Frankfurter Allgemeine Zeitung - 11.03.2020

(Greg DeLong) #1
A

ngesichts der zunehmenden
Ausbreitung desCoronavirus
wächst im sonst oftzänkischen
Berlin dieZustimmung zum Kri-
senmanagement desGesundheitsminis-
ters Jens Spahn(CDU). Er leiste bei mini-
maler Zust ändigkeit maximale Arbeit.
SpahnsRegierungserklärung in dervori-
genWoche wurde durch Beifall ausfast al-
lenFraktionen unterbrochen. Mehrfach
verzeichnetdas Protokoll der Sitzung:Bei-
fall imganzenHaus.Von derSPD wurde
Spahn bisher durchweggelobt. Das istin
dieserKoalition schon eine Besonderheit.
Auch Spahns langjähriger Diskussions-
partner, der SPD-Gesundheitspolitiker
Karl Lauterbach, äußertsichfastdurchge-
hend positiv.Manche Anregung,die Lau-
terbachfachmännischgibt,nimmt Spahn
auf.

Davonabgesehen,ist das Lob, zumin-
dest der Respekt derOpposition für
Spahns bisheriges Krisenmanagementun-
gewöhnlich. Sowarb der FDP-Fraktions-
vorsitzende ChristianLindner bereitsvori-
ge Wochefür einenkonstruktivenKurs:
„Wir unterstützen dieRegierung beiallem,
wasgeeignetist,gesundheitlicheRisiken
zu reduzieren und die Menschen zu beruhi-
gen. Jetzt istnicht dieZeit für eine kleinka-
rierte parteipolitische Auseinanderset-
zung.“Jede Maßnahme, die in
gesundheitspolitischer Hinsicht ergriffen
werden müsse,finde dieUnter stützung
der FDP. Etwas anderssiehtesbei der Be-
wertung derSchritteaus, dieWirtschafts-
ministerPeter Altmaier(CDU) ergreift.
Hier übt dieFDP durchausKritik.
DieLinke-Politikerin MohamedAli ver-
band dasLob fürSpahn dieserTage mitei-
nem„Aber“.Der Ministerredezwarbeson-
nen, setze aber„medialerPanikmache“ zu
wenig entgege n. Viele in Schulen und Kin-
dergärtenfühlten sichalleingelassen, weil
ihnenvernünftigeInformationenfehlten.
Eine Bekanntehabe berichtet,esgebe kei-
ne Alkoholpadsmehrfür dieDiabetiker-
Spritze ihres Sohnes–„Stimmt!“, solidari-
sierte sichAlice Weidelvon der AfDmit ei-
nemZwischenruf. Die AfD, die Corona of-
fenbarvorallemfür einen asylsuchenden
Ausländer hält,warbfür Grenzkontrollen
und wetter te über „sträflichvernachlässig-
te“Vorso rge. Während die politischen Ex-
tremen also auchindieserDebattezuex-
tremenAuffassungenneigen, vermeiden
dieGrünen nicht nur Kritik, sondernlo-
benMinis terSpahnund die Arbeitder
Bundesregierung sogarausdrücklich. Die
mache„hier im Moment vielesrichtig“, so
Kordula Schulz-Asche. Der FDP-Vorsitzen-
de Lindner,mit Spahn persönlich gut be-
kannt, ließ aber auchwissen, dassman
sich auchbei den Liberalen „Notizen“ ma-
che. Wenn die Krisegeschafft ist, so gut
wie möglich,werde nsichdie BerlinerPar-
teien undPolitikergründlichmit derBi-
lanz der Ereignisse befassenund etwa zu
prüfen haben,wo der Föderalismus sich
eventuellbewährthat, wo es Lücken gab
und es bessergewesen wäre,wenn einMi-
nister di eKompetenzengebündelthätte.
Ausdem Bundesinnenministeriumwar
zu hören, dassder KrisenstabinKürze die
Empfehlunggeben wird,Veranstaltungen

mit mehr als 1000Personen abzusagen.
Bei anderenVeranstaltungen soll im Ein-
zelfall entschiedenwerden. Bundesinnen-
ministerHorst Seehofer (CSU) bleibtwe-
geneinesKontakts zu einemmöglicher-
weise Infiziertenvorer st zu Hause in Ingol-
stadt.Mit dem möglicherweise Infizierten
warSeehoferinBrüssel im selbenRaum,
als die EU-Innenministersichinder ver-
gangenenWocheinBrüssel trafen.Nun
soll zunächstdas Testergebnis derKontakt-
person abgewartetwerden.Noch stärker
istder Präsident des Europäischen Parla-
ments, David Sassoli, betroffen. Er bleibt
wegendes CoronaviruszweiWochenlang
in Quarantäne. Dienächs te Sitzung des
EU-Ministerrats, bei der es um dieAuswir-
kungen des Coronavirusauf dieglobalen
Lieferkette nund Handelsströme gehen
sollte,wurdewegender Coronavirus-Kri-
se nun abgesagt.
BayernsMinisterpräsident MarkusSö-
der (CSU) hatvonallenBundesländern
ein einheitlichesVorgehengefordert.„Es
darfauf keinenFall einKompetenzchaos

unter den Bundesländern geben.“ Kein
Bundeslanddürfe bei den Schutzmaßnah-
men für sichentscheiden, unterden Emp-
fehlungen derFachleute zu bleiben.Für
allemüsse jetzt der „Primat der Medizin“
gelten.
Der baden-württembergische Minister-
präsidentWinfried Kretschmann (Grüne)
und seinStellvertreterThomas Strobl
(CDU)kündigtenamDienstag an,weiter-
hin denEmpfehlungen desRobert-Koch-
Instituts zufolgen. Der baden-württember-
gische LandkreistaghattedieseStrategie
hinterfragt, der Hauptgeschäftsführer hat-
te im Gesprächmit dieserZeitunggesagt,
die Eindämmung undVerhinderungvon
Neuinfektionen dürfe nicht aufKosten der
Behandlung und des SchutzesvonRisiko-
personengeschehen, die Gesundheitsäm-
termüssten demnächstdazu übergehen,
chronischKrankeund ältereMenschenbe-
sonderszuschützen. Kretschmannverur-
teiltediese Aussageungewöhnlichscharf:
„Solche öffentlichenAussagen in Krisensi-
tuationen gehen überhauptnicht, das

führtnicht zur LösungvonProblemen.“
Stro bl pflichteteKretschmann bei:„Wir ha-
beneine begrenzteZahl vonIntensivbet-
tenund Beatmungsplätzen.Wenn sich das
Virusexplosiv ausbreitet,habenwir Eng-
pässe.“ Man bereite sichauf einePande-
mievor,man befindesich„voreinergro-
ßen Lage“. Im Südwestenist derzeit bei
277 Menschen eine Infektion mit dem Co-
ronavirus nachgewiesenworden, bei 90
Prozent derPatienten handelt es sichum
Reiserückkehrer oder Menschen, die mit
ihnen imKontaktstanden. SchwereVer-
läuf esindden Behörden bislang nicht be-
kannt.
Ähnlichwie die BayerischeStaatsregie-
rung will auchBaden-Württembergdie
Kommunen nochindieserWocheanwei-
sen,Veranstaltungen mit mehr als 1000
Teilnehmernzuverbieten. Es soll eine
RechtsverordnungnachParag raph 32 des
Infektionsschutzgesetzeserlas sen werden,
mit derGroßveranstaltungenverboten
werden können.Gesundheitsminister
ManfredLucha(Grüne)rief Pendler im
deutsch-französischen GrenzgebietinSüd-
baden auf, in den nächsten14Tagen zu
Hause zu bleiben. Er äußertedie Hoff-
nung, dassdie Bundesregierung schon
baldfür diedeutsch-französischeGrenze
Einreisebeschränkungenund Grenzkon-
trollen erlassenwerde. „Darüber erfahren
wir hoffentlichbald mehr aus Berlin.“
In Sachsen-Anhalt, demeinzigen Bun-
desland, das bishervomCoronavirus ver-
schontblieb, gibt es nun auchvierInfizier-
te.Der Landtagwurde für Besuchergrup-
pen gesperrt. Schleswig-Holsteins Gesund-
heitsministerium appellierte an dasVer-
antwortungsbewusstseinvon Rückkeh-
rern aus Corona-Risikogebieten. Solche
Reisenden sollen 14Tage langkeineKitas,
Schulen, Krankenhäuser,Pflegeeinrichtun-
genund Hochschulen betreten. Die Anord-
nungist verbindlich, bei Nichteinhaltung
kann einBußgeldvonbis zu 25 000 Euro
fälligwerden.
Unterdessen sitzen mindestens hundert
deutscheUrlauber auf den Maledivenfest.
Nach Verdachtsfällen hattedie maledivi-
scheRegierung zweiTouris teninselnvor-
übergehendabgeriegelt.Urlauber dürften
die Inselnvorläufig nichtverlassen,die Ho-
tels würdenaberdie Kostenfür den unfrei-
willigenAufenthalt übernehmen.Ausdem
Auswärtigen Amt in Berlin hießes, ein
Konsularteam vorOrt unterstütze eine
niedrigedreistellige Zahl vonBetro ffenen.
Inzwischen sei aucheineDeutsche positiv
auf das Coronavirusgetestet worden, sie be-
finde sichinQuarantäne.Die maledivi-
schen Gesundheitsbehörden erwägender-
zeit, auchweiter eInselnwegenmöglicher
Verdachtsfälle abzuriegeln. Auch Hotels
und Gaststätten in Deutschland bekom-
men dieAuswirkungen desCoronavirus zu
spüren, dieUmsatzeinbußen liegen allein
im Südwestenbei etwa einem Drittel.

Israel hat seinfaktisches Einreiseverbot
auf dieganze Welt ausgedehnt und istda-
mit wohl das einzigeLand, das sichwe-
gender Corona-Krise nahezuvollständig
isoliert. Am Montagabendverkündete Mi-
nisterpräsident Benjamin Netanjahu,
dasssichjeder Einreisende in Israel für
vierzehnTage in Heimquarantäne zu be-
geben habe. Dies gilt für sämtliche Israe-
lis; ausländische Besucher müssen eine
entsprechende häusliche Möglichkeit für
Quarantäne nachweisenkönnen.
DieAusdehnung auf dieganzeWelt
folgteeiner Bittedes amerikanischenVi-
zepräsidenten MikePence, nicht dieVerei-
nigtenStaatengesondertder bereits für
viele LänderWesteuropas und Asiensgel-
tenden Einreiseliste Israels hinzuzufü-
gen, da dieRegierung DonaldTrumps
dies nichtgern sehen würde. Dies berich-
tete der israelischeKanal 13 unter Beru-
fung auf israelischeRegierungsmitarbei-
ter. Stattdessen habePence Netanjahu
darum gebeten, die Maßnahme „welt-
weit“ auszurufen. Allerdings hatteauchIs-

raels Gesundheitsministerium zurkom-
plettenAbschottunggeraten.
„Israel praktischvon derWelt abzu-
schneiden isteine sehr drastische Maß-
nahme“, sagteder Wirtschaftsprofessor
Dan Galai am Dienstag. „Dies istauch
während Kriegszeiten nie passiert, Men-
schenkonnten immer hinein- und hinaus-
gehen“, sagteGalai. „Es istdas ersteMal,
dassIsrael seineTürenfasthermetisch
schließt, denn niemand wirdkommen,
wenn er sichersteinmal für zweiWochen
isolieren muss.“Touristen, di esichbereits
in Israel aufhalten, werdeZeit gegeben,
„in denkommendenTagen“ auszureisen,
hieß es aus dem Gesundheitsministerium.
DiewirtschaftlichenFolgen für Israel sei-
en kaum absehbar,soGalai,die Unsicher-
heit seigroß, die Arbeitslosenzahlen in
denBereichenTourismus, Bewirtungund
Unterhaltung würden steigen.
Der Direktordes Gesundheitsministeri-
ums, MosheBar Siman-Tov, betonteindes,
Israel unternehmediesen „hartenund gro-
ßen Schritt, um die imVergleichzuande-

renLänderngeringen Infektionsraten
niedrig zu halten“. InIsrael sind bislang 58
Infiziertegemeldetworden, in denbesetz-
tenpalästinensischenGebie tenrund 25.
Manwolle eine Lagewie in Italienvermei-
den, so Siman-Tov, „wodas Gesundheits-
system zusammenbrichtund derwirt-
schaftlicheSchaden sehrgravierend ist“.
Durch die Abschottungwolle Israelauch
erreichen, dassSchulen, Universitäten
und der öffentlicheNahver kehr nichtge-
schlossenwerden müssten. Jerusalemsag-
te am Dienstagindes die öffentlichen Pu-
rim-Feiernab.
Auch in Israelgeht es darum, dieKurve
der Neuerkrankungen soflach wie mög-
lichzuhalten, um dasGesundheitssystem
nicht zu überlasten. „Einerseitszählt die
Qualität der Ärzteund Krankenpfleger in
Israel zurWeltspitze“, sagte derauf öf fent-
liche OrdnungspezialisierteWirtschafts-
wissenschaftler Dan Ben-David dieserZei-
tun g. „Ander erseit sist Israels Gesund-
heitssystemunterbesetzt und hat die
höchste Bettenbelegungsrate sämtlicher

OECD-Länder.“Deshalb habedas israeli-
sche System kaum Spielraum fürgesteiger-
te Patientenströme. „Mitihren Maßnah-
men in der Corona-Krisescheint dieRegie-
rung derWelt voraus zu sein.“ Da Israels
Landgrenzen nachSyrien und zum Liba-
nongeschlossen sind und auchdie weni-
genÜbergängenachJordanien undÄgyp-
tenvollständigkontrollier twerde nund
weil Flugreisendeaus demAuslandfast
ausschließlichaneinemeinzigen F lugha-
fenlanden,kann Israel sich leichterab-
schotten alsandereLänder.
Durch dieneuenRegeln müssen sich
rund dreihunderttausend Israelis in häusli-
cheQuarantänebegeben. Dieneuen Maß-
nahmen sollen mindestens zweiWochen
gelten. Israels Zentralbank senkteihreEr-
wartung desisraelischen Wirtschafts-
wachstums in diesem Jahr auf zweiPro-
zentinder Erwartung, dassdie Corona-
Krise bis Juliandauere. Danach werdesich
IsraelsWirtschaftwiederstarkerholen.
Ökonom Galai sagtedagegen, wie lange
die Krise dauere,könneniemandsagen.

AFP.PEKING. In China istesnach
Aussagevon Staatschef Xi Jinpingge-
lungen, dieAusbreitung des Coronavi-
rusinder Provinz Hubei zuverlangsa-
men. Die Epidemie sei „imWesentli-
chen eingedämmt“, sagteXiamDiens-
tagwährend eines Besuchs in der
Hauptstadt Wuhan. Die Behörden ho-
ben einigeEinschränkungen auf, die
seit derVerhängung der Quarantäne
über HubeivoranderthalbMonatengel-
ten. Xi sagtenachAngaben der amtli-
chen Nachrichtenagentu rXinhua, es
gebe „Anfangserfolge“ bei derStabili-
sierung der Lage. Damit habe sichim
Kampfgegen die Epidemie das „Blatt
gewendet“. Im elf Millionen Menschen
zählenden Wuhan wardas neuartige
Coronavirus im Dezember erstmals bei
Menschen aufgetreten. Seitdem wur-
den inFestlandchina mehr als 80 700
Infektionen sowie mehr als 3100Todes-
fälle registriert, die meisteninHubei.
Seit einigenTagengeht dieZahl der
Neuinfektionen in China allerdings
deutlichzurück. Am Dienstaggab es
nachBehördenangaben nur 17Neuan-

steckungen inWuhan. Dies wardie
niedrigste Zahl seit Beginn derVeröf-
fentlichung dertägl ichenNeuinfektio-
nen in China am 21. Januar.Zweiweite-
re neueFälle wurden aus anderen Ge-
bietengemeldet. Xi besuchteWuhan
erstmals seit Beginn der Epidemie. Mit
einer Schutzmaskesprac herineiner Vi-
deoschaltung zu Ärzten undPatienten.
Anschließend besuchteerein Wohn-
viertel, um mit unter Quarantäneste-
henden Menschen zu sprechen.
Staatliche chinesische Medien berich-
tete n, inWuhan seien mittlerweile alle
16 wegender Coronavirus-Epidemie er-
richtetenprovisorischen Krankenhäu-
ser wiedergeschlossen. Der sonstin
den chinesischen Medien nahezu allge-
genwärtigeXihatteseit derAusbrei-
tung des Coronavirus im Januar die Öf-
fentlichkeitweitgehendgemieden. Er
überließ esRegierungschef LiKeqiang,
die Maßnahmengegendie Epidemie zu
beaufsichtigen. Diechinesischen Behör-
den hatten Ende Januarwegender Epi-
demie die Provinz, in derrund 56 Millio-
nen Menschen leben, unter Quarantä-
ne gestellt.

Vonder Welt praktisch abgeschnitten


Erstmals in seiner GeschichteschließtIsrael die Grenzen nahezukomplett /VonJochenStahnke,TelAviv


Überraschend viel Zustimmung:Merkelund Spahn bei derFraktionssitzung der Union am Dienstag Fotodpa

reb. DÜSSELDORF.Esist kurz nach
15 Uhr am Dienstag,als Armin Laschet,
der nordrhein-westfälische Ministerprä-
sident,gemeinsam mit seinem Gesund-
heitsministerKarl-Josef Laumannvor
die Presse tritt.Sehr ernstblickendie
beiden CDU-Politiker drein. Soeben hat
das schwarz-gelbeKabinett einen Erlass
verabschiedet, der erstmals seit Beginn
der Corona-Krise zu erheblichen Ein-
schnitten im öffentlichen Leben inNord-
rhein-Westf alen führen wird.Wieweni-
ge Stunden zuvorBayernhat sich auch
Nordrhein-Westf alen dazu entschieden,
Großveranstaltungen, zu denen mehr
als 1000 Personen erwartet werden,
grundsätzlich zu unterbinden–schon
das rheinischeFußballderbyzwischen
Borussia Mönchengladbach und dem 1.
FC Köln findetandiesem Mittwochdes-
halbvorleerenZuschauertribünenstatt.
Eigentlich sind die insgesamt 53 Ge-
sundheitsämterder Landkreise und
kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfa-
len dafür zuständig,ineigenerVerant-
wortung zu entscheiden,welcheVeran-
staltungstattfindenkann undwelche ab-
gesagt wird. Doch nun gibt es aus Sicht
der Landesregierung keinengroßen Er-
messensspielraum mehr.Der Erlasssei
bindend und zeitlich nicht befristet,
stellt Laumann klar.Dassdie Regelung
für Veranstaltungen mit mehr als 1000
Teilnehmerngilt, hängemit der entspre-
chenden Empfehlung vonBundesge-
sundheitsministerJens Spahn(CDU)
und demUmstand zusammen, dassdie
Schweiz sichebenso entschieden habe.
Im NRW-Erlasswirdaber ausdrücklich
darauf hingewiesen, dassdie örtlichen
Behörden zur Eindämmung auchkleine-
re Veranstaltungen absagen können,
wenn es besondereRisiken gibt.Eine
solche individuelleEinschätzung zu
Schutzmaßnahmen nachden Vorgaben
des Robert-Koch-Institut s(RKI) sei
auchbisher schonvorgesehen,sagt Lau-

mann. Risikofaktorenkönntenetwa die
Zusammensetzung derTeilnehmer,die
Intensität der Kontakteoder bauliche
Gegebenheiten sein.
Ministerpräsident Laschetweistam
Dienstagdarauf hin, dassdas RKI den
Kreis Heinsberg als einzigesvomCoro-
navirus besonders betroffenes Gebietin
Deutschland eingestufthabe –von den
580 am DienstaginNordrhein-Westfa-
len insgesamtregistrierteninfizierten
Personen leben 323 in dem Kreis nahe
Aachen. ZweiPersonen sind inNord-
rhein-Westfa len gestorben. Die Lagesei
ernst, sagt Laschet. „Aber es gibtkeinen
Grund zurPanik oder für irrationales
Verhalten.“ Entscheidendsei nun beson-
nenes undvorallem wirksames Han-
deln. Es gelte, die Ausbreitungsge-
schwindigkeit desVirussoeffektiv wie
möglichzubremsen.„Wirsind nicht in
einer Sofortkrise. Esgeht umVorsorge,
damit wir nicht in drei oder vier Mona-
tenineinerSituationsind wie aktuell
Italien“,sagt Laschet. Unddabei müsse
genau überlegtwerden, wasverzichtbar
sei. Schulunterricht oder der öffentliche
Personennahverkehr seien unverzicht-
bar,umdas gesellschaftlicheLeben
nicht lahmzulegen.„Wenn wir Schulen
schließen,könnten Krankenschwestern
und Ärzte oder Leuteaus der Logistik-
branche nicht mehr zur Arbeitkommen,
weil ihreKinder betreutwerden müs-
sen“, ergänzt Laumann.Das gelteesun-
bedingt zuvermeiden. „Denn sonstha-
ben wir sehr schnell einVersorgungspro-
blem.“
Er erwarteaber in der aktuellen Situa-
tion, dassjeder bereit sei, seinFreizeit-
verhalten zu überdenken. Dabeihandle
es sich auchumeine Frageder Solidari-
tät. „Wenn jungeLeutezum Fußball-
spielgehen undzuHause dieOma anste-
cken, dannist die Wahrscheinlichkeit re-
lativgroß, dassdie Oma mit der Bewälti-
gung der Krankheit erheblich mehr zu
tun hat als ein junger Mensch.“

hcr.MADRID.Spaniengreiftmit aller
Härte gegendas Coronavirus durch.Bis
zum Montag hofftedie Regierung noch
darauf, dasVirusdurch Vorsichtsmaß-
nahmen eindämmenzukönnen und
gleichzeitigkeine Panik aufkommen zu
lassen. Dochdann schossdie Zahl der
Neuinfiziertenindie Höhe: Innerhalb
von24Stundenverdreifach te si esichin
der autonomenRegion Madrid, zu der
auchdie spanische Hauptstadt gehört.
Am Mittwochnachmittag betrug sie


  1. Das istfastdie Hälfte der insge-
    samt 1648 positivgetesteten Spanier –
    im Vergleichzum Vortag bedeutet das
    eineZunahme um 40 Prozent.Bisher
    starben 35 Menschen.
    Die Gesundheitsbehörden mussten
    eingestehen, dassinMadrid, der Rioja-
    Region und der baskischenStadt Vito-
    riadie Ausbreitung des Erregers außer
    Kontrollegeraten sei.Von„Risikogebie-
    ten“ will man dennochbisher nicht
    sprechen.Stattdessen istvon „verstärk-
    terEindämmung“ in denRegionen die
    Rede. So bleibenvondiesem Mittwoch
    an in dergesamtenRegion Madrid Kin-
    dergärten, Schulen undUniversitäten
    für mindestens zweiWochen geschlos-
    sen. Mehr als 1,2 Millionen Schüler und
    Studenten müssen zu Hausebleiben.
    Auch die Region Rioja imNorden des
    Landes schließt alle ihreBildungsein-
    richtungen. In Madridkamesnachder
    Ankündigung zu Hamsterkäufen in Su-
    permärkten.
    DieRegionalregierung in Madridfor-
    derte Unternehmen auf, ihreMitarbei-
    terzuHause arbeiten zu lassen sowie


auf Sitzungenund Geschäftsreisen zu
verzichten. Madrid istneben Barcelona
der WirtschaftsmotorSpaniens. In der
Regionstellten zudem mehrereRathäu-
ser ihren Betrieb ein. Sowohl das natio-
naleParlament als auchfastalle Regio-
nalversammlungen setzten ihreSitzun-
genaus. Zuvorwar bekanntgeworden,
dassder Vox-AbgeordneteJavier Orte-
ga Smith positiv auf das Coronavirusge-
testet worden war. Die Ciudadanos-
und diePodemos-Parteisagten ihre für
MärzgeplantenParteitageab.
Die Krankenhäuser in Madrid sind
bereits überlastet. Das liegt daran, dass
die Bevölkerung der Hauptstadt in den
vergangenen Jahren um mehr als eine
halbe Million Menschen wuchs,wäh-
rend im Gesundheitswesen mehr als
3000 Arbeitsplätze abgebaut wurden.
In Madrid hattesichdas Viruszunächst
in Senioreneinrichtungen besonders
schnell ausgebreitet.Alle Tagesstätten
wurden daraufhin für einen Monatge-
schlossen.
Am DienstagnachmittagverbandGe-
sundheitsministerSalvador Illa die An-
kündigung weiterer Einschränkungen
mit einem Appell.„Wir bitten die Men-
schen,weder innerhalb Spaniensnoch
ins Ausland zureisen. Es sei denn,es ist
unerlässlich.“NachItalienkann man
vonSpanien ausvorerstnur nochauf
dem Landwegreisen. Alle Flügedort-
hin wurden ausgesetzt.Ähnlichwie Ita-
lien, in dem sichviele Spanier infiziert
haben, istauchSpanienstarkvom Tou-
rismus abhängig. Mit Blickauf die zu
Ostern beginnende Saisonwachsen in
Spanien die Sorgen.

Epidemie„eingedämmt“


Rückga ng derNeuinfektionen imchinesischen Hubei


Spanien greift durch


Kindergärten, Schulen undUniversitätengeschlossen


Der Primat der Medizin


VonPeter Carstens, Heike
Schmoll, Berlin,und
RüdigerSoldt, Stuttgart

Seit zweiWochen fällt in China die
Zahl derNeuinfektionen sokonse-
quent, dassPeking schonvomEnde
der Epidemie spricht. Das heißt aller-
dings keineswegs, dassesbei den
knapp81000 Infizierten und 3120To-
tenbleiben muss.
VonEindämmung ja, aber vom
Ende der Epidemiewollen Fachle ute
wie der Leiter desCoronavirus-Konsili-
arlaborsinBerlin, Christian Drosten,
nichts wissen–auchnicht imFalle Chi-
nas. Denn dasViruskursiertweiter,
und die meistenMenschen auchinSeu-
chenstaaten sind nochohne Immun-
schutz.Tatsächlichist der starke Rück-
gang in derRegion Hubei das–zeitlich
verzöger te –Resultat der konsequen-
tenQuarantänemaßnahmen. Die sozia-
le Isolationwirkt, China gilt dafür in-
zwischen als das beste Beispiel,aber
auchSingapur,Taiwan oder Hong-
kong. Menschen haben sichnicht mehr
auf Veranstaltungengetrof fen, durften
nicht mehrreisen,Schulen und Betrie-
be wurdengeschlossen, die Leutemuss-
tenzuHause bleiben. DieWeltgesund-
heitsorganisation (WHO) hat dasVor-
gehen der Chinesen hochgelobt. Seit

gesternwerden die Quarantänebestim-
mungen nun auchinWuhangelockert.
Undviele Virologen wie Epidemiolo-
genfürchtendeshalb eine zweiteInfek-
tionswelle.Viele Menschen ohne Im-
munschutzwerden in die 15-Millio-
nen-Metropole zurückkehren, und vie-
le Städterwerden wiederreisen.
Die größten Chancen auf ein Ende
der Epidemie gibt es nachjetzigem
Stand tatsächlicherstnachEinführung
eines Impfstoffs. Bei „Sars“, der
schwersten früheren Coronavirus-Epi-
demie, waresdurch Isolation und
durch die virenfeindliche Witterung
zum Ende der Epidemie im Sommerge-
kommen. ImFall von„Mers“, der zwei-
tenCorona-Seuche, die vielwenigeran-
steckend is tals das neue Sars-CoV-2-Vi-
rus, is tdie Verbreitung bis heutenicht
gestoppt. Die Hoffnung, das neue Coro-
naviruskönnte durchWärmeund Tro-
ckenheit im Sommer leiden und zumin-
destvorübergehend in Europa ver-
schwinden,könnteunerfüllt bleiben.
Der Verlauf in Iran, China und Südost-
asienzeigt, dassdas Virusüberra-
schend lebensfähig auchbei Corona-
feindlichen Bedingungen ist. jom

Währen ddas Vorgehen


des Gesundheitsministers


in Berlin viel Lobfindet,

herrschtüber die

Absagen von

Großveranstaltungen

Uneinigkeit zwischen

den Bundesländern.

Voneinem Ende der Epidemie


kann keine Rede sein


„Damit wirnicht in eine


Lagewie Italien kommen“


Nordrhein- Westfalen sagt Großveranstaltungen ab


SEITE 2·MITTWOCH, 11.MÄRZ2020·NR. 60 FPM Politik FRANKFURTER ALLGEMEINEZEITUNG

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