Frankfurter Allgemeine Zeitung - 11.03.2020

(Greg DeLong) #1
W

ladimirPutin macht es sei-
nen Deuternnicht leicht.
Seit dem jüngstenWahltri-
umph desrussischen Präsi-
dentenvorzweiJahren diskutiertensie
über dieFrage, ob und wie Putin über das
Jahr2024 hinaus an der Machtbleibenwol-
le. Die aktuelleVerfassung siehtvor, dass
der Amtsinhaber nicht bei mehr als zwei
Präsidentenwahlen nacheinander antre-
tendarf. Langespekulierte man über die
Figur einesNachfolgers, der Putin politi-
scheKontinuitätund persönliche Immuni-
tätgarantieren würde.Nachdem der Präsi-
dent MitteJanuar eineVerfassungsreform
ankündigte,galt einVerbleib des Dauer-
herrschersander Spitze des Staatsrats als
möglich: Das bislangrandständigeGremi-
um bekommtVerfassungsrang sowieKom-
petenzen zu Innen- undAußenpolitik, die
die Präsidentenbefugnisse duplizieren.
Ein Präsident soll nachden Entwürfen
nur nochzweiAmtszeiten absolvieren dür-
fen; dieRückke hr ins Amt nacheiner
Scheinauszeit, wie sie Putin 2012 nach
vierJahren alsMinisterpräsidentvormach-
te,soll nicht mehr möglichsein.Dazu gab
es Diskussionen über die Verankerung
vonGott, Ehe und Kriegsheldentum in
der Verfassung. Erst am Dienstag, gleich-
sam in letzter Minute, wurde klar,dasses
in den Begrenzungen der Präsidentenherr-
schafteine höchstpersönlicheAusnahme
geben würde: Putin, der sich als Garant
russischerStaatlichkeit feiernließ, soll
2024 wieder antretenkönnen.Schon am
vergangenen Freitag ließ der Präsident

Analysen aus siebenWochen Verfassungs-
diskussion Makulaturwerden. Nicht di-
rekt und definitiv,sondernamRande ei-
nes Treffens in Iwanowo dreihundertKilo-
meteröstlich vonMoskau mit„Vertr etern
der Öffentlichkeit“. Bei solchenVeranstal-
tungennimmt der Präsident Dank und An-
regungen entgegen undweistseineFunk-
tionärean, Missstände zu beheben. DieRe-
gie sorgt dafür,dassein positiver Grund-
tonherrscht.IndiesemFall waresein von
Putin angesprochenerTrend zu mehr Kin-
derninIwanowo;das fastausschließlich
weiblicheund kinderreiche Publikumwar
ein Kontrastzum tatsächlichen Bevölke-
rungsschwund inRussland.
Eine nacheigenerAussage„glückliche
Muttervonfünf Kindern“ fragtePutin
nachFamilienunterstützung, lauschte,
dankteund stellteeine zweite, „persönl i-
che“ Frage: „Wenn Sie Nichtpräsidentwer-
den, heißt das, dassSie einer anderen Ein-
richtungvorstehenwerden: dem Sicher-
heitsrat oder demStaatsrat?“ Denn „Ihre
Anhänger und Leute, die Ihnenvertrau-

en“, wollten doch, dasserden Staat weiter
führe.„Aber Sie lehnen,warumauchim-
mer,alle dieseVorschlägekategorisch ab.
Undwarum? Sind Sievondieser Arbeit
schon erschöpft? Sie sehen aber einfach
nicht danachaus.“ Putin wirktegeschmei-
chelt und erklärte:„Jeder Mensch, der in
meine Lagegerät, da bin ichsicher,be-
greiftdas nicht einfachals Arbeit, sondern
als Schicksal.“ So sehe auch er seine Ar-
beit,sagte Puti nund erörterteMöglichkei-
ten, an der Macht zu bleiben. So, die Amts-
zeitenbegrenzung aufzuheben.
„Ichfürchtenicht michselbst, ichbin
nichtverrückt, um michgeht es nicht“, sag-
te Putinweiter .Derzeit braucheRussland
vorallem „Stabilität“und „ruhigeEntwick-
lung“, dochspäter,wenn das Land mehr
„Selbstsicherheit, mehrRessourcen, mehr
Speck“gewinne, müssten Machtwechsel
garantiertsein. Dahergefalle es ihm nicht,
jetzt aus derVerfassung die Möglichkeit
künftiger Machtwechsel zu entfernen.
„Beiuns wirdesohne einestarkepräsiden-
tielle Macht im Land schlechtsein“,sagte

Putin und lehnteesab, an die Spitze des
künftigenStaatsrats „mit besonderenVoll-
machten“ zu treten: Das bedeuteeine
„Doppelherrschaft“, die für Russland
„eine absolutschädliche Situation“ darstel-
le. Ihm, Putin,gefalle seine Arbeit, erwol-
le aber nicht, um seine Machtbefugnisse
zu behalten, „irgendein Schema an der
Macht“, dasRussland „zerstören“werde.
Hinter denKulissen liefendie Vorberei-
tungen dafür,Putin die Möglichkeit zuge-
ben, 2024 einfachweiterzumachen. Der
langjährigePräsidentenberater Wladislaw
Surkow, der jüngstoffiziellden Kremlver-
lassen hat, äußerte EndeFebruar,die Prä-
sidentschaftwerde „mit neuenVollmach-
ten“ eine„andereInstitution“ sein, auf die
sich„Beschränkungen dergegenwärtigen
Präsidentschaft“ nicht erstreck ten. Ohne
„neue Zählung“(de rAmtszeiten) sei, so
Surkow, die „juristische Sauberkeit“ ver-
letzt. Surkowund Putins Sprecher hoben
hervor, das sei „Privatmeinung“. Doch
Aufmerksamkeitwargarantiert: Surkow
gilt als Architekt der „souveränen Demo-

kratie“, dievomAusland unabhängig sein
soll und die der Kreml umfassendkontrol-
liert. Mehrfach hat er den wachsenden
Herrschaftszuschnitt auf Putinverbrämt.
„Der langwährendeStaat Putins“, schrieb
SurkowimFebruar 2019, werde„sich
nicht nur die nächstenJahre,sondern
auchJahrzehnte,wahrscheinlichdas gan-
ze kommende Jahrhundertals ef fektives
Mittel desÜberlebens und desAufstiegs
der russischenNation erweisen“.
So warder Boden für die nächste Etap-
pe bereitet:die zweiteLesung desVerfas-
sungsreformpaketsamDienstag in der
Duma.Für„EinigesRussland“, die Macht-
parteimit Dreiviertelmehrheit imUnter-
haus, trat die 83 JahrealteValentinaTe-
reschk owaans Rednerpult.Ansowjeti-
scheGrößegemahnteder Ruhm der frühe-
renKosmonautin (Weltraumflug 1963),
an altenStil (Betonfrisur), Huldigungen
und Beschwörungen. Die Abgeordnete
klagteüber „unfreundliche“ Kräfte im Aus-
land, dieRusslandsVerfassung beeinflus-
sen wollten. DieWelt sei sehr schwierig,
Destabilisierung drohe.

E

sgebe Gespräche „in der Gesell-
schaft“, dassPutin über das Jahr
2024 hinaus „unbedingt“ blei-
ben müsse. Putin als Garant der
Stabilität wisse „viel besser als wir alle“,
wasRusslandvon innen und außen bedro-
he. Der Präsidentwerdeaber nie persön-
lichsagen, dasserbleibenwolle, das
müssten dieAbgeordnetentun, dasVolk
werdeentscheiden. Daher müsse entwe-
der die Amtszeitenbeschränkungfallen,
oder Putin müsse „nachInkrafttreten der
erneuertenVerfassung“ 2024 „wie jeder
andereBürger“ antretendürfen.
Dannwurde eine Sitzungspauseverkün-
detund nach Putingeschickt,weil es „Kon-
sultationen“bedür fe.Schon kurz darauf
trat der Präsident ansRednerpult,die Ab-
geordn eten erhobensich, klatschten und
hörteneineRede, die längstvorbereitet
war: In Argumentation undFormulierun-
genzitier te Putin seinenAuftrittinIwano-
wo.Erbeschwor, wiesooft,das BildRuss-
lands als„belagerterFestung“. Eswerde
die Zeit kommen,wenn„die höchstePräsi-
dentenmachtnicht, wi eman es nennt, so
personifiziert sein, nicht miteinemkonkre-
tenMenschenverbundenwird“,versprach
Putin. Dochnochgebe es „sehr vielVer-
wundbares beiuns“, zwischen Volksg rup-

pen,Religionsgemeinscha ften, in der wirt-
schaftlichen und sozialen Entwicklung. Pu-
tinraunte vonausländischenVersuchen,
Russland einzudämmen undsichininnere
Angelegenheite neinzumischen.„Russ-
land hatseinenRevolutionsplanerfüllt.“
Putin nutzteauchdie Verbreitungdes
„zu uns geflogenen“ Coronavirussowie
den aktuellen Einbruchder Ölpreise und
des Rubelkurses, um sich als Sicherheitsan-
kerdarzustellen.InWirklichkeithat Mos-
kauselbstdurch den Bruchmit der Organi-
sationerdölexportierter Länder (Opec)
den Fall der Ölpreise und desRubelkurses
kräftig mitverursacht;Igor Setschin, der
Chef desstaatlichkontrolliertenÖlkon-
zernsRosneft, will Amerika mit dessen
durch „Fracking“gewonnenem Öl aus
dem Markt treiben, hätteaber die neue,
kostspieligeFront imgeopolitischen Rin-
gennicht ohnePutins Plazeteröffnet. Wie-
der verkaufte sichPutin als einzigeLösung
vonProblemen, dieerselbs tgeschaffen
hat.
Wieder lehntePutin denVorschlag ab,
die Amtszeitenbegrenzung aufzuheben:
„Langfristig“ müssten Machtwechselga-
rantiertsein, „fürkommende Generatio-
nen“,wenn „innereStabilität“ und „Reife“
gewonnenseien, „wenn derStaat mächti-
gerund vonaußen schwer zuverletzen
sein wird“. Mit Blick auf die Möglichkeit,
2024 anzutreten,sagtePutin:„DieseVari-
antewäre im Prinzip möglich.“Aber nur,
wenn dasVerfassungsgericht entscheide,
dass dieRegelung nichtgegengrundlegen-
de Verfassungsprinzipienverstoße, und
die Bürgeram22. April für dasReformpa-
ketstimmten.
Beides istzuerwarten: Putins Richter
sind handzahm, und dieRussen erwärmen
sichzwarbisher nicht für dasReformpa-
ket, dochist keine Mindestbeteiligung an
der Abstimmungvorgesehen. Der Ände-
rungsantrag für „Putin 2024“warschnell
zur Hand und wurde mit üblicher Mehr-
heit angenommen: 380Abgeordnete da-
für,43dagegen (nacheigenen Angaben
die Kommunisten), eine Enthaltung. „Ich
bin sicher,wir werden zusammen noch
viel Gutes tun“, sagtePutin zum Schluss.
„In jedemFall bis zum Jahr 2024.Und
dann wirdman sehen.“ Nachden aktuel-
len Änderungenkann er auch2030 wieder
antreten. Erst 2036,wenn er 84 Jahrealt
wird, würde dieVerfassunginder Form,
die der Kreml jetzt anstrebt, einerweite-
renAmtszeit entgegenstehen.

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