Frankfurter Allgemeine Zeitung - 11.03.2020

(Greg DeLong) #1
Seite17SSeite20 eite

Die Konfrontation zu diesem


kritischenZeitpunktverwundert.


An der Börsegeht es bergab.


Londons neuem Schatzkanzler,


Rishi Sunak,steht am Mittwoch


seine ersteBewährungsprobe bevor.


Der Logistikkonzernmacht


AnlegernMut.Auchmit einer


höheren Dividende.


RUSSLANDGEHTAUFDISTANZ ZUR OPEC KASSENWARTIMCORONA-KAMPF POSTSIEHT ENTSPANNUNGINCHINA

I


taliensWirtschaftsverbände be-
fürcht en Auswirkungen des Coro-
navirus auf dieKonjunkturvon
geradezu apokalyptischen Ausma-
ßen. Inzwischen wurde das ganze
Staatsgebietzur „Krisenzone“ erklärt,
die Bewegungsfreiheit aller Einwoh-
ner eingeschränkt.Wegen der Infek-
tionswelle haben ohnehin die meisten
Touris tenihreReservierungenstor-
niert. Hotels und Restaurants sind
leer,Theater und Kinosgeschlossen.
Industriebetriebe fürchtenEngpässe
bei Zulieferteilen aus China und aus-
bleibendeAufträge aus Deutschland.
Anbietertypisch italienischer Speziali-
tätensehen sichplötzlichdiskrimi-
niert, als seienKäse oderWeinfla-
schenverseucht.Auf dem Spielsteht
der RufItaliens als Land für Premi-
um- undLuxusprodukte.
In dieserNotlageübertreffensich
Politiker,Ökonomen undKommenta-
torenmit Vorschlägen zurRettung Ita-
liensvoreiner Rezession. Der populis-
tische Lega-Chef Matteo Salviniver-
langt einAusgabenprogramm von
Milliarden Eurooder 1,7 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts (BIP) ohne
Rücksicht auf Defizitgrenzen desSta-
bilitätspakts.Falls Brüssel nicht mit
Geld helfe, sei es an derZeit, die Euro-
päischeUnion zuverlassen, droht Sal-
vini. Der frühereMinisterpräsident
MatteoRenzi forderteine Aussetzung
aller Zinszahlungen für Hypotheken
bis zum Jahresende. DerUnterneh-
merverband Confindustria wünscht
sicheinen Marshall-Plan für Europa
und ein mitgemeinsamen europäi-
schen SchuldenfinanziertesEU-Inves-
titionsprogramm von3000 Milliarden
Euro, auszugeben in nur drei Jahren.
Viele dieserVorschlägesollen nur
Aufsehen in der Öffentlichkeit erzeu-
gen. Sie enthalten unrealistischeRe-
zepte:Wenn Fabrikenstillliegen,weil
Zulieferteile fehlen oder die Beleg-
schaftmit dem Coronavirus infiziert
ist, dannfehlt einTeil des Güterange-
bots. Dagegenkann einekünstliche
Erhöhung derNachfrage wenig aus-
richten. Wenn vomMarshall-Plan die
Rede ist, wirdoft vergessen, dassgro-
ße Multiplikatoreffekteden Erfolg die-
ses Hilfsprogramms derNachkriegs-
zeit begünstigten. Solche Effektewer-
den in Ländernwie Italien längster-
stickt vonvielen Hindernissen für pri-
vate sUnternehmertum.Realitätsfern
sind schließlichauchdie Vorhaben,
ItaliensVerluste im Tourismus auszu-
gleichen mit massiverWerbung für
die Schönheit der italienischen Reise-
ziele. SolangereisewilligeTouristen
Angstvor der Ansteckung haben,
wirdjeglicheWerbung ohneNutzen
verpuffen.
NatürlichsollteItaliensRegierung
der aktuellen Entwicklungnicht taten-
los zusehen.Nötig sind Hilfen für ita-
lienischeUnternehmen und Beschäf-

tigte, auchfür viele Selbständige. Es
istauchnicht sinnvoll, in dieser Situa-
tion stur auf den alten Plänenzur Sen-
kung des Defizits zu beharren. Bevor
jedochItaliensRegierung aus Brüssel
grünes Licht für zusätzlicheStaatsaus-
gaben und Schulden bekommt, soll-
tendreiKriterien beachtet werden:
Bei den Hilfen für ItaliensWirtschaft
darfesnicht wieder darum gehen,
dassPolitiker mitStaatsgeld auf Pump
vorallem Stimmen ihrer jeweiligen
Wählerklientel kaufen. Das istder
Grund,warumviele solcher Program-
me in denvergangenen Jahrenver-
pufft sind. Zweites Kriterium muss
sein, dassvorübergehende Hilfentat-

sächlichauchbeendetwerdenkönnen
und nicht manche der jüngstenWahl-
geschenkezum dauerhaftenBesitz-
stand vonKlientelgruppenwerden.
Drittens solltevermieden werden,
dassmit Geldernfür dieViruskrise
Zombieunternehmen wie Alitalia
oder dasStahlwerkinTarantoweiter-
betriebenwerden.
ItaliensWirtschaftbraucht Liquidi-
tätshilfen, um die Krise zu überbrü-
cken. Die braucht auchder Staat, weil
er sich bisher auf unverhältnismäßige
Weise dieKassegefüllt hat, indem er
hoheVorauszahlungenvonUnterneh-
men und Selbständigenverlangte–
die eigenenRechnungen aber nur spät
beglichen hat.
Nötig wäre aber nochmehr:Die zu
einemgroßenTeil veraltetenHotels
könntenwährend des Leerstandsre-
noviertwerden,wenn die Bürokratie
schnell Genehmigungen erteilt.Das
Kurzarbeitergeld muss reformiertwer-
den,weil es bisher oftfür jahrelange
außerordentliche Leistungen an Mitar-
beiter obsoleterGroßbetriebe miss-
braucht wurde, für viele Kleinunter-
nehmer aber nichtverfügbar ist.
Vorallem aber brauchteItalien viel
mehrReformen. Der liberaleKom-
mentator Oscar Giannino schlägt des-
wegengleichein Memorandum mit
der EUvor, nachdem MusterGrie-
chenlands. Italienkönntedamit mehr
Defizitspielraum und Garantienerhal-
ten, aber nur im Gegenzug für tiefgrei-
fende Strukturreformen. Sicher ist,
dassmit dieser Methode die Italiener
nachder Krise neustartenund Verlo-
renes aufholenkönnten. OhneRefor-
men würde sichItalien wie nachder
Krisevon2009 und 2011 wieder in
der Stagnationfinden, ohne einen
Wegaus Konjunkturtalund allgemei-
ner Wachstumsschwäche.

D

er Tagnachdem Börsenbeben
warder Tagder eilig auf den
WeggebrachtenKonjunkturhil-
fen. Mit vielGeldversuchenRe-
gierungenrund um den Globusdie wirt-
schaftlichenFolgen der Corona-Epidemie
abzufedern. So hat Amerikas Präsident
Donald Trumpeine milliardenschwere
EntlastungvonPersonen undUnterneh-
men angekündigt,die besondersschwer
getrof fenwerden. DasWeiße Haus hat zu
diesem ZweckVerhandlungen mit dem
Kongressaufgenommen. Die ersten Vor-
schlägesehen eineKürzung der Sozialver-
sicherungsteuervor, außerdem Liquiditäts-
hilfen für kleine Betriebe und Entlastun-
genfür Arbeitnehmer,die aufStundenba-
sis arbeiten.Trumpsprac hauf der Presse-
konferenzvoneiner „sehr substantiellen
Entlastung“ fürfestangestellteArbeitneh-
mer.Den aufStundenbasisarbeitenden
PersonenstellteTrump so vielFinanzhilfe
in Aussicht, dasssie einen ausfallenden
Gehaltsscheckverschmerzen könnten.

Die Mehrheit der Amerikaner arbeitet auf
Stundenbasis, wirdalso nachanfallender
Arbeitszeit entlohnt.
Diskutiertwerden auchEntlastungen
für spezielle Branchen,etwa für Flugge-
sellschaften,Kreuzfahrtunternehmen und
Hotelbetriebe.Eine Aussetzungoder Kür-
zung der Sozialversicherungsteuer hätte

das größteVolumen. Allerdingssind mit
dieser Maßnahme zwei Problemeverbun-
den, die dieWirkung dämpfen: Siekönnte
nicht schnellgenug sein, denn eineRedu-
zierung würde erst nach und nachspürbar
mit jedem Lohnscheck,den Amerikas Ar-
beitnehmer in derRegelalle zweiWochen
bekommen. Dazukommt dieVerteilungs-
frage: Besserverdiener bekämen deutlich
höhereEntlastungen, ohnezwangsläufig
mehrzukonsumieren. Die Demokraten
müssen zumindestTeilen desKonjunktur-

paketszustimmen. Sie haben bisherkaum
Entgegenkommen signalisiert. Finanzmi-
nisterSteve Mnuchin hob hervor, Ameri-
ka stünde nichtvoreiner neuenFinanzkri-
se. Die Lagesei mit 2008nicht vergleich-
bar,die Bankenseien gut mitKapital aus-
gestattet.Trump hat derweil abermalsdie
FederalReserve schwer attackiertund ihr
„erbärmliche Langsamkeit“vorgeworfen.
Die Zentralbank habe unterFührungvon
JayPowell die Leitzinsen zu schnell ange-
hoben und zu langsamgesenkt.

Japa nschnürte am Dienstag einzwei-
tes, konkreter gefasstes Finanzpaket.Das
Kabinett beschlossMaßnahmen imWert
von1BillionYen(8,4 Milliarden Euro).
Es gehe vorallem darum, dieLiquidität
vonkleinen und mittlerenUnternehmen
zu sichern,erklärte Finanzminister Taro
Aso. Dazu wirdesvor allem zinsvergüns-
tigteKrediteanKleinunternehmengeben.
Daneben will dieRegierung erwerbst ätige
Eltern finanziell unterstützen, die sichals
Folgeder geschlossenenSchul en um ihre
Kinderkümmernmüssen.Die Regierung
will für dieZusatzausgaben aufReserven
zurückgreifen und ließ offen, ob einNach-
tragshaushalt notwendig werde. Japans
Wirtschaftstandschon vordem Virusam
Rande derRezession. DerKonsumlahmt
in Japan zunehmend,dadie Regierung auf
soziale Aktivitätenverzicht et.
Italiens Regierung hat die Entschei-
dung über ein Hilfspaket vonDienstagauf
Mittwoch verschoben.Zunächst warein
Paket von3,6 Milliarden Euroangekün-
digt worden, inzwischen wurde dasVolu-
men auf 7,5 Milliarden Euroerhöht.Fi-
nanzministerRoberto Gualtierikann ei-
nen Briefder EU-Kommission vorweisen,
in dem es heißt, die einmaligen Corona-
Maßnahmenwürdenvonder Berechnung
des regulärenDefizitsausgenommen. Da-
her wirdnun darüber spekuliert,dassdie
Regierung ihr Hilfspaket in denkommen-
den Tagennochausweitenkönnte.
Zu den vielen Ankündigungengehören
eineVereinfachung desVerfahrens für die
AuszahlungvonKurzarbeitergeldund die
Ausweitungdes KreisesvonBeziehern
vonKurzarbeitergeld auchauf Kleinbetrie-
be oderRestaurants.Zudem wird darüber
diskutiert, ob und wieRatenzahlungen für
HypothekenvonUnternehmernund priva-
tenSchuldnern ausgesetztwerden kön-
nen. Schwierig istfür dieRegierungvoral-
lem derUmgang mit den5Millionen Selb-
ständigen und Scheinselbständigen, die
nicht übereinen Arbeitgeber anKurzarbei-
tergeld gelangenkönnen.Zumindestfür
diese GruppevonItalienernsollennach
der bisherigenDiskussion dieAbschlags-
zahlungen für dieSteuerund Sozialbeiträ-
ge verschobenwerden. Die Einschrän-
kung der Bewegungsfreiheit für alle Italie-
ner führtzuleerenGeschäftenund Restau-
rants.DasBruttoinlandsprodukt könnte
sichdamit im erstenQuartalkräftig verrin-
gern.(WeitereBerichteauf den Seiten 17,
18, 19, 23 und 25.)

D


ie Coronavirus-Pandemie
lösteine Wirtschaftskrise
aus, die mit klassischerWirt-
schaftspolitik nicht zu bekämpfen ist.
Niemandgeht wieder Essen oder auf
Reise, weil dieFederalReserve die
Leitzinsengesenkt hat oderSteuern
reduziertwerden. Ziel aller Politik
mussesjetzt sein, dieAusbreitung zu
stoppen und Menschen zu helfen, die
plötzlichmittellos sind. Amerikas
Wirtschaftwirkt besondersfragil,
denn sie istdurch personenbezogene
Dienste geprägt.Diese leidenstark:
Leutegehen seltener zumZahnarzt,
buchenkeine Fitnesskurse,streichen
die Weinprobe. Zudem arbeiten viele
Beschäftigteauf Stundenbasis.Fällt
keine Arbeit an, bekommen siekei-
nen Lohn. Die Gastronomie, Ameri-
kasBeschäftigungsmotor, führtdas
vor. Das Personalverdient dortinder
Regelohnehin nicht gut.Imschlech-
tenFall bleibt es nun ohne Lohn zu
Hause,weil die Gaststätten immerwe-
nigerKunden haben. Millionen Ame-
rikaner haben dafür nichtvorgesorgt
und sind auchstaatlichnicht abgesi-
chert. Sie sind auf schnelle Hilfeange-
wiesen, dieSteuersenkungen nicht lie-
fern.Vielleicht istdas einer derraren
Momente, in dem die amerikanische
Regierung Schecks schickensollte?

hmk./wmu.BRÜSSEL.Die europäische
Industrie kann nachAnsicht der EU-Kom-
mission ihreglobaleWettbewerbsfähig-
keit nur erhalten oderverbessern,wenn
sie „grüner“ und „digitaler“ wird.Nach die-
sem Grundsatz will die Brüsseler Behörde
künftig die Industriefördern, wie aus ih-
rerneuen „Industriestrategie“ hervorgeht.
Die fürWettbewerb und Industrie zustän-
digen KommissareMargrethe Vestager
und ThierryBreton, die die „Strategie“
am Dienstag in Brüsselvorlegten, ließen
indes offen, wiestarkdiesein selektive
Förderung einzelner Industrien undUnter-
nehmen münden wird. Breton kündigte
aber an, erwerdekonkreteProjektevor-
schlagen, mit denen die in derStrategie ge-
nanntenZiel ebesondersgefördertwer-
den sollten.
Auch in der umstrittenenFrage, ob sie
zur Förderung der Unternehmen ihre
Wettbewerbsregeln ändernkönnte, will
sichdie Kommission nochnichtfestle-
gen. Vestager sagte,Wettbewerb sei „für
die Unternehmen das Beste“. Zugleicher-

innerte sie daran, dasssie schon in der
Juncker-Kommission eineÜberprüfung
des wettbewerbspolitischen Regelwer ks
auf denWeggebracht habe, speziell der
Fusionskontrolle und der Beihilferegeln.
Diese müssten „fit für dieZukunft“ge-
machtwerden. MitverändertenFusions-
kontrollregeln könntedie EU-Behörde
der Forderung Rechnung tragen, die
Schaffung europäischer Industrie-Cham-
pions zu erleichtern. Besondersnach-
drücklichfordertdas Frankreich, wirddar-
in abervonder Bundesregierung unter-
stützt.Bretonließ offen, ob er dieses fran-
zösische Anliegen unterstützt.Ersagte
nur,das Wort „Champions“ mögeer
nicht, es ergebe nur im SportSinn. Vesta-
gersagte: „Championsfördernwir am
besten, indem wir allenUnternehmen
einefaireChancegeben.“
Absehbarist,dassIndustriepolitik im
Rahmen der Beihilfeko ntrolle zunehmen
wird.Vestager willgenerell klären, wie
das Beihilferecht denÜbergang zu einer
klimafreundlichenWirtschaftunter stüt-

zenkann. Eine wichtigereRollesollen
künftig sogenannte„wichtigeVorhaben
vongemeinsamem europäischem Interes-
se“ spielen, für diegelockerteBeihilfere-
geln gelten. Die beteiligten Mitgliedstaa-
tenkönnen siegroßzügiger als sonstmög-
lich mitSteuergeld unterstützen. Schonge-
nehmigt hat dieKommission solcheSub-
ventionen für die Mikroelektronik sowie
die „europäischeBatterieallianz“vonsie-
ben Ländern, darunter Deutschland und
Frankreich. Breton kündigte an, erwerde
demnächsteine weiteresolche„Allianz“
für dieNutzungvongrünemWasserstoff
als Treibstoff anstoßen. InVorbereitung
sindferner Allianzen für selbstfahrende
Autos, E-Health,vernetzteFabriken, Cy-
bersicherheit und klimafreundliche Pro-
duktion.
Im Unterschied zur klassischen Indus-
triepolitik französischer Prägung sollen
mit diesenAllianzen nichtgezieltgroße,
wettbewerbsfähigeUnternehmenaufge-
baut, sonderneherNetzwerke aus großen
und kleinenUnternehmengefördertwer-

den.Umstritten istaber auchdas. Kritiker
haben schon bei der Gründungder Batte-
rieallianz davorgewarnt, den gleichen
Fehler zu machen wie bei der Solarener-
gie, also mit öffentlichemGeld Kapazitä-
tenzuschaffen, die am Ende imWettbe-
werb mit derKonkurrenz dochnicht beste-
hen können.
Mit derAbwehr „unfairer“Konkurrenz
aus Drittstaaten,vorallem aus China, will
sichdie Kommissiongenerell in einem
Weißbuchbeschäftigen, das im Sommer
veröffentlichtwerden soll. Darin soll dis-
kutiertwerden, wie sichdie EUgegenaus-
ländische Industriesubventionenwehren
kann. Offensichtlichdenkt die Behörde
daran, handelspolitische Instrumente
durch neuewettbewerbspolitischezuer-
gänzen. In einem zweitenPapier bekennt
sichdie Kommission dazu, die Bedürfnis-
se kleiner und mittlererUnternehmen
nicht zukurz kommen zu lassen. Deshalb
sollen Gesetzesvorhabenvorabnochstär-
kerals bisher schon auf ihreFolgen für
den Mittelstandabgeklopftwerden.

Italiens Weg aus der Viruskrise


VonTobias Piller,Rom

dc. BERLIN.Die Bundesregierung
drückt mit ihren Plänen für einen leichte-
renZugang zuKurzarbeitergeld für kri-
sengeschüttelteBetriebe starkauf das
Tempo: Schon einenTagvor ihrerregulä-
renKabinettssitzung hat sie am Dienstag
die imKoalitionsausschussverabredeten
Gesetzesänderungen verabschiedetund
auf denWeggebracht.Der vorgezogene
Beschlusswurde ohne Sitzung im soge-
nanntenUmlaufverfahrengefasst. Damit
können Bundestag und Bundesrat ihreBe-
ratungen fristgemäß nochindieserWo-
cheaufnehmen. Diesbiete die bestenVor-
aussetzungen, um den „Schutzschirm für
Arbeitsplätze“ angesichts der Belastun-
gendurch das Coronavirus bis MitteApril
wirksam aufspannen zukönnen, sagte Ar-
beitsministerHubertus Heil (SPD).
Mit derNeuregelung wirdder vonHeil
schonvorder aktuellen Krisegeplante

Entwurffür ein„Arbeit-von-morgen-Ge-
setz“, das ebenfalls Lockerungen in Sa-
chen Kurzarbeit vorsah, in zentralen
Punktengeändert. Gleichzeitig aberwer-
den damit auchdie übrigen Bausteine des
Pakets, die in normalenZeiten politisch
streitanfälligwären, im Eilverfahren auf
den Weggebracht.Das betrifft etwa eine
abermaligeErhöhung öffentlicher Zu-
schüsse zurWeiterbildungvonArbeitneh-
mern, nachdem Heil schon 2018 einen
Ausbau solcherZuschüsse durchgesetzt
hatte. EineÜberprüfung ihrerWirksam-
keit steht nochaus.
Im Zentrumsteht nun aber dasKurzar-
beitergeld, mit dem die Arbeitslosenversi-
cherung krisenbedingten Arbeitsausfall
abfedert: Einigen sichBetrieb und Beleg-
schaftdarauf, Lohn und Arbeitszeit zukür-
zen, ersetzt die Beitragskasse für betroffe-
ne Arbeitnehmer unter bestimmten Bedin-

gungen 60 Prozent ihres Lohnausfalls.
Dies gilt im Grundsatz schon heute, doch
muss dafür mindestens ein Drittel der Be-
schäftigtenvonKurzarbeit betroffensein;
zudem mussder Betrieb auchauf dasKurz-
arbeitergeld Sozialabgaben zahlen.
In der bisherigenFassung seines Ge-
setzentwurfs hatteHeil eigentlichallerlei
Abstrichevon seinen früheren,weiter rei-
chenden Lockerungsplänen machen müs-
sen. Denn dieUnionsparteien hatten sich
gegeneine aus ihrer Sicht zuweitreichen-
de Öffnung des InstrumentsKurzarbeit
gewehrt–mit der neuenVirusepidemie
rückt diese Kritik aber nun in den Hinter-
grund. Sowarbishervorgesehen,dassBe-
triebe dievonKurzarbeit betroffenenMit-
arbeiter inWeiterbildungen schickenmüs-
sen, um die Hilfen der Arbeitsagenturvoll
ausschöpfen zukönnen.Nunsoll vorerst
ein gelockerter Zugang gelten, derkeine

Weiterbildung erfordert. Undstatt einem
Drittel der Belegschaftmüssen dabei
auchnur 10 Prozent der Belegschaftvon
Arbeitsausfall betroffensein; zudem sol-
len die Betriebekeine Sozialabgaben auf
das Kurzarbeitergeld zahlen müssen.
DieseLockerungen sollenvorerstbis
Ende 2020gelten. Eine möglicheVerlän-
gerung bis längstens Ende 2021 lässt das
geplanteGesetz zu. Anschließend würde
dem Gesetzentwurfzufolgedie andereVa-
rianteinden Vordergrund treten, die er-
leichterte Bedingungen für Kurzarbeit
mit Weiterbildungverknüpft. Die Gesamt-
kosten desPakets beziffert der Gesetzent-
wurfauf bis zu 900 Millionen Euroje
Jahr,wovon gut zwei Drittel auf die Ar-
beitsagentur entfallen würden. Schätzun-
genzuden Ausgaben fürKurzarbeit seien
indesstetssehr unsicher,dadie Zahl der
Fälle schwervorhersehbar sei, sagteHeil.

I


neiner idealenWirtschaftswelt
müsstedas Instrumentder öf fent-
lichfinanziertenKurzarbeit ei-
gentlichüberflüssig sein. Es soll kri-
sengeschüttelteBetriebe vonLohn-
kosten entlasten, falls sie zwei Bedin-
gungen erfüllen: die Schwierigkeiten
sind nicht hausgemacht, sondern ha-
ben einevorübergehendeäußere Ursa-
che; und dasUnternehmen hat ein
trag fähiges Geschäftsmodell. Eigent-
lichmüssten sichunter diesen Bedin-
gungen–zumal inZeiten derNullzins-
politik–privatwirtschaftlicheFinan-
ziersund Investor en finden, die mit
Überbrückungen helfen.Undwarum
soll eine Arbeitsagentur besser als sie
wissen,wasimkonkreten Geschäfts-
feld Zukunfthat? Es gibt allerdings
PhasengroßerUnsicherheit, in denen
sichprivatwirtschaftliche Akteureso
zögerlichverhalten, dassauchzu-
kunftsfähigeUnternehmenkeine Hil-
fe finden. Die Corona-Epidemie ist
ein Musterbeispieleiner s olchen Situa-
tion. Daher istessinnvoll, wenn die
Regierung den Zugang zuKurzarbei-
tergeld nun beherzt lockert und kurz-
fristig mehr Sicherheit schafft.Die
langfristige Gefahr bleibt aber: Sieför-
dertden Trugschluss, dassBehörden
stetsbesser wüssten, wasein gutes Ge-
schäftsmodell istund wasnicht.

Globaler Geldregen gegenCorona


Geis ter-Ringen:JapansKonsum schwächelt,weil die LeutezuHause bleiben. Fotodpa

Etwas mehr Staat, etwasmehr Wettbewerb


EU-Kommission will mit ihrer Industriestrategie eine „grünere“ und „digitalere“Wirtschaftfördern


Drei Kriterien sollten
die zusätzlichen
Ausgaben erfüllen, damit
sie nichtverpuffen.

VonWinan dvon
Petersdorff,Washington,
Tobias Piller,Rom,
Patric kWelter ,Tokio

Kabinett peitscht neue Kurzarbeiterregeln durch


Eilbeschlusssoll „Schutzschirmfür Arbeitsplätze“ in der Corona-Krise schneller wirkenlassen


Die Regierun genin


Amerika, Japanund


Italien schnüren


Konjunkturpakete.


GeschwächteBetriebe


am Lebenzuhalte nhat


dabeihöchste Prio rität.


Corona-Rezession


VonWinandvonPetersdorff

Risiko und Kurzarbeit


VonDietrichCreutzburg

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft MITTWOCH,11. MÄRZ 2020·NR.60·SEITE 15

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