Frankfurter Allgemeine Zeitung - 21.02.2020

(ff) #1

N


achdem Brexit-Votum der
Briten im Juni 2016 herrsch-
teninFrankfurtgemischte
Gefühlevor. Die einen machten sich
Hoffnungen,dassgrößereTeiledesFi-
nanzplatzes London nachFrankfurt
verlegt würden. Die anderen befürch-
teteneineKatastropheamWohnungs-
markt, ausgelöstdurch reiche Londo-
ner Banker,die jeden Preis fürWohn-
eigentum oder Mietenauf dem hohen
Niveau der britischen Metropole zah-

len würden. Beide Erwartungen sind
nicht eingetroffen. Zwar wurden eini-
ge Finanzarbeitsplätze imZuge des
Brexits nachFrankfurtverlegt oder
am Main neugeschaf fen. Dochdabei
handelt es sichvermutlichnur um
eine kleine vierstelligeZahl. Unter-
schätzt wurdewohl im erstenÜber-
schwang diestarke europäischeKon-
kurrenz: inParis, Amsterdam,Luxem-
burg, Dublin oder auchinWarschau,
wo neue IT-orientierte „Backoffices“
zueinemnennenswertenAufschwung
am Büromarktgeführthaben. Zudem
hat sichder Finanzplatz London wi-
derstandsfähigeralsvonvielen vermu-
tetgezeigt .Folglic histauchderFrank-
furter Wohnungsmarkt nochweit von
Londoner Höhen entfernt.Zuletzt hat
sichder Anstieg derWohnungspreise
sogar deutlichverringer t–von 9Pro-
zent 2018 auf „nur noch“ 6,5 Prozent


  1. DieZuwächse bleiben also her-
    ausragend und für Käuferunerfreu-
    lich. Sie zeigen aber,dassFrankfurts
    Wirtschaf tauchohne größereBrexit-
    Effekteblüht.


D


ie Hausfassade mit zentimeter-
dickenPlattendämmen, denin
die Jahregekommenen Hei-
zungskessel austauschen oder
die altenFensterdurch neue ersetzen –
viele Immobilienbesitzer setzen darauf,
mit solchen Maßnahmen erheblichEner-
gie sparen zukönnen. Das Thema rückt
angesichtsdervonderBundesregierung
beschlossenenRegelungenfürdenKlima-
schutz beiWohnungenundWirtschaftsge-
bäuden nun nochstärker in denVorder-
grund. Denn nachdem Energie-, Ver-
kehrs- und Industriesektor istder Gebäu-
desektor einer dergrößtenVerursacher
vonKlimagas-Emissionen. Bis 2030 soll
er seine Emissionen umrund 40 Prozent
reduzieren,wasimKlimaschutzgesetzver-
anker tist.Der Gebäudebereichwar2018
für rund 13,6 Prozent derTreibhausgase
in Deutschlandverantwortlich.
DasBeratungs-undPlanungsunterneh-
men Drees&Sommerweistdarauf hin,
dasssichder Gesetzgeber schon immer
schwergetanhabe, konkreteZielvorgaben
für Sanierungen an die Immobilienbesit-
zer zuformulieren. Daher liegedie Sanie-
rungsquote in Deutschland derzeit auch
nur beietwa 1Prozent des Gebäudebe-
standes. „Umdie Klimaziele zu errei-
chen, solltedie Sanierungsquote jedoch
mindestens2Prozentbetragen“,sagtPart-
ner Michael Bauer,der sic hunter ande-
remmit den Themen energetische Sanie-
rung undNach haltigkeit befasst.Für Im-
mobilienbesitzer bedeutedie energeti-
sche SanierungihrerGebäudeinersterLi-
nie eine erhebliche Investition, die sich
aus ihrer Sichtrechnen sollte. Gleichzei-
tig sei bei den meisten Immobilienbesit-
zernwenigWissen vorhanden,welche Sa-
nierungsmaßnahmen sinnvoll und zu-
gleichwirtschaftlichseien und welche
Fördermaßnahmen estatsächlichgebe.
„Denn nicht alle Maßnahmen bei einer
energetischen Sanierung lassen sich
durch niedrigereEnergiekostenwirt-
schaftlichrefinanzieren.“
Aufdie Wohnungswirtschaftkommen
indenkommendendrei JahrzehntenHun-
derte Milliarden EuroanAusgaben zu.
Die Deutsche Energie-Agentur schätzt in
ihrer Studie mit demTitel„Integ rierte
Energiewende“ die MehrkostenimGe-
bäudesektor auf 518 bis 932 Milliarden
Eurobis zum Jahr 2050. Davonentfallen,
bezogen auf die Fläche, zwei Drittel al-
lein aufWohnungen. Dakommen enor-
meSummenzusammen.ImJahr2018hat-
tendie imBundesverbanddeutscherWoh-
nungs- und Immobilienunternehmen
(GdW)vertretene nUnternehmen 9,4Mil-
liarden Euroinden Bestand in vestiert.

Dies umfasst die gesamteInstandsetzung
und Modernisierung, nicht alleine nur die
energetischen Maßnahmen. „Zur Errei-
chung der Klimaziele bedarfesnachEin-
schätzung derWohnungswirtschaftjähr-
lich10Milliarden EuroanZuschüssen für
vermietete Wohnungen“, meint Ingrid
Vogler,Leiterin Energie und Technik
beimGdW mitSitz inBerlin.Aber derzeit
könnte der Markt diesgarnicht aufneh-
men. Insofernsei die Erhöhung derTil-
gungszuschüsse ein sehr guter erster
Schritt.Obdie Mittel ausreichten,wenn
die Nach frag esteigen würde, sei nochun-
klar.
Drees &Sommer-Fachmann Bauer
sagt:„Die Hälfte aller Wohngebäude in
Deutschlandstammen aus den Baujahren
1949 bis 1990 undverursachen über 50
Prozent des Energieverbrauchs.“ Daher
sei dasPotential bei der energetischen Sa-
nierung besondersgroß. Felix Pakleppa,
Hauptgeschäftsführer desZentral verban-
des des Deutschen Baugewerbes (ZDB),
erklär t: „Die klassischen Altbauten sind
aufgrund ihrer dickenMauerneher posi-
tivzu bewerten.“ Hiersollteder Denkmal-
schutzhinterfragtwerden,wennzum Bei-
spiel deswegen Fensternicht ausge-
tauscht werden dürften. Der Gebäudebe-
stand, der nachder er sten Wärmeschutz-
verordnung gebautwordensei,sei energe-
tischzwarauf einem besseren, aber im-
mer nochnicht auf einem ausreichenden
Standard.„Wenn über den Gebäudebe-
stand gesprochen wird, darfdie Vielzahl
öffentlicher Gebäude, Schulen, Büro-
und Handelsgebäude sowieVerwaltungs-
und Gewerbebauten nicht außerAcht ge-
lassenwerden. Auch sie müssen beheizt
werden. Auch sie müssen energetischsa-
niertwerden.“

Das Kabinett hatteimOktober 2019
das Gebäudeenergiegesetz auf denWeg
gebracht,welches die bisherigeEnergie-
Einsparverordnung (EnEv) und das Er-
neuerbare-Energien-Wärmegesetzzusam-
menfasst.DiebisherigenStandards sollen
fürneue odersanierte Gebäudeweiter gel-
ten. AufdieStandardssollenaberalterna-
tiveEnergiequellen wie Sonne oder Bio-
gasstärker angerechnetwerden. Eine
energetischeSanierunghatauchkonkrete
Auswirkungen auf die Mieter. Bislang
müsse der Mieterind er Regeldie Sanie-
rungen über die Modernisierungsumlage
zahlen, heißt esvomDeutschen Mieter-
bund (DMB). DMB-Geschäftsführer Ul-
rich Ropertz forderte eine weiter eAbsen-
kung der Modernisierungsumlage, also
der Mieterhöhung, über die Vermieter
ihreInvestitionen auf die Mieterumlegen
dürfen. Der Spitzenverband Zentraler Im-
mobilienAusschuss(ZIA) wirft ein, dass
einezugravierend eSenkungde rModerni-
sierungsumlagedazu führenkönnte, dass
Modernisierungen blockiertwürden.
Aufdiese setzt das Ausbaugewerbe.
„Die Kapazitäten sindvorhanden“, meint
Rainer König, Vorsitzender desFachver-
bands derStuckateurefür Ausbau und
Fassade Baden-Württemberg.Früher sei
oftmals nur dieFassade ausgebessertund
dann gestrichen worden. Nunkomme seit
Jahren immer mehr das Thema Däm-
mung hinzu. Er verweistdarauf, dass
rund 30 Prozent allerCO 2 -Emissionen
durch schlechtgedämmteGebäude und
veralteteHeizsysteme entstehen. Energe-
tische Sanierung sei kein Selbstläufer.
Denn durch den zweimalgescheiterten
Versuch, einesteuerlicheFörderung für
Sanierungsmaßnahmen umzusetzen,
habe sichunter den Eigentümerneine

Haltung breitgemacht, die den Sanie-
rungsmarkt negativ beeinflusst habe.
Nunmüsse die entsprechendeÜberzeu-
gungsarbeitgeleistetwerden.König er-
wartet zugleich, dasslangfristig diege-
planteCO 2 -Steuer auf diefossilen Brenn-
stoffe zu einemUmdenken unter den Ei-
gentümernführen wirdund dann auch
das Thema energetische Sanierung lang-
fristig mit anschieben wird.
Nach Auffassung des Beratungs- und
Planungsunternehmens Drees&Sommer
istdie Energiewende imWohnbereich
machbar.Hierbei dürfe man einWohnge-
bäude jedochnicht einzeln betrachten.

Vielmehr müsse das Gebäude inVerbin-
dung mit einemvernetzten, intelligent
konzipiertenundnachhaltigenStadtquar-
tier gesehenwerden. DerVorteil sei, dass
diesaniertenGebäudeundNeubautenun-
terschiedlicherNutzung in diesemStadt-
quartier die Energiegemeinsam erzeu-
gen, nutzen undverteilen könnten. „Zum
Beispielkönnen sie mit Photovoltaik und
Geothermie eigeneregenerativeEnergie
produzieren,regenerativeEnergiequellen
nutzenunddiese Energienwomöglichso-
garintelligent thermischoder elektrisch
speichern“, nennt Bauer alsVorteile der
Vernetzung.

Berlinhat einenfünfjährigenMietende-
ckel beschlossen.Wird er den Anstieg
der Mieten dämpfen?
AndersalsdieBezeichnung „Deckel“ ver-
muten lässt,werden die Mietennicht nur
auf einembestimmten Niveaugedeckelt,
sondernmüssen sogargesenktwerden.
Absurderweise profitieren dadurch voral-
lem finanziell gut ausgestattete Haushal-
te,die zumTeil auc hfreiwillighöhere
Mietenvereinbarthatten,welche dann
gesenkt werden müssen; und eben nicht
die finanziell und sozial schwächeren
Haushalte.Kurzfristig wirdesalso wohl
einegedämpfte Mietpreisentwicklungge-
ben. Jedochwirdder Markt informelle
Wege finden, um die Differenz einzuprei-
sen: Abstandszahlungen, er staunlich teu-
re Parkplätz eoder Einbauküchen. In an-
derenStädten, in denen ähnliche Geset-
zeang ewendetwurden,kannma ndas an-
schaulich betrachten. Das soll natürlich
keinemgeraten sein. Letztlich lassen
sichaber die fundamentalen Gesetzevon
Angebotund Nachfrag enicht per Gesetz
außer Kraftsetzen und brechen sich
dann eben in Graubereichen ihreBah-
nen.

Falls das Bundesverfassungsgericht den
Mietendeckelkippt: Sind dann die Inves-
toren wieder zufrieden?
Investoren sind zuallererst an dauerhaft
verlässlichenRahmenbedingungen inter-
essiert. Die gibt es in Berlin auf absehba-
re Zeit nicht mehr.Übrigens gilt das nicht
nur bei Bestandsinvestitionen wie Sanie-
rungsmaßnahmen oder energetischen

Maßnahmen zur CO 2 -Reduktion, son-
dernauchfür Neubauinvestments.Neu-
bau is tzwarvon dem Gesetz ausgenom-
men. Aber wie langebleibt einNeubau
ein Neubau? DieFurc ht besteht, dass
nacheiner gewissenZeit der Neubau zum
„mietengedeckelten“ Bestand erklärt
wird–mit allenFolgen. Undvon dieser
großen Unsicherheit sind ja nicht nur die
Investoren betroffen, sondernunzählige
andereGruppen: angefangen bei Hand-
werkernund dem Baugewerbe bis hin zu
denMietern.SogardiezuständigeSenato-
rinempfiehlt, die bei Mietsenkungenge-
sparte Differenz beiseitezulegen, falls
Nach zahlungenfällig werden sollten.
Undselbstwenn das Gesetz in Gänzege-
kipptwerden sollte,kann das gut undger-
ne zwei Jahredauern.Zudem weiß nie-
mand, wie die BerlinerRegierung dann
reagieren wird.

Rechnen Sie damit, dass anderedeut-
sche Städte ebenfalls Mietendeckel ein-
zuführenversuchen?
Berlinsteht wie unter einem Brennglas,
vorallemfürdeutsche,aber auchfüreuro-
päischeStädte. Denn derUrbanisierungs-
trend, der zu der höherenNach frag enach
städtischemWohnraum führt, istjawe-
der ein Berliner nochein deutsches Phä-
nomen, sondernfindetvielerortsstatt.
Wenn ir gendeinTeil des Gesetzes auch
nacheiner richterlichenÜberprüfung Be-
stand haben sollte,geraten andereKom-
munen politischunter Druckund werden
ähnliche Eingriff eprüfen.Für deutsche
Städte gilt das umso mehr.Denn als

Hauptstadt undgrößter Wohnungsmarkt
hat Berlin eine enormeStrahlkraftindie
gesamteBundesrepublikund darüberhin-
aus.

Muss Berlin unabhängigvon allen woh-
nungspolitischen Bemühungen als at-
traktive Hauptstadtnicht ohnehin da-
mit rechnen, dass die Mieten langfristig
noch erheblich steigen werden?
Berlin und diegesamteMetropolregion
haben es trotzaller Widrigkeiten ge-
schaf ft,eine ausgesprochen positiveEnt-
wicklung hinzulegen. Die Ansiedlungen
vonSiemens, Amazon undTesla sind nur
aktuelle Beispiele. Insgesamt hat sichdie
Stadt als attraktiver Tech-Standorteta-
bliert. Hier gibt es nicht nur das beste
Knowhowindiesem Bereich. Berlin gilt
auchinternational als hip, und es istdie
einzigeStadt in Deutschland, in der man
mit Englischund ohne tiefereDeutsch-
kenntnisse gut durch den Alltagkommt.
FürUnternehmenundMitarbeiterinK ali-
fornien, NewYork, London oderTelAviv
ein nicht zu unterschätzendes Argument.
Also ja: Die Hauptstadt bleibt attraktiv.
Auch der Zuzug wirdanhalten und damit
die Nach frag enachWohnraum.Wenn
das Angebotnicht Schritt haltenkann –
und der Mietendeckelwirkt hierkontra-
produktiv –,werden die Mietenlangfris-
tig auchweiter steigen.Stattdessenwäre
eine breitangelegteNeubauinitiativeim
Schulterschlusszwischen Land und Pri-
vatwirtschaftdie richtigeAntwor t.

Die FragenstellteMichaelPsotta.

Kein Brexit-Boom


VonMichael Psotta

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Altbausanierung:Gute Bausubstanz kann sichoptischwie energetischauszahlen. FotoImago
Anspruchauf Ladestationen
für Mieter.SeiteI3
Die energetische
Sanierungvon
Wohngebäudenkommt
nur langsamvoran. So
lassen sichdie
ehrgeizigenUmweltziele
kaum er reichen.
VonOliver Schmale,
Stuttgart
„MietendeckelführtinGraubereiche“
Über den BerlinerVersuch,die GesetzevonAngebo tund Nach frag ezuumgehen
Gebäude-Klimaschutz braucht mehr Tempo
NR.44·SEITEI1


FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Immobilien FREITAG,21. FEBRUAR2020

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