Frankfurter Allgemeine Zeitung - 09.03.2020

(singke) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Feuilleton MONTAG, 9.MÄRZ 2020·NR.58·SEITE 11


N


ochfahren Zügeund Busse,
noch fliegen die Flugzeuge,
aber die dänischeRegierung
rätvon Reisen nachDeutsch-
land ab. AusAngstvor der
Ausbreitung des Coronavirus fanden
schon einFußballspiel und einenationale
Wertungsrunde für den Grand Prix d’Euro-
vision ohne Publikum in Dänemarkstatt.
Dochder Himmelist blau überKopenha-
gen, und die Krokusse öffnen sichder
Märzsonne im königlichen Garten vor
SchlossRosenborg.
„Keiner soll sichder Verzweiflung über-
lassen oder dem Schmerz ergeben, auch
wenn er uns oftbedrängt und im Leben
verzagen lässt“, singen zwei Hi rten in
ClaudioMonteverdis Oper „L’Orfeo“. Die
Choreographin LillianStillwell hat sich
eineeinfache und schwungvolle Bewe-
gungsregie für das erlesene Solistenensem-
ble der Hirten und Nymphen erdacht. Sin-
gend bilden sie einen Chorreigenfür die
Braut Eurydikeund schirmen sie mit de-
renSchleier wie mit einem Baldachin. Im-
mer wieder drängtesd en bekränzten Or-
pheus, seine Braut zu herzen.Ein heiteres
Zeremoniell entzieht sie ihm–zur Steig e-
rung derVorfreude.
DerBlickinden Saal des alten Opern-
hauses amKöniglichenNeumarkt aller-
dings isttraurig. Nurjeder zweitePlatz ist
besetzt.Eigentlichwäre die Premiereaus-
verkauftgewesen, doch nachdem dieRe-
gierung Maßnahmen zur Eindämmung
vonNeuinfektionen empfohlen hatte,ver-
ständigtedas Kartenbürodie Hälftealler
erreichbarenGästeperMailoderTelefon
und bat darum,vomBesuch der Vorstel-
lungabzusehen, damit die andereHälfte
mit Sicherheitsabstandvonmindestens ei-
nem Meterzum Sitznachbarnzusehen
könne. Eine symbolische Maßnahme zur
Gewissensberuhigung, ohneinfektions-
hemmendeWirkung.
Die gut sechshundertLeute, die nun da
sind, erleben ein Theaterereignisvon euro-
päischemRang. LarsUlrik Mortensen,
der Leiter des Originalklang-Ensembles
Concerto Copenhagen, denkt Musik im-
mer vonder Sprache und dem Affekt her
mit dem Ziel einer Bildwerdung auf der
Bühne. Sein Musizierenkennt den schar-
fenKontrastgenauso wie die delikate Nu-
ance. Das Continuo istreichbesetzt mit
Laute,Harfe,Theorbe,Truhenorgelund
schna rrendemRegal –jenachRede- und
Spielsituation. Blockflötenund Zinken
streuen in denTanzsätzen buntesteBlu-
men über denStr eiche rklang, der selbst
zartfarbigschimmert, auchdurch Mitwir-
kung einer zwölfsaitigen Lirone, einer be-
sondersseltenen Gambe.
Die Eingangstoccatamit Trommel und
Trompeten springtfesttagsfreudigstaus
dem Orchestergraben: laut, energisch, vi-
talauf einem einzigen, lebensprall zittern-
den Dur-Dreiklang. Dochbestürzendsind
die leisenStreichersätze mit ihren aben-
teuerlichen Harmonien,wenn Orpheus
um seine Braut Eurydiketrauert:fahl und
trübwie der DunstamMorgeneines Ta-
ges, da dem Hinterbliebenen die Ödnis
des Übrigbleibensmit feuchterKälteun-
ters Hemd kriecht.Die RegisseurinJetske
Mijnssenreagiertmit großerSensibilität
auf solche musikalischen Momente. Sie
gibt MarcMauillon, dem Darsteller des Or-
pheus,Zeit, sic hinsichzuverkriechen,
vonBernd Purkrabek in verhangenes
Lichtgetaucht. MijnssensgesamteRegie
zielt darauf ab, denFigurenAbstand zum
Drang der Ereignissezuschenken, damit
sie dessengewahr werden, wasihnenge-
schieht.Der Moment, da Orpheus zu Cha-
ron, demFährmann insTotenreich, singt:
„Orpheus bin ich, der den Schritten seiner
Eurydikefolgt“,gerätszenischzueinem
handlungsarmen und dochintensivenAu-
genblick, da das singende Subjekt seiner
selbs tinnewird. Das singende Ich-Sagen
istein er ster Durchbruc hinder eigenen
Trauerarbeit.

Einfach, schön und eindringlichführt
MijnssenRegie. Ganz behutsam will sie
nur musikalischeVorgängeinbewegteBil-
der überführen:Tanz, Freude, Zuneigung,
dann dieTrauerinGestalt vollverschleier-
terschwarzer Gestalten. Dochübergrei-
fend erzähltsie den MythosvonOrpheus
und Eurydikeals moderne Geschichte ei-
nes jungen Mannes, der dieTrauer um sei-
ne frühverstorbeneFrau bewältigt. Der
Wegindie Unterwelt –poetisc hgefasst
als schwarzer Raum voller Kandelaber
mit echten Kerzen –bringt eineWiederbe-
schwörung und endgültigeLösungvon
der Toten, wobei Orpheus in Gestalt von
Proserpina und Plutosichselbst und Eury-
dikeals altes Paarsieht und darin dieVisi-
on, wie eswohl gewesen wäre,zusammen

alt geworden zu sein.Ein Bild der Hinfäl-
ligkeit, aber auchdes rührendenSich-Um-
einander-Sorgens. Zurückgekehr tinsein
bürgerliches Heim–dieBühnevonBen
Baur ähnelt den melancholischen Altbau-
Interieursvon Christian Schmidt für diefa-
milienanalytischen Kammerspiele von
ClausGuth –, entblößt er seinen Oberkör-
per und zieht sichdas Brautkleid Eurydi-
kesan. Ein symbolischer Akt der nachge-
holtenVereinigung. Dochder Vaterdes
Orpheuskommt und zieht ihm wieder
sein Hemd an. Orpheus musserselbst
sein.Und niemandkann ihm dasTrauern
als Arbeit desTrennensvonder Toten und
des Zurückins Leben abnehmen.
Eine leichtfüßigeArtdes Singens entwi-
ckelt SofieLund-Tonnesen als Eurydike

und erinnertdaran, dassdie Antike die
Musik als Einheitaus Klang, Sprache und
Körperbewegung begriffen hatte.Großar-
tig gelingt es Mia Bergström als Botin, an
die Entstehungdes Gesangs aus dem
Schrei zu erinnern. Denn aus dem Entset-
zen über denTodEurydikes wirdihr kunst-
voller Gesanggeboren. Überra gend ist
MarcMauillon als Orpheus: Bei aller Präzi-
sionund Kehlfertigkeit in den bebenden
Verzierungen seinesBaritons zeigterMut
zu einem rauhen,rissigen Timbre, das den
Kunstgesang archaischen Praktiken annä-
hert, wie man sie nochinder FolkloreSar-
diniensfindenkann. UnmittelbarerAus-
druc kvon erschütternderWirkung –beim
drittenVorhang applaudiertdas Publikum
im Stehen.

Orpheus(Mar cMauillon),seine Braut Eurydike(SofieLund-Tonnesen)herzend FotoKönigliche Oper

Man mussvon John Coltrane reden,
wenn manetwasüber McCoyTyner sa-
genmöchte. Auf ColtranesMusik war
der Jazz nichtvorbereitet.Gemeintist da-
mit nicht seinüberwältigend sinnlich-ex-
pressiverTonauf demTenor-und Sopran-
saxophon, nicht sein harmonischesVer-
ständnis, durch dasdie modaleSpielwei-
se auf eineneue Stufedes Jazzbewusst-
seins gehoben wurde.Esgehtauchnicht
um denunglaublichenReichtum seiner
motivisch-thematischen Phantasie.Was
JohnColtranes Musik so einzigartig und
herausfordernd zugleichmachte,wardie
pureIntensität, nicht zuletztdieschiere
Ausdehnung seinerImprovisationen.
Das hat selbstdas andereJazzgenie sei-
ner Zeit, der Trompeter Miles Davis,
nichtwahrhabenwollen. Ob er immer
zwanzigmalüber einThema spielend
nachdenken müsse, ob nicht auchneun-
zehnChorussegenügten,hat er seinen
Kollegeneinmal bissiggefragt ,worauf
Coltrane erwiderte,erwisse nicht, wieer
aufhörensolle.Der Ratvon Miles,ein-
fach das Saxophon aus dem Mund zu neh-
men,wardie falscheAntwort. Coltrane
wussteimGrundegenau,warumernicht
aufhörenkonnte. Erwolltemit seinen
mäandernden melodisch-rhythmis chen
Linien dieZeit aufheben, virtuell unend-
lichweitersuchen, bis er die unbedingte
Reinheit, eine beispiellose Schönheit des
Melosgefunden haben würde.
Es warihm nichtvergönnt.ImAlter
vonvierzig Jahren isterviel zu frühge-
storben. McCoyTyner,der Pianistseines

Quartettsvon1960 bis 1965,wareiner
derdreiPfeiler,auf denendas Klangge-
bäuderuhte, dasJohn Coltrane mit je-
demAuftritt immer wieder neu errichte-
te.Aber jeder der Mitspielerfand ei nen
anderenZuga ng zu Coltrane, hatteeine
andereAufgabe im Quartett, nahm eine
andereHaltungein. Jimmy Garrison,der
Bassist, folgtenachseinen eigenenWor-
tenJohn, wie man dem Lauf der Sonne
folge. Elvin Jones, der Schlagzeuger und
Meis terpolyr hythmischerStrukturen,
meinte, er habe oftmehr zugehört,was
Coltrane spiele,statt selbst zu agieren –
waseine offensichtlicheUntertreibung
seines Beitrags zum Klanggeschehen
war. McCoyTyner aberwardas uner-
schütterlicheFundament dieser Musik.
Er stellte das Material bereit, ließkei-
ne Klanglückenzuund schafftemit sei-
nenriesigen Klavierpranken einen bro-
delnden Untergrund,ohne den sich
kaum diese Eindringlichkeit entwickelt
hätte. JohnColtranewarder treibende
Geis tdes Ensembles, dieWirkung der
Musik aberfolgte aus dem Zusammen-
spiel vonvier Individuen, die imMoment
desAgierens sichselbstvergessen und
ihreunterschiedlichen Klangforme nzu
einer allesverschlingenden Intensi tät
desAusdrucks bündelnkonnten. Neben
demBill EvansTrio und dem zweitengro-
ßenQuintett vonMilesDavis wardas
QuartettvonJohn Coltrane mitMcCoy
Tyner am Klavier die herausragende
Band derZeit und eine der einflussreichs-
tenGruppen für die nächstenvier Jahr-

zehnte des Jazzgeschehens.Welchen Bei-
trag McCoyTyner fü rdieses stilbildende
Quartett leistete,mag man beispielhaft
etwa an der Live-Aufnahmevon„Afro
Blue“aus demHal fNoteClubvon New
York im Jahr 1965erkennen. Oder an der
um sechsBläsererweiterten Studiopro-
duktion „Ascension“aus demselben
Jahr,dieserImprovisationskrakemit sei-
nen achtzehnFangarmen,ausdenen es
kein Entrinnengibt,wenn man sichdem
Hörexerzitiumeinmal aussetzt.Wie da,

jeweils im SoloNummer9beiderImpro-
visationsblöcke der Aufnahme, McCoy
Tyner die IdeenvonColtrane und der an-
deren Bläsergewissermaßenini rrwitzi-
ge Läufe, übermächti ge Blockakkorde
und hämmernde Wiederholungsmuster
auf das Klavier überträgt,wie er einege-
radezumanischwirkendeTastenaktivität
auchbei de nSoli anderer e ntfaltet, hat
man zuvor im Jazz und danachnur selten
einmal erlebenkönnen.
Auch nach der TrennungvonColtrane
gehörte McCoyTyner,damals nochkeine
dreißig,mit eigenen Gruppenund als So-
list–etwa mit der wunderbarenAufnah-
me „Trident“von 1975 imTrio mit dem
BassistenRon Carterund dem Schlagzeu-
gerElvin Jones,den Soloproduktionen
„Revelations“von1988 und „Soliloquy“
von1991oder auchden glühendenReve-
renzen „Remembering John“und
„McCoyTyner plays John Coltrane“von
1991und 2001–zuden herausragenden
Persönlichkeiten in der Geschichtedes
Jazz. Dabei hater, ähnlichwie Keith Jar-
rett, den Flügel nie durch elektronische
Keyboards ersetzt und istauchnicht den
Verlockungen desFree Jazz erlegen.Im
Grunde seinesMusikerherzens ist
McCoyTyner ,aus Philadelphiastam-
mend,ein an erweiter terTonalitätfest-
haltender,musikalisch extrovertier ter
Pianistinder Nachfolgevon ArtTatum,
Bud Powell und Thelonious Monkgeblie-
ben. AmvergangenenFreitag isterimAl-
tervon einundachtzig JahreninNew Jer-
seygestorben. WOLFGANGSANDNER

E


sist natürlichkeinreinerZu-
fall,dassdie drei Bewerber
um denParteivorsitz der
CDU allesamt männlicheKa-
tholiken ausNor drhein- Westfalenmit
Juraexamen sind. Diese vierEigen-
schaf tensind in der Gesamtheitder
möglichen Bewerber,alsoder Kandi-
daten für eineKandidatur,ganz ein-
fach besonders häufig vertreten.
Wenn Armin Laschetdie Ähnlichkeit
der drei Bewerber im ZDF trotzdem ei-
nen Zufall nannte, zeigt dasnur,wie
vertraut das beschrieben eMerkmal-
bündeldem politischen Spitzenperso-
nalder CDUvorkommt.Offenbarer-
lebt gerade ein einstmalsstarkespoliti-
sches Milieu seinComeback,und die
Selbstverständlichkeit,mit der dies ge-
schieht, lässt die langeDominanz An-
gela Me rkels nur umsorätselhafterer-
scheinen.
Die CDUmussnun sogar aufpas-
sen,dassder Einflussihres größten
Landesverbandsan de rSpitz enicht zu
deutlichhervorsticht .Denn dervon
Laschet als Stellvertretervorgesehene
Jens Spahn istebenso einaus Nord-
rhein- Westfalenstammenderkatholi-
scher Juristwie der aktuelle Generalse-
kretär Paul Ziemiak,ein frühererVer-
bindungsstudent wieMerzund La-
schet.FürdenFraktionsvorsitzenden
Ralph Brinkhaus giltfastdasselbe, er
istaberkeinJuris t. DieseZusammen-
ballungkann nun wirklich kein Zufall
mehrsein.
Am Endeder Äraeiner evangeli-
schen Pfarrerstochte rmit Ph ysik-P ro-
motionaus de mOsten steigt an der
Parteispitze plötzlich wieder die Mess-
dienerdichteineiner Weisean, die an
das Unterhaltungsfernsehen derneun-
ziger Jahredenken lässt,indem die be-
kennenden Ministranten Gottschalk,
vonder Lippe und Biolek denPuls der
Zeit trafen. Es istunübersehbar:Fried-
rich Merz (geboren 1955), ArminLa-
schet (1961)und Norbert Röttgen
(1965)sind mehroderwenigerGegen-
bilderzuAngela Merkel. All edreire-
klamieren fürsich, „Klartext“ zure-
den, und siesind betont visionär im
Hinblickauf Europa.Angela Merkel
tatsichmit beidem schwerer.
Nicht nur für die Delegiertendes
Sonderparteitags derCDU am 25.
Aprilstelltsichdie Frage, wieman die
drei Nachfolgeaspiranteneigentlich
auseinanderhaltenkann. Merzformu-
lierte es in der Bundespressekon fe-
renz so:„Abheutehaben wir die Alter-
nativ ezwischen Kontinuität undAuf-
bruc hund Erneuerung“,wobeiermit
„Kontinuität“ denMinis terpräsiden-
tenLaschet meinte, demerallerdings
seit Jahrzehnteneng verbunden ist. So
hatte Laschetihn, denAufsichtsrats-
vorsitzendenvonBlackrockDeutsch-
land, 2017zum Landesbeauftragten
für transatlantische Beziehungenund
die Folgen des Brexitsgemacht.Wei-
terhin nannte MerzvierzentraleThe-
men für einen „neuenGenerationen-
vertrag“: „Bildung“, „Chancengerech-
tigkeit“, „Wohlstand“, „Altersversor-
gung“.Zudem warermerklich be-
strebt, sichals Hardliner in der inne-
renSicherheitaufzustellen.

An seherischenFähigkeitenfehlt es
den drei Zukunftsforschernnicht

Armin Laschet hingegen hattebei der
Bekanntgabe seinerKandidaturkurz
zuvor erklärt, dieCDU solle eine
„Volksparteider Mitte“ bleiben, die
den Zusammenhalt der Gesellschaft
garantie re.Deutschland müsse seine
Stärke auf denGebieten„Wirtschaf t,
Energie un dIndustrie“ bewahren .Da
hatte Röttgenseiner seitsschon ver-
sprochen, eine „christlich-demokrati-
sche Ideevonder Zukunftunseres Lan-
des“zuentwi ckeln.Erhat ei nSechs-
punkteprogramm fürvorausschauen-
des Handeln dabeiund möchte die
CDU als„Partei de rMitte“ stärken.
Wo also liegt derUnterschied? Man
kann denVersu ch machen, ihn durch
Lektürezuermitteln. Denn Laschet,
Merzund Röttgensindauchals Auto-
renpolitischerSachbücher in Erschei-
nunggetreten. Auchim ausführlichen
Schriftlichen fallen zunächstindes vor
allem Ähnlichkeiten insAuge.Infrü-
herenZeiten wurdenPolitikergewöhn-
licherstnach ihrem Karriereende lite-
rarischtätig; Memoiren sindeine Gat-

tung mitlanger Tradition. Demgegen-
über zeichnen sich die Bücher unserer
drei Kandidaten durch eine starkzu-
kunfts gewandtePerspektiveaus, die
wohl auf besondere seherischeFähig-
keiten verweisen soll.
Scho ndie Buchtitelmache ndas
deutlich. Merzging 2002, im Jahrsei-
nerEntmachtung durch AngelaMer-
kel, mit „Mutzur Zukunft: Wie
Deutschland wieder an die Spitze
kommt“ insRennen und schob ausder
parteiinternen Emigratio ndann
„Meh rKapitalismuswagen: Wege zu
eine rgerechten Gesellschaft“ (2008)
sowie„Was jetztzutun ist“ (2011)
nach.Röttgen konterte 2009, im Jahr
seine sEintrittsindie Bundesregie-
rung, mit „Deutschlandsbeste Jahre
kommen noch:Warum wir keine
Angs tvor derZukunfthaben müssen“.
DerZukunftzugewandt zeigtesich
auch Laschet, derals damals ersterIn-
tegrationsminister Deutschlandsdas
Buch „Die Aufsteiger republik:Zuwan-
derung als Chance“ veröffentlichte,
2016 gefolgtvon „EuropaimSchick-
salsjahr“, einer Herausgeberschrift
zur Verleihung des Karlspreises an
PapstFranziskus.
Istesunfair ,nochtieferinmehrals
zehn JahrealteBüche rvorzudringen,
in denen nochkeineAfD, keine Kli-
ma-und keine Flüchtlingskrisevor-
kommen? Ihr seherischer Impetus wur-
de zu mTeil schon zumZeitpunktder
Veröffentlichungvonden Zeitläuf ten
konter kariert. So fielen dieAnleitung
für einenforciertenKapitalismusvon
Merzund Röttgen sausgreifendeVer-
teidigung der Globalisierunggenau in
dieWeltfinanzkrise, auf diedann nur
nochimVorwort reagie rt werden
konnte .Und nicht besser erging es La-
schet mit seinemWunschbildgelunge-
nerInteg ration am Beispiel seiner
nordrhein-westfäl ischen Heimat, das
bald schon durch das schiere Ausmaß
derFlüchtlingskrise ausgehöhltwer-
densollte.

Machttaktiker im Schafspelz des
pastora len Plauderers

Erst rechterstaunlic hist vordiesem
Hintergrund die große Kontinuität
zwischen den zehn Jahrealten Bü-
chernund derjüngst imNameneines
NeuanfangsverkündetenAgendader
Kandidaten.Sokommen etwa bei
Merz im Kapitalismus-Buchauf 230
Seiten mehr als hundertmal die Begrif-
fe „Europa“und „Marktwirtschaft“
vor, gefolgtvon „Kapitalismus“ und
„Bildung“ (zu derbei Merz immer
auchdie „Vermögensbildung“gehört).
Ebenfalls weit vorne: „Zukunft“,
„Wohlstand“ und „Chance“.Aufdie
christliche Soziallehre wirdmindes-
tens viermalverwiesen.
Ein überweiteStrec kenähnliches
Bild ergibt sichinNorbert Röttgens
„Deutschlands beste Jah re“. Di einzwi-
sche netwas aus derMode gekommene
„Globalisierung“kommtauf 260 Sei-
tenmehr alshundertmal vor, knapp ge-
folgtvon „Zukunft“, „Strategie“,
„Chance“,„Marktwirtschaft“, „Euro-
pa“, „Wohlstand“und „Bildung“.
AuchRöttgenbesch wört die„katholi-
sche Soziallehre“.
Etwas anders verhält es sich in La-
schet s„Aufsteiger republik“.Auch
hier kommen am häufigsten die Begrif-
fe „Europa“, „Chance“, „Zukunft“ und
„Wohlstand“ vor, dochneigt Laschet
nichtzuübertriebenenWiederholun-
gen. Dafürverfällteroft insPlaudern,
undseine Sprache wirkt überweite
Strecken pastoralerals die derPasto-
rentochter Merkel.Die Begriffe
„Christ“ und „christlicheSoziallehre“
kommen bei ihmrund dreißigmalvor,
nurdie „Bildung“ istihm mitknapp
fünfzig Erwähnungen noch wichtiger.
Im Epilogwimmeltesdann gerade-
zu vonBegriffen w ie „Verheißung“
und„Vision“ ,aucheine„dritte deut-
sche Einheit“ im Geistder Integration
wirdheraufbeschworen. Amgewagtes-
tenist dieVision desVerfassersfür
dasJahr 2024. Da solldie Zahl der
weiblichenVorständeinDax-Unter-
nehmenmerklic hgestiegen sein,und
„Menschen, deren Eltern und Großel-
tern vonSozialhilfelebten“,werden,
so die Prognose, typischerweise „als
Angestellteoder Handwerksmeister ar-
beiten“. Daskönnte knap pwerden.
Die Buchkritikwarvon den meisten
dergenanntenWerke nichtsonde rlich
angetan. Sie seienzuwenigoriginell
undallzuselbstdarstelleris ch,hießes
im Grundtenor.Das scheint allerdings
in de rNaturdes Politiker-Buchs zulie-
genund spricht insoferngegen keinen
derdreiAutoren.
Am Aschermittwocherklärte Ar-
minLasch et,ihm seies wi chtiger,zu
handeln,als zureden. Am 25.April
aber könntedas Reden entscheidend
sein. DieKandidaten bringen diesel-
benLieblingsbegriffemit au fden Par-
teitag, undwersie in wenigen Minu-
tenambesteneinzusetzenversteht,
wird am Ende vielleichtder Sieger
sein. UWE EBBINGHAUS

Eineandere Artvon Glut


IrrwitzigeLäufedes Extrovertie rten mit denriesigen Klavierpranken:ZumTod des JazzpianistenMcCoy Tyner


McCoyTyner FotoHeritage

Das Beste


kommt noch


Bildg ewordeneTrauera rbeit


Lars UlrikMortense nund J etskeMijnssen machen aus Monteverdis „L’Orfeo“


eind ringlic hes europäis ches Musiktheater/ VonJan Brachmann,Kopenhagen


Die Kandidaten fürden


CDU-Vorsitz haben


erstaunlichviele


Gemeinsamkeiten. Was


unterscheidet Merz,


Laschetund Röttgen?


Eine Recherchein


ihren Sachbüchern.

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