Frankfurter Allgemeine Zeitung - 11.03.2020

(Greg DeLong) #1
N

acheinem Börsentag, der den
größtenKurssturzander Wall
Streetseit der Finanzkrise
2008 brachte, entschied sich
Präsident DonaldTrump,gemeinsam mit
Vizepräsident MikePence und dessen Kri-
senstabbei dertägl ichen Presseunterrich-
tung zu erscheinen.Um die wirtschaftli-
chen Folgen abzudämpfen,kündigteer
an, am Dienstagdem Kongress Vorschlä-
ge zu unterbreiten, die Lohnsteuererleich-
terungen, Kreditefür Kleinunternehmen
und auchHilfen für jene Arbeitnehmer
umfassen sollen,welche nachStunden-
lohn bezahlt würden–also imFalle einer
Krankschreibung unmittelbar einenVer-
dienstausfallverkraften müssten. Zudem
stellteerEntlastungen für die Kreuz-
fahrt- und Hotelbranche sowie für Flugge-
sellschafteninAussicht.
DerAuftritt solltedie Öffentlichkeit
und die Märkteberuhigen. AlsTrumpsei-
ne Ausführungen beendethatte, wurde er
vonden Journalistenindem kleinen Pres-
seraum mit derFragekonfrontiert, ob er
sichselbstauf das Coronavirus habetes-
tenlassen. Der Präsident ignorierte die
Frageund verließ denRaum. Pence,von
Trumpals Krisenkoordinator eingesetzt,
mussteübernehmen: Er könne dazu
nichts sagen, erwiderte er.Etwas später
teiltePressesprecherin Stephanie Gri-
sham mit:Der Präsident sei nicht auf Co-
vid-19getestet worden, da erweder länge-
renKontakt mit einer infiziertenPerson
gehabt habe nochirgendwelche Sympto-
me zeige. Ärztewürden ihnweiterhin be-
obachten.Zuvorhattesie schon imFern-
sehen mitgeteilt, es sei dochallgemein be-
kannt, dassder Präsident sichhäufig die
Händewasche. Offenbar nahm sie Bezug
auf eineÄußerungTrumps, er habe eine
Keimphobie.
Grund für dieFragen nachTrumpsGe-
sundheitszustand ist, dasssichinzwi-
schen sechsKongressmitglieder in Qua-
rantäne begeben haben.Fünfvon ihnen
sindRepublikaner,die vorzwölf Tagenan
der sogenannten CPAC-Konferenz teil-
nahmen, einer jährlichen Zusammen-
kunftkonservativer Aktivisteninder Um-
gebungWashingtons. EinTeilnehmer der
Konferenz wurde später positivgetestet.
Da die fünfRepublikaner mit jenem in
Kontakt standen, entschieden sie, auf
Nummer Sicher zugehen, obwohl sie bis-
her keine Symptome zeigten.
Das Problem: Zwei der fünfKongress-
mitglieder hatten hernachKontakt mit
Trump. Seitdem die Öffentlichkeit am
Montagvonden Fällen erfuhr,wurden in
einer ArtEndlosschleifeBildergesendet,
die zeigen, wieetwaderAbgeordnete
Doug CollinsTrumpamFreitag in Geor-
gia per Handschlag begrüßte, justals die-
ser das „CenterforDisease Control and
Prevention“, die Behörde für Seuchenbe-
kämpfung, besuchte. Oder aber,wie der
Abgeordnete Matt Gaetz am Montag die
„Air ForceOne“ bestieg, nachdem er das

Wochenende mit dem Präsidenten in
Mar-a-Lagoverbracht hatte. DerAbgeord-
nete aus Florida hatteschon in dervergan-
genen Wochefür Schlagzeilengesorgt, als
er während derAbstimmung über ein Mil-
liarden-Paket zur Bekämpfung der Epide-
mie eine Gasmasketrug–eine PR-Num-
mer,die beiKollegen imRepräsentanten-
haus fürAugenrollen sorgte.Zu den Teil-
nehmernder CPAC-Konferenz, die mit
der infiziertenPerson inKontaktstand,
zählteschließlichder Abgeordnete Mark
Meadows,den TrumperstdieserTage zu
seinem neuenStabschef imWeißen Haus
ernannt hatte.
Die Öffentlichkeitreagierte irritiert. In
den morgendlichenRadiosendungen, in
denen besorgte BürgerKongressabgeord-
netenmitteilenkönnen,wo ihnen der
Schuh drückt, wurde ein Mitglied des
Repräsentantenhauses aufgefordert, er
mögesichtestenlassen, bevoreramWo-

chenende zurückinseinenWahlkreisflie-
ge –und er mögedie dringende Bitte
auchden anderenAbgeordnetenausrich-
ten. In denNachrichtensendern, die über
eine theoretischnicht auszuschließende
Infektion Trumps berichten, heben die
Moderatorenvorallem auf den linkslibe-
ralen Kanälen hervor, man hoffe selbstre-
dend, dassder Präsidentgesund sei. Die
Epidemie sei eine ernste Angelegenheit.
Freilichist sie längstGegenstand des par-
teipolitischen Streits. Es istdie erste
GroßkriseTrumps, die er nicht selbstes-
kalierthat. In acht Monaten wirdinAme-
rika gewählt, und sokann es nichtver-
wundern, dasssichbeide Parteien be-
schuldigen, die Epidemie für parteipoliti-
sche Zwecke zu missbrauchen.
Die Demokratenwarfen TrumpzuBe-
ginn der Krisevor, die gesundheitlichen
Gefahren kleinzureden, da er sichumdas
Wirtschaftswachstum und mithin um sei-

ne Wiederwahl sorge.Ersthabe gesagt,
die Risiken seiengeringer als jene bei ei-
nernormalen Grippe. Dann habe er Hoff-
nungengeweckt, es werdebinnenkurz er
Zeit einen Impfstoffgeben,wasdie neben
ihm stehenden Gesundheitsfachleute um-
gehend dementierten. DasWeiße Haus
und dieRepublikanerwerfen den Demo-
kraten wiederumvor, Ängste zu schüren.
Präsidentensohn Donald Trumpjunior
ging im Sender „Fox News“noch weiter:
Es scheine, sagteer, als hofften die Demo-
kraten, dasViruswerde nachAmerika
kommen und „Millionen Leutetöten“,
nur damit sie die „Siegesserie“ seinesVa-
ters beendenkönnten.UndMickMulva-
ney, der inzwischen entlasseneStabschef
im Weißen Haus, äußerte –übrigensgera-
de auf der CPAC-Konferenz–,„die Me-
dien“ hätten erst versucht, den Präsiden-
tenmit dem Impeachment-Schwindel zu
stürzen.Nunwidmetensie sichnur des-

halb so ausgiebig dem Coronavirus,weil
sie glaubten, dieswerdeden Präsidenten
zu Fall bringen.
Am Montag, nachdem Kurssturzan
den Weltbörsen, schien indes einkurzer
Moment des Innehaltensgekommen zu
sein. Der Präsidentversuchte, die Bevöl-
kerung zu beruhigen, undverwies darauf,
Amerika sei bestens gerüstet. UndPence,
der zwarweiterhin in jedem dritten Satz
die Formulierung unterbringen muss, „un-
terder großartigen Führung des Präsiden-
ten“ arbeiteten alle Ebenen in derRegie-
rung zusammen, lobtesogar dieZusam-
menarbeit mit den demokratischen Gou-
verneuren an derWestküste.
Tatsächlichist die Kommunikation des
Präsidenteneine Sache, die Arbeit derRe-
gierungsbehörden aber eineandere.Nach-
dem am 21. Januar im Bundesstaat Wa-
shington der ersteFall auf amerikani-
schem Boden bestätigt worden war, wur-
de schnellgehandelt.WenigeTagespäter
wurde eine„Task Force“ ins Lebengeru-
fen. Am 31. JanuarverhängteWashing-
tonein Einreiseverbotfür alle, die 14
Tage vorReiseantritt in Chinagewesen
waren. Einen Monat später wurde dieses
auf Südkorea, Iran undNorditalien ausge-
weitet.GesundheitsministerAlexAzar
hob hervor, dassdiese frühen Maßnah-
men dazu beigetragen hätten, das Risiko
für Amerikagering zu halten.

G

emäß den Richtlinien der Be-
hörde für Seuchenbekämpfung
reagiertdas ganze Land auf
die Krise: In Bostonsagteder
Bürgermeisterdie Parade zum „St. Pa-
trick’sDay“ab. In dertexanischen Haupt-
stadt Austin wurde das Musik-und Film-
festival „Southby Southwest“gestrichen,
und mehrereUniversitäten schränken ih-
renLehrbetrieb ein: So haben die Colum-
bia-Universität inNewYorkund dieStan-
ford-Universität inKalifornienkurz fris-
tig Vorlesungen und Seminareabgesagt
beziehungsweiseweichen auf Online-Kur-
se aus.
Noch nicht abzuschätzen ist,wasdie
Epidemie für denWahlkampf bedeutet.
Der demokratische Präsidentschaftsbe-
werber Bernie Sanderswurde jetzt nach
einerKundgebunggefragt, wie er mit der
Gefahr durch das Coronavirus umgehe.
Er zähle mit seinen 78 Jahren zur Risiko-
gruppe, trotzdem schüttele er in denVor-
wahlentägl ichHundertenvon Leuten die
Hand und lade häufig zuVeranstaltungen
mit mehrerentausendTeilnehmernein.
Sandersverwiesetwashilflos darauf,
dassersichsohäufig wie nochnie in sei-
nem Leben die Hände desinfiziere. Dann
versuchteer, das Thema wieder auf eine
politische Ebene zu heben: Esgehe nicht
um ihn persönlich. Die Epidemie offenba-
re die Krise im amerikanischen Gesund-
heitswesen.Viele Leutekönnten es sich
nicht leisten, krank zu sein. Am Dienstag
begann der nächste großeVorwahl-Tag.
In insgesamt sechs amerikanischen Bun-
desstaaten sollten Demokraten und Repu-
blikanerwählen.
Trumphat bislang ebenfalls nichtvor,
auf seine berüchtigten „MakeAmerica
great again“-Kundgebungen zuverzich-
ten. „Dukannstnicht Politiker sein, ohne
Hände zu schütteln“, sagteerdieserTage.
Auch schien derVerzicht aufAttacken
auf die Demokratenvonkurzer Dauer:
NachdemNancy Pelosi, dieranghöchste
Demokratin imKongress,Zweifel ange-
meldethatte, dassdas Repräsentanten-
haus schon in dieser Sitzungswoche ein
Hilfspaket verabschiedenwerde, schimpf-
te TrumpamDienstag: Die Nichtstuer
wolltenwohl in denUrlaub.

Es istkein Zufall, dassMinisterpräsi dent
GiuseppeContesein jüngstesDekret zum
Kampfgegen dieAusbreitung des Corona-
virus mit dem Hashtag #IoRestoaCasa
(Ichbleibe zu Hause)versehen hat. Denn
der Aufruf, für die nächstengut dreiWo-
chen das Haus oder dieWohnung nur zu
den nötigstenBesorgungen zuverlassen,
richtetsichvor allem an die jungen Leute.
Offenbarsteht dahinter die Annahme, es
seien zumal die Jüngeren, die sichbeson-
dersschwermit diesen Einschränkungen
tun würden.
Die beiden Dekretezum Kampfgegen
die Ausbreitung des Coronavirus hatCon-
te jeweils zu ungewöhnlicherStundever-
kündet: Am frühen Sonntagmorgenge-
genzweiUhr hatteerdie Region Lombar-
dei sowie 14weiter eProvinzen inNord-
und Mittelitalien zum Sperrgebieterklärt.
Am späten Montagabendgegen22Uhr
wurde dann mit dem nächstenDekret die
„roteZone“, inwelcher bis zum 3. April
erhebliche Einschränkungen des öffentli-
chen Lebens und desRechtsauf Bewe-
gungsfreiheitgelten, aufganz Italien aus-
gedehnt.Die nunmehr landesweit gülti-
genBestimmungen traten am Dienstagin
Kraf t.
Das ersteDekret vonSonntagnacht,
das für immerhin gut 16 Millionen Italie-
ner galt, warsogut wiefolgenlosgeblie-
ben. Darin hieß es unter anderem: „Jede
Ortsveränderung natürlicher Personen,
das Betreten und dasVerlassen sowie die
Bewegung innerhalb des Gebiets, istzu
vermeiden“. Durchgesetzt wurde die Be-

stimmung nirgendwo. DerPersonenver-
kehr perAuto,Bus und Bahn in das Sperr-
gebiethinein, aus diesem heraus sowie in-
nerhalb der „roten Zone“ flossunbeein-
trächtigt.Medienberichten zufolgehaben
seit Sonntag mehr als 20 000 Menschen
die eigentlichgesperrteLombardeiverlas-
sen –die meisteninRichtung Süden,wo
es bisherdeutlichweniger Infektionen
mit dem Coronavirus gibt undwo bis zum
Dienstagmorgenauchdie Beschränkun-
gender Bewegungsfreiheitgemäß Not-
standsdekret nochnicht galten. Im Süden
geht die Angstum, die Leute aus demNor-
den würden dasVirusmitbringen. In den
Regionen des Südenswäre dasüberwie-
gend marode Gesundheitswesen unter ei-
nemAusbruchder Epidemie wie imrei-
chen Norden längstkollabiert.

Im Sperrgebietändertsichwenig
Bei rechtmildem Sonnenwetter fast über-
all im Land hatten jungewie ältereItalie-
neramSonntag und Montag im lombardi-
schen Sperrgebietdurchaus nichtvonih-
remLebensstil lassenwollen.Unddazu
gehörteben, dassman im öffentlichen
Raum zusammenkommt, zum Essen und
Trinken, dassman sichumarmt, dass
man sichnahe ist(jedenfalls näher als der
nunwegendes Virusempfohlene Min-
destabstand voneinem Meter). Die Italie-
ner haben nicht nurwegender mediterra-
nen Ernährung eine der höchstenLebens-
erwartungen derWelt, sondernauchund
gerade, weil sie ihren Lebensabendüber-

wiegend draußen und miteinanderver-
bringen. InZeiten des Coronaviruskann
das lebensgefährlichsein. Das Durch-
schnittsalter der am CoronavirusVerstor-
benen liegt nachAngaben des Zivilschut-
zes bei 81 Jahren. AmFreitagwaraus Bo-
lognagemeldetworden, dasssich19Se-
nioren bei einer einzigenPartie Boccia in-
fizierthatten. Die Bocciabahn wurde dar-
aufhingesperrt,noch bevorsie gemäß De-
kret am Montag ohnedieshättegeschlos-
sen werden müssen.
Undjetzt also istganz Italien Sperrge-
biet, vomBrenner bis nachPalermo.
Wird sichnun bei 60 Millionen Italienern

durchsetzen lassen,wogegen16Millio-
nen Italiener an zweiTagenrebellierthat-
ten? Zu den Bestimmungen des Dekrets
gehörtauchdie Verlängerung der ur-
sprünglichbis MitteMärzbefris teten
„Zwangsferien“ für alle Bildungseinrich-
tungen, vonKindertagesstätten über
Schulen bis zuUniversitäten–bis zum 3.
April.

Flächendeckende Kontrollen?
Bis zu diesemZeitpunkt bleiben auchalle
Kinos und Theater,alle Museen undAus-
stellungen, außerdem Diskotheken und
Tanzclubs, alle Spielhallen,Fitnessstu-
dios und Skigebiete geschlossen. Öffentli-
cheVersammlungen sind untersagt.Der
Vatikanverkündete am Dienstagdie Sper-
rung desPetersplatzes, auchdie Vatikani-
schen Museen sind geschlossen. Alle
Sportveranstaltungen, auchdie zuletzt
ohneZuschauer imStadion ausgetrage-
nen Spiele der höchstenProfiligaSerie A,
sind abgesagt. Barsund Restaurants dür-
fennur vonsechs bis 18 Uhrgeöffnet
sein.Ausschank undKonsum amTresen
sindgrundsätzlichuntersagt, es darfnur
an Tischen serviertwerden, sofernge-
währleistetist,dassdie Gäste im Abstand
vonmindestens einem Metervoneinan-
der entfernt sitzen. Die seitWochenbe-
ginn hingenommenenVerstöße gegendie
Einschränkung der Bewegungsfreiheit
sollen nungeahndetwerden, mit einer
Geldstrafevon 206 Eurooder sogar mit
Freiheitsentzug bis zu drei Monaten.Aus-

genommenvonden Einschränkungen ist
grundsätzlichder Waren- und Güterver-
kehr,Lastwagen und Lieferwagendürfen
uneingeschränktverkehren.
Aufdem vonder Regierungveröffent-
lichtenFormblatt, das dieKontrollposten
in ausreichenderZahl vorhalten sollen,
müssen sie ihrePersonalien,ihreAdresse
und den Grund für ihreunaufschiebbare
Ortsveränderung angeben.Zudiesen legi-
timen Gründen zählen neben Gängen
undFahrtenzum Einkaufen auchder
Wegzu„nachgewiesenen Arbeitsver-
pflichtungen, zu notwendigen Anlässen
und zuTerminen aus Gesundheitsgrün-
den“. DieseFormulierungen lassen erheb-
licheAuslegungsspielräume zu–für die
Reisenden wie für dieKontrollbeamten.
Hinzukommt, dassdie Speicherung und
Überprüfung vonHunderttausenden
odergarvon Millionenausgefüll terForm-
blätter zum bürokratischen Albtraumwer-
den dürfte. Keinen Ermessensspielraum
mehr gibt es hingegen bei der Einreise
vonItalienernnachÖsterreich. AusIta-
lien dürfe niemand mehr einreisen, der
nicht ein ärztliches Gesundheitsattestvor-
weisenkönne, sagteder österreichische
Kanzler SebastianKurz am Dienstagin
Wien. Darin müsse bestätigt werden, dass
der Betroffene nicht mit dem Coronavi-
rusinfiziertsei. Ministerpräsident Conte
wandtesichamMontagabend anlässlich
der Verkündung des zweiten Dekretsfast
flehentlichandie Bevölkerung: „Unsere
Gewohnheiten müssen sichändern, wir
müssen alleetwasaufgeben zumWohl Ita-
liens!“

Ein Vierteljahrhundert langwarAlex-
ander Salmond die überragende Figur
der Schottischen Nationalpartei
(SNP), und mehrals siebenJahrelang
regierte er in Edinburgh als Minister-
präsident–jetzt steht er als Angeklag-
tervor Gericht. Anfang derWochebe-
gann dasVerfahrenvordem schotti-
schen High Court, in dem ihm 14 sexu-
elle Übergriffe,darunter versuchte
Vergewaltigung, zur Lastgelegtwer-
den. Salmond, den die amtierende Mi-
nisterpräsidentin NicolaSturgeon oft
als ihren „Freund und Mentor“ be-
zeichnethat,bestreitet alle Vorwürfe.
Der Prozessbannt nicht nur den Boule-
vard ,erbeschäftigtdie politischen
Strategen. SeinAusgangkönntedie
Karten in Schottland neu mischen.
Am Montag und Dienstaghörte das
Gerichtvoneiner „FrauH“, wie Sal-
mondsichinseinerRegierungsresi-
denz nackt auf sie „gestürzt“ habe.
Neun weiter eFrauenwerden in den
kommendenWochen aussagen. Erste
Vorwürfe waren2018 lautgeworden,
als Salmond, der nur noch eine um-
stritteneFernsehshowbei dem von
MoskaufinanziertenSenderRT mode-
rierte,öffentlichüber einenWieder-
einstiegindie Politiknachdachte.
Nach dem Unabhängigkeitsreferen-
dumvon2014,das gegendie vonihm
propagierteSeparationausfiel, hatte
er sichzurückgezogen. Er saßnoch
eineWeile im britischenUnterhaus,
aberbei denWahlenvon2017verlor
er seinenWahlkreis.
Die sexuellenÜbergriffe sollenfast
ausnahmslosin seineZeit alsMinister-
präsidentgefallen sein. Beschuldigt
wirdervon einer SNP-Politikerin,ei-
ner Parteiangestelltenund Regierungs-
mitarbeiterinnen. Im Gerichtssaal
sind dieStarju ristenSchottlandsver-
sammelt; dieRichterin istdie rang-
höchste im Land.EineBesonderheit
des schottischenRechts ist, dassdie
Juryden Angeklagten nicht nur schul-
dig oder nichtschuldig sprechen kann,
sondernden Fall auchals „nicht bewie-
sen“zuden Akten legen darf; Sal-
mondwürde dann alsfreierMann den
Saalverlassen.Umdie Anonymität
der Frauen zugewährleisten, mussdie
Öffentlichkeit denSaal während ihrer
Auftri tteverlassen. Journalisten, die
überdie Identitätder Frauen berich-

tenoder die Jurymit Kommentaren
beeinflussen, drohen Gefängnisstra-
fen.
Voreinemguten Jahr hatteSal-
mond einen juristischen Sieggegen
die Regierung in Edinburgh errungen.
Das Gericht bescheinigteihr eine„un-
faire“ PrüfungvonVorwürfensexuel-
ler Übergriffe,weil sie damit eine
Frau beauftragt hatte, die inKontakt
zu den Klageführerinnenstand. Vor
dem ProzesshatteSalmond zu Spen-
den für seineVerteidigung aufgerufen.
BinnenwenigerTagekamen mehr als
100 000 Pfundzusammen.Aber der
Triumph hielt nicht langean. Nurwe-
nigeWochen später wurde erwegen
neuerVerdachtsfällefestgenommen.
Viele Nationalistenglauben an die
Unschuld descharismatischenPopulis-
ten, schonweil sie ihn an der Spitze
der Partei vermissen.Sie werfen sei-
ner Nachfolgerinvor, zu zögerlichfür
ein weiteresUnabhängigkeitsreferen-
dum einzutreten. Auchdie Opposition
in Edinburgh erhöht den Druckauf
Sturgeon. In einem Parlamentsaus-
schusswirdderzeitgeklärt,wann sie
wasvon denVorwürfengegen Sal-
mondgehörthatte.„SalmondsVerhal-
tengegenüberFrauenwarallgemein
bekannt“, sagt JohnLloyd, der zurzeit
mit einem Buchüber Schottland im
Gesprächist.Im Raum stehejetzt die
Frage: „Gabesein konspiratives
Schweigen unter denranghohen SNP-
Abgeordnetenund Ministern?“Erst-
mals istdie erfolgsverwöhnteNicola
Sturgeon in Bedrängnis. Manche se-
hen im Salmond-Prozesssogar den
Anfang ihres politischen Endes. Sal-
mond, der siestetsgeförderthatte,
fiel ihr nie öffentlichinden Rücken.
Aber Schritt für Schritt wurde er zu ei-
ner Identifikationsfigur der innerpar-
teilichenSturgeon-Kritiker.Dassder
65 JahrealteHaudegen nachdiesem
Gerichtsverfahren nocheinmal in die
ersteReihe drängt,glauben nurweni-
ge.Derweil zeichnetsichein Zwei-
kampfzweier Aspiranten ab: Angus
Robertson, frühererFraktionschef in
Westminster, sowie die profilierte Ab-
geordnete Joanna Cherry.Der Aus-
gang des Salmond-Prozesseskönnte
beeinflussen, wervon den beiden
zum neuen Hoffnungsträger wird.

Alle Italiener sollen zu Hause bleiben


Die Maßnahmen derRegierung Conteklingen zunächstdrastisch, lassen aber einigen Spielraum /VonMatthiasRüb, Venedig


Salmonds


Fall


Früherer SNP-Chef


angeklagt


VonJochen


Buchsteiner, London


Staat und Recht
SaubereLiefer kette? Das deutsche
Rechtdarfkeine haftungsrechtliche
„Weltgeltung“ zu Lastenhiesiger
Unternehmen erlangen.

Das VirusimWeißen Haus


Vielleicht infiziert?Trumpund Pence am Montag bei einemTreffender Coronavirus-Krisengruppe FotoThe NewYorkTimes/Redux/Laif

Die Zweifel mehren sich, dassdas Ge-
sundheitssystem derVereinigtenStaa-
tenden Herausforderungen im Zusam-
menhang mit dem Coronavirusgewach-
sen ist. In den Krankenhäuserndes Lan-
des stehen knapp eine Million Betten
zur Verfügung, die in derRegelzudrei
Vierteln besetzt sind.Wäre dasCorona-
virus nur so wirkungsmächtig wie die
Grippe in der Saison 2017/2018, dann
würde esetwa 800 000 Krankenhaus-
aufenthalteunterschiedlicher Länge
nachsichziehen. Ärztehatten damals
voreiner Bettenknappheit gewarnt.
Das Coronavirus breitetsichjedoch of-
fenbar nochschneller aus.
EinigeBundesstaaten wieNewYork
haben angefangen, alteWarenlager zu

Notkrankenhäusernumzufunktionie-
ren. Dochdie pr ovisorischen Maßnah-
men dürften nichtreichen,wenn es
nichtgelingt, die Ausbreitung zu brem-
sen. Außerdem gibt es einengravieren-
den Mangel anTestsfür potentiell Infi-
zierte.Das staatlicheZentrum für Seu-
chenbekämpfung hat bisherTestsnur
in bestimmtenFällen erlaubt,umdie ra-
renTests für Menschen zureservieren,
für die ein Algorithmus diegrößteAn-
steckungswahrscheinlichkeit angibt.
Nach Angaben vonVizepräsident
MikePence, der mit dem Krisenma-
nagement betraut ist, wirdder Mangel
an TestsinKürze behoben. EinigeBun-
desstaaten haben eigeneTestsentwi-
ckelt;zweigroße Laborkettenverfüg-

tenseit Montag über selbstentwickelte
Tests, sagtePence. Dochinvielen Kli-
niken klagt das Führungspersonal
auchüber den Mangel an Gesichtsmas-
kenund Schutzkleidung für Pfleger
und Ärzte. Beatmungsgeräte, lebens-
notwendig fürPatienten in kritischem
Zustand, gibt es ingrößerer Mengeoh-
nehin nur in größeren Krankenhäu-
sernund Universitätskliniken. Ameri-
kasPatienten fürchten außerdem Kran-
kenhausrechnungen undkönnten des-
halb trotzSymptomen zögern, sichtes-
tenzulassen. EinigeBundesstaaten ha-
ben dieVersicherungen angewiesen,
die Kosten derTestskomplett zu tra-
gen; eine bundesweiteRegelung gibt es
dafür noch nicht. wvp.

Kontrolle:PolizistprüftPapiere. FotoEPA

Morgen


IstAmerikaauf das Coronavirusvorbereitet?


Die Corona-Epidemie


trif ft Amerikaim


Wahlkampfund kommt


selb st DonaldTrump


immernäher.


VonMajid Sattar,


Washington


FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik MITTWOCH, 11.MÄRZ2020·NR.60·SEITE 3

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