Kronen auf ein neu eröff-
netesKonto gutschreiben lassen. Mit-
arbeitende der Abteilung Zahlungsver-
kehr werden stutzig: Es geht um sehr
viel Geld, umgerechnet 40 Millionen
Franken,und der Mann ist erst 24Jahre
alt. Einem Angestellten, der mit einer
Schwedin verheiratet ist und die Spra-
che versteht, fallen weitere Ungereimt-
heiten auf. Gemeinsam mit der internen
Fachstelle für Geldwäscherei beschliesst
man,mit der schwedischenBank Kon-
takt aufzunehmen.
Es stellt sich heraus, dass der Mann
das Geld mit gefälschtenFaxschrei-
ben vomKonto einerVersicherung in

die Schweiz transferieren möchte, und
zwar nicht nur zur ZKB. Eine noch
höhere Summe möchteer bei derCre-
dit Suisse unterbringen. Als der junge
Mann der ZKB an derBahnhofstrasse
einen angekündigten Besuch abstattet
und das Geld abheben will,erwartet ihn
de r Sicherheitsdienst und übergibt ihn
der Polizei. Der Mann wird kurz nach
Neujahr ausgeliefert. Es sei der grösste
Bankbetrug in der Geschichte desLan-
des gewesen,wurde ein schwedischer
Staatsanwalt in der NZZ zitiert.
Auch von denBankräubern, die im
April1979 den ZKB-Hauptsitz über-
fallen, werden mehrere schnell gefasst.
Am Nachmittag desselbenTages will die
Polizei in Zumikon einAuto mit fran-
zösischem Nummernschild und vier
Insassenkontrollieren. Zunächst ver-
suchen diese in ihremWagen zu flie-
hen. Zwei der vier Männer kann die
Polizei anschliessend in einer Sack-
gasse stellen. «Es kam zu einer Schies-
serei, bei welcher aber niemand verletzt
wurde», heisst es in der NZZ. Zwei wei-
tere Bankräuber nimmt die französische
Polizei amTag darauf fest. Sie wollten
bei La Brévine im neuenburgischenJura
die Grenze überqueren.

Die Schalter am Hauptsitz der Zürcher Kantonalbankwaren bis Ende der 1970erJahre, als ein legendärer Überfall stattfand,
«durch keinerleiAufbauten», geschweige denn durchPanzerglas geschützt.

Ein von der Alfa-Bande bei einem Überfall inBasel benutztes Fluchtfahrzeug, ein AlfaRomeo Alfetta, 1978. Die Marke desAutos
ist typisch für dieräuberischeTruppe. BILDERZKB

WIR STADTTIERE


Feldzug in Raten


im Jahr der Ratte


Urs Bühler· Manche behaupten ja mit
Schaudern, auf jeden Menschen in der
Stadtkomme eineRatte. Das mag stim-
men,wennmandavonausgeht,dassRat-
ten auch nur Menschen sind und umge-
kehrt so mancher Mensch den ande-
ren alsRatte beschimpft. Zählt man die
Lese- undWasserratten unter uns Zwei-
beinern dazu, ist dieseWelt ohnehin ein
einzigesRattennest.
Fernab von solchen Gedankenspie-
len ist die «EineRatte pro Einwohner»-
These, vor über hundertJahren in Eng-
land lanciert und noch heute auch hier-
zulande gernekolportiert,zwar Humbug.
Doch die Legende passt natürlich prima
zu einer Gattung, deren Vertreterinnen
bereits mit gut einem Monat geschlechts-
reif werden, gut und gerne ein paarDut-
zend Nachkommen imJahr werfen und
somit in ihrem rund zweijährigen Leben
theoretisch gegen tausend Nachfahren
hinterlassenkönnen. Mit einer derarti-
gen Fortpflanzungsrate hätte der Homo
sapiens diesen Planeten längst gesprengt.
Wieder genährt worden sind die Ge-
rüchte um einen Eroberungszug jüngst
durch Medienberichte. Ein Augenzeuge
hattespätabendseinigeRattenbeimPlün-
dern – wir übertreiben nur leicht – der
Filiale eines Grossverteilers am Stadel-
hofen gefilmt. Die Entdeckung habe «für
einenAufschreigesorgt»,hiesses.Unddie
Entrüstung galt nicht dem Umstand,dass
dieDiebeaufvierPfotenmitdemVerzehr
von Mayonnaise aus derTube wenig Sinn
für Feinschmeckertum zeigten.
Ein Kammerjäger wurde mit derAus-
sage zitiert, in Zürich und auch Bern
gebe es zurzeit extrem vieleRatten und
Mäuse. Kein Wunder – erweist sich doch
die Überflussgesellschaft gerade im städ-
tischenKontext alsTischleindeckdich für
diese Riesenmäuse, deren fetteste Exem-
plare so viel wiegenwie ein Pfünderli.
Von einem Zuwachs derPopulation in
den Städten im ganzenLand ist hier und
dort dieRede, und wie bei fast allen Ent-
wicklungenzurzeitwirdderKlimawandel
als mögliche Ursache genannt.
Womöglich hat es aber auch einfach
dami t zu tun, dass wir uns imJahr der
Ratte befinden, gemäss denRegeln der
chinesischen Astrologie. Dor t geniesst
diesesTier, auf dem sogar asiatische Gott-
heitenreiten, kulturgeschichtlichkeines-
wegs einen so üblenRuf. Im Abend-
land aber hat seineVerleumdungTradi-
tion und Methode. In altenFabeln muss
es als Inkarnation der Niedertracht her-
halten, bis heute adelt das Attribut «Rat-
tenloch» eine Behausung nicht wirklich,
und zu einemRattenschwanz verkettet
sich redensartlich meist Unglückseliges.
Die Popularität der scharfzahnigen
Kreatur hebt der nackte Schwanz jeden-
falls nicht. Um über die fragwürdige
Ästhetik desKörperteils hinwegzutäu-
schen, verweisenFürsprecher diesesTiers
aber darauf, dass sich am anderen Ende
des Leibes ein unerhört klugesKöpfchen
befinde. Sie rühmen das Sozialverhalten
und dasKommunikationstalent, dessen
Repertoire von Ultraschall- bis zuDuft-
signalenreicht.
ImmerhingibteseinenSchweizerClub
der Rattenfreunde, und dieFarbratte gilt
gar als Haustier. Sie stammt direkt von
derWanderratteab,dereinzigeninZürich
freilebendenArt.EinstausNordchinaund
derMongoleinachEuropaeingeschleppt,
kam sie vor gut150 Jahren an die Lim-
mat. Damals liessen Choleraepidemien
eine Eindämmung als dringend erschei-
nen. Heute nimmt man das, obgleich Sal-
monellen und andere Krankheitserreger
übertragen werdenkönnen, etwas locke-
rer.DiesystematischeBekämpfunginder
Kanalisationhatmanin Zürichvoreinem
Vierteljahrhundert e ingestellt.
Ob wohl dieJagd nach den jüngsten
Me ldungen wieder intensiviert wird? Die
Ratte wird grinsen und geduldig warten,
bis der Mensch sich selbst vernichtet hat.
Dann übernimmt sie dieWeltherrschaft.
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