20 GELD & FINANZEN Montag, 9. März 2020
Euro-Zone auf den Spuren Japans
Zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung der Euro-Zon e und derjenigen Japans gibt es gewisse Parallelen
MICHAEL FERBER
Eine schrumpfende Bevölkerung, defla-
tionäreTendenzen, eine schleppende
Wirtschaftsentwicklung – dies ist ge-
meint, wenn in derWirtschaft von einer
«Japanisierung» gesprochen wird.Das
Land imFernen Osten, dessenKonjunk-
tur seit einer tiefgehenden Immobilien-
krise Anfang der1990erJahre nicht mehr
richtig in Schwungkommt, galt damit
lange als Sonderfall unter den Industrie-
ländern. Seit demAusbruch der globalen
Finanz- und Schuldenkrise imJahr 2008
diskutieren Ökonomen aber immer wie-
der darüber, ob auch andereLänder und
Wirtschaftsräume von der«japanischen
Krankheit» befallen seinkönnten.Be-
sonders die Euro-Zone ist hier insVisier
geraten. Sollte diese wirklich von einer
«Japanisierung» befallen sein, hätte dies
auch erheblicheKonsequenzen fürdie
Schweiz. Die Euro-Zone ist ein wichti-
ger Handelspartner, und in der Geldpoli-
tik ist die Schweizerische Nationalbank
(SNB) fast schon eine Art Gefangene
derPolitik der Europäischen Zentral-
bank (EZB).WelcheParallelen zwischen
Japan und der Euro-Zone gibt es also,
und was bedeuten sie für Anleger?
Alternde Bevölkerungen:Wie die
Landesbank Baden-Württemberg
(LBBW) in einer imFebruar diesesJah-
res publizierten Studie ausführt,können
verschiedene ökonomischeKennzahlen
so interpretiert werden, dassJapan in ei-
nigen Bereichen «15JahreVorsprung»
hat auf die Euro-Zone. Dies gilt etwa
für die demografische Entwicklung. So
leidet Nippon unter einer schrump-
fendenBevölkerungszahl.Laut dem
Datenanbieter Statista lebten in dem
Land 2011 noch 127,8 Mio. Menschen,
2024 dürften es indessen nur noch 123,
Mio. sein.Auchin der Euro-Zone altert
die Bevölkerungrasch.Laut der Studie
dürfte in Deutschland die Zahl derPer-
sonen imRentenalter, die auf 100Per-
sonen im erwerbstätigen Alterkommen,
bis2040 von derzeit unter 40 auf 54 stei-
gen. Unterschiede zwischenJa pan und
der Euro-Zone gibt es indessenbei der
Migration. In dem fernöstlichenLand
gibt es kaum Zuwanderung.
Schleppendes Wirtschaftswachs-
tum:Japan wurde rund 15 Jahre vor der
Euro-Zone von einer strengen Krise er-
wischt, seitdem folgtenJahrzehnte der
wirtschaftlichen Stagnation. Gemäss der
Investmentgesellschaft Schroders wuchs
die japanischeWirtschaft vor der Krise
in den1980erJahren imDurchschnitt
mit rund 4% proJahr, seit1992 liege
dasWirtschaftswachstumreal – also mit
Einberechnung der Inflation bzw. Defla-
tion – bei 0,9%, nominal bei 0,5% jähr-
lich. Bei der wirtschaftlichen Entwick-
lung inJapan und der Euro-Zone nach
der jeweiligen Krise habe es indessen
deutliche Unterschiede gegeben. Nach
dem Platzen der Blase imJahr 1991
seien die Unternehmensinvestitionen in
Japan deutlich stärker zurückgegangen
als in Europa nach demAusbruch der
Finanzkrise 2008 und der Euro-Schul-
denkrise 2011. Zudemsei inEuropa die
Erholung stärker gewesen.
Geringe Inflation und ultraexpan-
sive Geldpolitik:SowohlJapan als auch
die Euro-Zone haben sehr niedrige Infla-
tionsraten, in Nippon kam der Einbruch
bereitsJahre vorher. Laut Schroders lag
die Inflation inJapan seit1995 bei durch-
schnittlich 0,2% proJahr. Im Bereichder
Geldpolitikgibtes deutliche Ähnlichkei-
ten zwischenJapan und der Euro-Zone.
Sowohl dieBank ofJapan als auch die
Europäische Zentralbank (EZB) versu-
chen, mit ultraexpansiven Massnahmen
dieWirtschaft anzukurbeln.
Starker Rückgang der Zinserträge:
Das Kalkül derbeiden Zentralbanken
is t bisher indessen nicht aufgegangen.
SowohlJapan als auch die Euro-Zone
stecken zunehmend in einerTiefzins-
Falle, die Leitzinsen liegen mittlerweile
im Negativbereich. Dies gilt auch für die
Schweiz. So droht die Geldpolitik zu-
nehmend anWirksamkeit zu verlieren.
InJapan habe die Geldschwemme der
Notenbank nicht dazu geführt, dass die
privaten Haushalte ihrenKonsum zu-
lasten der Ersparnisse ausgeweitet hät-
ten, heisst es in einer Analyse der LBBW.
Vielmehr haben dieJapaner ihre Spar-
guthaben weiter erhöht.Dies könnte da-
mit zusammenhängen, dass man bei Null-
zinsen noch mehr sparen muss, um im Al-
ter genug zu haben. So sei die Geldpolitik
letztlich nicht in derLage gewesen, den
privatenKonsum anzukurbeln, schreiben
dieÖkonomendesFinanzhauses. Auch in
der Euro-Zone sei der Abfall der Spar-
zinsen bisher nicht mit einemRückgang
der Sparquote einhergegangen.
Immer höhere Schu lden:Sowohl
inJapan als auch in vielenLändern der
Euro-Zone ist die Staatsverschuldung in
denvergangenenJahrzehnten gewach-
sen. Laut dem Institute of International
Finance (IIF) lag diese inJapan im zwei-
ten Quartal bei 227,9% des Bruttoinland-
produkts (BIP), in der Euro-Zone waren
es 100,8%. Nippon hat international ge-
sehen die höchsten Schulden, dieLandes-
währungYen wird aberbei Krisen immer
noch als «sicherer Hafen» für Investo-
ren gesehen.DassJapan unter den riesi-
gen Staatsschulden noch nichtkollabiert
ist, wird unter anderem damit begründet,
dass ein grosserTeil dieser Schulden von
den eigenen Bürgern gehalten wird.
Arbeitslosigkeit:Inder Euro-Zone
sind deutlich höhereArbeitslosenraten
zu beobachten als inJapan. Nach dem
Ausbruch der Finanzkrise legte die
Arbeitslosenquote in demWirtschafts-
raum laut Schroders von7, 3% Ende
2007 auf 12,1% Mitte 2013 zu. InJapan
stieg die Arbeitslosigkeit nach demAus-
bruch der Krise nicht vergleichbar an.
Laut Schroders schützt das japanische
Arbeitsrecht Arbeitnehmer vor Entlas-
sungen, und Unternehmen würden quasi
dazu gezwungen, ein soziales Sicherheits-
netz für ihre Arbeitskräfte aufzuspannen.
Dies habe indessen negativeFolgen für
Wachstum und Produktivität gehabt.
Es gibt also einige Gemeinsamkeiten,
aber auch Unterschiede zwischen der heu-
tigen wirtschaftlichen Situation der Euro-
Zone und derjenigenJapans vor einigen
Jahren. Anleger sollten hoffen, dass die
Euro-Zone nicht den «japanischenWeg»
verfolgt, denn dann wärendie Aussichten
wenig erbaulich. Bleiben die Zinsen wei-
terhin so niedrig, wird der für die Alters-
vorsorge enorm wichtige Zinseszinseffekt
massiv geschmälert. Dieser besteht darin,
dassnachjeder Zinsperiode die Zinsen
dem Sparkapital zugeschlagen werden.Im
Laufe der Zeitentwickelt dieserEffekt
grosse Kraft. Bereits jetzt haben die Null-
zinsen dafür gesorgt, dass den Sparern
enorme Beträge entgangen sind.
Die japanischen Aktien- und Immo-
bilienmärkte haben sich seit den1990er
Jahren nicht gut entwickelt.1989 er-
reichte der japanische Leitindex Nik-
kei-225 einen Höchstwert von 38 91 6
Punkten. Nach einem massiven Sturz ist
dieser Stand in weiterFernegeblieben,
amFreitag schloss der Nikkei beim Stand
von 20749 Punkten.Wie eine Studie von
Wissenschaftern der London Business
School und der Cambridge University
inKooperation mit dem Credit Suisse
Research Institute zeigt, haben japanische
Aktien im Zeitraum 2000 bis 20 19 eine
vergleichsweise schwacherealeRendite
von 1,5% proJahr erbracht, japanische
Obligationenrentierten im selben Zeit-
raum mit 3,7% jährlich.Für Europa lagen
dieWerte bei 2,4% für Aktien und 5,6%
für Bonds. Bei Schweizer Aktien waren
es 4,3%, Schweizer Obligationen brach-
ten 4,6% proJahr. Ultraniedrige Zinsen
inKombination mit einer ungünstigen
demografischen Entwicklung sind Gift
für Rentensysteme und erschweren die
Altersvorsorge. Geht die Entwicklung so
weiter, drohen dieFinanzierungslücken in
Rentensystemen noch grösser zu werden.
Eine alterndeBevölkerungbremst dasWirtschaftswachstum und die Finanzmärkte. ILLUSTRATION KARSTEN PETRAT
Märkte undMeinungen
Swisscanto
macht beim
Klimaziel Ernst
Michael Schäfer · «Nicht noch ein
Standard für nachhaltige Anlagen»,
mag sich manch einer gedacht haben
angesichts einer jüngst erfolgten
Ankündigung vonSwisscanto Invest. Bei
dem neuen Ansatz desFondsanbieters
handelt es sich jedoch nicht um diex- te
Methode, Nachhaltigkeit zu messen oder
zu beurteilen.Vielmehr geht es darum,
auf einkonkretes Ziel hinzuarbeiten,
nämlich die Erderwärmung auf zwei
Grad gegenüber dem vorindustriellen
Zeitalter zu limitieren.
Um dieses 20 15 inParisvon der Staa-
tengemeinschaft beschlossene Ziel zu er-
reichen, dürfen weltweit insgesamt nur
noch 1270 Gigatonnen CO 2 emittiert
werden. Ausgehend vom derzeitigen
jährlichenAusstoss von 42 Gt erfordert
das eine jährlicheReduktion der globa-
len Emissionen um 4%. Genaueine sol-
che fordertSwisscanto künftig von allen
Unternehmen, die sich in allen ihren
aktiv verwaltetenFonds befinden, und
nicht nur in jenen, bei denen Nachhal-
tigkeitskriterien beachtet werden.
Dies soll einerseits im direkten Dia-
log mit denFirmen geschehen.Von
ihnen willSwisscanto unter anderem
wissen, welche Ambitionen und Strate-
gien sie zurVermeidung von CO 2 -Emis-
sionen verfolgen, wer auf Ebene des
Verwaltungsrats dafür verantwortlich
zeichnet und welche Anreizsysteme in
diesem Zusammenhang für die Mitglie-
der der Geschäftsleitung gelten.
Für denFall, dass die Unterneh-
men den Erwartungen hinterherhinken,
kannSwisscanto andererseits derenTitel
untergewichten, damit imPortfolio ins-
gesamt der angestrebte 4%-Pfad einge-
halten wird. Neben der Hoffnung, dass
so ein ausreichenderFortschritt in der
Realwirtschaft erzielt wird, willSwiss-
canto gleichzeitig die Interessen der An-
leger wahren.Werdennämlich die Preise
für CO 2 -Emissionen wie erwartet stei-
ge n, sind Unternehmen mit einerhohen
CO 2 -Intensität am stärksten davon be-
troffen, was entsprechende Risiken für
die Investoren birgt.
Macht das Beispiel Schule, werden
Analytiker künftig vermutlich nicht nur
Prognosen zu finanziellenKennzahlen
wieFree-Cashflow oder Gewinn pro
Aktie abgeben, sondern auch zu den
CO 2 -Reduktionen, die sie bei einzelnen
Unternehmen erwarten.Allerdings hat
die Berechnung dieses CO 2 -Abdrucks
noch ein gravierendes Manko. Während
relativ zuverlässigeDaten vorliegen für
Emissionen, die während der Produk-
tion (Scope 1) oder durch eingekaufte
Energie (Scope 2) entstehen, trifft das
noch nicht zu für die Emissionen, die
durch den Gebrauch der Produkte ent-
stehen(Scope3).
Entsprechend verzichtetSwisscanto
darauf, die Scope 3-Emissionen zu be-
rücksichtigen, solange dieDatenquali-
tät ungenügendist. Etwa beiAutomo-
bilkonzernen, dieFahrzeuge mitVer-
brennungsmotor herstellen, führt das je-
doch zuverzerrtenResultaten, da diese
vor allem beimFahren viel CO 2 emittie-
ren. Diese Problematik wird sich mit der
Zeit aus derWelt schaffen lassen. Eine
andere wirdjedoch auch eine bessere
Datenqualität nicht lösenkönnen.
Selbst wenn der Druck der Investo-
ren, die CO 2 -Intensität zureduzieren,
auf den ersten Blick zum Erfolg führt,
heisst dies noch lange nicht, dass da-
durch die Emissionen tatsächlich sin-
ken werden. DieFirmenkönnen die
Forderungen nämlich erfüllen, indem
sie besonders CO 2 -intensive Aktivitä-
ten an nichtkotierteFirmen verkaufen.
Diese verschwinden dann vomRadar
der Investoren. Bei Bergbaukonzernen,
dieKohleminen auf dieseWeise abstos-
sen, ist das bereits zu beobachten.
Viele Privatanleger sitzenDenkfehlern auf –
das lässt sichvermeiden SEITE 21
Die Zinssenkung der US-Notenbankhat ihr Ziel verfehlt –
dennoch werdenweitere Senkungen erwartet SEITE 21
Sollte die Euro-Zone
wirklich von einer
«Japanisierung»
befallen sein, hätte dies
auch Konsequenzen
für die Schweiz.