Frankfurter Allgemeine Zeitung - 11.03.2020

(Greg DeLong) #1
NR.60·SEITEN1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Natur und Wissenschaft MITTWOCH, 11. MÄRZ 2020


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Der Bayreuther Mediziner,Gesundheitsökonom und


TheologeEckhardNagel kritisiertscharfdie Vergabe


einesexistentiellen Mittels durch ein Lotterieverfahren.


Denkbargrundsätzlichist das KarlsruherUrte il zur


Sterbehilfeausgefallen. Gerade deshalb wirdnun


rechtswissenschaftliche Begriffsarbeit benötigt.


Im THE-Ranking derweltweitenUniversitäten nahm


die Universität Bielefeld einenkometenhaftenAufstieg.


Wasaber sind die Gründe?


GENTHERAPIE IMLOSTOPF DIE DEBATTE HATBEGONNEN VERSEHENTLICHERSPRUNGNACHOBEN


A


uf demWegzur Gleichstel-
lung der Geschlechter sind
fraglos nochein paar Hürden
zu überwinden.Unddochwarder
Weltfrauentagvergangenen Sonntag
in dieser Hinsicht einstarkesState-
ment, Hut ab! Jetzt solltenur nochdie
zivilisatorische Realität den Ge-
schlechteridealenfolgen. Bevoresal-
lerdings dazukommt, müssen wir uns
mit Blickauf das Endziel Geschlech-
tergerechtigkeit einigerevolutionärer
Fragen annehmen. Zuerst die einfa-
chere:Wieso lebenFrauengenerell
länger? Oftwirdbehauptet, weil Män-
ner härter arbeiten. So sehen dasger-
ne die Männer.Die Wahrheit ist: Bei
Hunden, Löwenund Robben gibt es
den Unterschied auch.Nurbei Vögeln
istdas anders, da leben die Männchen
länger–weil dieWeibchen die Haupt-
lastder Brutarbeit tragen?Tatsache
ist: DieVogelmännchen gehen an-
schaffen, bringenFutter insNest,und
müssen meist auchnochdas Revier
hartverteidigen. Zur Malocherthese
gibt es seit vielen Jahren eine biologi-
sche Alternative:Überleben alsFrage
der Chromosomenverteilung.Frauen
tragen, wie bei vielen Säugetieren,
zwei gleiche–zweiX-Chromosomen.
Männer einX- und ein zugegeben
schmächtigesY-Chromosom. Bei den
Vögeln is tesumgekehrt: Männchen
tragen zwei Z-Chromosomen,Frauen
ein Z- und einW-Chromosom.Austra-
lischeForscher haben nun in „Biolo-
gy Letters“an229 Tierarten demons-
triert, dasszweigleiche Chromoso-
men offenbar einen besseren Schutz
vorfrühzeitigemAbleben bieten, in-
dem der zweite gleiche Chromoso-
mensatz die Wirkung schädlicher
Gene neutralisiert. Das einsame
Y-Chromosom des Manneskann also
die Gene seinesX-Chromosoms nicht
beschützen. Aber istesüberhaupt
sinnvoll, an dieserStelle für Gleich-
stellung zukämpfen? Das „British Me-
dical Journal Open“ sät da Zweifel.
Kanadische Gesundheitsforscherstel-
len darinfest,dassdreibis fünf Mona-
te nachder überraschendenWahl von
DonaldTrumpimNovember 2016 die
natürlicheVerteilung der Geschlech-
terneugeborener Kinder im Bundes-
staat Ontario–und dortausschließ-
lichinden Landesteilen mit liberaler
Gesinnung–signifikant verrutscht
war. Der Wahlschock hattedafürge-
sorgt, so dieWissenschaftler,dass
deutlichweniger Jungsgeboren wur-
den.Das Phänomen istvonTerroratta-
cken und Katastrophen bekannt:
Auch nach9/11, den Anschlägenvon
Madrid 2004 und London 2005, auch
nachdem HurrikanSandywarenvier
Monatespäterweniger Jungengebo-
renworden. Dassdie Babys in der
Schwangerschaftunterschiedlichsen-
sible Entwicklungsphasen haben, ist
nicht neu–auchwenn dieUrsachen
nochvöllig im Dunkeln liegen. Dass
aber diesephysiologischen Schockwel-
len zuUngunsten des männlichen Ge-
schlechts nun auchvon Wahlenttäu-
schungen abhängig sein sollen, muss
jeden Demokraten einigermaßenver-
stören–und zeigt jedenfalls: Eigent-
lichsinddie Frauen dasstarke Ge-
schlecht. Biologischist das unstrittig,
gesellschaftlichallerdings mussdas
immer nochseinen Ausdruck finden.

Mann am Limit


VonJoachim Müller-Jung

D


ie Zeit wird knapp.Im
Oktober schon soll das
wichtigste Jahr für den
weltweiten Naturschutz
den Abschlusshaben,
den man sichunter Öko-
logen seit dreißig Jahren herbeisehnt:ei-
nen völker rechtlichbindendenVertrag
zur Rettung der biologischen Vielfalt.
Dreißig Prozent des Planeten, so lautet
das Ziel, sollen auf Dauervormenschli-
chen Eingriff en geschützt und damit das
historische Artensterben unserer Tage
endlichgestopptwerden. Eine ArtPariser
Vertrag für die Biodiversität. Konkrete
Naturschutzziele auf höchsterpolitischer
Ebene.Zehn Jahre–bis 2030–will sich
die Staatengemeinschaftlaut Vertragsent-
wurfZeit geben, den Ökozid zu beenden.
Das haben dieVertragsstaaten der 1992
in Rio vereinbartenUN-Biodiversitäts-
konvention (CBD) jüngstsoaufgeschrie-
ben. Nimmt man die Gründung der „Glo-
balenKoalition für Biodiversität“ hinzu,
die vorwenigenTagenvon der Europäi-
schenKommission zum Erhalt europäi-
scherWildnisgebiete gegründetwurde,
könnte man auf den Gedankenkommen,
dassdieses Jahr das Verhältnis von
Menschund Natur nachJahrzehntenvol-
ler Enttäuschungen wohl wirklichneu
undgrundsätzlichinRichtungökologi-
scheNachhaltigkeitgeregelt wird. Doch
erns te Zweifel bleiben. Es herrschtMiss-
trauen allenthalben.
So begann dieseWochemit einemAuf-
rufvon 21 namhaftenÖkologen, Ökono-
men undAgrarforschern, dem sichfast
dreieinhalbtausendUnterzeichnerange-
schlossen haben. Sietrauen derneuen Eu-
ropäischenKommission nicht zu, mit den
angekündigten Korrekturen das Ruder
für eine ökologischsensiblereLandwirt-
schaftherumzureißen und damit das In-
sektensterben zustoppen oder den Klima-
schutz zustärken. Auchder avisierte UN-
Vertrag hat in seiner ersten Entwurfsfas-
sung,kaum dasserveröffentlichtwar, hef-
tigen Gegenwind bekommen. In derZeit-
schrift„Science“fordernWissenschaftler
führender Forschungsinstitute dringend
Korrekturen. DieVereinbarung schütze
Arten, siekönne abergenetischeVielfalt
auf dem Planetenauchkünftig nicht be-
wahren. „BevorArten aussterben, istin
der Regelihre genetischeVielfaltstarkre-
duziert“, sagt der Leiter desForschungs-
bereichs Marine Ökologie am Geomar
Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung
in Kiel,ThorstenReusch, „und daherkön-
nen Messungen dieser Vielfaltskompo-
nenteals Frühwarn-Indikatoren dienen.
Insofernist das gegenwärtigeDokument
ein Rückschritt, weil es beinahe aus-
schließlich die Artenvielfalt imVorder-
grund sieht.“Reuschund die Mitunter-
zeichnerfordernimPrinzip, den Erfolg
vonNaturschutzmaßnahmenander gene-
tischen Erosion derTier-und Pflanzenpo-
pulationen zu messen.
Dieserwissenschaftlichdeutlich an-
spruchsvollereAnsatz als das bloßeKata-
logisieren der Artenund Populationen
lässt erkennen, dassman diePolitik nicht
länger mit Schutzversprechen davonkom-
men lassen will. Die Ökologen haben in
derHinsichtinzwischenmassi vUnter stüt-
zung auchvon ökonomischer Seite: Das
„World EconomicForum“ hat mit seinem
in Davosjüngstpräsentiertenglobalen Ri-
sikobericht 2020 klargemacht, dasses
sichbei dem beschleunigtenVerlustan
biologischerVielfalt um einen „Nots tand
der Natur“ handelt.Die Integritätvon 75
Prozent der Landfläche und 66 Prozent
der Meeresgebiete sei durch menschli-
chen Einflussinzwischen schwer beein-
trächtigt, einViertelder erfasstenTier-
und Pflanzenartenweltweit in ihrer Exis-
tenz gefährde t. Die ökologischen Funda-
menteder Menschheit gingen damit suk-
zessiveverloren, mahnt der WEF-Be-
richt. DerVerdrängungswettbewerb zwi-
schen Menschund Natur habe dazuge-


führt, dasssich47Prozent der natürli-
chen Ökosysteme weltweit in einem
Schrumpfungsprozessbefinden. Dutzen-
de Beispielewerden aufgeführt: 32 Pro-
zent derWaldflächen seien schonvernich-
tet, ein Drittel der Böden massiv degra-

diertund 85 Prozent derFeuchtgebiete
vernichtet. So kommen die Ökonomen zu
dem Schluss, dassdas Vernichtungswerk
an derWildnis die Ernteerträgeweltweit
bedroht–monetärgerechnet: zwischen
235 und 577 Milliarden Dollar an Ernte-

verlustenjährlich. Damit hat man sich in
Davos, wo viele der einflussreichsten
Wirtschaftsführer undPolitiker jedes Jahr
zusammenkommen, endgültig den Beden-
kendes WeltbiodiversitätsratesIPBES an-
geschlossen: Eine Million Artenweltweit
seienvomAussterben bedroht, sollteder
Verbrauchund dieVernichtung derNatur
fortgesetztwerden.
Viel Zeit zu ihrerRettung bleibt offen-
kundig nicht.Ineiner Veröffentlichung in
den „Proceedings“ der amerikanischen
Akademie derWissenschaftenrechneten
unlängstÖkologen derUniversity of Ari-
zonavor, wie der beschleunigteKlima-
wandel die Bedrohungquer durch alle
Tier-und Pflanzenfamilien zusätzlichfor-
ciere. Ein Drittel der Artenkönnteschon
in fünfzig Jahren ausgelöscht sein.
In fünfzig Jahren, idealerweise aber
schon zur Jahrhundertmitte, soll dieWelt
nachdem CBD-Entwurfder Staatenge-
meinschaft„im Einklang mit den natürli-
chen Ökosystemen und ihrer biologi-
schenVielfalt“ leben. Das Mindestziel für
2030 lautet: Ende desglobalenArtenster-
bens.Wiedas Erreichen dieser Ziele nach-
geprüftund verifiziertwerdenkann, wird
derzeitverhandelt.Undbei diesenVer-
handlungenkommt esweniger aufZah-
len an als auf die Qualität und Durch-
schlagskraftder zu vereinbarenden
Schutzmaßnahmen.
Trotzdem herrschtdie größteAufre-
gung erst mal um dieZahlen imVertrags-
entwurf: Dreißig Prozent der Erdoberflä-
cheals Schutzgebietklingt auf den ersten
Blickgut.Die genaueFormulierunggeht
aberweiter :Von diesen dreißig Prozent
sollen „mindestens zehn Prozent unter
strikten Schutz“gestellt werden. Zehn
ProzentWildnis–und derRest?Natur-
schutzexpertenumJonas Geldmannvon
der britischenUniversity of Cambridge
haben sichSatellitenbilder und Wirt-
schaftsdatenvonmehr als zwölftausend
sogenannten Schutzgebieteninmehr als
hundertfünfzig Ländernangesehen. Ihr
Fazit:Auf derNordhalbkugel und inAus-

tralien hat der Schutzstatus den menschli-
chen Druckauf dieWildnis zwischen den
Jahren 1995 und 2010 vielerortsverrin-
gert.Inder großen Mehrzahl aber hat das
EtikettNaturschutzgebietkaumetwasim
Hinblickauf den ökologischen Schwund
bewirkt.Vor allem in Südamerika, im tro-
pischen Afrikasüdlichder Saharaund in
Südostasien–inden artenreichstenRe-
gionen derWelt also–erodiertder Arten-
reichtum auchhinter Schutzzäunen.
Um nichtsweniger als um einenPer-
spektivwechselgeht es: Der klassischeNa-
turschutz istanGrenzengekommen.Von
einer notwendigen„Transformation“ des
Naturschutzgedankens in der Gesell-
schaftsprachenvorder jüngstenCBD-
Konferenz vier Dutzend internationale
Ökologen um Josef SettelevomHelm-
holtz-Zentrum fürUmweltforschung in ei-
nem Beitrag für „Science“.
Nunalso beginnt derKampfumechte
Wildnis, nicht nur umNaturflächen.Tat-
sächlichist das Aussterberisikoinnaturbe-
lassenen Wildnisgebieten,die keinerlei
menschlicheStörungen erfahren, erheblich
reduziert. Australische Ökologen haben in
„Nature“denÜberlebensvorteilbeziffert:
In WildnisgebietenanLand sei dieGefahr
des Aussterbens um die Hälftegeringer.
Die Widerstandskraft,die eine ungestörte
Umwelt denTier-und Pflanzengemein-
schaftenverschafft, haben auchOldenbur-
gerÖkologenumHelmut Hillebrandund
CharlotteKunze in einerPublikation in
„Ecology Letters“vorgeführt. In ihrer Meta-
studie untersuchten siedie Fähigkeit von
Ökosystemen, sichnachgravierendenStö-
rungen–Dürren,Stark regenoder Schäd-
lingskalamitäten–zuerholen. 508Studien
weltweit habensie ausgewerte t. Ergebnis:
In ad hocgestörten Lebensgemeinschaften,
ob an Land oder imWasser,wirdzwar
meistschnell wieder Biomasse aufgebaut,
dochdie Artenzusammensetzung erholt
sichgenerell nur langsam.Undjestärkerzu-
sätzliche menschlicheEingriffe, ob durch
Pflügen, Bergbau oder Fischerei, desto
schwierigergestaltet sichdie Erholung.

Um die Erhaltung derVielfalt in
den besonders artenreichen tropi-
schen Gebietenist es besonders
schlecht bestellt:ein Brüllaffe,
ein Hellroter Araund eine
MeeresschildkröteFotosGetty

Der Rotaugenlaub-
frosc hlebt auf
Bäumen in Mittel-
und Südamerika.

Die Hadza,ein ursprünglichlebendes
Volk ausOstafrika, sitzen amTagge-
nauso vielwie viele Europäer,und
dochbleibensie einigermaßenschlank
undfast vollkommen unberührtvon
Herz-Kreislauf-Leiden. DavidRaich-
len vonder University of California
wollte demGeheimnis ihrer Gesund-
heit mit einemBewegungsmesserauf
die Spurkommen.28Hadza-Männer
wurden achtTage damit ausgerüstet.
Wiesichzeigte,verbrachten sie ähn-
lichviel Zeit in der Hockeund aufden
Knien wieder Durchschnittseuropäer
im Sitzenaufder Couch oder imStuhl.
Raichlenzufol ge sind die Muskeln
beim Knienund Hockenangespannt
und verbrauchendeutlich mehr Ener-
gie. jom

Wildnis ist


mehr als


Natur


Hockenund knien


statt nur sitzen


In der heutigenForschungist es nicht häu-
figder Fall, dassesumFragengeht, mit de-
nen sichdie Menschen bereits seitJahrtau-
senden beschäftigen. DieAstro nomie aber
istvergleichsweise reichansolchen The-
men, und ein prominentes Beispieldafürist
die Fragenachder Entstehung unseres
Mondes: Antwortenfindensichsowohl in
Mythen undreligiösen Schriften als auch
auf derGrundlageempirischerWissen-
scha ften.Faszinierenderscheintdabei,
dassdie Behandlung dieserFrageimmer
nochund immerwiederneue Impulse er-
hält.Soversu chenaktuellWissenschaftler
der Universityof NewMexicoineiner in
„Nature Geoscience“veröffentlichtenStu-
die (doi:10.1038/s41561-020- 0550-0),ei-
nen der letztengroßenWidersprüche in der
weitgehendakzeptiertenEntstehungstheo-
riedes Mondes ausdem Wegzuräumen.
DieserVersuchgründetauf einer jahr-
hundertelangen Geschichtekonkurrieren-
der Ansätze. So gingen ImmanuelKant
1755 und in ähnlicherForm Pierre-Simon
Laplace 1796 davonaus, dassMond und


Erdegemeinsam als Doppelsystemimfrü-
hen Sonnensystem entstanden sind.Aus-
gearbeitet wurde diese Idee unter anderen
1944 vonCarlFriedrichvon Weizsäcker.
George Darwin, Sohn des berühmten Evo-
lutionsbiologen,veröffentlichte dagegen
1879 die Theorie, der Mond sei einstaus
der schnellrotierenden Erde herausgebro-
chen. Anhänger dieses Ansatzes mutmaß-
ten, das Pazifikbeckensei als „Narbe“
Zeugnis diesesVorfalls. Einweiteres Mo-
dell, unter anderenvomamerikanischen
Chemiker HaroldUrey vertreten, postu-
lierte, dasssichMond und Erde anver-
schiedenenStellen im Sonnensystem bil-
deten, der Mond aber spätervomGravita-
tionsfel dder Erde eingefangen wurde.
Die empirischen Daten, die mangleich-
zeitig sammelte,standen aber mit all die-
sen Theorien inKonflikt.Hätten Mond
und Erde einengemeinsamenUrsprung,
müsstensie sichinihrenchemischen Ei-
genschaftenähneln. Die Erde besitzt aber
eine deutlich höheremittlereDicht eund
einen viel höheren Eisenanteil als der

Mond. Allerdings istdie Dichtedes Erd-
mantels mit der des Mondesvergleichbar.
Dies spräche für dieAbspaltungstheorie.
Aber wäre der Mond aus der Erde heraus-
gebrochen, so sollteseine Bahnebene in
der Äquatorialebene liegen.Stattdessen
weicht sie aber nurwenig vonder Ekliptik
ab. Auch scheint die Erde für dieses Szena-
rionie schnellgenug rotiertzuhaben. Ei-
ner voneinander unabhängigen Entste-
hungvonMond und Erde widersprechen
wiederum bestimmtechemische Ähnlich-
keiten. Diefestgestellten relativen Häufig-
keiten der Sauerstoffisotope^16 O,^17 Ound

(^18) Osind bei beiden fastidentisch.Auch
das Einfangen des Mondes erscheint him-
melsmechanischschwerzurealisieren.
1975und 1976stellten zwei astronomi-
sche Veröffentlichungeneine weiter eHypo-
thesevor: DerMond seibei einergiganti-
sche nKollision zwischen der Protoerde
und einemmarsg roßenPlanetoid,genannt
„Theia“,entstanden.Teiledes Erdmantels
und desPlanetoidenwurden dabei pulveri-
siert, Theias Eisenkernverschmolz mit
dem Erdkern, die resultierendeTrümmer-
wolkeverklumpte zum Mond. Seit eineras-
tronomischen Konferenz1984wirddieses
Szenario als akzeptierte Hypotheseangese-
hen. Eineskann sieabernicht erklären:
Wenn der Mondgrößtenteils aus Material
vonTheia entstandenist, wieso sinddann
die Häufigkeiten seiner Sauerstoffisotope
so ähnlich wie die irdischen?DassErde
undTheia sich einanderchemisch derart
glichen, istunwahrscheinlich. Istdie Kollisi-
onshypothesealsodochfalsch?
Die aktuelle Studie behauptetnun, dass
das Problem durcheine differenziertere
Betrachtungsweiseverschwindet. Die Iso-
topenhäufigkeiten seien nur dann prak-
tischidentisch,wenn Durchschnittswerte
aus verschiedenartigem Mondgestein ge-
nommen würden.Wenn man aberver-
schiedene Gesteinsarten separat untersu-
che–tiefliegende aus dem Mondmantel
bis zu Oberflächengestein –, dann würde
sichein deutliches Spektrumverschiede-
ner Isotopenhäufigkeiten ergeben. Insbe-
sonderelunares Mantelmaterial sei isoto-
pischinstatistischaussagekräftigem
Maße schwerer als irdisches und zeugeda-
mit vonder Chemie Theias. Aus diesem
Befund schließensie,dassTheia einen hö-
heren Anteil des Sauerstoffisotops^17 Oals
die Erde besessen haben muss.
Konkret ergebe sichdamitfolgendes
Szenario: Innerhalb derTrümmerwolke,
die größtenteils aus Theia-Material mit ir-
discher Material-Beimischung bestand,
kondensierten als Erste sdiejenigen Silika-
te,die mit schweren Isotopen, angerei-
chertwaren, zum lunaren Magmaozean.
Das isotopischleichtereMaterial setzte
sicherstspäter ab und bildete die Außen-
schicht des Monds, die heutederjenigen
der Erde ähnelt. Diese Erklärung istat-
traktiv undkönntetatsächlicheine Ant-
wort auf eine der offenen Fragen desKolli-
sionsmodells liefern. Allerdings besitzen
die Messungen bislang nochgroße Unsi-
cherheiten.Weiter eUntersuchungenver-
schiedenerArten vonMondgestein wer-
den zeigen, ob sichdieses Bildweiter er-
härtet. SIBYLLEANDERL
PolitischeWeichen für ein Endeder
Biodiversitätskrise sind nungestellt.
Istder Ökozid damit zustoppen?
VonJoachim Müller-Jung


Die seltsame Ähnlichkeit vonMond und Erde


Der Mond alsResultat einergewaltigenKollision–dieses Szenario ließ bislangFragen offen, für deren Beantwortung es nun neue Impulse gibt

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