Frankfurter Allgemeine Zeitung - 21.02.2020

(ff) #1

SEITE 2·FREITAG,21. FEBRUAR2020·NR.44 FPM Politik FRANKFURTERALLGEMEINEZEITUNG


WerwarTobiasR., derinHanaumutmaß-
lich zehn Menschen ermordete?Aus wel-
chen Quellen speiste sichsein Weltbild,
in wessen Namen glaubte er zu handeln?
Isterein rechtsextremerTerroris timkon-
ventionellen Sinn desWortes, der aus
blankemFremdenhasseine Shisha-Bar
und einen Kiosk zu seinen Zielen auser-
wählt hat?WarerTeil einesNetzwer ks,
oderisterein sozialisolierterEinzeltäter,
der sichinden finsterenForen des Inter-
nets radikalisierthat?
Bis dieseFragen endgültig beantwortet
sind, wirdesnochdauern–dochein Vi-
deo sowie mehrereDokumentedes Tä-
ters,die dieserZeitung vorliegen,geben
einigedeutliche Anhaltspunkte. Eines
der Dokumentekann man als Manifest
und Abschiedsbrief bezeichnen; es ist
Seiten lang und enthält eine mäandernde
Chronologie seines Lebens, die immer
wiedervonbizarrenExkursenzuGeopoli-
tik,Militär strategie, Wirtschaftsmacht
und derFilmb ranche durchbrochen wird.
Anschlagsplänewerden darin nichtexpli-
zit angesprochen,wohl aber angedeutet,
etwa ,wenn es heißt, dassR.die Bes täti-
gung seiner Thesen „nicht mehr miterle-
ben“könnenwirdunddassihmnichtsan-
deres übriggeblieben sei, als so zu han-
deln, wie er esgetanhabe, „um die not-
wendigeAufmerksamkeit zu erlangen“.
Gleic hzuBeginn desManifestswill B.
jedoc hetwas anderesklarstellen: „Im
Mittelpunkt meiner Botschaftsteht die
Tätigkeit eines sogenannten ‚Geheim-
dien stes‘“. Dieser überwachegrundlos
die Privatwohnungen TausenderMen-
schen in Deutschland; esgebe dortauch
Mitarbeiter, „welche in der Lagesind,die
Gedanken einesanderen Menschen le-
sen zukönnen unddarüber hinausfähig
sind, sich in diese ‚einzuklinken‘und bis
zu einemgewissen Grad eine Art‚Fern-
steuerung‘ vorzunehmen“.
Die Vorstellung eines Geheimdienstes
oder sonstiger dunklerMächte, die ihn
fernsteuern, ihm Gedankeneingebenund
ihn überwach en, zieht sichinverschiede-
nen Abwandlungen durch das gesamte
Dokument.Darin offenbartsichdie Ge-
dankenwelt eines Menschen, der zwar in
zusammenhängenden Sätzen spricht, den
jedochaugenscheinlichnur nochlose Fä-
den mit derRealität verbinden: So hätten
ihm unbekannteAgenten Albträume ein-

gespielt;nachdem Erwachen habe er
dann intuitivgewusst,dassdie Vereinig-
tenStaaten für den 11. Septemberverant-
wortlichseien. Dieselbe Geheimorganisa-
tiontransplantiereauchFilmkonzepte aus
seinemKopf in neue, real existierende
Hollywood-Produktionen–ersei somit
der unfreiwillige Ideengeber derFilmin-
dustrie.
BreitenRaum nehmen seine Empfeh-
lungen für eine erfolgreiche amerikani-
scheMilitärstrategieein,diedringendnot-
wendig sei, um sichgegen die aufstreben-
de Wirtschaftsmacht China sowiegegen
Drogenschmuggel und illegale Migration
aus Mexikozubehaupten, und diegewisse
Überschneidungen mit der Politik des
amerikanischen Präsidenten enthalten.
DassDonald Trumpseine diesbezügli-
chen Empfehlungen wissentlich umsetze,
bezweifeltTobias R. allerdings, „da ich

mirhiersicherbin ,dassdiesübe rdiesog e-
nannteFernsteuerung funktioniert“.Die-
se AuflistungvonBizarrem ließe sichlan-
ge fo rtsetzen undfindetihreEntspre-
chung in den anderen beiden Dokumen-
ten, die sichmit militärischen Planspielen
zur In vasion desNahen Ostens sowie mit
eineroptimalenTrainingsstrategiefürden
DeutschenFußballbundbefassen.Trotzal-
lergebotenenZurückhaltungbeipsycholo-
gischen Ferndiagnosen bleibt nach der
Lektürekein Raum für Zweifel:Tobias R.
wargeistig krank.
DochnebendenunübersehbarenAnzei-
chen einer psychischen Erkrankungfin-
den sichauchanderePassagen in seinem
Manifest, die Aufschlusszuseinen Tatmo-
tiven geben könnten. R. schildertein Ge-
spräch,daserimJahr1999miteinemehe-
mali genKollegenausseinerBanklehrege-
führthabeunddasfürihnnochimmerprä-

gend sei. Dabei sei es unter anderem um
„die Kriminalität, oder allgemeiner ausge-
drückt, das schlechteVerhalten bestimm-
terVolksg ruppen, nämlichvon Türken,
Marokkanern, Libanesen, Kurden, etc.“
gegangen. Er und seinKollegehätten bei-
de negativeErfahrungen mit Menschen
aus diesen Gruppengemacht,etwa „ab-
sichtlichprovozierte Streitereien auf dem
Nachhausewegvon der Schule oder dum-
me Anmachen in der Disko“. Daskönne
er zwar „aus heutiger Sicht mit Sicherheit
als ‚harmlos‘ bezeichnen“,weil dabei nie-
mand zu Schadengekommen sei, aber aus
dem Freundeskreis seien ihm auchschwe-
rere Fälle vonAusländerkriminalität be-
kannt.Während seinerAusbildung habe
er zudem einen Banküberfall am eigenen
Leib miterlebt;die Karteikarten potentiel-
ler Verdächtiger,die die Polizei ihm später
präsentierthabe, hätten dann „zu ca. 90%

ausNicht-Deutschen“bestanden,haupt-
sächlichaus Südländernund Türken. Dar-
aufhinhabe bei ihm ein „Erkenntnisge-
winn“ eingesetzt:Die deutscheKultur sei
überlegen, eineReihe andererVölker be-
stehenhingegenausminderwertigen Fort-
schrittsverhinderern, mit denen sich„das
Rätsel“ der Suche nachden Ursprüngen
des Universums niewerdelösen lassen;
erst recht werdeesmit diesenVölkern
nicht gelingen, eineZeitreise in dieVer-
gangenheit zu unternehmen, unseren Pla-
netenvor der Entstehung menschlichen
Lebens auszulöschen und so rückwirkend
auchalles menschliche Leid zuverhin-
dern. Folglic hsollten imZugeeiner ersten
„Grob-Säuberung“ sämtliche Einwohner
von24namentlichgenanntenLändernge-
tötetwerden; darunter vieleStaaten des
Nahen und Mittleren Ostens einschließ-
lichIsraels sowie nordafrikanische und
südostasiatische Länder.
DieFrage,obR.einRechtsextremermit
psychischen Problemenwaroder ein psy-
chischKranker mit eher zufälligen Ein-
sprengselnvonRechtsextremismus, wird
in der Debatteüber seineTatabsehbar
eine zentraleRolle spielen. Jedenfallsfin-
detsichinden vormals auf seiner Home-
pageabrufbaren Dokumenten nichts,was
sichals umfassende undkohärenterechte
Ideologie bezeichnen ließe.Bezugnahmen
aufpolitischeParteien,AutorenoderIdeen-
geber desrechtenSpektrumsfehlen voll-
ständig,auf di edeutsche Migrationspolitik
wirdkaum eingegangen.Auch die weiter-
führendenLinksauf seiner Homepagever-
weisen nicht auf dezidiertpolitischeInhal-
te,sondernvielmehrauf Videosund ande-
renWebsites aus demwahnhaft-verschwö-
rungstheoretischen Spektrum, die um The-
men wieTelepathie,Fernsicht, Gedanken-
kontrolle, Energieheilungund Entführun-
gendurch Außerirdische kreisen. In einem
Video vonsichselbst, dasR. am 14.Februar
2020 aufYoutube hochgeladenhatte, rich-
tetersichschließlich an die BürgerAmeri-
kas, die endlich aufwachen undWiderstand
leisten müssten gegendie Geheimgesell-
schaften, die ihreGedankensteuernund
die in unterirdischen Militärbasen denTeu-
felanbetenund Kinderfolter nund töten.
Dochauchwenn sicherweisen sollte,
dassausländerfeindlicheMotivebei sei-
nem Tatentschlussdie zentraleRolle ge-
spielthaben,wäre der MassenmordinHa-
nau wohl nicht in einerReihemit bekann-

tenrechtsextremenTerroranschlägen der
letzten Jahrezunennen. Bislang gibt es
keine Hinweise, das R. in einegrößereOr-
ganisationsstruktur eingebundenwar; er
waraugenscheinlichnicht Teil einerZelle
wie des NSU oder der „Gruppe S“, deren
MitgliederEnde vergangenerWochever-
ha ftet wurden und nachAngaben der Be-
hördenAnschlägeauf Moscheengeplant
hatten.Erwarwohlvielmehrein „einsamer
Wolf“ wie BrentonT.,der Attentäter von
Christchurch,Patric kC., der Attentätervon
El Paso, oderStephan B., derAttentäter
vonHalle. Mit Letzterem verbindetihn
auchein weiteres Merkmal: ein unerfülltes
Sex- und Liebesleben.Seinen Misserfolgen
beim anderen Geschlecht istinseinem Ma-
nifes tein eigenesKapitel gewidmet. Ob
man R. deshalb der Gruppe bitterer und
verbitter terjunger Männer zuschlagen
kann, die unter dem Sammelbegriff„Incel“
(voninvoluntarycelibacy,unfreiwilligesZö-
libat) firmieren undvondenen in derVer-
gangenheit bereits mehrereAttentat eaus-
gingen, is tjedochungewiss. Jedenfalls
fehlt es seinen Schilderungen an dem für
die Incel-Bewegungeigentlichtypischen
Hassauf sexuellerfolgreichereMänner so-
wie auf dievermeintlic hzuoberflächliche
und geldgeileFrauenwelt –das Scheitern
seiner Annäherungsversuche an eineStu-
dentin, die ihm offenbar gefiel, erklärtR.
soweit ersichtlichdamit, „dassdie Eltern
dieserStudentinmichüberwachen ließen“.
ZumindestbislangsindauchkeineBezü-
ge zu Internetforen wie 4chan, 8chan oder
Meguca bekannt, in denenein nihilisti-
scher Humor sichmit Fremdenfeindlich-
keit undeinerkultischenHeroisierungvon
Massenmördernverbindet. In diesem
Dunstkreis, aus dem BrentonT.,Patric kC.
und StephanB.entstammen,werden zwar
auchkrudeVerschwörungstheorienformu-
liertund alsRechtfertigung für Anschläge
herangezogen. Dortkursieren neben klas-
sischenrassistis chen und antisemitischen
Topoi (das „jüdischeFinanzkapital“, der
Plan zur „Umvolkung“) zwar auchVer-
schwörungstheorien,dieeinegewisseÄhn-
lichkeit zu den Hirngespinstenvon R. auf-
weisen;etwadie Pizzagate-Verschwörung,
wonachdie vormaligedemokratischePrä-
sidentschaftskandidatinHillaryClintonei-
nenunterirdischenKinderpornoring unter
einerPizzeria betreibe–dochdie Grenze
zum nachgeradeParanormalen wirdzu-
meistselbstdortnicht überschritten.

E


twas warandersamDonners-
tag. Immer gibt esReaktionen
führenderPolitiker auf Anschlä-
ge und Gewaltverbrechen, die
eine politische Dimension haben. Doch
dieMordeinHanauhaben eineErschütte-
rungauc hinderPolitikausgelöst,dieüber
das übliche Maß hinausging. DieKanzle-
rinsagteeine Reise ab, der Bundespräsi-
dent begab sichnachHanau, der Bundes-
innenminister, derTrauerbeflaggungange-
ordne thatte, fuhr ebenfalls nachHessen.
Eswarenviele,querüberdieParteigren-
zenhinweg,die dortoderandernortsihrer
Trauer Ausdruc kverliehen.Undihrem
Entsetzen. Denn die Morde, derenrechts-
extremistisches Motiv rascherkennbar
wurde, treffenDeutschland in einem Mo-
ment, in dem die politische Debattesich
intensiv wie nie bisher darum dreht,wel-
cheGefahr vonrechten Kräften ausgeht,
seien sie politisch oder kriminell. Gerade
erst hatten die Sicherheitsbehörden eine
bisdahinunbekannteGruppeRechtsextre-
mer fes tgenom men, deren Mitgliederim
Verdacht stehen, Anschlägegeplant zuha-
ben, die die Gesellschafterschütternsoll-
ten. Erschüttert, zutiefst erschrocken, ter-
rorisiertimWortsinnezeigtesichdiedeut-
sche Gesellschaftnebstihrer politischen
Führung nun am Donnerstag.
Nach dem rechtsextremistischen An-
schlag imvergangenen OktobervonHalle
hatteBundesinnenministerHorst Se eho-
ferbereits voneiner „hässlichen Blutspur“
vomNationalsozialistischenUnte rgrund
(NSU) bis zum Anschlag auf die Synagoge
in Hallegesprochen.Nunführtdie Spur
weiter ins hessische Hanau. Der dritte
rech tsextremeMordanschlaginnerhalbei-
nes Jahres.
Der FDP-Vorsitzende Christian Lind-
ner forderte am Donnerstageine
„Generalinventur aller Maßnahmen ge-
genRechtsterrorismus“. Erst im Dezem-
ber hatteSeehofer in derFolgedes An-
schlagsvonHalleeinenUmbauderSicher-
heitsbehörden angekündigt.Unter ande-
remsollen derVerfassungsschutz und das
Bundeskriminalamt je 300 zusätzliche
Stellen speziell für denKampfgegen den
Rechtsextremismus bekommen. DieStel-
len sind mittlerweile bewilligt.

DassderVerfassungsschutzseinAugen-
merkverstärkt auf das rechtsextreme Mi-
lieu richtet, liegt schon länger zurück.
Kaum hatteVerfassungsschutzpräsident
Thomas Haldenwang imNovember 2018
sein Amt angetrete nsprachervon einer
„neuen Dynamik imRechtsextremismus“,
auf die seine Behördereagieren müsse. Er
bezog sichdabei auf die Ausschreitungen
durch rech te undrechtsextreme Gruppen
in Chemnitz im Spätsommer desselben
Jahres. Damit setzteHaldenwang einen
anderen Schwerpunkt als seinVorgänger
Hans-GeorgMaaßen. Der hattenicht nur
darauf beharrt,dassesinC hemnitzkeine
„Hetzjagden“ auf Ausländer gegeben
habe. Esgabauchinden LändernKritik
der Verfassungsschützer,dassMaaßen
sichzusehraufdenKampfgegenislamisti-
schenTerrorismus fokussiereund dem
Rechtsterrorismus nicht den angemesse-
nen Stellenwert gebe. Haldenwangs er ste
öffentlicheFord erung zielteauf eineAuf-
stockung derAbteilung Rechtsextremis-
mus um fünfzigProzent, was300 neuen
Stellen entspricht.
Die Herausforderung für die Verfas-
sungsschützer istgroß. Das liegt nicht nur
daran, dassdie Behörde mehr als 24 000
Rechtsextremisten in Deutschland im
Auge behalten muss, die Hälfte vonihnen
gilt alsgewaltbereit. DieStrukturen im

rech tsextremen Milieu haben sichverän-
dert. Weder der mutmaßlicheTätervon
HallenochdervonHanauwareinbekann-
terRechtsextremer oder in einerPartei
oder Kameradschaftorganisiert. Auch die
Mitglieder desTerrornetzes, das amver-
gangenenFreitag zerschlagen wurde,wa-
renden Sicherheitsbehörden unbekannt.
Ein neues Phänomen derrechtsextremen
Szene sind lockere Verbindungen über
ChatgruppenoderandereKanäleimInter-
net. Daher mussder Verfassungsschutz
die Internetauswertungverstärken.

D


ieBemühungen,Verbindungsli-
nien zwischenRechtsextremis-
tenaufzudecken, werden aller-
dings dadurch erschwert, dass
die Verfassungsschützerkeinen Zugriff
auf verschlüsselteKommunikation,etwa
auf Messenger-Dienste,haben. Anders
als diePolizeibehördendarfder Verfas-
sungsschutzkeineQuellen-Telekommuni-
kationsüberwachung einsetzen. Seit Jah-
renforder tdieBehördeeineentsprechen-
de Kompetenz, über das Reformgesetz
streiten Bundesinnenministerium und
Bundesjustizministerium seit mehr als ei-
nem Jahr.Zuletzt hatteBundesjustizmi-
nisterinChristine Lambrecht (SPD) Ent-
gegenkommen angedeutet.Außerdem
dringtderVerfassungsschutzaufein eVer-

längerungderSpeicherfristenimnach-
richtendienstlichen Informationssystem,
um Extremistenauchdann nochaufzu-
spüren. Die Ermordung desKasseler Re-
gierungspräsidentenWalter Lübcke im
vergangenen Sommerhattegezeigt, dass
Rechtsextremisten, um die es langeruhig
geworden war, plötzlichwieder zurWaffe
greifen. Auch das ein Phänomen,das für
die Sicherheitsbehörden neuwar.
Die Schwächen derVerfassungsschüt-
zer liegen aber nicht allein an denrechtli-
chen Beschränkungen. Haldenwang gibt
auchoffen zu, dassseine Behörde in der
Analysefähigkeit nochzulegen könne.
Das warbereits eine Schlussfolgerung der
Untersuchungsschüsse zu den NSU-Mor-
den. WissenschaftlichgeschulteFachleute
müssenhinzugezogenwerd en,umdieneu-
en Strukturen imrech tsextremen Milieu
aufzudecken.
Auch beim Bundeskriminalamtstehen
Reformen an. Bereits im vergangenen
Sommer hattePräsident Holger Münch
veranlasst,dassseine Behörde Methoden,
die sic hals er folgreichimKampf gegenIs-
lamistenerwiesen haben, aufRechtsextre-
mistenübertragen solle,etwa Risikoein-
schätzungen mit Hilfedes sogenannten
Radar-iTE. Dies hilftallerdings nur bei
Personen, die polizeibekannt sind.Kürz-
lichkündigteMünchzude meineÜberprü-

fung derZahl der Gefährder an. Derzeit
seien etwa 60 Personen alsrechtsextreme
Gefährdereingestuft,teiltedasBundeskri-
minalamt am Donnerstag demRedakti-
onsnetzwerkesDeutschland mit. Damit
verzeichn edieStatisti k„inde nletztenJah-
reneinen stetigen Anstieg“. Seit 2012
habe sichdie Zahl derrechtsextremisti-
schen Gefährder „verfünffacht“.
DieTatsache,dassdermutmaßlicheTä-
tervon Hanau trotz seiner offenkundig
rech tsextremenGesinnungüber eineWaf-
fenbesitzkarteverfügt, wirddie Frageauf-
werfen, ob weiter eVerschärfungen des
Waffenrechts erforderlic hsind. Erst im
DezemberhatderBundestageineÄnde-
rung beschlossen, die inTeilen auf den
MordinHalle zurückgeht.Künftig müs-
sen die Behördenkünftig vorder Ertei-
lung einerWaffenerlaubnis beimVerfas-
sungsschutz abfragen, ob es über den An-
tragsteller Erkenntnisse gibt.Zudemge-
nügt die bloße Mitgliedschaftineiner ver-
fassungsfeindlichenVereinigungzumEnt-
zug derWaffenerlaubnis. Magazine für
Kurzwaffen mit mehr als 20 Schusssowie
für Gewehremit mehr als zehn Schuss
sind verboten. Der Protestvon Seiten der
Schützenvereine warimmens, Seehofer
verteidigtedenSchrittmitdemSatz:„Waf-
fendürfennicht in die HändevonExtre-
mistengelangen.“
Angela MerkelhatteamDonnerstag ei-
gentlich bei der Amtsübergabe des Präsi-
denten derNationalenAkademie derWis-
senschaften Leopoldina seinwollen, in
Halle, ausgerechnetinHalle, wo im vori-
genOktober ein antisemitischmotivierter
AnschlagaufeineSynagogenurknappge-
scheitert,gleichwohl zwei Menschengetö-
tetwordenwaren. Stattdessen blieb Mer-
kelinBerlin, trat mittagsvordie Presse.
Ein „überaus trauriger Tagfür unser
Land“ sei das, sagteMerkelimKanzler-
amt.Sie hof fe,dassdie „Anteilnahme un-
zähliger Menschen in Deutschland“ den
Familien undFreunden der Ermordeten
„ein wenig Kraft“gebe. Seit dem frühen
Morgenlasse sie sichüber denStandder
Ermittlungen unterrichten. Füreine ab-
schließende Bewertung sei es nochzu
früh. Dochweise derzeit vieles darauf hin,
„dassder Täteraus rech tsextremistischen,
rassistischen Motiven“ gehandelt habe,
„aus Hassgegen Menschen mit anderer
Herkunft, anderem Glauben oder ande-
remAussehen“.
Während Merkelinihrer Stellungnah-
me den Begriff Terroranschlag noch
vermied, verwendete Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier ihn. Die beiden
hatten telefoniert. In einervonSteinmeier
verschickten Mitteilung hieß es: „Mit Ent-
setze nhabeich vonderterroristischenGe-
walttat in Hanau erfahren.“ Erstehe an
der Seitealler Menschen, die durch rassis-
tischen Hassbedroht würden. „Sie sind
nicht allein.“ Die „große Mehrheit der
Deutschen“verurteile dieTatsowie jede
Form vonRassismus, Hassund Gewalt,
InTrauervereint:PeterBeuth, ClausKaminsky,Volker Bouffier,Horst Seehofer und ChristineLambrecht in Hanau FotoEPA schrieb der Präsident hoffnungsvoll.

Eine neue Dimension der Erschütterung


Nurdurch dünne Fäden mit der Wirklichkeit verbunden


BeimmutmaßlichenTäterverbinden sichFremdenfeindlichkeit undVerschwörungstheorien mitWahnvorstellungen /VonConstantin vanLijnden


Auch wenn nachträgliche Diagnosen
ohne Aktenkenntnis immer schwierig
sind, bergenallein dasVideo und die
schriftlichenAusführungenvonTobi-
as R. für dieforensische Psychiaterin
Nahlah Saimeh Hinweise auf eine
„sehrkomplexe,schwere psychische
Erkrankung“. Sie sieht denTäternach
aktuellem Kenntnisstand als einen
Mann, der „schwerwiegendwahnhaft“
gestörtwar und nacheiner „rechtsex-
tremen narrativen Folie“ handelte. Of-
fenbar litt er unter „akustischen Hallu-
zinationen“,wenn ervon„Stimmen“
schreibt, die ervernommen habe.
In diesesWahnsystemder „Geheim-
dienste“, die seine Gedanken lesen
würden, und der „Stimmen“, die sich
bei ihm „einklinken“, hatteerein de-
tailliertesfremdenfeindlichesWeltbild
fest veranker t. Er habe diese Inhalte,
so Saimeh, mit „bizarrenwahnhaften
Gedanken zu Zeitreisen“ verknüpft.
„Essprichtdaher vielesfür dieDiagno-
se einer paranoid-halluzinatorischen
Schizophrenie.“ Hinzukämen deutli-
cheHinweise auf eine schwerenarziss-

tischePersönlichkeitsstörung, die wie-
derum durch rechtsextremistische
Überzeugungengenährtwird. R. fühl-
te sichauserkoren, dabei zu helfen,
„das Rätsel“ derWelt zu lösen,womit
er auc hdie Auslöschungvon„Rassen“
meinte, die er als „destruktiv“ ansah.
„DiesePersonen wollen mit ihrenTa-
tenein Zeichen setzen, einengroßen
Auftrag erfüllen.“ Morde wie diese im
öffentlichenRaum haben zudem, ähn-
lichwie Amoktaten, oftdas Ziel, dem
Täterendlichdie „Anerkennung“ und
„Bekanntheit“ zuverschaffen, die ihm
imLebenimmerverwehrtwurden.Vie-
le Amoktäter habenZurückweisungen,
die sie vermeintlichoder wirklich
durch Mitschüler oderFrauen erlebt
haben, als kränkend empfunden und
ihreTaten auchaus Vergeltung für die
erlittene Schmachbegangen.
Der Tätervon Hanauwar of fenbar
intelligent undgebildet, aber sein Le-
ben is tvermutlich nicht soverlaufen,
wie er es sichgewünscht hatte. Das
dürftelaut Saimehvor allem auchauf
dieschwerepsychischeErkrankungzu-

rückzuführensein. So schildertTobias
R. es als „freude- und leistungshem-
mend“, dasserkeine Partnerin gefun-
den habe. Saimeh sieht dies auchsei-
nem „wahnhaften Erleben“geschul-
det, da er sichdauerhaftüberwacht
sah und Intimität daher für ihn nicht
mehr lebbarwar. So schildertR., dass
es während seinesStudiums in Bay-
reuth eine jungeFraugegeben habe,
für die er sichinteressierte.Dochdie
„Geheimorganisation“ hättedas „Zu-
sammenkommen“verhindert.Insei-
nen Ausführungen zu seinem Privatle-
ben zeigesichebenso dergesteiger te
Narzissmus desTäters.R.erklärtsein
Singledasein so: „Ichwolltedas Beste
haben odergarnichts.“
Bislangergibt sichdas Bild eines
eher unauffälligen Bankangestellten,
der „formalgedanklichsehr geordnet
vorging“. Tobias R. habe dieTatenof-
fenbargutgeplant und„gesteuert“aus-
geführt, sagt Saimeh. R.könnte es zu-
dem gelungen sein, seine Absichten
relativ gutvorseinemUmfeld zu ver-
bergen. ktr.

mwe. BERLIN.Viele Politikerwand-
tensichamDonnerstagnac hdenMor-
den vonHanau gegenRassismus und
Rechtsextremismus,doch die meisten
unterließen esdabei,die AfDdabeizu
erwähnen. Die CDU-Vorsitzende An-
negretKramp-Kar renbauer handelte
anders.AusMitbürgernFeindezuma-
chen, „dasisteinGift, dasimmerstär-
kerindieGesellschafteindringt“,sag-
te siein Paris.Esdürfe daherkeineZu-
sammenarbeit mit einerPartei geben,
die „Rechtsextreme, ja, ichsageauch
ganz bewusst Nazis, in ihrenReihen
duldet“. Man sehe an einem solchen
Tag, wie „wichtig es ist, diese Brand-
mauer zu halten“.
Politiker der AfDreagiertenunter-
schiedlich auf die MordevonHanau.
Während manche dieTatverur teil-
tenund ihre Betroffenheit bekunde-
tenwie AliceWeidel, dieKo-Frakti-
onsvorsitzende im Bundestag, stell-
tenandereinAbrede, dassessichum
einen Täte rmit rass istischer und
rech tsextremistischerMotivationhan-
dele. So sagteParteichef JörgMeu-
then: „Das istweder rechter nochlin-
kerTerror, das is tdie wahnhafte Tat
einesIrren.“JedeFormpolitischerIn-
strumentalisierungde rTatsei„einzy-
nischerFehlgriff“. AuchAlexander
Gauland äußerte Zweifel daran, dass
es sic humeinen Terrorakt handle.
„Bei einemvöllig geistig Verwirrten
sehe ichkein politisches Ziel, inso-
fern bin ic hvorsichtig bei dem Be-
griffTerror. Undvon linksund rechts
wollen wir hiergarnicht reden. Das
istein Verbrechen.“ Der Berliner
Fraktionschef der AfD, GeorgPaz-
derski,versuchte, der CDU und der
Bundeskanzlerin eine Mitschuld an
den Morden zuzuweisen. „Istdas
wirklichnochdas 2017vonder Mer-
kel-CDU beschworene ,Deutschland,
in dem wir gut undgerneleben‘“,
schriebPazderski aufTwitter.
In der AfD wird damitgerechnet,
dassder Verfassungsschutz seine Be-
obachtung derPartei in Kürzenoch
intensivierenkönnte. DiePartei will
dagegen juristischvorgehen, hat Mit-
glieder undFunktionäreaber schon
seit längerem dazu aufgerufen, dem
Verfassungsschutzkeinen Anlasszu
geben,diePartei als extremistischein-
zustufen. Derzeitwerden derrechts-
nationale „Flügel“ und die Jugendor-
ganisation „JungeAlternative“vom
Bundesamt fürVerfassungsschutz als
Verdachtsfälle eingestuft,wasauch
eine zurückhaltende Beobachtung
mit nachrichtendienstlichen Mitteln
zulässt.

DieMorde in Hanau


kommen zu einerZeit,


in de rintensiv wienie


über die Gefahr von


rechts gesprochen wird.


VonHelene Bubrowski


und Eckart Lohse, Berlin


„Es spricht vieles für eine Schizophrenie“


„Tat eines


Irren“


AfD willkeinen rechten


Terror er kennen

Free download pdf