Neue Zürcher Zeitung - 09.03.2020

(Steven Felgate) #1

16 PANORAMA Montag, 9. März 2020


ZAHLENRÄTSEL NR. 57

SPIELREGELN«GEBIE TSSUMME»:Die
Ziffern1 bis7 sindsoei nzutragen,dasssie
in je der Zeile und jeder Spalte einm al vor-
kommen .DiekleinenZahlenindenumran-
deten Gebieten geben die Summe im
jeweiligen Gebiet an. I nnerhalb eines Ge-
biets könnenZiffernmehrfachvorkommen.

Auflösung:
ZahlenrätselNr. 56

Nicht jederAccount aufTwitter stammt auch von einerecht en Person. KEVIN COOMBS/REUTERS

Twitters Problem mit dem blauen Haken

Ein amerikanischer Teenagertrickst aus Langeweile den Social-Media-Gigantenaus


Ein Schüler aus NewYork


erstellt aufTwitter ein Profil


einesPolitikers, den es gar nicht


gibt. DochTwitter verifiziert


das Konto trotzdem.Das wirft


Fragen zur Manipulation


der amerikanischenWahlen auf.


CORINNE PLAGA


«Lasst uns gemeinsamWashington ver-
ändern»: ein Slogan, den indiesemJahr
wohl viele amerikanischePolitikerinnen
und Politiker unterschreiben würden.
AndrewWalz, ein Kandidat aus Rhode
Island, der für dieRepublikanerin den
Kongress gewählt werden will, hat das
prägnante Statement in seinTwitter-Profil
geschrieben. Der Mann mit der Brille, der
sonstkeine besonderen Merkmale hat,
bezeichnet sich selbst als«Wirtschafts-
führer» und verlinkt auf seine Homepage.
NebenWalz’ Namen prangt der blaue
Haken, mit demTwitter Profile verifiziert.
Das Pr oblem bei Andrew Walz: Er
existiert nicht.Das Profil ist «fake». Er-
stellt hat denAccount ein17-jähriger
Schüler aus Upstate NewYork. Wie
CNN Business berichtet, habe derTeen-
ager dasPolitiker-Profilaus Langeweile
erfunden und weil erTwitters Bestre-
bungen in Zusammenhang mit den US-
Wahlen habe testen wollen. Der Min-
derjährige, der anonym bleibt, sagte
dem Sender, er habe nur 25 Minuten
benötigt, um eineFake-Website und ein
Fake-Profil aufTwitter zu erstellen.
Dass das erfundene Profil vonTwit-
ter den begehrten blauen Haken erhielt,
wirft ein schlechtes Licht auf die Social-
Media-Plattform, die um Echtheit ihrer
Inhalte bemühtist. Dochwarum hat
Twitter das Profil überhaupt verifiziert?
Der High-School-Schüler erklärte dazu,
dass er lediglich ein Profil auf der Seite
Ballotpedia mit dem Namen seines an-
geblichenPolitikers erstellt habe. Das
sei einfach gewesen.
Ballotpedia arbeitet eng mitTwitter
zusammen und stellt als gemeinnützige
Website eine Enzyklopädie aller ame-
rikanischen politischen Kandidaten zur
Verfügung. Twitter habe nur den Be-
leg benötigt, dassWalz auf Ballotpedia
aufgelistet ist,um dasTwitter-Konto als
«echt» zu markieren. EinenPass oder
Ausweis habe der Schüler nicht vorwei-
sen müssen, erzählt er.


DerTwitter-Haken, der 2009 einge-
führt und später vonFacebookkopiert
wurde, zeigt Nutzern an, dass der jewei-
lige Account authentisch ist. Promi-
nente, Journalisten, Unternehmen sowie
Accountsvonöffentlichem Interesse er-
halten diesesVerifizierungszeichen. Meis-
tens geschiehtdies über die Identifikation
mit einemDokument.Doch fürUS-Poli-
tikerinnen und -Politiker hatTwitter seine
Regeln angepasst: Im Dezember 20 19
verkündete die Plattform, dass sämtliche
Kandidaten der anstehenden US-Wahlen
automatisch und inKooperation mitBal-
lotpedia verifiziert würden.

DerWorst Caseist eingetreten


Für die Kandidaten ist der Hakenäus-
serst wichtig – sokönnenWähler und
Unterstützer sicherstellen, dass zum
BeispielWahlspenden bei der richtigen
Adresse ankommen.Ausserdem können
Nachahmer mitFake-Profilenschneller

erkannt werden. Mit derVerifikation wird
letztlich die Identität der öffentlichenPer-
son geschützt. «UnserWorst-Case-Szena-
rio ist, dass wir jemanden verifizieren, der
nicht der echte Kandidat ist», sagte kürz-
lich ein Sprecher vonTwitte r. Genau das
ist aber nun eingetreten, wie das Beispiel
des 17-jährigenTeenagers zeigt.
Der Schüler erklärte gegenüber CNN,
er habe wissen wollen, wie soziale Netz-
werkemit Desinformationim Wahl-
kampfumgingen,nachdem er im Unter-
richt von RusslandsEinmischung in
die Präsidentschaftswahl 2016 erfahren
habe. Für sein Experiment nutzte der
Teenager einFoto von der Seite«This
Person Does Not Exist», die mithilfe von
künstlicher Intelligenzreal aussehende
Gesichter von nichtrealenPersonen er-
stellt. DieselbeTechnologie wird auch
bei der Herstellung von Deepfake-Vi-
deos angewendet. DieseVideomanipu-
lationen stellen in denAugen von Exper-
ten eine Gefahr für die Demokratie dar.

Das Twitter-Profil von AndrewWalz,
das zum Zeitpunkt derVerifizierung
nur zehnFollower zählte, wurde mitt-
lerweile gelöscht.Auf der angeblichen
Website des Kandidaten steht der Hin-
weis, dassdie Person nicht existiere und
ein Fake sei. Und auchBallotpedia hat
reagiert und denFehler eingestanden.
Die Plattform habe aus demVorfall
Konsequenzen gezogen und die Richt-
linien angepasst, wie offizielle Kandida-
ten erkannt würden.Damit würde auch
TwittersVerifizierungsprozess verbes-
sert werden.

Kandidaten beschweren sich


Laut CNN würden echteKandidaten hin-
gegen Probleme haben, den blauen Ha-
ken zu bekommen.DutzendePolitiker
hatten kritisiert, dass sie vor Beginn der
Vorwahlen nochkein verifiziertesKonto
erhalten hätten. Somit hätten sie Nach-
teile gegenüber anderen Kandidaten.

Tatsächlich hatTwitter schon länger
Probleme mit derAuthentifizierung von
Accounts. Zurzeit würdenkeine neuen
Anfragen angenommen, heisst es auf
der Website. Das Programm für verifi-
zierteAccounts sei derzeit suspendiert.
Zudem löschtTwitter täglich Millio-
nenKonten von der Plattform, darunter
Bots oder Profile, die Fake-Newsver-
breiten oder gegen die Richtlinien ver-
stossen. Nach massiver Kritik musste
selbstTwitter-Chef Jack Dorsey ein-
gestehen: «Unsere Mitarbeiter haben
unsereVerifizierungsrichtlinienkorrekt
angewendet,aber wir wissen schon seit
einiger Zeit, dass dasSystem kaputt ist
und überdacht werden muss.»
In Zeiten, da soziale Netzwerke
einen starken Einfluss auf diePolitik
und demokratische Prozesse haben, soll-

ten Nutzerinnen und Nutzer sicher sein
können, welcher Quelle sie trauenkön-
nen. Dass Manipulationen auf Face-
book,Twitter und Co. alltäglich sind, ist
bekannt. Umso wichtiger ist es, dass die
grossen PlattformenTransparenz zei-
gen und aktiv gegen Desinformation
vorgehen. Experten warnen bereits vor
einer erneuten äusseren Einmischung in
die US-Wahlen 2020.
Der Jugendliche, der das soziale
Netzwerk mit seinemFake-Profil auf
die Probleme bezüglich der US-Wah-
len aufmerksam machte, sagt: «Ich liebe
Twitter und finde, es ist eine grossartige
Plattform.»Darum wolle er auch, dass
Twitter erfolgreich sei. «Ich hatte nie
böse Absichten,sondern wollteTwit-
ter nur testen.» Nun wisse man dort Be-
scheid undkönne dieRegeln anpassen,
um ähnliches in Zukunft zu verhindern,
so der technikaffine Schüler. Wie viele
«AndrewWalz» es künftig auf die Platt-
form schaffen, bleibt abzuwarten.

Die SpaceX-Satelliten stören weniger als gedacht


Die Befürchtung, dass amHimmel bald mehr Raumflugkörper als Sterne zu sehen sind, ist unbegründet


CHRISTIAN SPEICHER


Die Satelliten-Konstellation, mit denen
Firmen wie SpaceX, Amazon und One-
Web ein weltumspannendes Internet
aufbauen wollen, haben Astronomen in
Aufruhr versetzt. Sie befürchten, dass
die teilweise mit blossemAuge sichtba-
ren Satelliten astronomischeBeobach-
tungen störenkönnten. ZweiWissen-
schafter der Europäischen Südstern-
warte (ESO) haben nun eine erste Ab-
schätzung vorgenommen, wie gravierend
das Problem ist. Ihre Antwort fällt zwie-
spältig aus. EinigeTeleskope dürften nur
moderat durch die Satelliten beeinflusst
werden, andere hingegen erheblich.


Wie an einer Perlenschnur


In den nächstenJahren dürfte derVer-
kehr im erdnahen Weltraum stark
zunehmen. Allein das amerikanische
Raumfahrtunternehmen SpaceX hat von
derFederal Communications Commis-
sion der USA die Genehmigung erhal-
ten, 12 000 Satelliten imWeltraum aus-
zusetzen. Die Pläne derKonkurrenz be-
wegen sich in ähnlichen Dimensionen.
Als SpaceX im vergangenenJahr die
ersten 60 Satelliten in eine Erdumlauf-
bahn schoss, war das Erstaunen gross.
Die Satellitenreflektierten das Sonnen-


licht viel stärker, als man es für möglich
gehalten hatte. Aufgereiht wie an einer
Perlenschnur zogen sie gut sichtbar über
den Himmel. Zwar hatten die Satelliten
zum damaligen Zeitpunkt noch nicht
ihre endgültige (höhere) Umlaufbahn
erreicht.Trotzdem schwante den Astro-
nomen Böses.
Die Analyse, dieOlivier Hainaut
und AndrewWilliams nun in derFach-
zeitschrift «Astronomy & Astrophy-
sics» vorgestellt haben, beruht auf ver-
einfachenden Annahmen. Sogehen die
beiden Astronomen zum Beispiel da-
von aus, dass die 26 000 Satelliten, mit
denenin den nächstenJahren zurechnen
ist, gleichmässig über den Himmel ver-
teilt sein werden. Wie hell die Satelliten
in Abhängigkeit von ihrer Flughöhe und
ihremWinkel über dem Horizont leuch-
ten, schätzen dieForscher anhand eines
Modells ab, das sich auf die Beobachtung
vorhandener Satelliten stützt. DieFor-
scher betonen, dassihre Abschätzungen
konservativ seien.Die tatsächlichenAus-
wirkungenkönnten durchaus kleiner sein.
Laut der Studie werden sich direkt
nach Sonnenuntergang maximal 1600
beleuchtete Satelliten im Blickfeld eines
Teleskops befinden,das in mittleren Brei-
ten steht, die meisten davonknapp über
dem Horizont. Nur 250 steigen höher als
30 Grad auf. Das ist der Bereich, in dem

astronomische Beobachtungen üblicher-
weise stattfinden. Mit demFortschreiten
der Nacht nimmt die Zahl der stören-
den Satellitenkontinuierlich ab, weil der
Schatten der Erde immer grösser wird.
WelcheAuswirkungen das auf astrono-
mische Beobachtungen hat, hängt unter
anderem von der Beobachtungsdauer ab.
Bei Aufnahmen mit einer kurzen Belich-
tungszeit von einer Sekunde seien dieFol-
gen vernachlässigbar, schreiben dieAuto-
ren.Anders sieht es aus, wenn für eine Be-
obachtung lange Belichtungszeiten von
1000 Sekunden erforderlich sind. In die-
semFall könnten 0,3 bis 0,4 Prozent der
Aufnahmen durch die Satelliten ruiniert
werden, in derDämmerung auch mehr.

Weitwinkelteleskopein Not


Eine wichtigeRolle spielt zudem der
Öffnungswinkel der Teleskope. Bei
einemWeitwinkelteleskopkönnten bis
zu 5 Prozent derAufnahmen unbrauch-
bar sein. Besonders hart würde esTele-
skopemit einem sehr grossen Sicht-
bereich treffen. Hierkönnten die Satelli-
ten bis zu30 Prozent derAufnahmenrui-
nieren, in derDämmerung sogar bis zu
50 Prozent. In diese Kategorie fällt zum
Beispiel dasVera C. Rubin Observatory
der National ScienceFoundation, das
2021 in Chile in Betrieb genommen wer-

den soll. Gänzlich ungestört wäre dieses
Teleskop nur in langenWinternächten.
Viele Astronomen dürften diese Er-
gebnisse erleichtert zurKenntnis neh-
men. Denn in den meistenFällen sind
die Auswirkungen kleiner als befürchtet.
Das gilt zum Beispiel für dasVery Large
Telescope sowie das geplante Extremely
Large Telescope der ESO. Mit grösse-
ren Beeinträchtigungen ist hier nicht zu
rechnen. Zudem gibt es Möglichkeiten,
die Störungen zu umgehen.Kennt man
beispielsweise die Umlaufbahnen der
Satelliten, lassen sich die Beobachtungs-
zeiten so takten, dass geradekein Satel-
lit dasBild kreuzt.Das funktioniert aller-
dings nicht in allenFällen.
Auch für Hobbyastronomen haben
Hainaut undWilliams eine gute Nach-
richt parat. Die Befürchtung, dass am
Nachthimmel bald mehr Satelliten als
Sterne zu sehen seinkönnten, sei unbe-
gründet. In derDämmerung kurz vor
Sonnenaufgang, so zeigt die Abschät-
zung, wären nur 100 Satelliten hell genug,
um sie mit blossemAuge sehen zukön-
nen.Davon stünden nur 10 höher als 30
Grad am Himmel.Damit würde sich die
Zahl der sichtbaren künstlichen Objekte
am Himmel verdoppeln.Das ist aber
immer noch wenig imVergleich zu den
rund 3000 Sternen, die man unter güns-
tigen Bedingungen sehen kann.

«Wir wissen schon
seit einiger Zeit, dass

das System kaputt ist
und überdacht

werden muss.»


Jack Dorsey
Chef vonTwitter
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