FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Medien FREITAG,13. MÄRZ2020·NR.62·SEITE 13
W
as geschah,dassErdogan
seinePolitik änderte und
statt syrische Migranten
weiter aufzunehmen, sag-
te:„Werwill, kann gehen“?Warumöff-
nete er die Grenze,wenigeStunden nach-
dem amAbend des 27.FebruarvonRuss-
land unterstützte Assad-Einheiten drei-
unddreißig türkische Soldaten getötet
hatten?Wiekommt es, dasserdie Er-
pressung, mit der er Europa seitJahren
gedroht hatte, nun auf einmal wahr
machte? EswardochSyrien, das unsere
Soldatentötete.Eswar ErdogansVerbün-
deterRussland,der den Angriff aus der
Luft unterstützte.Washatten EU-Län-
der damit zu tun?
Zielmag gewesen sein, Europa in der
Idlib-Krise an die Seiteder Türkei zu
bringen. Oder sicherzustellen, dassder
Rest der nochimmer nichtvollständig
ausgezahlten sechs Milliarden Euroaus
dem Flüchtlingspakt endlichnachAnka-
ra fließen würde.Dochbeide Antworten
sind zu „diplomatisch“.Das amAbend
des 27.Februar umgesetzteSzenariowar
lange geplant.Eswurde schlicht der für
eineKrise vorgesehenePlan durchge-
führt. Jetzt wurde den in Migrationszen-
tren zurückgehaltenen Flüchtlingenge-
sagt, siekönntengehen. ImNu standen
überall in Istanbulweiße Busse bereit,
um Flüchtlingeandie zwei, dreiAuto-
stunden entfernte griechische Grenze zu
transportieren.Warumwurde dieser im
Krisenstabseit langemvorgehaltene
Planausgerechnetinder Nachtdes 27.
Februar umgesetzt? Dazu lassensich vier
Hauptgründeanführen. Sie habenweder
direkt nochindirekt etwasmit Europa zu
tun.
Erstens galt es, dievoraussichtlichhef-
tigenReaktionen der Gesellschaftauf
die bisher schwersten Verlust eder Türkei
auf syrischem Boden zu mindern; dieTa-
gesordnung zu ändern, um diePleite der
Syrien-Politikzuvertuschen.Vornun-
mehrneun Jahrengriff Erdoganinden
Bürgerkrieg in Syrien mit demVorsatz
ein,das Regime inDamaskus abzulösen.
Zuerst versorgten wir „gemäßigte“ Oppo-
sitionellemit Waffen, um das Land, mit
dem wir die längsteAußengrenze teilen,
ins Chaos zustürzen. Nichtgenug: Aufsy-
rischem Bodengründeten wir einevon
unserenSteuergeldern besoldetealterna-
tive Armee und schickten sie inden
KampfgegenAssads Soldaten.Vondem
Traum beseelt,das Freitagsgebetinder
Umayyaden-Moschee in Damaskuszu
verrichten,versuchteErdogan, dasNach-
barland zu untergraben. Dann aberge-
riet seine Syrien-Politik in Idlib, direkt
hinterder türkischen Grenze, aufgrund
des Bündnisses in Bedrängnis, das Assad
mit Russland geschlossen hatte. Die
jüngstenUmfragen in derTürkei zeigten,
dass 48,8 Prozentder Bevölkerunggegen
die Anwesenheit türkischerSoldaten in
Idlib eingestellt ist. Das Gegenteil befür-
worten nur 30,7 Prozent. Je mehr türki-
sche Soldaten in Idlibumkamen, umso
lauterwurde dieFrage: „Was haben wir
in Syrienverloren?“ Also wies dieRegie-
rung den Flüchtlingen dieTür, kaum
dass dieNachrichtvon dreiunddreißig
Gefallenen eingetroffen war, um den Pro-
test im eigenenLand einzudämmen.
Der zweiteGrund für die Öffnung der
Grenzenist darin zu suchen, dassdie
mehr als fünf Millionen Flüchtlinge, die
ins Landkamen,weil wir den Bürger-
krieg in Syrien schürten, in dertürki-
schen Gesellschaftinzwischen für erheb-
lichenUnmut sorgen. In den erstenJah-
renwaren die syrischen Kriegsflüchtlin-
ge durchwegfreundlich aufgenommen
worden. Als sich aberdurch die Wirt-
schaftskrisedas Auskommen vieler Men-
schenverringerte,wuchsen dieRessenti-
ments.Als billige Arbeitskräfte waren
die Flüchtlingezueiner alternativenRes-
sourceauf dem Arbeitsmarktgeworden.
Viele Einheimische, die ihreArbeitverlo-
ren, richteten ihre Wutauf die Migran-
ten. DerUnmut gegenüber den Migran-
tenspielte auch eineRolle bei denVerlus-
tender AKP bei denKommunalwahlen
in den Metropolen,wo die Wirtscha fts-
krise besondersspürbar ist.Erdogans
Vorstoß nachder Annullierung derverlo-
renen Istanbul-Wahl, alle nicht in der
Stadt registrierten Flüchtlingeindie Mi-
grationszentrenbringen zu lassen,kam
nichtvonungefähr.Allerdings nützte er
nicht viel.Weder hielten sich die Flücht-
lingeandie Orte,andenensie registriert
waren, nochgelang es Erdogan, Istanbul
zurückzugewinnen. So isteiner der Grün-
de für dieÖffnung der Grenzezu Europa
am 27.Februar,dass Erdogan angesichts
des zunehmenden Murrens in der Bevöl-
kerung keinen nochhöheren politischen
Prei szahlen will.
DerPalastkontrolliertmehr als neun-
zig Prozent der Medien in derTürkei, die-
se Macht nutzter, um diewahreAgenda
im Landzukaschieren. Dochdie Fern-
sehsenderkönnen nochsoviele Loblie-
derauf dieRegierung singen, die mit
staatlichen KreditenaufgekauftenZei-
tungen nochsorosarot gefärbteNach-
richtenbringen, dieRealität der Men-
schen aufder Stra ße ändernsie nicht.Ar-
beitslosigkeit und hohe Lebenshaltungs-
kosten krümmen den Menschen denRü-
cken. DieWintermonateinIstanbulwa-
rennicht milder als in denVorjahren,
dennochsank der Erdgasverbrauchin
sämtlichen Bezirkender Stadt aufgrund
der Preissteigerung um mehr als fünfzig
Prozent.Wer exorbitanteRechnungen
fürchtete, drehtedie Heizung herunter.
Jederfreut sich,wenn er die Sonne sieht,
die Menschen hierzulande aber umso
mehr.LassenSiemicheinweiterestragi-
komisches Beispielanführen. Mit der Ex-
plosion der Arbeitslosenzahlen in der
Türkei sprang„Gebetfür Arbeit“ unter
die Top-Suchanfragen bei Google. Die of-
fiziell bekanntgegebenen Arbeitslosen-
zahlenund die Suche nachdem Gebet
fürArbeitsteheninengemVerhältnis zu-
einander. Steigtdie Arbeitslosenrate,
steigt auchdas Rating des Arbeitsuchege-
bets! Einweiterer Grund für die Auffor-
derung „AbnachEuropa!“ an die Flücht-
ling eist auch, dieAuswirkungen der
Wirtschaftskrisezuverdrängen.
Damit sind die eigentlichen Gründe
fürden plötzlichenKurswechsel in Erdo-
gans Flüchtlingspolitik in dreiAbsätzege-
fasst. Si ealle laufenimviertenGrund zu-
sammen: die Zustimmung der Bevölke-
rung. 2011, als dieUmfrag ezudieserFra-
ge erstmals durchgeführtwurde, lag die
Zustimmungbei 71 Prozent.Jetzt, im Ja-
nuar sankdas Ergebnis auf einenTief-
punkt:Nur 41,9 Prozentstimmen dem
Staatspräsidenten in seiner Amtsfüh-
rung zu. Ein Blickauf dieStatistiken
zeigt,wann dieUnterstützung für Erdo-
gansteigt: Immerwenn er derWelt, ins-
besondereEuropa, Kontragibt und
wenn er im Inland zurPolitikderSpal-
tunggreift, steigt die Zustimmung für sei-
ne Amtsführung. Nun, da Erdogan seine
Wertehier auf einemTiefstand sieht,ver-
suchter, seineWählerstimmen zukonso-
lidieren, indem er sich mit Hilfeder
FlüchtlingeanEurop aräch t.
Doch, liebe Europäer,oder lassen Sie
michmit ErdogansWortenbeginnen:
„Ey Europäer!“ErwartenSie nunkeine
gewaltigeFlüchtlingswelle, auchwenn
Ankara aus dengenanntenGründen die
Pfor tengeöffnethat.Eshabensich
längst nicht so vieleMenschen auf den
Weggemacht, wie Sie befürchten. Geben
Sienichts auf dietäglichvon unserem In-
nenminister Soylubekanntgegebenen
Zahlen der Grenzübertritte, sie sind
ebensoübertrieben wie dieraschverkün-
detenZahlen ausgezählter Urnen an
Wahlabenden. Sämtlichen Motivations-
versuchen Ankaras zumTrotzhaben sich
in derTürkei, wo lautUNzurzeit5,7 Mil-
lionen Flüchtlingeund Migranten leben,
nureinigezehntausend Menschen an die
Grenze zu Griechenland aufgemacht.
Vondiesen wiederumsind nur vier Pro-
zent Syrer,also jene, die Erdogan für sei-
ne Erpressungbenutzt. Bei 91 Prozent
hingegen handelt es sichumMigranten
ausanderen Ländern,vor allemaus Af-
ghanistan undPakistan, die länger in der
Türkei leben.
Unddie restlichen fünf Prozent?Zu de-
nenkommen wirgleich.Zunächstzur
Frage:Warumsind die Millionen Syrer
in derTürkei nicht zu den Grenzübergän-
genund zumÄgäis-Ufergeströmt? Statis-
tikenineinem ArtikelvonProfessor Mu-
rat Erdoganvon der deutsch-türkischen
Universität in Istanbul belegen, wiestark
sichdie Syrer in den neun Jahren in der
Türkei integrierthaben. 1,5 Millionen
deroffiziell in derTürkeiregistrierten
3,5 Millionen Syrer sind nochkeineacht-
zehn Jahre alt. IhreSozialisationvollzog
sichinder Türkei. Neuankömmlingeaus
Syrien brachten hier 550 000 Babys zur
Welt, allein 2019warenes170 000.Über
600000 syrische Kindergehen hierzur
Schule undwerden aufTürkischunter-
richtet. Eine MillionSyrer arbeiten, 38
Prozentvonihnen inversicherungspflich-
tigenStellen. Möglicherweise hatten eini-
ge zunächstvor,nachEuropaweiterzu-
wandern. Doch das Gros der integrier-
tenSyrer hatweder vor, nachEuropa zu
gehen nochinihreHeimat zurückzukeh-
ren.
Undwer sinddie fünfProzent, die in
höherer Anzahl als die Syrer zur Grenze
eilten. Es sindTürken! Die Geschichten
einiger dieserTürken, dievonder grie-
chischenPolizei aufgegriffen und zurück-
geschickt wurden, mutensokomisch wie
tragischan. Z uden Zurückgeschickten
gehörtUgur Akcaaus Konya in Zentral-
anatolien,mit Verband amKopf sprach
er in dieKameras: „MeinVaterlebt in
Deutschland, erwarschon siebenJahre
lang nicht mehrhier.Ich vermisse ihn.
Ein Bruder istzur Ausbildung in Öster-
reich. Auch ichwillhin. Wo sichjetzt die
Gelegenheit ergab, wollteich mein
Glückversuchen.“ AkcasHoffnung,sei-
ne Angehörigen wiederzusehen, wurde
vonder griechischenPolizeigestoppt. Er
berichtet, er seiverprügelt und an die
Grenze zurückverfrachtet worden. Emir,
ein junger Mann aus Mardinganz im Os-
tender Türkei, hat einen punktgenauen
Reiseplan.Als er erklärt,seineFamilie
lebe in Deutschland,wirdergefragt,wo-
hin genauerdennwolle.Daraufhinweist
er sein Handyvor und sagt:„Sie haben
mir ihrenStandort über Whatsappgesen-
det!“
Ausdem Türkischen vonSabineAdatepe.
Der Schauspieler Jussie Smollett muss
sichnun dochvor Gerichtverantworten.
Zurzeit läuftinChicago einVerfahrenge-
genden Siebenunddreißigjährigen, der
mit der Serie „Empire“ bekanntwurde.
Smollett hattebehauptet, er sei in der
Nachtzum 29. Januar 2019 unweit seiner
Wohnung im schickenStreeterville-Be-
zirkinChicagovonzweiMännernüber-
fallen worden. Sie hätten ihngeschlagen,
mit rass istischen und homophoben Be-
schimpfungenüberzogen und ihm schließ-
licheine Schlingeumden Halsgelegt.
„Du bistdochdie Schwuchtel aus ,Em-
pire‘“, soll einer der Männergesagt ha-
ben. Smollett, der offenhomosexuell ist,
spielt in der Serie den schwulen Sohn ei-
nes alterndenRap-Impresarios, der mit
seinen beiden Brüdernumdas Thronerbe
konkurriert. Der Schauspielergabder Po-
lizei zu Protokoll, die Angreifer hättenge-
rufen„This is Maga-Country“–ein Ver-
weis auf denTrump-Slogan „MakeAmeri-
ca GreatAgain“ (Maga).
AmerikawarinhellerAufregung über
diese Nachricht. Prominentesprachen
Smollett Mut zu, Schauspieler,Politiker
und Aktivistenverurteilten denwider wär-
tigenAngriff.Aber gerade in der afroame-
rikanischen Community,woman mitras-
sistischenPöbeleien nur zuvertraut ist,
machtesichSkepsis breit.Warum, frag-
tenmanche,geht ein bekannter Schau-
spieler nachts um zwei beistrengen Mi-
nusgraden zuFußzueinem Sandwich-La-
den?Welcher schwulenfeindlicheRassist
würde einen Schauspieler aus einer Serie
über eine afroamerikanische Musiker-Dy-
nastie mit einem homosexuellen Sohn
überhaupterkennen?Undder Maga-Slo-
gan? Vielen klang dies allzu sehr nachei-
nem „Empire“-Drehbuch.
Smollett sagtezweiWochen später bei
einem hochemotionalenFernsehauftritt,
homosexuelle Menschen müssten lernen,
sichgegen solcheAttacken zurWehr zu
setzen. Unterdessen nahm die Polizei
zweiVerdächtigefest: Zwei Brüder,die
aus Nigeriastammen–und Geschäftsver-
bindungenmit Smollett pflegten. Einer ar-
beiteteoffenbar als seinFernseh-Double,
der andereals seinFitnesstrainer.
Dochdann schwenkten die Ermittlun-
genvon den Brüdernauf Smollett selbst
um. Er wirdbeschuldigt, dieAttacke
selbstinszeniertund die beiden Brüder
dafür bezahlt zu haben. In einer Presse-
konferenz sagt der sichtlichaufgebrachte
Chicagoer Polizeichef Eddie Johnson,
Smollett habe sich„den Schmerzund die
Wut desRassismus zunutzegemacht, um
seineKarrierezufördern.“
Amerika warfassungslos.Präsident Do-
naldTrumptweetete:„@JussieSmollett –
Wasist mit MAGA und den vielen Millio-
nen Menschen, die Sie mit ihrenrassisti-
schen undgefährlichenKommentaren be-
leid igthaben?“
Untiefentate nsichauf. BeiFoxNews
wurde beklagt, dassabermalsTrump-An-
hänger zuUnrechtals Rassistengebrand-
markt würden; man debattierte,inwie-
fern Geschichten überrass istischeÜber-
griffe überhauptzutrauen sei. Der Alb-
traum, den afroamerikanische Smollett-
Zweifler wie die JournalistinNana Efua
Mumfordvon der„WashingtonPost“skiz-
zierten, drohteRealität zuwerden. Falls
Smolletts Geschichtegelogen sei, schrieb
sie, könnten Opferrassi stischer oder sexu-
ell motivierterÜbergriffe nun mitVer-
weis auf Smollett mit Zweifeln überzogen
werden. Trump-Anhänger würden Smol-
lett als Beweis für dieVerschwörung ge-
gensie alsRassistenzitieren. Der Scha-
den für die betroffenen Gemeinden sei „ir-
reparabel“. Im„Atlantic“ machteder afro-
amerikanische Linguistikprofessor John
McWhorter ein mögliches Motiv aus: „Op-
fer-Schick“. Smollett, bemerkteMcWhor-
ter, entstamme einerFamilievonAktivis-
ten–aber andersals etwa seine Mutter,
die mit den BlackPanthersUmgang pfleg-
te,sei für Smolletts Generation der
Kampf„abstrakter undweniger drama-
tischals dereinst“. Es sei denn, man
macht sichzum Opfer diesesKampfes.
Die Opferrolle, so McWhorter, sei für dun-
kelhäutigeMenschen „eine Form der
Macht“.
Aber nochwährend Amerikaversuch-
te,sicheinenReim auf die Ereignisse zu
machen, entwickeltesichinChicago auf
einemNebenschauplatz einPolit-Krimi.
Die ermittelndeStaatsanwältin Kimberly
Foxx, eine Afroamerikanerin, tratwegen
Befangenheitvondem Fall zurück–noch
bevorSmollett insZentrum der Ermittlun-
genrückte. Kimberly Foxx hatteoffenbar,
vermittelt durch eine ehemaligeStabsche-
finvon Michelle Obama,Kontakt zurFa-
milie Smolletts aufgenommen,wo man
sichumdie öf fentliche Darstellung der Er-
mittlungen durch die Polizei sorgte.
Am 26. Märzvor einem Jahrfolgteeine
weitereÜberraschung:OhneweitereBe-
gründung wurde die Anklagegegen Smol-
lett fallengelassen. Sein polizeiliches Füh-
rungszeugnis sei „reingewaschen“, so die
Staatsanwaltschaft. Die Polizei blieb bei
ihrer Behauptung, dasserdenÜberfall
auf sichselbstinszeniert habe, und dieRe-
gierung des Bürgermeisters vonChicago
und ehemaligenStabschefsvon Barack
Obama,Rahm Emanuel,verklagteSmol-
lett auf 130 000 Dollar Schadenersatz für
verschwendete Polizei-Ressourcen.Stim-
men wurden laut, die auf dieweithin be-
kannteKorruption im Chicagoer Justizap-
paratverwiesen. Kaum jemand blickte
hier nochrichtig durch.
Im vergangenen Augustschließlich
ging das Spektakel in eine neueRunde.
Mit demvormaligen Bundesstaatsanwalt
DanWebb wurde ein Sonderstaatsanwalt
ernannt, der nun klären soll,washier ei-
gentlichpassiertist. Im Februar erging
abermals Anklagegegen Smollett.Weder
Polizeichef Johnson nochBürgermeister
Emanuel sind nochimAmt.
„Ichbin unschuldig“, sagteSmollett,
der sichnun, am 18. März, abermalsvor
Gerichtverantwortenmuss. „Wir müssen
hierWahrheit und Gerechtigkeitwalten
lassen.“ Der Schaden, der mit dieserPos-
se angerichtet worden ist, lässt sichje-
dochlängstnicht mehrreparieren.
Herkunft, so beschreibt e sder diesjäh-
rige Träger des Deutschen Buchprei-
ses SašaStanišic, istder „ersteZufall
unsererBiographie“. Zum ersten Zu-
fall kommenweitere.Fürmanche hei-
ßen sie Krieg undVertreibung. An-
fang der neunzigerJahrekamen viele
Bürgerkriegsflüchtlingeaus dem„Viel-
völker staat“ Jugoslawien nach
Deutschland.Während ein Autorwie
Stanisic, im multikulturellenVišegrad
an der Drinageboren, sichinBüchern
mit demVerlustund der Erinnerung,
mit nationalistischund separatistisch
scharfgemachtem Fremdbild und bil-
dungsgeprägtem Selbstbild vielfach
auseinandergesetzt hat, sieht man das
Thema imFernsehen eher seltenbe-
spielt. Der „Kroatien-Krimi“ vertraut
alsTV-Reiserückkehrer mehrauf den
Tourismusprospekt.2015 verfilmte
NikiStein für das ZDF mit „Das Dorf
der Mörder“ einen Spannungsroman
vonElisabeth Herrmann, der die aus
Vukovar, Kroatien,stammendePoli-
zistin Sanela Beara,gespieltvonAli-
na Levshin, in den Mittelpunktstellte.
Sanela Bearaist auchdie Haupt-
figur in der zweiten Elisabeth-Herr-
mann-Verfilmung eines Jugoslawien-
Stoffes, „Der Schneegänger“ (Arte/
ZDF), der zwar in der Gegenwart
spielt, aber in Schlüsselszenen-Rück-
blenden selbstfiktionaleFernsehbli-
ckeauf ein Massaker inVukovarzeigt.
Ob es sichumdas Massaker handeln
soll, bei dem paramilitärische serbi-
scheFreischärler 1991 mehrerehun-
dertPatienten eines Krankenhauses
entführten, um sie aufeiner Schweine-
farm in kleinen Gruppen hinzurich-
tenund im Massengrab zuverschar-
ren, sei dahingestellt.Vor dem Inter-
nationalenKriegsverbrechertribunal
in Den Haag angeklagt, wurde Miro-
slavRadićam Ende freigesprochen,
andereerhieltenvergleichsweise mil-
de Strafen. Sühne siehtandersaus.
Hier sieht man nunFrauen und Kin-
der,darunter die fünfjährigeSanela,
die vonder Mutter in die hinterste Rei-
he der Bedrohtengeschoben wird. Als
ein soldatischgekleideter Mannsie
daraufhin auffordertvorzutreten,
flieht das Kind.Man hörteinen
Schuss, das Kind duckt sich,dann
hörtman Gewehrsalven. Einer der
Henkerfindetdas Kind, sieht esan,
verschont es und hastetwortloswei-
ter. So aufmerksam die Bildgestaltung
vonChristian Pirjol ihreSache hier zu-
meistmacht :Das is tmindestens nah
am verharmlosenden Kriegskitsch.
Die Szene soll der eigentlichen Krimi-
handlung nicht die dramaturgische
Schaustehlen, schon klar.Aber sie
wirktnicht bedrohlicher als der Box-
kampfzwischender jungenPolizistin
und ihrer Sparringspartnerin im Berli-
ner Boxclub desVaters (Ralph Her-
forth).
Dies vorausgeschickt, überzeugt
Nadja Bobyleva, die dieRolle der Sa-
nelavonLevshin übernommenhat,
sehr.ImGegensatz zu Max Riemelt
als Kriminalkollege Lutz Gehring,
auchwenn ihm dasvonJosefRusnak
(auchRegie) mit Elisabeth Herrmann
verfassteBuch immerhin ein Tinder-
dateund eineTrennungsgeschichte
mitgibt.Die Rolle hatkaum mehr als
Anspielpartnerpotential. Auchder su-
perreiche GünterReinartz (Bernhard
Schir), in dessen Berliner Riesenvilla
vorzweiJahren der elfjährige Darijo
(Talin Bartholomäus) verschwand,
Sohn der PutzfrauLida Tudor (Edita
Malovcic), der zuvor nocheinenNot-
rufauf Kroatischabgesetzt hatte,
bleibt alsFigur blass. So auchLida,
die kurz nach Darijos Verschwinden
Frau Reinartz wurde. „Der Schneegän-
ger“ beginnt mit einerRückblende.
Mit seinemVater, demWildhüter Dar-
ko Tudor (Stipe Erceg), istDarijoim
winterlichen Grunewald auf der
Pirschnach einer krankenWölfin, die
beidezuvor an denUmgang mit Men-
schengewöhnt hatten. Darko will sie
töten, „damit das Schwache dem Star-
kenPlatz macht“, wie es dieNatur
wolle. IhrZutrauen istihr Verderben.
Hier trapstnicht dieNachtigall,son-
dernesschleicht durch den gesamten
Krimifilm derWolf mit dem bekann-
tenHintergedanken, dass„der
Mensch dem Menschen einWolf sei“.
Darijojedenfalls wirdzweiJahre
danach–zeitlichbewegenwir unsvor
und zurück–im Wald verscharrt ge-
funden,vor seinemTodgrausam miss-
handelt.Darkogerät inVerdacht und
in Untersuchungshaft. Die Reichen
verschanzen sich in Luxusinternaten
(Reinartz’ eigene narzisstische Kin-
der) oder hinter Anwälten. Die kroati-
sche Gemeinde Berlins, die sichjeden
Sonntaganscheinend vollzählig in
der katholischen Kirchetrifft, weiß
mehr als die ahnungslosePolizei, die
mangels moralischerAbgrunderfah-
rung Dienst nachBefragungsvor-
schriftschiebt.Die Auflösung des
Falls is twenig überraschend. Ob esge-
schmackssicher ist, den Jugoslawien-
krieg mit entsprechendenRückblen-
den solcherartindie Spannungsdar-
stellung einzuwursten, bleibt fraglich.
Nadja Bobylevajedenfallsist der einzi-
ge Grund, an diesem Fernsehfilm
dranzubleiben. HEIKEHUPERTZ
Der Schneegänger,20.15 Uhr,Arte.
BRIEF
AUS
ISTANBUL
InszenierteersichalsOpfer?JussieSmollettimGerichtdesBezirksCookCountyimMärz2018. Fotodpa
Schönist es inZeiten schwindendenVer-
trauens in die Institutionen,wenn derStaat
dem Bürger greifbar Gutestun kann –etwa
ihm beibringen, wieman sichdie Hände
wäscht, oder aber ihm dasWetter vorhersa-
gen. Letzteres leistet ebisher die„Warnwet-
ter“-App desDeutschenWetterdienstes
(DWD),eine Bundesoberbehörde in Offen-
bach. Damit istnun jedochSchluss, denn
der Bundesgerichtshof hat denstaatlichen
Gratiswetterbericht am Donnerstag unter-
sagt. Geklagt hattedas UnternehmenWet-
ter-Online, dennesstellt sic h–andersals
der DWD–ohneSteuer geld in denrauen
Wind derPrivatwirtschaft,umden Men-
schen Sonnenschein oderRegenzuprog-
nostizieren. Die App ist, wie viele dieser
Angebote, in derStandardversionkosten-
los,aber mitWerbunggespickt–gegen
Geld(99 Centim Monat)auchohne.Wet-
ter-Onlineargumentiert, dasDWD-Gesetz
erlaube demstaatlichen Dienstkostenlose
amtliche Wetter warnungen,nicht aber
Wetterprognosen.Durch dasSteuergeld
würdenander eAnbieter benachteiligt.Die
Regeln desDWD-Gesetzes würden daher
auch den Marktregeln undschützen,das
Verhaltender Behörde seialsowettbe-
werbswidrig.
Dieses Argument,eshandelesich letzt-
lichumunlautereKonkurrenz, warexisten-
tiell–dennwenn derDWD nurseinen
Dienstauftrag überschreitet,ohnedabei
Wettbewerbsregeln zuverletzen, hätteWet-
ter-Onlinevordem falsche nGerichtge-
klagt.Sohatteesdas Berufungsgerichttat-
sächli ch gesehe nund wollte den Streit an
dasVerwaltungsgerichtverweisen. Doch
die Karlsruher Richterfolgten dieser Sicht-
weisenicht :Wer dengesetzlichenAuftrag
überschreite, müssesichandie Regeln fai-
renWettbewerbshalten. DerDWD dürfe
seineDienstleistungen „nurunter Marktbe-
dingungen“ erbringen,müsse also Geldver-
langen oderWerbung ausspielen(Az.: IZR
126/18).Der Gesetzgeberhat te erst im Jahr
2017 die Daten desDWD fürandere geöff-
net. Bundesverkehrsminister Alexander
Dobrindt (CSU) hattedamals das Gratisan-
gebotausweiten wollen,stießaberauchbei
Unionspolitikernauf Widerstand. Den-
noch sollen Bund,Länder undGemeinden
vonfreien Wetterd aten profitierenkönnen,
also vonMessnetzdaten,Radarbildern,Vor-
hersagen und Klimazeitreihen.Auch die
Befugnisse fürWetterwarnungen wurden
erweiter t. Am Donnerstag versicherte der
DWDüber Twitter,dassdas KarlsruherUr-
teil keine Auswir kungen aufWarnungen
im Bereichvon Katastrophen-, Bevölke-
rungs-und Umweltschutzhabe.Über das
kommendeWetter informiertdie Behörde
künftig abernur gege nGeld. hw.
Werwill, der geht
Angriff auf das eigene Leben
Schauspieler Jussie Smollettsteht erneutvorGericht /VonNinaRehfeld,Phoenix
Der monatliche Rundfunkbeitrag in
Deutschland sollvon17,50 Euroauf 18,
Eurosteigen. Die Ministerpräsidenten
fasstenamDonnerstag einen entsprechen-
den Beschlusszueinem Entwurf, wie die
Staatskanzlei Rheinland-Pfalz mitteilte.
Als einziges Bundesland enthielt sichdem-
nachSachsen-Anhalt.Nun sollenalleLän-
derparlamentezunächstvorunterrichtet
werden, dannkönnten die Länderchefs
im Juni dasVertragswerkunterzeichnen.
Später müssten die Landtagenoch zustim-
men, damit das Ganze dann zum Jahr
2021 in Krafttret en kann. dpa/F.A.Z.
RecepTayyipErdogan
öffnetdie Pf orten, und
nunflüchtenfastmehr
Türken als Syrer. All
das folgt seinem Plan
fürden Krise nfall.
VonBülent Mumay
Wald
undGewalt
In „Der Schneegänger“
geht ein Kindverloren
DWD-Appstört
Wettbewerb
Beit ragserhö hung
beschlossene Sache?