Frankfurter Allgemeine Zeitung - 13.03.2020

(avery) #1

B


auland für preiswerte Wohnun-
genist in Deutschland ein knap-
pes Gut.Dochwer die Woh-
nungsnotnachhaltig bekämpfen
will, musssichdiesem Themastellen.
„Deshalb isteskurzfristig enormwichtig,
dassStädteund Gemeinden so schnell
wie möglichmehr Bauland aktivieren“,
sagt der Präsident des Immobilienverban-
des GdW,AxelGedaschko. Mittel- und
längerfristig sei eine zielgerichteteBoden-
bevorratung notwendig. DieKommunen
müssten sichdie Möglichkeit erhalten,
selbstüber das Bild ihrerStadt und ihren
Wohnungsmarkt mitzubestimmen.
Um das erfolgreichmachen zukönnen,
setzt Ulm in Baden-Württembergseit
über 125 Jahren auf einevorausschauende
Bodenpolitik.Die ehemaligeReichsstadt
an der Donaukauftgezielt Flächen auf.
Oftauf Jahrzehnte im Voraus. Bebauungs-
pläne zur SchaffungvonBaurecht sowohl
für Gewerbe als auchfürsWohnenwer-
den erst danngeschaffen, wenn dieKom-
mune im Eigentum allerFlächen ist, wie
UlrichSoldnervomLiegenschaftsamt er-
läutert. „Selbstverständlichwirddazu
auchinAbschnittenvorgegangen.“Um
Spekulanten einen Riegelvorzuschieben,
setzt dieKommune auf einWiederkaufs-
rech t. Wassichkompliziertanhört, istei-
gentlichganz einfach. Dieswerdegesi-
chertdurch die Auflassungsvormerkung
im Grundbuch.„Dies hat zurFolge, dass
die Fläche bei einerweiteren notariellen
Verfügung nur zurückandie Stadt Ulmge-
hen kann, und zwar zu dem Preis, wie sie
gekauftwurde, ohne jegliche Zuschläge.“
Dieses Sicherungsinstrument dient
nachden Worten vonSoldner auchdazu,
innerhalb einer bestimmten Fristvon
zwei bis drei Jahren die Errichtung des
Gebäudes zu dem Zweck, wie er imVer-
trag vereinbartwar,sicherzustellen.
„Wirdnicht gebaut,geht das Grundstück
an dieStadt zurück.“
DieKommune habe im Durchschnitt
rund 16 Millionen Euroinden vergange-
nen Jahrenfür den Grundstückskauf aus-
gegeben.Sie besitzt über4500 Hektar Flä-
che, die aberteilweise auchimUmland
liegt.Zum Vergleich: DasStadtgebietum-
fasstinsgesamtrund 11800 HektarFlä-
che. Die Flächenwerden aber nichtgehor-
tet, sondernkommenregelmäßigauf den
Markt.Imlangjährigen Mittel seien dies
jährlichetwa80Grundstücke für die Be-
bauung mit Einfamilienhäusern, Doppel-

häusern,Reihenhäusern,Kettenhäusern,
aber auchetwafünf Grundstücke für den
Geschosswohnungsbau. „Durchdie Aus-
weisungvondreigroßen Gebieten, die
ausschließlich im Geschosswohnungsbau
künftig eWohnungsnutzung vorsehen,
wirdder Anteil der Geschosswohnungen
in denkommenden Jahrendeutlicher-
höht“, erläutertSoldner.Die Flächenwer-
den sowohl an diestadteigeneWohnungs-
und Siedlungsgesellschaftverkauftals
auchanGenossenschaften.Aber auchan
Bauträger mit der Auflage, mindestens ein
Drittel derWohnungen als preisgünstigen
Wohnraum zu erstellen.
Um mehr preisgünstigeWohnungen in
Ulm anbieten zukönnen, soll nachdem
Willen des Gemeinderats der Anteil der
Wohnungen imkommunalen odergenos-
senschaftlichen Besitz vonjetzt etwa
11 000Wohnungenum3000 Wohnungen
in denkommenden zehnJahrengesteigert
werden. Ein Drittel des Mietwohnungsbe-
standsinUlm sei somit bereits heuteim
Besitz derkommunalenWohnungsgesell-
schaftund der mit ihr zusammenarbeiten-
den Wohnungsgenossenschaften, sagt
Soldner.

„Bodenpolitik für jedermann“

„Eine erfolgreiche Bodenpolitik stellt
Bauland für jedermann zurVerfügung“,
sagtKaiWarnecke,der Präsident des Ei-
gentümerverbandes Haus und Grund.
Aber erweistauf mögliche Probleme hin.
Bodenpolitik werdeallzu oftzueiner
missglückten Bodenvorratspolitik.War-
necke nenntfolgendes Beispiel: Berlin
habe über 170 Grundstücke an die sechs
kommunalenWohnungskonzerneweiter-
gereicht .Die kommunalen Gesellschaf-
tenkämen nicht hinterher,diese Grund-
stückemit Wohnungen zu bebauen.„An-
dereBauherrenkommen nicht zumZug.
Kommunen sind Spekulanten,wenn sie
in einem angespanntenWohnungsmarkt
eine Grundstücksreserve anlegen und sie

nicht bebauen“, kritisierter. Das Anlie-
gen, vorhandenes Bauland zu aktivieren,
sei richtig. BevorKommunen in die Flä-
chewachsen, sollten sie ihren Innenbe-
reichbesser ausnutzen.
Jedoch: DasVorgehenvonTübingens
OberbürgermeisterBoris Palmer (Grüne)
istaus WarneckesSicht ein Schlag ins Ge-
sicht der Grundstückeigentümer.Er
drängt Grundstücksbesitzer in derUniver-
sitätsstadt zum Bauen und will damit die
fast vergessenen Para graphen 175 und
176 aus dem Baugesetzbuch anwenden,
um Baulückenzuschließen. Dabei sieht
er sichimEinklang mit dem Grundge-
setz. „Eigentum verpflicht et.Wir erin-
nerndie Eigentümer leerer Grundstücke
jetzt an diesen Artikel aus dem Grundge-
setz. Leerstand vonWohnungsbaugrund-
stücken istsozial angesichts vonWoh-
nungsnotnicht mehr hinnehmbar“, lässt
Palmer auf Anfrageausrichten. Bereits
im vergangenen Jahr sind laut einer Spre-
cherin rund 240 Grundstücke identifi-
ziertworden, für die ein BaugebotinBe-
trachtkommenkönnte. Die Eigentümer
wurden angeschrieben. Ziel sei es, einver-
nehmlicheine rasche Bebauung zu errei-
chen.Knapp ein Drittelder angeschriebe-
nen Eigentümer will den Angaben zufol-
ge bauen oderverkaufen.Rund ein Drit-
telhabe die Bebauung abgelehnt.Das letz-
te Drittel seien zusammengenommen die-
jenigen, die um mehr Bedenkzeitgebeten
oder nochnicht geantwortethätten. Erste
Bauanträgeseien eingegangen, aber bis-
her habe nochkein Bau begonnen. Die
ersteFertigstellung werdefrühestens
2021 sein.
Die SprecherinvonTübingen betont:
„Der Erlasseines Baugebots und die Ein-
leitung eines Enteignungsverfahrens
braucht in jedem Einzelfall dieZustim-
mung des Gemeinderats. DieStadtverwal-
tunggeht davonaus, dassdie Gebote be-
acht et werden. Enteignungen sind nicht
vorgesehen.“
Der PräsidentvonHaus und Grund,
KaiWarnecke,kritisiertdas Vorgehen

vonPalmer.Erdrohe mit Bauzwang und
Enteignung,nochbevorerüberhauptdie
Kooperation mit den Eigentümernsuche.
Fürden DeutschenStädtetag, dieVereini-
gungvon3400 Städten und Gemeinden,
istdas Baugeboteine vonvielen Maßnah-
men, mit den dieKommunenversuchen
können, mehr bezahlbareWohnungen zu
bekommen. Der Präsident des Deutschen
Städtetags, BurkhardJung (SPD), der zu-
gleichOberbürgermeistervon Leipzig ist,
meint: „Städte können mit diesem Instru-
ment Eigentümervonbaureifen Grund-
stücken zum Bauen bewegen. Die Anord-
nung eines Baugebotskann auchdazu bei-
tragen, mit derStadt über einenVerkauf
des Grundstücks ins Gesprächzukom-
men.“

Baugebotwirklicherforderlich?

Bisher müssten dieStädte allerdingsvor
Anordnung des Baugebots bei jedem ein-
zelnen Grundstück prüfen, ob die Bebau-

ung ausstädtebaulichen Gründen erfor-
derlichsei. Es wäre ein großer Fort-
schritt,wenn Städte Baugebote für ein be-
stimmtes Gebietfestlegenkönnten, in
demWohnraummangel bestehe. Dafür
müsse der Bund im Baugesetzbuchdie
Voraussetzungen schaffen.
Durch einegeschickte Baulandpolitik
lässt sichsicherlichauch auf diePreis-
entwicklung der Flächen Einflussneh-
men. DerAbteilungsleiter des Liegen-
schaftsamtes in Ulm, Soldner,erklärt:
„Aufgrund derUlmerBodenpolitik,die
ja zurFolgehat,dassalle Grundstücke
in Neubaugebietenvon derStadt kom-
men und der Gemeinderat dieVerkaufs-
preisebeschließt, habensichdie Bau-
landpreiseinden vergangenen 15 Jah-
renzwarvertraglichnachoben entwi-
ckelt.Dochdie Steigerungsraten sind
niedriger alsinvergleichbarenStädten
in Süddeutschlandmit ähnlicherWirt-
schaftskraftund mit ähnlichem Sied-
lungsdruck.“

D


er schwarze Montag mit dem
heftigen Kurssturzanden
Börsen dieserWelt hat eine
vermeintliche Gewissheit erschüttert:
Derdeutsche Immobilienmarkt istkei-
neswegs der sichereHafen, in den die
internationalen Investoren streben,
wenn Krisenaller Artausbrechen. Je-
denfalls haben auchdie Aktienkurse
deutscher Immobilienunternehmen
gelitten. Hattenwir nichtvorkurzem
nochvernommen,gewohnt werdeim-

mer,weshalbWohnungskonzerne be-
sonderskrisenfestseien?Auch das
scheint in denZeiten des Coronavirus
so nicht mehr zugelten. Der Blickauf
China zeigt deutlich, dassein Virus
mit mehrmonatigerWirtschaftskrise
die Immobilienbranche heftig belas-
tet: Dortist der Wohnungsmarkt zu-
mindestvorübergehend zusammenge-
brochen, und am Büromarkt sieht es
nicht viel besser aus: Die Preise sind
so starkgefallen, dasschinesischeIm-
mobilienunternehmen schon zu Bi-
lanztricks greifen, um denZusammen-
bruc hhinauszuzögern. Deutsche Im-
mobilienkonzerne sollten sichjeden-
falls nicht zu sicher fühlen, dasssie in
dieser Krisevoneinem Preisrutsch
verschont bleiben–zumalgerade auf
demWohnungsmarkt nachzehnjähri-
gemBoom die Preise in so mancher
Stadtüberhöht sein dürften. Auch gro-
ße VermieterkönntendainMitleiden-
schaftgeraten: Ihr Konzernwert
speistsichnicht nurvonden Mieten,
sondernauchvon denWohnungswer-
ten.

Warum fällt es der Logistikbranche vor
allem in den Großstädten immer schwe-
rer, an Flächen für ihre Immobilien zu
gelangen?
In einemWort:Flächenmangel. Dasglei-
cheLied also wie beiWohnen oder Büro.
Entscheidend ist, wie dieses Problemge-
löstwerdenkann. Ausmeiner Sicht liegt
die Zukunftinurbanen Campuslösungen.
Gerade für InnenstädtebietensichMisch-
nutzungen mit integriertenLogistikflä-
chen an. Ein gutes Beispiel dafür istdas
Viehhofgelände mit der angrenzenden
Großmarkthalle in München. Hier istein
gemischtgenutztes urbanesViertelmit
Gewerbeflächen und Wohnungen ge-
plant.Die neue Großmarkthalle soll in ei-
nem Sockelbaustattfinden, so dassauf ei-
ner zweiten Ebene öffentlicheFreiflä-
chen und Büros entstehen.Wenn die Äm-
terderartigeBeimischungenvonLogistik
in den Planungsverfahren positiv berück-
sichtigen würden, wäre dies auchein
wichtiges Signal an Projektentwickler.

Haben Sie Verständnis für Kommunal-
politiker,die den begrenzten Grund und
Boden lieber für Wohnungen und Büros,
also viele gut bezahlte Arbeitsplätze, ver-
wenden wollen?
Natürlichbenötigen wir auchWohnraum
und Büros. Das Problem dabei istaber,
dasssodie Versorgung der vielen Men-
schen in den urbanen Zentren immer
schwerer wird. Die Logistik istdas Rück-
gratunsererStädte, ohne siestünden die
Supermarktregale leer und dieFabriken
still. Deswegen isteswichtig, dassdie Ent-
scheider in unseren Großstädten Logistik

einengrößeren Stellenwert beimessen.
Das alleinreicht jedochnicht .Denn für
ein funktionierendes Logistiknetzwerk
werden auchumfassende Flächen imUm-
land benötigt.Nicht immer istLogistik
dortjedochwillkommen. Denn Logistik
bringt ungewollten Lastwagen-Verkehr,
aber dafür nurwenig –und auchoft nicht
besondersgut bezahlte–Arbeitsplätze.
Vorallem im süddeutschenRaum, wo es
vielen Gemeinden wirtschaftlich sehr gut
geht, isteine Abwehrhaltung zu beobach-
ten. Individuelle Kirchturmlösungen ein-
zelner Gemeinden können deswegen
nicht zum Ziel führen.Waswir brauchen
sind gemeindeübergreifende, interkom-
munaleStandortlösungen, bei denen die
verschiedenen Interessen zusammenge-
brachtwerden.

Sinddie Versprechungen des Internet-
handels, Waren möglichst am selben
Tag bis an die Haustür zu liefern, sinn-
vollundrealistisch?
AusImmobiliensicht istdas einegroße
Herausforderung, denn je mehr Produkte
am selbenTaglieferbar sein sollen, desto
mehr der knappen urbanen Logistikflä-
chen werden benötigt, um dieWarenvor-
rätig zu halten. Hierkommen wir also wie-
der zu der bereits angesprochenen Inte-
grationvonLogistikflächen bei der Pla-
nung eines urbanen Campus.Wirklich
wichtigwäre es aber,den aus dem On-
line-Handel entstehenden Lieferverkehr
einzudämmen, der unsereStädtezuver-
stopfen droht.Beispielsweise müssten
Verbraucherstärkeranden Kosten fürRe-
touren beteiligt werden, damit diese in ih-
reraktuell immensen Anzahl zurückge-

hen. Auch eine „White-Label-Lösung“
der Kurier-und Paketdienstleister, also
das gemeinsameNutzen einesAusliefe-
rungsnetzes,könntedas Verkehrsaufkom-
men deutlich reduzieren:Anstatt dassbei-
spielsweise drei zu jeweils einem Drittel
beladeneFahrzeugevon verschiedenen
Unternehmen eineStraße beliefern,könn-
te ein voll beladenesFahrzeugvollkom-
men ausreichen. Eine solche Lösung deu-
tetsichjedochinkeinerWeise an.Wirha-
ben schlicht und ergreifendkeinerlei Stan-
dards für die Last-Mile-Logistik in unse-
renStädten–soviele Pilotprojektees
auchgeben mag.

Gibt es auch Logistikunternehmen, die
vom Flächenmangel profitieren?
Natürlich, die gibt es.Werbereits attrakti-
ve Standorte mit etablierterInfrastruktur
hat oderwemestrotz Flächenmangelge-
lingt, sichguteFlächen zu sichern, der
kann bei seinen jeweiligenKunden natür-
lichpunkten. Das gilt beispielsweise für
DHL, Hermes und Amazon. Amazon hat
bereits früh begonnen, einNetzwerkan
LogistikimmobilieninDeutschlandaufzu-
bauen. Deswegen istdie Marktführer-
schaftdes Unternehmens im Online-Han-
del fast unangreifbargeworden. Ein mög-
licherKonkurrent wie derchinesische On-
line-Händler Alibaba hat praktischkeine
Chance, einvergleichbaresNetzwerkneu
zusammenzustellen. Denkbar isteigent-
lichnur die Möglichkeit derÜbernahme
einer bestehenden Plattform, beispiels-
weise voneinemKurier-und Paketdienst-
leister.

Die FragenstellteMichael Psotta.

Corona-Lasten


VonMichael Psotta

VIERFRAGEN AN:Kuno Neumeier,Logivest


Bodenpolitikvonlanger Hand:Ulm –imZentrum das Münstermit demhöchstenKirchturmder Welt –kauftGrundstüc ke auf Vorrat. FotoManfred Grohe

Energieverbrauch /-bedarf

Baujahr
Energiebe darfsausweis

Zi mmeranzahl
Energieverbrauchsausweis

Wohnfläche
Energieeffizienzklasse

Grundstück
hauptsächl. Energietr äger

Preis

Die Donaustadt Ulm


kauftGrundstücke auf,


um sie für den Bauvon


günstigenWohnungen


einzusetzen–im


Gegensatz zuTübingen,


das Eigentümer leerer


Flächen zum Bauen


zwingen will.


VonOliver Schmale,


Stuttgart


Die teurenFolgen der
Leistungsabnahme.SeiteI3

Bodenpolitik gegenSpekulation mit Bauland


„VieleS tädtesindinAbwehrhaltung“


Über den Mangel an Logistikflächen und dieKonkurrenz zu Büros undWohnungen


NR.62·SEITEI1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Immobilien FREITAG,13. MÄRZ 2020
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