Frankfurter Allgemeine Zeitung - 11.03.2020

(Greg DeLong) #1

Nach der 0:1-NiederlageimHinspiel des
Champions-League-Achtelfinals gegen
Atlético Madridverpackt eJürgenKlopp
in seinem zähneknirschenden Lob für
den Gegner aucheine Drohung. „Ich
sehe bei Atlético heuteAbend viele
glückliche Gesichter,und ichverste he
das, denn es istein großer Sieg“, sagte
der Trainer des FC Liverpool:„Aber es
istnochnicht vorbei.“ Das Spielvorto-
senden, bebendenRängen im Madrider
StadionWanda Metropolitano sei nur
die ersteHalbzeitgewesen. Die zweite
werdeimAnfieldStadiumvorden Liver-
poolerFans stattfinden, die ingroßen Eu-
ropapokalnächten ebenfalls eine ein-
schüchternde Lautstärke erzeugenkön-
nen –„und daswerden sie spüren“.
Es warmehr als bloßesSäbelrasseln
vonJürgenKlopp. Denn Liverpool hat
Übung darin, einenRückstand in An-
field auf spektakuläreWeise umzubie-
gen. Im Halbfinale der vergangenen
Champions-League-Saison hattedie
Mannschaftauswärts beim FC Barcelo-
na 0:3verloren, dasRückspiel in Liver-
pool aber sensationell 4:0gewonnen. Da-
gegenwirkt der knappeRückstand gegen
Atlético wie ein Klacks.Allerdings trie-


ben die Spanier die sonstsooffensivstar-
ken„Reds“ im Hinspiel nachihrem frü-
henFührungstor mit militärischer Dis-
ziplin in derAbwehr zurVerzweiflung.
Der europaweit gefürchtete SturmumSa-
dio Mané,Roberto Firmino und Moha-
med Salah brachte
trotzreichlichBallbe-
sitz keinen einzigen
SchussaufsTor zu-
stande.
Es warein Spiel
nachdem Ge-
schmackvon Atléti-
co-Trainer Diego Si-
meone. Der wirdsei-
ne Mannschaftmit
der Führung imRücken für dasRück-
spiel am Mittwochabendwohl ähnlich
einstellen wie im Hinspiel. Siekönnen es
sicherlauben, tief zuste hen und auf
Chancen zuwarten. Die BBC erwartet
angesichts dieser Ausgangslageeinen
„unausweichlichen Abnutzungskampf“.
Jeder Fehlpass, jeder Stellungsfehler
kann den Titelverteidiger den Einzug ins
Viertelfinalekosten. Unddas ausgerech-
netineiner Phase, in der es bei Liver-
pool ohnehin nichtrund läuft.

Die englische Meisterschaftwerden sie
gewinnen: 25 PunkteVorsp rung an der
Spitze der Premier-League-Tabelle sind
ein dickesPolster. Aber die Leistungen ha-
ben in denvergangenenWochen nachge-
lassen,wassichvor alleminder zuvor so
stabilenAbwehr bemerkbar macht.Wett-
bewerbsübergreifend musste die Mann-
schaftinden vergangenen fünfPartien
neunGegentorehinnehmen–soviele wie
in den 15 Spielen davor, wozu obendrein
die 0:5-NiederlageimLigapokalgegenAs-
tonVilla zählt,als Liverpool miteiner Aus-
wahl vonNachwuchsspielernantrat.
„Normalerweise kriegstdugegen uns
nicht viele Chancen“, sagteJürgen
Klopp nachder Niederlagegegen Chel-
sea.„Aber jetzt müssen wir zugeben,
dasswir in den letzten vier Spielen abso-
lut zu viele Gegentorezugelassen ha-
ben.“ Jedoch seien dieTore aus unter-
schiedlichen Situationen entstanden,
also gebe eskeinenkonkreten Schwach-
punkt.Dasssie in Anfield im Europapo-
kalseit Oktober 2014 unbesiegt sind, soll
zudem für zusätzliches Selbstvertrauen
sorgen. Nicht zu verlieren wirdaber
nichtreichen. Ein Sieg mussher.Ein
Klacks wirddas nicht.

Es dauerte nur wenigeAugenblicke,bis
LucienFavreamSonntagabend alle seine
Freude an einem eigentlichsehr interes-
santenFußballspielvergangenwar. Der
TrainervonBorussia Dortmund, der an
diesem Mittwochmit seinemTeam in ei-
nem leeren Stadion beiParisSt.-Germain
um den Einzug insViertelfinale der Cham-
pions League spielt (21 Uhr),wolltesich
zumAusklang desWochenendes den ita-
lienischen Klassiker zwischen JuventusTu-
rinund Inter Mailand ansehen.„Aber ich
konntenur zwei Minuten schauen,keine
Lust“, erzählt er jetzt.„Ohne Zuschauer
istesleider nicht angenehm, für beide
Mannschaften.“Undfür die Zuschauer.
Nunsteht Favreselbstvor einem Geister-
spiel. Dastellt sichdie Frage, wie sichdie
gespenstischeAtmosphäre aufdie Leistun-
gender Spieler auswirken wird.Agieren
die Offensivkünstler aus Parisanders,
wenn sie nicht dieAugender 49 000 Zu-
schauer auf sichspüren? Oderwerden
eher die zuletzt so leidenschaftlichen Dort-
munder Energieverlieren,wenn Gesänge,
Impulse und Emotionenfehlen?
Besondersbei einem Profiwie Emre
Can könntesichdie ungewohnteStille be-
merkbar machen. LangeZeit fehlteeine

richtig aggressiveAutorität im Mann-
schaftsgefüge. AxelWitsel istzwarauch
ein imposanterFußballer,aber er istein
Typ, derstabilisiertund beruhigt.Kein An-
treiber,der Emotionenwecktund Zeichen
setzt .ImJahr 2020 wirdnun immer klarer,
wie sehr diese junge
Mannschaftmit der
großen spielerischen
Klasse einen Typen
wie Can brauchte, der
GegnernFurchteinflö-
ßen kann. Der mit-
reißt, der auchmal
böse ist. Im Hinspiel
gegenParis warensei-
ne Zweikämpfemit
Neymar ein Extrathema in denNachbe-
trachtungen,weil dergebürtigeFrankfur-
tersoviel Freude daran hatte, denfiligra-
nen Weltstar seinekörperlicheÜberlegen-
heit spüren zu lassen, auchmit Fouls.
Gleichnachseinem ersten Spiel für den
BVB, einer 3:4-NiederlageinLeverkusen,
hatteder WinterzugangvonJuventusTu-
rinbeinahe einwenig vorlaut für so einen
Neuankömmling eine „dreckigere“ Spiel-
weise gefordert. Inzwischen isterein füh-
renderVertreterdieses neuen Stils.Und

mal wieder hat derewigeJürgenKlopp bei
diesem OptimierungsprozessseineFinger
im Spiel. DerTrainer des FC Liverpool
wares, der Can demBVBempfahl. Dieser
Spieler passe „wie dieFaustaufsAuge“ zu
Borussia Dortmund, sagt Klopp, der zwi-
schen 2015 und 2018 mit Can in Liverpool
zusammenarbeitete„Man sieht seine Er-
fahrung. Er strahltRuhe aus. Erverteidigt
gut, ergewinnt seineZweikämpfe“, sagt
BVB-TrainerFavre.
Es isterstaunlich, wie reibungslos Can
zu einem echten Anführer wurde, in ei-
nem Betrieb, in dem anderesicherstmal
mühsam die Anerkennung derKollegen
erarbeiten müssen. Keine dreiWochen
nachdiesem ersten Einsatzwandelten die
Dortmunder das ursprünglichals Leihe an-
gelegteGeschäftmit Juventus in eineFest-
anstellung bis 2024 um.UndauchCan
selbstwurde schnell klar,dasserinDort-
mund endlichdie Anerkennung be-
kommt, die er sichschon länger wünscht.
„In Deutschland hat mir dieWertschät-
zunggefehlt, die ichinItalien oder Eng-
landgenossen habe“, sagt er.Der Wechsel
zumBVBund der sofortigeAufstieg zum
Anführer soll ihm nicht zuletzt zu einem
festen Platz im EM-Kaderverhelfen.

An diesem Mittwoch wird das Derby
Mönchengladbach gegen Köln zum ers-
ten Geisterspiel der Bundesliga. Ist ein
Geisterspiel eine adäquate Maßnahme?
Ichglaube,ja.DasSpielkannangesichts
der schwierigen medizinischen Lage, in
der sichdas Land befindet, nicht wiege-
wohnt stattfinden. Das istklar.Erkenn-
bar istandererseits das Drängen der Deut-
schenFußball Liga, das Spielstattfinden
zu lassen,weil ansonstender gesamte
Spielkalender in Schieflagegerät .Da
musste aus Sicht desFußballsein Aus-
gleichgefundenwerden. Dochdie Sorgen
des Sports sind marginal imVerhältnis zu
den Sorgen, die eineVolksseucheverur-
sacht.Der Fußball versucht jedochimmer
nochanseinen Ligaspielenfestzuhalten,
um eine Meisterschaftnachdem Wett-
kampfkalender zu Ende zu bringen. Ei-
nem hochprofessionalisiertenSportwie
demFußball, an dem im Gegensatz zu an-
deren Sportarten auchMilliardenbeträge
hängen,fällt es schwer,Spiele abzusagen.

Nehmen die Fußballverbände ihren
Sport wichtiger, als er in der Krise ist?
Geisterspielewerden im Sportsystemals
Strafe verhängt und als solche auchgese-
hen. In unserer Situation müssen wir aber
vondieser Betrachtungsweise wegkom-
men. Geisterspiele und Spielabsagen sind
keine Strafen. Sie sind Beiträgezur Seu-
chenbekämpfung. Fußballfunktionäre
sollten sichdringend mitVirologen und
Seuchenbekämpfernzusammensetzen.

Uns fehlt dabei die Übernahme von gesell-
schaftlicher Verantwortung gegenüber
den Schwächsten in dieser Krise...
Ihr Verhalten zeigt, dassdie Fußballver-
bände derZeit hinterherhinken. Sie sind
traditionell orientiertinihrem Denken –
und haben offenbar nicht begriff en, in
welcher Situation Europa steckt .Man
kann schon länger nicht mehr dafür sein,
dassFußballspiele freistattfinden.

Welchen Stellenwert kommt dem Sport
und besonders dem Fußball in Zeiten des
Coronavirus überhaupt noch zu?
Sport gehörtimmer nochzum BereichFrei-
zeitund Vergnügen. Zwar nichtfür diejeni-
gen, die ihnprofessionell betreiben, aber
für diejenigen,die ihm zuschauen. Das ist
mit Abstanddie größte Gruppe aufder
Welt.Der Sportgehörtdamitzueinem Be-
reich, derverzi chtbar ist, dernicht zurle-
bensnotwendigenVersorgunggehört.Seu-
chenmedizinersprec henvon nichtvorhan-
dener Systemrelevanz. Der Sport müsste
in solchen Situationeneinsehen,dasser
eine zweitrangigeRolleinder Welt spiel t.
Sportfunktionäre haben aber dieTendenz,
die Bedeutungihres Sportsweit zu über-
schätzen.Die Menschheit istnicht davon
abhängig,obein Bundeslig ameisterplan-
mäßig nach34Spieltagengekrönt wird ob
EM oderOlympische Spiele stattfinden.
Aber sie istabhängig davon, dass einegro-
ße Zahl vonMenschen,vorallemvorge-
schädigteund alteMenschen, diese Epide-
mie überleben.

Sie sehen, was die realistischeSelbstein-
schätzung angeht, offenkundigDefizite
bei den nationalen und internationalen
Führungskräften des Sports.
Ichwill nicht so tun, alskönnteich beur-
teilen,welcheethischen Qualitäten die
Anführer des Sports haben. Ichwill das
niemand absprechen. Ichglaube schon,
dassauchdortBesorgnis herrschtund
man einegewisseVerantwortung fühlt.
Aber für Sportverbandvertretersteht der
Sportüber allem. Der Sporthat für sie
eine vielgrößereWichtigkeit als für Beob-
achtervonaußen. IndiesemFallnehme
ichdie Rolle des Beobachtersein, der ein
großer Sportliebhaber ist. In dieserRolle
sortiere ich, waswichti gist fürdas Überle-
ben vonGesellschaften–und waszur Kür
gehört,wasder Freude dient.Wenn die
Freude jetzt heruntergeschraubt wird, da-
mit es dann auchimSportimnächs ten
Jahr wieder losgehenkann, bin ichdafür,
dassdieserWeggegangen wird. Ichbin
mir nicht sicher,obsichdiese Sichtweise
im Sportbisher Bahngebrochen hat. Ich
fürchte, dasist nicht derFall, nochnicht.

Der Wunsch, in derMasse weiter Fußball
zu sehen, obwohldie Bilderaus Italien

präsentsind, istbei denMenschenin
Deutschland weiterhingroß.Müssen der
FußballundseineVerbände die Zuschau-
er nichtweit entschlossener vor sichselbst
undder Gesellschaft schützen?
Ganz eindeutig, das müssen sie. Ichglau-
be, das Problembewusstsein, mitwelchen
Schwierigkeiten unser Gesundheitssys-
temkonfrontiertwird, istdortüberhaupt
nicht ausgeprägt. Da herrschteine große
Naivitätvor. Wenn mankompetenteMe-
dizinerwie denViro logen Christian Dros-
tenhört, dann istdie Sache klar:Das me-
dizinische System mussdie Pandemiever-
langsamen, es mussRisikogruppenvor
großenVersammlungen schützen. Er hat
eine absolut erschütterndeZahl ins Spiel
gebracht.Demnachkann bei Risikogrup-
pen angenommenwerden, dassvon die-
sen Leuten zwanzig Prozentsterbenkön-
nen.Wenn man sichdas vorAugen hält,
dann mussman eindeutig sagen:Wirmüs-
sen im Sportdie Reißleine ziehen.

In Basel wurde das Europa-League-Spiel
gegen Frankfurt aus diesem Grund für
kommende Woche komplett abgesagt.
Das isteine verständlicheVorsichtsmaß-
nahme der Schweizer Behörden, diever-
hindernwollen, dassganze Gruppen in
die Stadtkommen, die dieVorsorgesituati-
on derStadt durcheinanderbringenkönn-
ten. Sie schützen damit ihre Bevölkerung.

Wäre nicht, was der Schweiz sinnvoller-
scheint,auch in Deutschland sinnvoll?
Das alles hängtvonder Entschlossenheit
der Behörden ab, wie siegegendie Coro-
na-Pandemie ankämpfenwollen.Wirha-
ben in Deutschlandkeine zentrale Behör-
de, die das anordnenkönnte.Aber man
braucht,wasdie verschiedenenStandards
für denFußballangeht, nur die Meinung
einesvernünftigenFußballtrainerszuhö-
ren. JulianNagelsmann sagte, dassesfür
denFußball sinnvoll wäre,dasskeine
Asymmetrien entstehen. In einigen Bun-
desländernfinden Spiele mitZuschauern
statt, in anderen ohne. In manchen euro-
päischen LändernfindenWettbewerbe
weiterhinstatt, in anderen nicht.Ineini-
genLändernfinden Geisterspielestatt, in
anderengarkeine. Das sei eine schlechte
Situation. DemFußballtäteesgut, wenn
er eine einheitliche Liniefährt.

Hat ein Profispiel ohne direkte Rückkop-
pelung zum Publikum, das einen großen
Teil der Faszination ausmacht, seinen
Sinn nicht verloren?
Der normale, vonuns auchgeschätzte
Sinn eines professionellenFußballspiels

besteht darin, dasssich50000 bis 80 000
Zuschauer beteiligen–und eineganz an-
dereDynamikreinbringen, alswenn ein
Spiel ohneZuschauerstattfindet. Sie er-
zeugen eineStimmung, die man beim
Fußball auch haben muss.Aber es gibthö-
hereWerte,die zuverteidigen sind.Auch
für den professionellen Sportsolltegel-
ten, dassdie Gesundheit der Bevölkerung
absolutimVordergrund stehen muss.

Welchen Sinn können in Zeiten, da die Be-
wegungs- und Versammlungsfreiheit zu-
nehmend eingeschränkt werden, Fußball-
spiele als Geisterspiele trotzdem haben?
Die Stimmung in Ländern,die vonder
Corona-Pandemiestarkbetroffen sind,
kann sehrstarkgedämpftwerden.Fuß-
ballspiele könnenMenschen erfreuen
und auchLebensmut in so einerZeit ge-
ben.Fußballkann ein Beitrag für Opti-
mismus sein und zumWohlbefinden bei-
tragen, auchwenn nur Geisterspieleim
Fernseher laufen. Den Fußball auch
nochaus dem Alltagwegzunehmen, wür-
de ein allgemeines Klimader Depressi-
on verstärken, das darf man nichtganz
vergessen.Wenn dieSpieledaher ohne

eine Gefahr für die Gesundheit der Spie-
ler und derwenigenBeobachterstattfin-
den könnten, dann haben selbstGeister-
spiele ihren Sinn.

Dass eine EM in 12 Städten stattfinden
soll, kann man sich kaum vorstellen.
Das istso. Wenn einganzesLand quasi
unter Quarantänegestellt wird, dann
kann man an so eineVeranstaltung
nicht denken. Eswaraus meinerSicht
ohnehin eineleichtfertigeIdee,die Plati-
ni damals in dieWelt gesetzt hat,eine
EM über einen solchen Riesenraum statt-
finden zu lassen.Aber in dem Moment,
wo jetzt Infektionsüberträger in hoher
Zahl quer durch Europareisen würden,
istdie EM dazuverdammt,nicht stattzu-
finden.

Man stelle sich vor: nur ein einziger Spie-
ler infizierte sich mit dem Coronavirus –

und ein ganzes Team käme in Quarantä-
ne. Dann dürfte auch jeder Plan eines ge-
ordneten Wettbewerbs dahin sein.
Wenn ichChristian Seifertvon der DFL
in denvergangenenTagenrichti gverstan-
den haben, möchteerdiese Saison in je-
demFall zu Ende spielen und den Meister
und Pokalsieger nachdiesem Modusfest-
stellen. Das istdie Fortsetzung der übli-
chen Logik des Sports, nur mit neuen Mit-
teln: ohneZuschauer.Aber diese Logik
musssicheindeutig der Logik der Seu-
chenbekämpfung unterordnen.

Man könnte nachaktuellem Stand wer-
ten, unddie Wettbewerbeund Siegerin
Turnierform ausfallen lassen. Doch dar-
über wird im Fußball nichtdiskutiert.
Ein solcherWeghingealleinevonder
Entschlusskraftder Verbände ab, also
vonDFL, DFB oder Uefa.Wenn dieVer-
bände sich dazu entschließen, den Ligabe-
trieb unddie Champions League abzubre-
chen, müsste das sehr baldgeschehen.
Dann müssteman einen Modus derWer-
tungfestlegen.Keine Frage: Das istim-
mer auchein bisschen ungerecht.Aber
wasmacht dieseUngerechtigkeit aus im
Verhältnis zu einer Volksseuche aus,
wenn sie sichinden kommendenWochen
nichtverlangsamt?

Noch einen Blick voraus: OlympiainTo-
kio ohne Zuschauer als ein Geister-Olym-
pia –das will und kann man sich nicht
einmal vorstellen.
Olympische Spiele wirken, weil sie an ei-
nem Ortstattfinden und einWeltpubli-
kumversammeln.Wesentlichist die Be-
gegnungvorOrt.Olympia ohne die Mög-
lich keit de rVölkerverständigung,was ei-
gentlichdas höchste Ziel der Spieleist,
und der Hauptgrund,weshalbdie Spiele
nochstattfinden sollten–würde so über-
hauptnicht erreicht .Ich glaube auch
nicht,dassdie Japaner bereitsind, Olym-
piaohne Zuschauer zu organisieren. Die
Olympiaministerinhat schon gesagt,
dassJapan alsVeranstalterland durch
dieVerträge, die es mit dem IOCge-
schlossen habe, nichtgezwungen sei, die
Spiele zum vorgesehenen Zeitpunkt
stattfinden zu lassen. Es istschon die
Rede vomSpätherbst. Ich denke,dass
diejapanischeRegierung einganz ge-
wichtigesWortmitsprechen wird, und
dieSpiele, wie es sichabzeichnet, auf
garkeinenFall im Sommerstattfin den
lässt. Ob die Spiele im Herbsttatsäch-
lichstattfindenkönnen,ist nocheinmal
eineganz andere Frage.

Das GesprächführteMichael Horeni.

Der Philosoph
und Sportwissen-
schaftlerGunter
Gebauerwar
Professor an der
FreienUniversität
Berlin.
Foto Sven Simon

HeikoHerrlichhat bei seiner Präsen-
tation als neuerTrainer desFußball-
Bundesligaklubs FCAugsburgdann
dochnocheine amüsante Geschichte
erzählt.Die SMS vonAugsburgs
Sport-GeschäftsführerStefanReuter,
in der ihm dieStelle beim FCAange-
botenwurde,kamamSonntag um
22.45 Uhr.„Ichwar um zehn aber
schon schlafengegangen. Ichhabe
dann am nächstenMorgenzurückge-
rufen.“ Einenweiten Wegzuseinem
neuen Arbeitgeber hatteder 48 Jahre
alte Herrlich dann nicht.Sein Lebens-
mittelpunkt lag zuletzt imTiroler Ort
Kufstein.
Er folgt auf Martin Schmidt, des-
sen EntlassungReuter ,Vereinspräsi-
dent Klaus Hofmannund Finanz-Ge-
schäftsführer Michael Ströll nach
dem 0:2 beim FC Bayern beschlossen
hatten. Wasdie Verantwortlichen
dem Schweizer Schmidtvorhielten:
vorallem, dassdie Ergebnisse nicht
stimmten.AusachtRückrundenspie-
len holteder FCAnur vier Punkte,
glitt aus dem Mittelfeld in dieAb-
stiegszone.Reuter sprachvon einer
„gefährlichen Situation, die nicht je-
der erkannt hat.Wir werden nach
Niederlagen seitWochen und Mona-
tenzusehr gelobt.“ Dazu trug freilich
aucherselbstbei, indem er unent-
wegt das Hohelied auf SchmidtsUm-
schaltfußball mit wenig Ballbesitz
sang.Nunsagt Reuter :„Die Statistik
bei Zweikämpfen und Fehlpässen
sprach gegenMartin Schmidt.“Statis-
tischer Fakt is taber auch, dasskeiner
der dreiTrainer,die Reuter in seiner
Zeit inAugsburg
einstellte, ihren
Vertrag erfüllen
durften. Ausder
ruhigen Hand, die
der FCAzusei-
nem Markenkern
machte, isteine
zittrigegeworden.
Sowohl Dirk
Schusterals auch
Manuel Baum und nun Schmidt muss-
tengehen, obwohl sie nicht auf ei-
nem Abstiegsplatz standen.Dabei
wertet es der Klubstetsals Erfolg,
„wenn wir drei Mannschaftenfinden,
die in derTabelle hinter unsstehen“.
Die Frage, ob einTrainerwechsel
erfolgt wäre,wenn Florian Nieder-
lechner am Sonntag in München für
ein durchaus mögliches 1:1gesorgt
hätte, brachteReuter ins Schleudern.
Er floskelte: „Fußballist ein Ergebnis-
sport, das wissen Sie doch.“ Herrlich,
der für „Gier, Leidenschaft, Sieger-
mentalitätsteht“ (Reuter),verlor sich
ebenfalls in Phrasen. Erwolle „Biss
und Leidenschaftauf dieRängeüber-
springen lassen“ (die aber leer sein
werden am Sonntag gegenWolfs-
burg), zum bevorzugten Spielstilver-
mochteernur zu sagen, „dassich alle
Elementeerfolgreichen Fußballs
übernehmen will“.
Reuter und HerrlichhabeninDort-
mund mal eine Saison erlebt, in der
sichdie Mannschaftlangenicht der
Gefahr bewusst war. „Wir waren
nachachtSpieltagen auf Platz eins,
am Ende mussteuns Udo Lattekvor
demAbstieg retten“, sagt Herrlich.
SeineTrainerkarriereverlief lange
im Nachwuchsbereich, mitRegens-
burgstieg er in die zweiteLigaauf, in
Leverkusen wurde er nacheineinhalb
Jahren entlassen. Daswarkurzvor
Weihnachten 2018, die Angebotslage
seitdem überschaubar.Anfragenka-
men „aus China und Dubai“.


Champions League,Achtelfinale, Rück-
spiele:ParisSaint-Germain–Borussia Dort-
mund, FC Liverpool–Atlético Madrid (bei-
de 21 Uhr).
Bundesliga, 21. Spieltag,Nachholspiel:
Borussia Mönchengladbach–1. FCKöln
(18.30 Uhr).

Foto dpa

F.A.Z. FRANKFURT. Der saudi-ara-
bische ÖlkonzernAramco wirdneu-
er Hauptsponsor derFormel 1. Die
Presseabteilung derRennserieteilte
vordem Startindie neue Saison am
Wochenende mit, man habe mit der
größten Ölfirma derWelt einen „lang-
fristigenVertrag“geschlossen, der un-
teranderem dieNamensrechtean
den Rennen in denVereinigtenStaa-
ten, Spanien undUngarn beinhalte.
Weiter eDetails wurden nicht be-
kannt.Eine Studievonamerikani-
schen Klimaforschernnanntedie Fir-
ma imvergangenen Herbstals größ-
tenCO 2 -Emittenten derWelt.Neben
der Fluglinie Emirates, die dem Emi-
ratDubaigehört, istAramco der zwei-
teStaatskonzernunter den nun sechs
Hauptsponsoren derFormel 1.
Der Vertrag nährtGerüchte, nach
denen bald auchein Großer Preisvon
Saudi-Arabien ausgetragenwerden
könnte. Das zunehmende Engage-
ment der saudischenRegierung auch
im Motorsportwirdangesichts der
MenschenrechtslageimKönigreich
immer wieder scharfals „Sportswa-
shing“ kritisiert. „Reporterohne
Grenzen“ führtdas Land auf Platz
172 von180 Staaten im Meinungsfrei-
heitsranking. DerAuftragsmordam
regierungskritischen JournalistenJa-
mal Khashoggi im Oktober 2018 im
saudischenKonsulat in Istanbul wird
der saudischenRegierung angelastet.
Die Sonderermittlerin derVereinten
Nationen,Agnès Callamard,forderte
nachder Veröffentlichung ihresUn-
tersuchungsberichts imvergangenen
Sommer Ermittlungengegenden sau-
dischen Kronprinzen Muhammad
bin Salman. Er gilt als Motordes
Sportsponsorings in und durch Sau-
di-Arabien und dem amerikanischen
GeheimdienstCIA als Drahtzieher
des Mordes an Khashoggi, der nach
seinerErmordungmit einer Knochen-
sägezerteilt wurde.FürSaudi-Ara-
bien istesnicht das ersteSponsoring
in derFormel 1, diestaatliche Flugli-
nie Saudiawarzwischen 1978 und
1985 Geldgeber desWilliams-Teams.

Fußball braucht man nicht zum Leben.Seuchenmediziner sprechenvonnichtvorhandener Systemrelevanz. FotoImago

EUROSPORT1:14.40 Uhr:Rad,RundfahrtPa-
ris-Nizza,vierte Etappe. 17.25 Uhr: Skisprin-
gen, Weltcup in Trondheim/Norwegen,
Qualifikation.

Foto Reuters

Latteks


Erben


Reuter macht Herrlich


zum FCA-Trainer


VonGünter Klein,


Augsburg


„Wir müssen die

Reißleine ziehen“

Mainz ohne Zentner
Der Fußball-Bundesligaklub Mainz
05 mussimAbstiegskampfauf Torhü-
terRobinZentnerverzichten. Der 25
JahrealteSchlussmann erlitt beim
1:1 dengegenFortuna Düsseldorfei-
nen Rissdes hinteren Kreubandes,
wie derVerein am Dienstagmitge-
teilt hat.Zentnerräumtezur Pause
denPlatzfür seinenStellvertrete rFlo-
rian Müller,der in denkommenden
Wochen imTorstehen dürfte. Erst in
den kommenden Tagenwird sich
nachweiterenUntersuchungen klä-
ren, obZentner operativ oderkonser-
vativ behandelt wird. dme.

Formel-1-Deal


mit Aramco


Ölkonzernwird


Hauptsponsor


In Kürze


Kein Klacks


Klopp und Liverpool brauchen SieggegenAtlético /VonMarcus Erberich, Brighton


Auch malböse sein


EmreCan is tder neue Dortmunder Anführer /VonDaniel Theweleit, Köln


Heiko Herrlich


Sportphilosoph Gunter Gebauer über die Entbehrlichkeit


vonFußball,Funktionäre, die derZeit hinterherhinken,


und den SinnvonGeisterspielen.


JürgenKlopp

Fußball am Mittwoch

SportliveimFernsehen

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Sport MITTWOCH, 11.MÄRZ 2020·NR.60·SEITE 27

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