Frankfurter Allgemeine Zeitung - 21.02.2020

(ff) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Medien FREITAG,21. FEBRUAR2020·NR.44·SEITE 13


J


örgThadeusz hat in ein Eckcafé
am Kurfürstendamm geladen.
„Kein Hipster-Quatsch.“ Rührei,
Kaffee, Fruchtjoghurt,Kaffee, Sa-
lat, Kaffee. DerTalkmasterhat Präsenz
und Statur eines Herzchirurgen, Prägung
Chefarzt, aber in nahbar.Die er stehalbe
Stunde löstsichinGeplauder auf wie
eineBrause tablette.Themasindder „wie-
dermal sehr erregte“ UlfPoschardt,vega-
ne Schalker,Antiamerikanismus und
mangelnde Bewegungsintelligenz beim
Boxen: „So ein kleinerKettenraucher hat
mir malrichtig aufs Maulgehauen.“


Herr Thadeusz, mit welcherFrage dür-
fen Ihre Interviews niemals beginnen?
Das sindFragen, die manvorher hätte
wissenkönnen.Aufder Ebene:„Wie alt
sind Sie?“ Es gibt diesen legendärenAus-
schnitt aus der hr-SendungFrankfurter
Stammtischinden sechziger Jahren: Da
sitzen vier alteHerren, die natürlichvon
einerFrauinSchürzemitWeißweinschop-
pen bedientwerden –und mittendrin
sitzt Alfred Hitchcock. Einer fragt in
etwa :„Ichweiß nicht ob ichirre, Herr
Hitchcock, aber man sagt, Sie hätten
schon einenvondiesen Oscarsgewon-
nen.“ Soetwasist das Ende.

Wie geht es besser?
Da mussich oftlangedarüber nachden-
ken. Ic hhabe mal eine berühmteSchau-
spielerin befragt. Dawarendie er sten
zehn Minuten verschenkt.Die dachte:
DenTypen hiervomDDR-Fernsehenwer-
de ic hjetzt schnell mal abfrühstücken.
Dannglaubte sie mir aber irgendwann,
dassich michfür sie interessiereund das
Gesprächauchvorbereitet hatte. Davor
hatteich f astjede ihrer Antwortenmit-
sprechenkönnen.

Welche Gespräche bewegen Sie, nach
welchen arbeitet es hinterherinIhnen?
Ichhabe neulichmit HerbertGrönemey-
er gesprochen. Daswartoll. Ic hdachte
nicht, dassesnochDingegibt, die ich
nichtzumindestingrobenZügenüberihn
weiß. Ir rtum! Ichwusstesehr viel nicht.
Wusstenicht, wasder Mann für eine Ge-
sprächsatmosphärezuzulassen bereit ist.
Wusste auchnicht,wie es ist, sichmitihm
Herbert-Grönemeyer-Songs anzuhören.
Dabei istesdann keine besondersraffi-
nierte Frage,ihnzu fragen,warumerwei-
tergemacht hat, obwohl drei Albenge-
flopptsind und die Leuteihm gesagt ha-
ben: So singt man nicht, HerrGrönemey-
er.Trotzdem istdie Antwortinteressant,
weil sie so zentral istund dieFragebe-
rührt: Warummacht man das?

Wie nah darf man seinen Gesprächspart-
nern kommen?
Jemandem, der einem aus seinem Leben
erzählt,ambestensonah,wieesgeht.An-
dersals jemandem, den man zu politi-
schen Sachverhalten befragt.Untermei-
nen Gästendes vergangenen Jahresge-
hörtSahraWagenknechtvermutlichzu
denjenigen,zu denenichdiegrößtepoliti-
sche Distanz zu überwinden hatte.Trotz-
dem fühlteich michinden dreißig Minu-
ten, in denen ichmit ihr imStudio geses-
sen habe, sehr nah. In SachenNähe ist
theoretischalles möglich. Theoretisch
könnten Sie sichvor Iris Berben setzen
und sagen,Frau Berben, ichfinde sSe so
hinreißend, ichmöcht eSie küssen.

Darf man den Leuten sagen:Ichbin ein
Fan?
Natürlich.

Manche Interviews kommen ja mit Ge-
sprächsauflagen...
Ja, aber solche Leutebrauchen mich
nicht, und ichbrauche die nicht.

Wie legen Sie sich die Leute in den ersten
Gesprächsminutenzurecht?
Oh,daswäreschwierig,wennichdassose-
hen würde. Meine Gäste sind ja meistres-
pektableEr wachsene.Ichversu chemitde-
nen eine Artvon gemeinsamerZeit zu ge-
stalten,einerichtigeUnterhaltung.Besten-
falls zeigen dieGäste einen Teil ihrer ech-
tenPersönlichkeit, indem sie sich auf re-
gen, traurig, albern, übermütig odernach-
denklich werden. Krank machtmichdie-
ses Eingesper rtseininFormelhaftigkeit.

Was genau macht Sie krank?
Das giltgenerell, aber nehmen wir politi-
sche Interviews.Politik istoft deshalb
kein attraktives Thema,weil die entspre-
chenden Interviews auf eine bestimmte
Artgeführtwerden. Es istnicht gut,wenn
man so tut, alskönnteman übergewisse
Dingenur in Abstraktionen, in Substanti-
vierungen sprechen.Keiner vonden gan-
zen Wichtigtuernhat mir je erklärenkön-
nen, warumwir in solchen Momenten
vonThematikstatt vonThema,vonPro-
blematikstatt vonProblem reden. Aber
ichüberführesojemanden dann nicht.
Dann müssteich ja alles besser wissen als

er.Deshalb legeich mir auchniemanden
zurecht.Ich mussmir im jeweiligen Mo-
ment überlegen, wie wir zurechtkommen.

Müssen Sie eigentlich diese verführeri-
sche Kunst beherrschen, aus dem Stand
zu allem eine Meinungzuproduzieren?
Nee, ic harbeite in die entgegengesetzte
Richtung. Es istfür michimmer öfterbe-
freiend, zu sagen:„Weiß ic hnicht“, „kann
ichnicht einschätzen“. Mein Geschäftist
auchnicht die Meinung, sondernkom-
plett unterschiedlichen Leuten zu entlo-
cken, warumsie sic himLeben wie ent-
schieden haben. Meinung hilftGesprä-
chen,wieichsieführe,nicht.

Aber wenn ich Ihnen im Gespräch mit ir-
gendeiner Reptiloiden-Verschwörung
komme, halbseidenes esoterisches Wis-
sen verbreite oder sonstwie aus der Rol-
le falle, dann steigen Sie ja zumindest
mal auf die Bremse.
Aufdie Bremsesteigeich,wenn ic hmer-
ke,dassdie Leutevergessen, dasswir uns
ineinemöffentlichenGesprächbefinden.
Ein Schauspielergabinmeiner Sendung
mal plötzlich bekannt, dassund weshalb
er sic hvon seinerFrau scheiden lässt.Da
dacht eich kurz,ohGott, habe ichdas
überlesen?InsolchenFällenmacheichei-
nen hartenSchnitt und sage: „Jetzt mal
wasganz anderes.“

Wann sindSie von Gästen genervt?
Achja, da sind wir natürlichschnell wie-
der bei denWorthülsen. Sowaswie: „und
deshalb esse ichkein Zucker mehr“. Da
bin ic hmanchmalkurz davor, zu sagen,
dann issdochkein Zucker mehr.Mach
dochwas anderes, dann leck dochSalz!

Passiert Ihnen das noch während Inter-
views, dass man versucht, etwas zu for-
mulieren, und merkt, man hat den Satz
nicht mehr unter Kontrolle, man weiß
nicht mehr, wo das hinführen soll, aber
der Mundbewegt sicheinfachweiter?
Wastut der Mund dann in dem Moment?

Das weiß man ja eben nicht. Manver-
folgt das in solchen Situationenoft nur
noch aus weiterFerneund kann nur hof-
fen, dass er die Kurve nochirgendwie al-
lein kriegt, obwohl er mit zunehmender
Nervositätimmerschneller wird.
Das passiertmir seit Beginn meinerKar-
riere. Aber ic hhabe gemerkt, als ichmir
für eine Buchrecherchenocheinmal viele
meiner Interviews angesehen habe, dass
sichmein Sprechtempo über die Jahre
enormverringer that.Dasis tdas Geheim-
nis.

Sie sind zurzeiteiner der gefragtesten
Moderatoren...
Nein, das bin ichnicht ...

Aber doch zumindest sehrsicht- und hör-
bar, will sagen: präsent.Mit insgesamt
sieben Formaten im WDR und rbb. In
der „SüddeutschenZeitung“ stand:„der
Erste in der zweitenReihe“.
Ichhabe es einfachnicht vermocht, im
bundesweitenFernsehen zureüssieren.

Wie sehr juckt Sie das?
Es is tdochso: Fernsehen istdann richtig
sexy ,wenn es vieleZuschauer hat.Und

mir gefällt es total, in meiner Heimatge-
hörtzuwerden.

Rund um Dortmund.
Ja.Aber das hätteich nicht vonmir ge-
dacht.Ichdachte,dasseimirscheißegal.Ist
esabernicht.Ich bininCastrop, inKöln,in
Bonn.Undwenn da jemandsagt:Mensch
hier,erv omWDR,findeichdasrichtigtoll.
Ichsageaber auchklar: Ic hkann vonjetzt
aufgleich in der ersten Lig aspielen.

Im Ersten?
Das sageich nicht, weil ic hsogernauf di-
ckeHose mache, sondernweil das,was
wir tun,keine Geheimwissenschaftoder
Kunstist. Undich fürchte mich einfach
auchnicht mehr sostark. Früher habe ich
michsehr gefürchtet. Heutekommt mir
zugute, dassich entspanntgenug bin und
im entsprechenden Moment die ehrliche
Freude über viele der interessanteren Be-
gegnungen überwiegt.

Menschen und Aufgaben verlierenan
hinzugedichteterGravität, ist es das?
Manwird sicheinfac hderGrenzen seiner
Rolle bewusster:Ich bin der,der die fragt.
Gut ist,wenn sic hherumspricht–und ich
würde behaupten, das istinmeinemFall
so –Der respektiertuns. Ic hwürde zum
Beispiel sagen, dassLeute, die im soge-
nannten Satire-Fernsehen erfolgreich
sind, nicht vielerespektieren. Bei mir
müssen die Leuteschon einiges tun, bis
mir derRespekt abhandenkommt.

Zum Beispiel?
Wenn die Leutesichwirklichabscheulich
benehmen,wenn man erkennt, das sind
Charakterbrachen.

Was passiert dann mit Ihnen?
Ichwerde wütend.

Abernicht in der Sendung?
Nein. Es gibt bestimmteLeute, die laden
wir nicht ein.Undsolche, die würden nie-
mals kommen.Aber das sindwenige. Zu
mir soll prinzipiell jederkommen dürfen
und seinenStandpunktvertreten. Damit
wirddem Zuschauer der Horizont erwei-
tert,weil er dannweiß, aha, der oder die
denkt so oder so. Dazugehörtdann aber
auch, Leutewie Henryk M. Broder zu fra-
gen, warumerdiesen Impulsverspürt,
mitunter so hässliche Sachen zu sagen,
und anwelchen Stellen er den spürt.

Und wenn Sie gefragtwerden, ob Sie sol-
chenKrawallschachteln überhaupt eine
Bühne geben sollten?
Ichsage: Ja, unbedingt.Wer langeinden
Medien arbeitet,der weiß, es gibt eine
ArtMainstream.

Hässliche Bezeichnung.
Nennen wir es die Mittelspur.Dafahren
viele –und zwar,ohnebedrängt zuwer-
den. Undwennman sic hauf di eeinewie
aufdi eandereSeitebegibt,wirdesschwie-
riger. In der Praxis sieht es dochsoaus:
GretaThunbergsagtetwas ,und dann be-
schäftigenwirunsdamit,indemwirsagen:
Das stimmt zu 90 Prozent, zu 50 Prozent
oder überhauptnicht .Soläuftdas die gan-
ze Zeit.Aberdadurchist unserFokus
manchmal merkwürdig eingestellt.Kon-
kret heißtdas, michüberzeugt die Klima-

disku ssion, wenn es überhauptnur eine
gibt, nicht.Sollheißen, die Art, wie siege-
führt wird. Aber deshalb bestreite ichdas
Phänomen nicht, seheden Handlungs-
und eben auchGesprächsbedarf. Nur
muss man mit möglichs tvielenLeuten re-
den.

Das ist zwarso eineJournalistenphanta-
sie, aber kann man, wenn man es im
Showgeschäft ganz nach oben gebracht
hat, nur noch so schnellwie möglich ab-
treten oderindie Politik gehen?
Ichwürde gerneindie Politik gehen,
müsstedann aber einer jenerPolitiker
werden, die ichmanchmaletwasskep-
tischbetrachte, nämlichjene, die ihren
Lebensunterhalt damitverdienen müssen
–esgäbe jakeinen Wegfür mich zurück.
Auch deshalb hätteich Angst. Aber an-
sonstenfinde ichesirreinteressant.Nur
diesesRedenhalten–ich komme vomRa-
dio und bin ursprünglichdarauf ge-
trimmt:nicht länger als dreißig Sekun-
den!Neulichsoll teichaufeinerVeranstal-
tung dreißig Minutenreden. Jaworüber
soll ic hdenn da sprechen?

Das wissen auch Berufspolitiker mitun-
ter nicht.
Vonwegen. Ichhabe malinBonnimWas-
serwerk auf EinladungvonStudenten an
einem Debatten-Wettbewerb teilgenom-
men und habe entsetzlichgegen Norbert
Blümabgestunken.DabeimussteBlümet-
wasvertr eten, wasseinenÜberzeugun-
genkomplett widersprach: Entwicklungs-
hilfemussabgeschafft werden. Undich
hattediesympathischePosition:Entwick-
lungshilfeist super.Aber gegendie Ener-
gie und diesen Druckvon NorbertBlüm
hatteich nichts auszurichten.

Was also ist für Sie so attraktiv an der
Politik?
Journalistenmaßregeln, reisen, Hände
schütteln.Nein. Außenpolitik istnatür-
lichinteressant.Aber dasfinden fast alle
eitlen, arroganten Männer spannend.

Ist dasfür Sie die erste Liga der Politik?
Verkehrspolitik fände ichauchinteres-
sant.Dann würde der Bahn-Chef Richard
Lutz keine Nachtmehr durchschlafen. Da
könnteich mir aggressiveGesprächevor-
stellen.Das sol lsichjaauchinunseren
Talk-Formaten stärkerniederschlagen.
Wirwollen zwarkeine aggressiveGe-
sprächsführung, aber eineklare. In diesen
politischenZeiten gibt es dieNotwendig-
keit,der AufklärungzuihremRechtzuver-
helfen. Aktuell habe ichdas Gefühl, dass
viele Menschen wieder mehr im Okkulten
unter wegs sind und, anstatt sic hzuinfor-
mieren, bestimmteHeilsbr inger anbeten.

Was können Siedakonkretmachen?
Ichwillauf keinenFallmit„Neuesausder
Anstalt“-Mitteln oder denen ähnlicher
Formatearbeiten, indem ichden Leuten
vorschreibe ,was und wie sie zu denken
haben. Dasgeht bei mir auchkaum, da
ichden Menschen, um den esgeht, ja un-
mittelbargegenübersitzen habe.

Angenommen, Andreas Scheuer kommt
zu Ihnen,...
Ja, das istsoein Hassliebling, den lehnt
man gern umfangreichab. Aber ic hken-
ne den jagarnicht .Ich habe imNetz mal

ein Video vonihm gesehen, wie er inPas-
sau bei einerVeranstaltung einerParty-
Mengeeinheizt.Dabei fand ic hihn sehr
glaubwürdig. Dagegen,wenn Oskar La-
fontaineTechnotanzt –daskommt bedrü-
ckendandersrüber.AberbeiScheuersah
man: Ach, dahinter istjadochein
Mensch.

Wir hatten uns ursprünglich mal zum
Jahresendgespräch treffen wollen. Jetzt
also 2019 im Rückblick.Oder ist es
noch zu früh für ein Urteil über das ver-
gangene Jahr?
Nein, is tjavorbei. Eskammir wie ein
sehr zerfahrenes Jahrvor. Undsosehr ich
Deutscher bin, so sehr hat michdieses
Jahr auchwieder vonDeutschland ent-
fernt. Schon nachdem Er gebnis derWah-
len in Thüringenwarich schockiert. Da
versucht ein Mann in einer Synagogeein
Massaker anzurichten, und ein paarTage
spätergehen dann die Thüringer hin und
wählen Neonazis. Da dachteich für einen
Moment: Uff, Vorsicht vordiesem
Deutschland. Ichhasse es, die Leutepau-
schal zuverurteilen.Aber jeder,der die
AfD in Thüringen nachdiesen Ereignis-
sen gewählt hat, der musssichselbstfra-
gen: Wasist mit dir los?Warumbistduso
kaputt? Das hat michwirklic hentsetzt.
Da gibt eskeine Entschuldigung.

Und das bestimmendeThema,Klima?
Da haben wir jetzt allmählichwirkli ch ge-
nug darübergeredet, ob die Bewegung als
solchegerecht fertigtist,welche Gestalt sie
annimmt und wie massiv dieForderungen
derjeweiligenProtagonistensind.Ic hhabe
keine Lust mehr auf noch mehrApokalyp-
se. Michinteressiert jetz tstärker:Wer tut
was?Werdenktsichwas aus ?Ich kann üb-
rigens auc hnichts mehrvon dergespalte-
nen Gesellschafthören. Wiesoll sie denn
anders sein? Als Einheitsgesellschaft?

Der Temperaturanstieg in der Debatten-
kultur, gibt es den eigentlich? Ist nur al-
les einfach sichtbarer und verschwindet
nicht so schnell wieder?
WirMedienmenschen zementieren ja oft
so eineAufmerksamkeitsungerechtigkeit.
Wirtun so, als sei einriesiges Geschrei
bei Twitter tatsächlichein relevantes Er-
eignis.Aber fragen Sie mal Leute, dievon
Beruf swegen mit anderen Dingen be-
schäftigt sind.Stellt sichraus, gerade Me-
dienthemen sind oftgnadenlos irrele-
vant.

Eine Sache, die irritiert, ist, dass immer
von Hass geredet wird. Hasskommentar,
Hass im Netz, Hate Speech. Keiner, der
weiß, was Hass für ein Menschenleben
bedeutet und woherer kommt, kanndie-
ses Wort guten Gewissens für diese angst-
induzierten Befindlichkeitsstörungenim
Netz brauchen.
Na ja, alssprachsensibler Menschsind Sie
heutzutagejaständig undüberallverletzt.

Können Sie als Wahlberliner mit dem
Begriff „woke“ etwasanfangen, einer
Bezeichnung von und für Menschen,die
beanspruchen, für jede Form aktueller
Fragenund Fettnäpfe in puncto sozialer
Gerechtigkeitsensibel und offen zu
sein?
Nein. Aber ic hfinde, so wie diese Artvon
Manierismen undTrends das guteRecht
derjungen Leuteist,diedieseBegriffebe-
nutzen, istesmein Rechtzusagen: Macht
das mal. Mankann sic hdarüber austau-
schen, aber klar sein mussdabei immer:
Du bis tnicht mein Therapeut, undichbin
nicht deiner.Wenn ichwill, dassMen-
schen im Großen und Ganzen über mich
urteilen und Diagnosen erstellen, dann
gehe ic hzum Arzt.

Wie lernt man dieserTage, tolerant zu
sein? Also praktische,angewandteTole-
ranz. Nicht nur das Darüberreden.
Das kann einem schon passieren,wenn
man sichdas er steMal verliebt.Dalernt
man dasrecht s chnell.

Woher kommt die Intoleranz der Tole-
ranten? Oder deren niedrigeFrustrati-
onsschwelle?
Jan Böhmermann istfür michdas Bei-
spiel vonjemandem, der intolerant ist.
Weil er wie einRevolutionswächter dar-
überwach t, wasrichtig undwasfalschist.
Trotzdem isternatürlichwahnsinnigta-
lentiert.Nurfindeichesgrausam,mit
Menschen so umzugehen, wie er das auf
vielenEbenenvormacht .Dasis tkeineTo-
leranzschule, sonderndas Gegenteil. Ri-
goroses Urteil, mitunter fast gehässig
oder zumindestauf originelleWeise ge-
hässig begründet, und hurra!

Gehört zurToleranz, dass man sich von
Dorothee Bärsagen lassen muss, dass
man mehr nach CSU aussieht als sie
selbst?
Leider.Aber sie hat natürlichbitter recht.
Es gibtKameraperspektiven, da sehe ich
aus wieFranz JosefStrauß. Aber ic hhabe
dasalsverschlungene Liebeserklärungan-
gesehen.

Eine Zuschreibung, die in fast keinem
Text über Sie fehlt:der Charmeur. Nervt
das?
Nervt.

Warum?
Ichrede mit Leuten. Da gilt daschinesi-
sche Sprichwort: Wernicht lächelnkann,
sollkeinenLaden aufmachen.FürVerkäu-
fer, Kellner undFernsehmoderatoren ist
das dasAund O.

Zu sehen istJörgThadeuszdienstags,
mittwochs und donnerstags mit demTalk aus
Berlinim rbb.

Das GesprächführteAxelWeidemann.

Das Korsettder Formelhaftigkeit mache ihn krank,sagt derTalkmasterJörgThadeusz. FotoAndreasPein

Der Rundfunkbeitrag sollvom1.Ja-
nuar 2021 an auf 18,36 Euromonat-
lichsteigen. Das schlägt die zuständi-
ge Finanzkommi ssion Kefvor.Ihre
Empfehlungstelltedie Kommission
gesterninBerlin vor. Sie hältfest,
dassARD, ZDF und Deutschlandra-
dioin den Jahren2021 bis 2024 einen
„ungedeckten Finanzbedarf“ von
knapp 1,53 Milliarden Eurohaben.
Um diesen zu decken, regt dieKom-
mission eine Erhöhung des jetzigen
Monatsbeitrags um86Centan.Siege-
steht den öffentlich-rechtlichen Sen-
derndamit für den Zeitraum der
nächs tenBeitragsperiodeGesamtauf-
wendungenvonknapp 38,7 Milliar-
den Eurozu. Das sind 1,8 Milliarden
Euromehr,als den Sendernfür die
Jahre2016 bis 2020 zustanden. Die
Erhöhung beträgt 4,8 Prozent oder,
aufs Jahrgerechnet, 1,2 Prozent.Von
den 86 Cent mehr entfallen 47 Cent
auf die ARD, 33 Cent auf das ZDF,
vier Cent auf das Deutschlandradio
undzwei CentaufdieLandesmedien-
anstalten, die für dieAufsicht derPri-
vatsender zuständig sind.
Angemeldethatten die öffentlich-
rechtlichen Sender einen „Finanzbe-
darf“ vonrund drei Milliarden Euro.
Dies würde, wie dieKeffests tellt,
eine Erhöhung desRundfunkbeitrags
auf 19,24 Euroausmachen. Sie hat
die Finanzwünsche der Anstalten so-
mit um rund die Hälfte gekürzt.
Schaut man sichdie vonder Finanz-
kommission anerkannten Aufwen-
dungen an, entfallen 27,6 Milliarden
Euroauf die ARD,rund zehn Milliar-
den auf das ZDF undetw aeine Milli-
arde auf das Deutschlandradio.
Bei derVorstellung ihres 22. Be-
richts, der die Beitragsempfehlung
enthält, wies dieKommission einige
Vorwürfe zurück,die schon imVorhi-
nein gegensie erhoben wurden. So
sei es irreführend, zu behaupten, der
Rundfunkbeitragsteigereal nur um
einen Cent,weil die Sender zurzeit
Rück lagen aufbrauchten, ohne die
ihr „Finanzbedarf“ schon jetzt bei
18,35 Euroläge. Tatsächlichstünden
den Sendernkünftig „deutlichmehr
Mittel zurVerfügung“ als jetzt, näm-
lichbesagte1,8 Milliarden Euro. Die
Zahl der Beitragspflichtigen habe
sicherhöht, die Einnahmen ausWer-
bung und Sponsoring seiengestie-
gen. Hinzukämen Mittel aus der Bei-
tragsrücklageaus den Jahren, in de-
nen die Sender nachder Ums tellung
vonder Rundfunkgebühr auf den
Rundfunkbeitrag mehr einnahmen,
als ihnen zustand. Auch gebe es sehr
wohl einenAusgleic hder Teuerungs-
rate ,erbetragezwischen zwei und
2,5 Prozent.
Die Sender seien „ausreichendfi-
nanziert“, sagteder Vorsitzende der
Kef, HeinzFischer-Heidelberger. Die
Beitragserhöhung bleibe vielleicht
hinter dem zurück, wassichmanche
Intendanten wünschten, sie liege
aber auchunter dem,waseine Indi-
zierung des Beitrags ergeben hätte.
Damit spielteerauf denvoneiner
Reihe vonBundesländernverfolgten
Plan an, denRundfunkbeitrag an ei-
nen Indexzukoppeln, ihn also auto-
matischzuerhöhen und dieFinanz-
kommissionKefnurnoc halsControl-
ler einzusetzen. Der Plan ist, da die
Länder sichnicht einigenkonnten,
vorläufig gescheitert.
Kritik übt dieFinanzkommission
KefamGehaltsgefügeder Öf fent-
lich-Rechtlichen. Dieses sei imVer-
gleichmit dem öffentlichen Sektor,
der alsVergleichsgröße geeignetsei,
„deutlich“ erhöht, liegeimVergleich
zur privaten Medienwirtschaftleicht
über dem Durchschnitt und sei mit
derallgemeinenWirtschaftvergleich-
bar.Insbesonderefünf Sender–BR,
HR, SR, WDR und ZDF–lägen über
dem Durchschnitt.Einen vernünfti-
genGrund für die hohen Gehälter
vermag dieKefindes nicht zu erken-
nen. Auch stellt dieKommissionfest,
dassGeld, das fürsProgramm da
wäre,dafür garnicht ausgegeben
wird–bei der ARDwarendies in der
laufendenBeitragsperiode413Millio-
nen Euro. Diegeplanten Einsparun-
gender Öf fentlich-Rechtlichen bezif-
fert die Kefauch. Sie belaufen sich
für die Jahre2017 bis 2028 auf insge-
samt 888,4 Millionen Euro, davon
spartdie ARD 587 Millionen, das
ZDF rund 287 Millionen und das
Deutschlandradio vierzehn Millio-
nen ein. Das sei imVergleichzuden
Gesamtfinanzen rechtwenig, mo-
niertdieKef.Siehältes„fürerforder-
lich, weiter gehende Ansatzpunktefür
tiefgreifende Ums trukturierungen
undkostensenkendeReformmaßnah-
men zu entwickeln“.
Die GebührenkommissionKeflegt
den Rundfunkbeitrag nichtfest,die
dafür zuständigen Landesregierun-
genkönnenvondiesemVorschlag
aber nur unter Angabe außergewöhn-
licher Gründe abweichen. Im März
könnten die Ministerpräsidenten den
Rundfunkbeitrag schon auf ihreTa-
gesordnung setzen. Damit er zum 1.
Januarkommt, müssen aber alle Lan-
desregierungen zustimmen,waszur-
zeit nichtgeht, weil Thüringen aus-
fällt, und es bedarfder Zustimmung
aller Landtage. MICHAELHANFELD

Ach ,keinZuckermehr? Dann leck doc hSalz!


18,36 Euro


proMonat


FinanzkommissionKef


sagt Rundfunkbeitragan


Jahreseinstiegsgespräch:


Talksh ow-Moderator


Jörg Thadeusz erklärt,


wie nah man seinen


Gästenkommen darf,


werihn ne rvtund was


ihnamdeutsc hen


Fernsehen krankmacht.

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