Neue Zürcher Zeitung - 22.02.2020

(Frankie) #1

4 INTERNATIONAL Samstag, 22. Februar 2020


Portugals Parlament erzürnt die katholische Kirche


Die linke Ratsmehrheit will d ie akti ve Sterbehilfe erlauben


JULIA MONN


Einzeln waren die Abgeordneten im
portugiesischenParlamentam Donners-
tag aufgerufen, ihre Stimme offen – also
nicht elektronisch – abzugeben. Solches
geschieht sonst nur, wenn dasLand in
den Krieg zieht oder dieParlamentarier
der Regierung das Misstrauen ausspre-
chen.Diesmal sollte einem anderenAn-
lass Gewicht verliehen werden:Das Par-
lament in Lissabon stimmte darüber ab,
ob es künftig legal sein soll, einen Men-
schenauf dessenVerlangen zu töten.
Bereits 2018 war über ein solches Ge-
setz debattiert worden.Damals schei-
terte es knapp. Doch inzwischen wurde
das Parlament neu und eine linke Mehr-
heit gewählt.
In einem neuen Anlaufreichten die
Parteien des linken Spektrums nun
gleich fünf Gesetzesvorschläge zurLega-
lisierung deraktiven Sterbehilfe ein.
Alle mit dem Ziel, denTod aufVerlan-
gen auch ohne ärztliche Überwachung
oder Unterstützung zu ermöglichen.Die
Linksparteien hofften,dass wenigstens
einer derVorschläge eine Mehrheit er-
zielen würde. Die Fülle anVorlagen wäre
nicht nötig gewesen:Alle fünferlangten
mehr als die nötigen 115 Stimmen.


Domherrpredigt gegen Gesetz


Mit 127 Stimmen erhielt der Geset-
zesvorschlag der SozialistischenPar-
tei die grösste Unterstützung. «Das
ist ein wichtiger, ein historischerTag
für unserLand», erklärte die Spre-
cherin der Sozialisten, Isabel Moreira,


im Anschluss an dieVerkündung der
Resultate. Sie hatte sich imVorfeld
stark für das Gesetzesvorhaben einge-
setzt und argumentiert, es müsse nicht
nur einRecht aufein würdevolles Le-
ben, sondern auch aufein würdevolles
Sterben geben.
Der Kreis jener, die von dem neuen
Recht Gebrauch machenkönnten,ist je-
doch beschränkt. AusschliesslichPerso-
nen, die urteilsfähig, aber schwer krank
sind,sollen ihrenTod verlangenkönnen.
Sind diese Kriterien nicht erfüllt, droht
demjenigen, der Sterbehilfe leistet, wie
bis anhin ein Strafverfahren.
Portugal ist das erste mehrheit-
lich katholischeLand, das die aktive
Sterbehilfe für Schwerkranke zulässt.
Die katholische Kirche lehnt dasVor-
haben strikt ab. Nur vierTage vor der
Abstimmung nutzte der Domherr von
Porto seine Sonntagsmessefür eine viel-
beachtete Predigt gegen das Gesetzes-
vorhaben und verkündete den Anwe-
senden, das Gesetz verstosse gegen das
fünfte Gebot: «Du sollst nicht töten.»
Dasselbe Argument führten die
Ratsmitglieder deskonservativenPar-
tido Popular auch am Donnerstag an.
Der AbgeordneteJoao Almeida be-
hauptete, die Mehrheit derPortugie-
sen sei gegen einRecht auf Sterbehilfe.
Keine derParteien, die nun vorpresche,
habe den Bürgern vor denWahlen ge-
sag t, dass sie für Sterbehilfe sei.Wäh-
rend die Debatte imParlament andau-
erte, versammelten sich draussen meh-
rere hundert Gegnerinnen und Gegner
der Gesetzesinitiative und skandierten
«Ja zum Leben».

Unterstützung erhielten dieKon-
servativen von ungewohnter Seite.
Die KommunistischePartei, die sieben
Ratsmitglieder mehr als dieKonserva-
tiven stellt, wehrte sich ebenfalls gegen
das Vorhaben.«Wir diskutieren, ob ein
Staat, der vielen seiner Bürger ein Le-
ben inWürde verwehrt, einen würde-
vollenTod erlauben soll», sagte der

Sprecher derKommunistischen Par-
tei, AntonioFilipe. Er kritisierte, dass
angeblich nur 25 Prozent der Schwer-
kran ken überhaupt Zugang zu adäqua-
ter Pflege hätten.
Der Kritik vonganz links undrechts
zumTrotz zeigte einerepräsentative
Umfrage des Egas-Moniz-Instituts, die
zweiTage vor der Abstimmung ver-
öffentlicht wurde, dass eine Mehrheit
der Portugiesinnen undPortugiesen den
Parlamentsentscheid zu stützenscheint:
50,5 Prozentder Befragten befürworte-

ten die aktive Sterbehilfe, 25,6 Prozent
lehnten sie ab, 23,9 Prozent zeigten sich
unentschlossen.
Nach dem Beschluss desParlaments
wird der Gesetzesentwurf nun dem
Staatspräsidenten Marcelo Rebelo
de Sousa zur Unterschrift vorgelegt.
Der Präsident hat die Möglichkeit, ein
Veto gegen das Gesetz einzureichen
oder den Obersten Gerichtshof anzu-
rufen. Die Gegner der Sterbehilfe hof-
fen nun, dassRebelo de Sousa, der bei
der Sterbehilfe als unentschlossen gilt,
das Gesetz stoppt.Falls er jedoch zu-
stimmen sollte, will insbesondere die
katholischeKirche ein Referendum
anstreben.

Nur in wenigen Ländernerla ubt


Bereits 2007konnte dasVolk inPor-
tugal darüber abstimmen, ob Abtrei-
bung legalisiert werden soll.Das Be-
gehren wurde an der Urne angenom-
men. Die Umfrage des Egas-Moniz-In-
stituts zeigte auch, dass 63,7 Prozent der
Teilnehmer eineVolksabstimmung über
die Legalisierung der Sterbehilfe befür-
worten würden.
Sollte das Gesetz in Kraft treten,
würde sichPortugal in einen kleinen
Kreis vonLändern einreihen,in d enen
aktive Sterbehilfe unter gewissen Um-
ständen möglich ist.Weltweit sind
dies nur die Schweiz, die Niederlande,
Belgien, Luxemburg und Kanada. In
Österreich, Finnland und Deutschland
ist Sterbehilfe nur unter eng definier-
ten Umständen und nur mit ärztlicher
Unterstützung möglich.

Indien bereitet sich auf die Trump-Show vor


Trotz gemeinsamen Interessen ist der Besuch des amerikanischen Präsidenten von Spannungen begleitet


ULRIKE PUTZ,TOKIO


DonaldTrumps erste Indienreise wird
mit einem Paukenschlag beginnen.
In Ahmedabad, der Heimatstadt des
indischen Premierministers Naren-
dra Modi, wird der amerikanische Prä-
sidentdirekt nach seiner Ankunft am
Montag vor 125000 jubelnden Indern
das weltgrösste Kricket-Stadion einwei-
hen. Schon für die Anfahrt zu dem «Na-
masteTrump» betitelten Event habe
ihm Gastgeber Modi Grosses verspro-
chen, prahlteTrump in den vergange-
nen Tagen aufTwitter: «Sieben Millio-
nen Menschen» würden denWeg vom
Flughafen zum Stadion säumen.
Nun ist das sicher grob übertrieben,
denn dafür müsste die gesamte Bevölke-
rung von Ahmedabad alles stehen und
liegen lassen, um einen Blick aufTrump
nebst Gattin zu erhaschen. Doch dass
die indischeRegierung in diesenTa-
gen tatsächlich einiges unternimmt, um
Trump denAufenthalt in Indien so an-
genehm wie möglich zu gestalten, zeigt
sich im Detail. So wurde vor einem
Slum, an dem die Strasse zumVeranstal-
tungsort vorbeiführt,inder vergangenen
Woche schnell noch eine Mauer hoch-
gezogen, wie indische Medien berich-
teten. So soll denTrumps der Anblick
der etwa 2000Einwohner des ärmlichen
Hüttendorfs erspart bleiben.


Imagepflege vorWahlkampf


Dass ModiTrump einen sorauschen-
den Empfang bereitet, ist eine politische
Gegenleistung. Wä hrend einer USA-
Visite im vergangenen September war
Modi gemeinsam mitTrump in Hous-
ton vor 50000Indern undAmerikanern
indischer Herkunft aufgetreten. Es war
angeblich die grössteVeranstaltung, die
in den USA je mit einem ausländischen
Politiker durchgeführt wurde.
Nun steht Trump imWahlkampf
und versucht, das amerikanischeWahl-
volk mit telegenenAuftritten von sei-
nen staatsmännischen Eigenschaften zu
überzeugen. Modi stellt ihm für seinen
zweitägigen Besuch in Ahmedabad und


Delhi ein opulentes Bühnenbild zurVer-
fügung. Trump wird bei seinenAuftrit-
ten vor indischerKulisse besonders das
indischstämmige, amerikanische Publi-
kum im Sinn haben. Etwa 1,8 Millionen
Menschen mit indischenWurzeln sind in
den USA wahlberechtigt.
Die Erwartungen, dass Indien im
Gegenzug für die Hilfestellung imWahl-
kampf grossen Profit aus demTrump-
Trip schlagen kann, schwinden derweil.
Trump zerschlug am Dienstag Delhis
Hoffnungen darauf, im Zuge des Staats-
besuchs ein grosses Handelsabkommen
unterzeichnen zukönnen. Zwarkönnte
man kleinere Verträge abschliessen,
aber «ich bewahre den grossen Deal für

spä ter auf», so der amerikanische Prä-
sident am Dienstag: Noch bevorTrump
auf dem Subkontinent eingetroffen ist,
muss Delhi erkennen, dass es fürTrump
derzeit wichtiger ist, sich dem heimi-
schen Publikum als handelspolitischer
Hardliner zu verkaufen, als Partner-
schaften zu pflegen.
Auf persönlicher Ebene scheinen
sich diePopulistenTrump und Modi gut
zu verstehen. «Ich mag Premierminister
Modi sehr», betonteTrump nach des-
sen Visite. Dennoch sind die Beziehun-
gen zwischen den beiden Staaten ange-
spannt. Die USA würden von Indien
nicht sehr gut behandelt,gabTrump ver-
gangeneWoche zu Protokoll. Zum Miss-

fallenWashingtons ist Indien in Sachen
Zölle ein harterVerhandlungspartner.
NachdemTrump hoheTarife für Stahl
und Aluminium eingeführt hatte, reva n-
chierte sich Indien mit der Erhöhung
von Zöllen auf landwirtschaftliche
Güter und Einfuhrbeschränkungen für
amer ikanische Medizinprodukte. Nach
China sind die USA der zweitgrösste
Handelspartner Indiens. Das Defizit in
der Handelsbilanz mit Indien, das 20 19
rund 23 Milliarden Dollar betrug, ist den
USA ein Dorn imAuge.
Auch im Umgang mit grossen ame-
rikanischenKonzernen wieFacebook
und Amazon ist Delhi nicht zimperlich.
Als derAmazon-ChefJeff Bezos Indien

im Januar einen Überraschungsbesuch
abstattete, begrüsste dieRegierung ihn
mit einem Kartellverfahren und kri-
tischen Bemerkungen über Amazons
Geschäftsgebaren. DieRetourkutsche
aus Washington folgte prompt. Die
USA erklärten, Indien würde künftig
bei Handelsregeln nicht länger als Ent-
wicklungsland behandelt, was für indi-
sche Exporteure eine äusserst schlechte
Nachricht ist.

Modi steht inder Kritik


Angesichts dieser Spannungenkönnte
es schwierig werden,die «strategische
Partnerschaft» der beiden Staaten wei-
ter zu stärken, wie es das Besuchspro-
gramm vorsieht.Dabei decken sich die
geopolitischen Interessen der beiden
Länder eigentlich. Beide sehen Chi-
nas wachsenden Einfluss in Asien mit
Sorge. Delhi, dasAmbitionen hegt,sich
anstelle Chinas als Hegemonialmacht
in Asien zu etablieren, begrüsst den
antichinesischenKurs derRegierung
Trump. Die Strategen in Delhi sind der
Ansicht, dass es im Interesse der ame-
rikanischenRegierung sein müsste,
wenn ein starkes Indien China im
Zaum hält. Sie erwarten vonWashing-
ton Zugeständnisse, die Trump nicht
gewähren will.
Modi empfängtTrump zu einer Zeit,
in d er er sich innenpolitischen Schwie-
rigkeiten gegenübersieht. Zwar unter-
stützt die grosse Mehrheit der Inderin-
nen und Inder den Hardliner-Kurs des
Premierministers, doch hat er dasLand
seit demAusbruch von Protesten gegen
seineRegierung im Dezember nicht be-
friedenkönnen. Immer wiederkochen
Unruhen hoch, die sich an Modis anti-
muslimischer Politik entzünden. Im
Ausland hatder Ruf der indischen
Regierung in denvergangenen Mona-
ten deswegen gelitten.Auch amerikani-
sche Senatoren undKongressabgeord-
nete – unter ihnen auchRepublikaner–
kritisieren diePolitik der harten Hand
in Kaschmir sowie die Niederschlagung
von Protesten,bei denenDutzende De-
monstranten getötet wurden.

Während der Debatte
versammelten sich
draussen Gegnerinnen
und Gegner
der Gesetzesinitiative
und skandierten
«Ja zum Leben».

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Sicherheitskräfte kontrollierendas Stadion in Ahmedabad,wo Narendra ModiDonald Trump empfangen wird. AMIT DAVE / REUTERS
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