Frankfurter Allgemeine Zeitung - 21.02.2020

(ff) #1

SEITE 4·FREITAG,21. FEBRUAR2020·NR.44 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Katyn-Prozess in Sofia


In der bulgarischen Hauptstadt be-
ginnt vordem „Volksgerichtshof“ ein
Prozessgegen Ärzteund Professo-
ren. Die Angeklagten hatten nach
der Entdeckung der Massengräber
polnischer OffiziereinKatyn durch
deutscheTruppen im April 1943 als
Gutachter bezeugt, dassdie Morde
vonsowjetischenKräftenverübtwor-
den seien. DieseAussagen entspra-
chen, wie heutesogar vonrussischer
Seitezugegeben wird, derWahrheit.
ImFebruar1945 aberwirdden Ange-
klagtenvorgeworfen, sic hdurch ihre
Gutachten in den Dienstder deut-
schen Propagandagestellt zu haben.
Die Sowjetunionleugnetzudiesem
Zeitpunkt jegliche Verantwortung
für den Massenmord. Sie beschuldigt
ihrerseitsdasohnehinschwerbelaste-
te Deutschland, die polnischen Of fi-
ziereumgebracht zu haben. Dieser
sowjetischen Sprachregelung wirdzu
diesemZeitpunktvonden westlichen
Alliiertenzumindest nicht öffentlich
widersprochen. Einer der Angeklag-
tenvon Sofia sagt zu seinerVerteidi-
gung, dieUntersuchungskommission
habe während ihres Besuchs inKa-
tyn 1943 dieganze Zeit unter Gesta-
po-Aufsicht gestanden. Alle Mitglie-
der derKommission seiengezwun-
genworden, dasvonden Deutschen
angefertigteUntersuchungsprotokoll
zu unterschreiben.Die Af färe sei
eine vonden Deutschen ausgedachte
Geschichte, um „dieSlawenschlecht-
zumachen“.


Ein Lob


der Neutralität


Die schwedische Regierung, deren
LanddenKriegdurchgeschicktesLa-
vieren unversehrtüberstanden hat,
äußertsichzurückhaltend zu dervon
denGroßmächtengeplantenEinrich-
tung der Organisation derVereinten
Nationen. Diese Organisationbiete
gerade für kleineStaatenkeine Ga-
rantie für deren Unverletzlichkeit,
sagt der sozialdemokratische Kriegs-
ministerSkoeld. Es sei andererseits
auchnicht er strebenswert, sichinein
Bündnis miteinerGroßmacht zu be-
geben. Dann laufeman nämlich Ge-
fahr,von dieser in einenKonflikt mit
einer anderen Großmachtverwickelt
zu werden. Dergegenwärtig eKrieg
habe gezeigt, wie wichtig militäri-
sche Bereitschaftfür ein Land wie
Schweden sei. Angesichts der Hin-
richtung von34norwegischen Gei-
seln durch die deutschen Besatzer
Norwegensergänztder parteiloseAu-
ßenministerGünther,man teile in
SchwedendieEmpörungüberdieGe-
walttat .Ein militärisches Eingreifen
inNor wegenwerdetrotzdemnichter-
wogen.


Acht Divisionen


Die provisorische Regierung Un-
garnsgibt bekannt, sie habe sichver-
pflichtet,Streitkräfte im Umfang von
acht Divisionen aufzustellen. Diese
sollten zu der „Niederkämpfung“
Deutschlands und dessenfaschisti-
schen ungarischenVerbündetenbei-
tragen.Nurauf dieseWeise könne
Ungarnseinen Platz unter den demo-
kratischenVölker nerobern. In den
Jahren zuvor warUngar nmit
Deutschlandverbündetgewesen und
hattesichauchaktiv am Krieggegen
die Sowjetunionbeteiligt.Vondem
Bündnis mit Hitler hatteesnicht zu-
letzt territorial profitiert. Durch die
sogenanntenWiener Schiedssprüche
–als „Schiedsrichter“ agierten
Deutschland und Italien–hatteUn-
garn unter anderem aufKosten der
SlowakeiundRumäniens Gebiete zu-
gesprochen bekommen, die es 1919
durch den FriedensvertragvonTria-
non verloren hatte. Diese Grenzver-
schiebungenwerden jetzt zurückge-
nommen. pes.


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RichardGrenel lhat sein Ziel erreicht.
Mehrfachschon warder amerikanische
BotschafterinBerlinmitPostenin Verbin-
dung gebrachtworden, die im Weißen
Haus des DonaldTrumps zu besetzenwa-
ren. Mehrfachhatteauchder Präsident
selbstgesagt,„Rick“steheaufseinerListe.
Stets aberwarTrump amEnde zudem Er-
gebnis gekommen, dassGrenell nochin
Berlingebraucht werde. Am Mittwoch
klappte es dann mit der Beförderung: Der
Präsident ernannteihn zum amtierenden
nationalen Geheimdienstdirektor.
„Rickhat unser Land äußerst gut reprä-
sentiert, undich freue michdarauf, mit
ihm zu arbeiten“, äußerteTrumpund be-
danktesichbeiJosephMaguire,derimAu-
gustDan Coats auf demPosten abgelöst
hatte.AuchMaguirew arnu rgeschäftsfüh-
rendmitdemPostenbetrautworden.Kabi-
nettsposten können ohne Senatsbestäti-
gung nurvorübergehend besetztwerden –
MaguiresFristwäreimMärzabgelaufen.
ErsteWahl is tGrenell nicht. MehrereAn-

läufe Trumps, diePositio nregulä rzubeset-
zen, warengescheitert. Entwedergabes
Bedenken imWeißen Haus oder aberWi-
derstand im Senat, der denNominierten
bestätigen muss. Einmal hatteTrump
schon den KongressabgeordnetenJohn
Ratcliffe ausgeguckt.Der musstedann
aber wieder zurückziehen,weil er seinen
Lebenslauf leicht frisierthatte.
WieRatcliffeist Grenelleinhöchs tloya-
lerUnter stützer Trumps.DaswardemPrä-
sidenten wichtig. Der nationale Geheim-
dienstdirektorkoordiniertdie Arbeit der
zahlreichenNachrichtendienste.Die Posi-
tion warals Konsequenz aus dem 11. Sep-
tember 2001geschaffenworden, um zu
verhindern, dassdie Dienste aneinander
vorbei arbeiten.VonJohn Negropontebis
zu Maguirewar die Position bisher immer
mit Sicherheitsfachleuten besetztworden.
Trumpbrichtnun mit dieserTradition: Er
hegt Misstrauen gegenden Sicherheitsap-
parat, den er schon häufiger alsTeil des
„tiefenStaates“ bezeichnete. Grenell ist

ein Kommunikator:Erwar einstSprecher
JohnBoltons,alsdieserwährendderPräsi-
dentschaftGeorge W. BushsUN-Botschaf-
terinNew York war. Später arbeiteteer
als politischer Kommentator für denkon-
servativen Nachrich-
tensender „Fox News“.
DassTrump ihn –zu-
mindestvorüberge-
hend–nichtfürdenre-
gulärenPosten nomi-
niert,sondernzumam-
tierenden Direktor er-
nennt, spricht dafür,
dassermit Wider-
stand imKongress ge-
rechnethätte. Der Präsident nutzt wiekei-
ner seinerVorgänger die Möglichkeit,Per-
sonenkommissarischmit Posten zu be-
trauen. So mussersichnicht mit dem Se-
nat abstimmen.Undder Ernanntekann
sichnie allzu sicher fühlen.
Unklar is tnoch, ob Grenell seinenPos-
teninBerlin unmittelbar aufgibt.Die

Nach richtenagenturdpameldeteunterBe-
rufung auf amerikanische Diplomaten,
Grenellwerdeseine Amtsgeschäfte trotz
seines vorübergehendenWechsels nach
Washington invollem Umfang fortführen.
In Berlinwarschon bald nach dem Amts-
antritt GrenellsimSommer 2018 der Ein-
druc kentstanden, er sehe seineRolle
nicht darin, der Botschafterder Vereinig-
tenStaaten zu sein, sondern verstehe sich
vorallem als BotschafterTrumps. Gleich
zu Beginn seiner BerlinerTätigkeit lernte
er im BerlinerAuswärtigen Amt das soge-
nannteHardenberg-Zimmerkennen –je-
nen Raum, in dem Gespräche mit Bot-
schaf tern stattfinden, denen das Amtfor-
melle Missbilligung ausdrücken will.
MeistgehtesdabeiumAktionenihrerHei-
matländer,die in Berlin als unfreundlich
empfundenwerden.
In GrenellsFall handelte es sichumein
Interview, in dem er zu einerkonservati-
venRevolution in Europa ermunterte und
zur Unterstützung entsprechenderPartei-

en aufrief. Zwar wurde in seinemFalle
nicht voneiner formellen„Einbestellung“
gesprochen,stattdessenwardie Unte rre-
dung in denStatus eines„Antrittsbesu-
ches“ gestellt –dochdie Beschreibung des
Gespräch sverlaufswurde vondeutscher
Seiteindie Formeln gekleidet, die andeu-
ten, dassesenergischen Krachgab: Es
hieß,dasGesprächhabein„ offenerAtmo-
sphäre“stattgefunden.Undwährend das
AuswärtigeAmt in derFolgezunehmend
vonformellenUnterredungen mit Grenell
absah, blieb der seiner Öffentlichkeitsar-
beit treu. Zu den letztenKurznachrichten,
die er vorseinemRollenwechsel absetzte,
gehörteeineBeleidigungderGrünen-Vor-
sitzenden Annalena Baerbock,die sich
am vergangenen Wochenende auf der
Münchner Sicherheitskonferenzgegenge-
zielteamerikanischeHilfenfürosteuropäi-
sche Länderwandte. Grenell schrieb an
Baerbockgerichtet, er hoffe,„dassdiese
Naivität nur das Ergebnis vonzulanger
Oppositionszeit ist“.

Foto Helmut Fric

ke

A

uf der Reeperbahnmorgens um
halb elf istnicht so viel
los. Kippenstummel kleben
auf feuchten Gehwegplatten,
kaum ein Mensch istauf de rStraße .Nur
im Schmidt-Theater füllen sichlangsam
die Ränge. Das Theater ist berühmt in der
Stadt, einMagnetimausschweifenden
Nachtleben auf dem Kiez.Mit der SPD hat
das zwar nicht viel zu tun,aber dieWahl
istnah,unddahatmansichetwasBeson-
deres ausgedacht:Wahlkampf-Revue auf
St. Pa uli.Umelf sind dieReihen voll und
die Moderatorindes Morgens, Bürger-
schaftspräsidentinCarola Veit vonder
SPD,stellt sich auf die Bühne: Man hoffe,
zeigen z ukönnen, dassPolitik auchSpaß
macht .Dann kommt PeterTschentscher,
der Er steBürgermeister,und derversucht
garnicht erst,lusti gzusein –abgesehen
voneinem HSV-und-die-erste-Liga-Witz,
dergehörtdazu.Tschentscherklicktmitei-
ner Fernbedienungdie Bilder und Slogans
auf dergroßenLeinwand durch und hält
seinenWahlvortrag,denersoodersoähn-
lichschon of tgehalte nhat in denvergan-
genen Wochen. Esgeht um all dieWoh-
nungen, diegenehmigt undgebaut wur-
den, die kostenlosen Kita-Plätze, um den
Ausbau des öffentlichenPersonennahver-
kehrsund am Endeumdas Klima. Bot-
schaf t: Wirhaben dierichtigenZiele, die
Glaubwürdigkeit undKompetenz. Spitzen
gegenden Koalitionspartnervonden Grü-
nen inklusive.Freundlichen Applaus gibt
es,undweildieserMorgenetwasBesonde-
ressein soll,kommtdanacheine Break-
dance-Crew.Zud ickenBeats zuckendie
Tänzerüber die Bühne,aus den Lautspre-
cherndröhnt:„Let’sget ready to rumble.“
Das passt dannwieder zumWahlkampf.
Am Sonntag wählen dieHamburger
ihreneue Bürgerschaft, und dieAussich-
tenfür PeterTschentscher sind bestens.
Selbstverständlich wardas langenicht, im
Gegenteil.SchließlichmusstedieSPDsich
schwierigeFragenstellen: Wiekämpft
man um den Sieg,wenn dochklarist,dass
manviele Prozentpunkteverlieren dürfte?
Wieschlägt man seinenKoalitionspart-
ner,ohne zu tiefeWundenzureißen?Und
wie geht man damit um,wenn die eigene
Partei im Bund immer tieferind ie Krise
stürzt? Die HamburgerSPD hat darauf
Antworten gefunden:voneinerklarenAb-
grenzung nachBerlin bis hinzum of fensiv
zur Schaugestellten Selbstvertrauen. Die
politischenGegnertreibt das schon mal
zur Weißglut,den Wählernscheint es zu

gefallen.Sollt edie gerade schwelende
Cum-Ex-Affäre inder Stadt nicht dochdie
Stimmung kippen,wirdTschentscher
nichtnur Bürgermeister bleiben. Er wird
derSPD auch zeigen, wie sie nochWahlen
gewinnenkann.
Kaum zwei Jahreist es her ,dassPeter
Tschentscher die Führung im Rathaus
übernommen hat.Olaf Scholz zog es nach
Berlin, Tschentscherwarseit 2011seinFi-
nanzsenatorgewesen.Anderewaren als
Scholz-Nachfolger gehandeltworden. Viel
warüber ihnnichtbekannt.Ein schmaler
Mann, einfleißigerArbeiter.Ruhig,
freundlich, etwasspröde. Tschentscher
warLabormediziner, er is t1966 geboren
und aufgewachsen in Bremen, aber das
kann ja mal passieren.Ersagt über seine
Arbeitsweise:„IchdurchdenkeSachverhal-
te so lange, bis ic hsicher bin, dassalles zu-
sammenpasst.“Und:„DasechteLebendul-
detkeine Lücke. JedeLückewirdzum Pro-
blem.“Auch in diese Sätzekann ma neine
Spitzegegendie Grünen hineinlesen.
Im neuenAmt fand Tschentscher sich
bald ein. AlsFinanzsenator hatte er ohne-
hinalleThemenderStadtmehroderweni-
gerausführlichmal auf demTischgehabt.
NachdemesindenerstenMonatendarum
ging, Unfäll ezuvermeiden, wurde er im-
mer sichtbarer.Erbesucht edie Bezirke
und Bürger, reihteTermin anTermin in
denStadtteilen .Seine Auftr ittesindsoli-
de,nie spektakulär.Erk ann sichgeduldig
langeFragenanhören, um am Endetat-
sächlichzuantwor ten. Verlässlichkeit
scheint ihm aus jederPorezudringen.
Den Hamburgern gefiel es, seineBeliebt-
heitswertestiegen. ImWahlkampfnutzte
er die Gelegenheit, nochander eSeiten
vonsichzuzeigen: Mit einemReporter
ging er durch den Bremer Problemstadt-
teil,indemeraufgewachsenist,oderspiel-
te Klavierauf de rBühne der Elbphilhar-

monie. Bei einer Direktwahl brauchte
Tschentscher sic hkeine Sorgenzuma-
chen: Dakäme er lauteinerUmfrag eauf
58 Prozent,Fege bank auf 23.Aber so ein-
fach ist es nicht.
Tschentscher sitzt an einem dunklen
NachmittagimBürgermeisteramtszimmer
des Rathauses, der Blickgeht auf denRat-
hausmarkt,dahinterglitzertdieBinnenals-
terimLicht derStraßenlaternen.And en
Wänden desRathauses hängen Ölgemäl-
de seinerVorgänger .Alles Männer bis-
lang,Fegebankwolltedie er steFrauan
der Spitze derStadt werden. Die beiden
kennen sichgut, sie schätzen und duzen
sich. Dasmacht so ein Duell nicht einfa-
cher.Man müsse dieUnterschiedeheraus-
arbeiten,sagtTschentscherüberdenWahl-
kampf. „Wir möchten keine Schlamm-
schlacht, aber wir müssen schon klarma-
chen,dassesdieSPDwar, diedieStadtvor-
angebracht hat.“Unddas tun er und seine
Partei vehement.

D

ie SPD und Hamburg, das ist
einebesondereGeschichte.
Die Sozialdemokratenverste-
hen sichals Hamburg-Partei:
vonden vergangenen gut 60 Jahren haben
sie 50 Jahreden Bürgermeistergestellt.
Undweil sie ihreWirts chaftsfreundlich-
keit of fensiv nachvorne stellen,weil sie
bei der inneren Sicherheitstrikt auftreten,
sind sie nicht nur tiefeingedrungen in die
Stadtgesellschaft,sondernlassenauchbür-
gerlichen Parteien wie CDU oder FDPwe-
nig Platzzum Atmen. Es isteine der letz-
tenHochburgender Sozialdemokratie.
NurOle vonBeust konnte dieVormacht
durchbrechen, in seinen letztenJahrenim
Rathaus regierte er mit de nGrünen. 2011
kamdie SPD unter Scholz wiederandie
Macht, seit 2015 sind die Grünen dabei.
Dochdie zeh nJahrevor Scholz, die schei-

nenfür Sozialdemokraten nicht nur soet-
waswie ein historischer Irrtum gewesen
zu sein.Die Zeit dientihnen imWahl-
kampfalsBelegdafür, wiewenigesdiean-
derenangeblichkönnen –also auchdie
Grünen.Tschentscher sagt, mankönne
nichtimmer sagen, achdie anderenseien
dochnett. „Ichtraue de mFriedennicht.“
Er sei in diePolitikeingestiegen, als die
SPDinder Oppositiongewesen sei, „und
jederinderStadtweißno ch,wiedas gewe-
sen ist“ .Eshabegeradezu eine Empörung
darübergegeben, wie vielunte rSchwarz-
Grün schiefgelaufensei –von de nSchlag-
löche rn in den Straßenbis zumStillstand
beim Bau der Elbphilharmonie. „Daswa-
renkeineguten Jahrefür die Stadt.“
Es sindrechtdeutlicheWorte, rechtru-
higausgesprochen.SogehenTschentscher
und seine Sozialdemokraten durch den
Wahlkampf. Bei den anderenParteien ist
da schnellwieder vonArroganz dieRede,
vonder SPD, diesotue, alsgehöreihr die
Stadt.Und dochscheint die Strategiezu
verfangen.InhaltlichhaltensichdieUnter-
schiede ohnehin in Grenzen:Wohnungen
wollen alleParteien weiter bauen, Maß-
nahmenwie den Berliner„Mietendeckel“
lehnt nichtnur Tschentscher strikt ab,
auchdie Grünen halten nichts davon. Den
öffentlichen Nahverkehr wollen alle aus-
weiten, dieStaus nervendie Hamburger.
DieZustimmung zurKoalition istgroß,
einWechselwillen istnicht auszumachen.
Undwenn dieUnterschiede dochmal grö-
ßersind,habenTschentscherund dieSozi-
aldemokraten esverstanden, sie schrump-
fenzulassen: bei demKampfgegen den
Klima wandel, denTschentscher seit sei-
nemAmtsantrittstärkerhervorhebt und
kurz vorEnde derLegislaturperiodemit
denGrünendazu nocheinen Klimaplan
verabs chiedethat.OderbeidenDiskussio-
nenüber wenigerAutos in der Innenstadt,

wo die Grünen früh einkonkretes Kon-
zeptvorgestellt hatten. Kurz vorder Wahl
hat die SPD eins nachgeschoben,die Grü-
nen halten es für eineKopie. Asymmetri-
sche Demobilisierung hat man soetwas
mal genannt.
Am Endebleiben dieFragen nachdem
politischenAnsatz und denFähigkeiten
zur Abgrenzung.Fegebankwirbt für Mut
zur Veränderung, für die Bereitschaft, et-
wasauszuprobieren, auchwenn es mal
schiefgeht. Tschentscher sagt:„Je größer
die Verantwortungist,umso mehrgehen
Experimente,wenn sie schiefgehen,auf
die Kost en anderer.“Und wasFähigkeiten
angeht,hat Tschentscher schon früh den
Satzgeprägt:„Man mussnicht nurwollen,
man mussauchkönnen.“ Sozialdemokra-
tenverweisen dann wieder auf die
schwarz-grünen Jahre. Oderdarauf ,wer
denn die Elbvertiefung lange bekämpft
habe–eswarendieGrünen.OderTschent-
scher sagt, wie beimFernsehduell am
Diens tagabend,zuderEntwicklungdesge-
meinsamenKlimaplans,erhabedasvoran-
getrieben, in dergrünen Umweltbehörde
habeeskeinen Plangegeben, „nicht ein-
mal in der Schublade“.Fege bank erwider-
te zwar ,das sei einfach nichtwahr.Weder
die einenochdie andereBehauptung lässt
sichaber be weisen.Und die Zweifel sind
gesät.
Immerweiter konntedieSPDsichsoab-
setze nvon den Grünen.Zuletz tstanden
sie bei 37 Prozent und hatten mehr als
zehnPunkte Vorsprung .Esw äreein sehr
gutes Ergebnis –wenn auchweniger als
die 45,6Prozentvon2015 .Alles schien
klar, nur kurz vorder Wahl brachten Be-
richteübereinemutmaßlicheCum-Ex-Af-
färe wiederUnruhe.Esgehtumdie Frage,
warumdie S tadtEnde 2016eine Steuer-
rückforderung vonetwa47Millionen
Eurogegen eine HamburgerBank offen-
barverjährenließ.ScholzwarBürgermeis-
ter, TschentscherFinanzsenator.Beweise
für einFehlverhaltengibt es bislang nicht,
die Aufregung istaber groß. Tschentscher
bestreitet jegliche politischeEinflussnah-
me undverweistauf dasSteuergeheimnis.
AuchimSchmidt-TheateraufdemKiezbe-
ginnt er seinenAuftrit tmit eine rVerteidi-
gung. Die GrünenverlangenAufklärung –
in de rSenatssitzung amDienstaggerie ten
die Partner aneinander.ImFernsehduell
hielt sichFege banktrotzdem zurückmit
Vorwürfen. Es ist wahrscheinlich, dass
SPD und Grüne nachder Wahl weiter zu-
sammenregierenwerden. Wobei es nicht
völligausgeschlossen ist, dass die SPD zu-
mindestmal bei der CDUnachfragt.
Tschentscher jedenfallssagt:„Rot-Grün
isteine naheliegendeOption.“ Nach der
Wahl sei aber entscheidend,dassein guter
Koalitionsvertrag zustandekomme, mit
dem man Hamburgals Zukunfts stadt wei-
tervoranbringe. Er sitzt imRathaus,bald
könnteereine rder wenigen Sozialdemo-
krate nsein, die nochmit einemWahler-
folg verbundenwerden. Die Bundesspitze
warnicht eingeladen zumWahlkampf, an-
derewichtig eSozialdemokraten wie Ma-
nuela Schwesigoder Franzisk aGiffey
schon .Tschentscher sagt, er sei guter Din-
ge,dasssich dieVerhältnissestabilisieren
in der Bundespartei und dassesmit Ge-
schlos senheitwieder vorangehe.„Wirsind
in HamburgauchgernVorbild.“

1945


Versuchtgarnicht erstlustig zu sein:PeterTschentscher bei einemWahlvortragimSchmidt-Theater FotoDaniel Pilar

Schon längerauf Trumps Liste


DerPräsiden ternennt Grenell zumGeheimdienstdirekt or.VonJohannes Leithäus er,Berlin, und Majid Sattar,Washington


In der letzten Hochburg


DIE LETZTEN
KRIEGSWOCHEN


  1. FEBRUAR


RichardGrenell

Die Ausgangslagefür die


SPD in Hamburg war


schwierig:Warum Peter


Tschentschertrotzdem


kurz voreinem Wahlsieg


in der Hansestadt steht.


VonMatthiasWyssuwa,


Hamburg


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