Neue Zürcher Zeitung - 09.03.2020

(Steven Felgate) #1

Montag, 9. März 2020 GELD & FINANZEN 21


WELTWIRTSCHAFT UNDFINANZMÄRKTE


Zinssenkung erweist sich als ungeeignete Medizin


ImGesprächist eineAusweitungder Wertpapierkäufe der amerikanischenNotenbank auf Aktien


Die überraschende Zinssenkung


desFed hat an den Märkten


schlechte Noten erhalten.


Möglicherweise hat sie gar


kontraproduktiv gewirkt.


ANDREAS UHLIG


An denFinanzmärkten wird spekuliert,
ob die Notenbank der USA ihre in der
vorigenWoche überraschend vorgenom-
mene Zinssenkung um 50Basispunkte
durch weitere Schritte der geldpoliti-
schen Lockerung ergänzen wird. Denn
weder der Aktienmarkt noch der Kapi-
talmarkt hätten sich beruhigt. DerFall
derRendite der zehnjährigenTr easuries
zumersten Mal unter die 1%-Grenze–
und anschliessendbisauf 0,75% –zeigt,
dass die durch das Coronavirus ausge-
löste Unsicherheit am Markt anhält.


Deflationäre Negativzinsen


Zinssenkungen zwischen einzelnen Sit-
zungen desFed sind selten, und einige
Marktteilnehmer befürchten, dass die
Notenbank sichkeinen Gefallen getan


hat.Robert Eisenbeis, Vizepräsident von
CumberlandAdvisor, beschreibt die Zins-
senkung alsVersuch desFed, den Markt-
teilnehmern zu versichern, es werde alles
Notwendige unternehmen, um dieWirt-
schaftangesichts der Bedrohung durch
das Coronavirus zu unterstützen. Doch
rasch sei den Marktteilnehmern klarge-
worden, dass Zinssenkungen die falsche
Medizin bei einer drohendenPandemie
seien. Mankönne durchaus argumentie-
ren, die Aktion der Notenbank seikon-
traproduktiv gewesen und habe die Un-
sicherheit in den Märkten verstärkt, die
sie habe lindern wollen.
Dennoch sind weitere Zinssenkun-
gen zuerwarten.Dafür spricht,wieEric
Winograd,Ökonom bei Alliance Bern-
stein, betont, schon die Erfahrung, dass
aussergewöhnlichen Kürzungen fast
immerregulärefolgen.VieleKommen-
tatoren gehen von zusätzlichen 50Basis-
punkten schon imLaufe dieses Monats
aus. Alliance Bernstein sieht einen Ab-
bau der offiziellen Zinsen auf 0,25bis
0,50% im April voraus. Negative offizielle
Zinsen seien in den USA jedoch nicht
zu erwarten.Fed-Mitglieder lehnten sie
einstimmig ab, betont MarcChandler,

Chefstratege vonBannockburnGlobal
Forex. Was aber negativeTr easury-Ren-
diten nicht ausschliesse.
Der Chef derregionalen Notenbank
von Boston, EricRosengren, hält Nega-
tivzinsen fürkein erfolgreiches Experi-
ment, wie sich in Europa undJapan be-

reits bestätigt habe.Sie wirkten defla-
tionär, schädigten das Altersvorsorge-
system und seien wenig erfolgreich bei
der Ankurbelung derWirtschaft. Zudem
sei es wichtig, dass in schwierigen Zeiten
dieBanken ausreichend gesund seien,
um Kredite und Liquidität bereitzustel-
len.AuchFed-PräsidentJeromePowell

istkeinFreund von negativen Zinsen. Er
bevorzugtWertpapierkäufe in grossem
Stil,also quantitativeLockerung.
Wieder ins Gespräch gekommen ist
eine Ausweitung derWertpapierkäufe.
JanetYellen, die frühereFed-Chefin, hat
schon vor ein paarWochen empfohlen,
die Notenbank solle bei der nächsten
Krise auch den Kauf von Aktienin Er-
wägung ziehen.Rosengren weist aller-
dings darauf hin, dass für Aktienkäufe
das Notenbankgesetz geändert werden
müsse. Alternativkönnte dasFinanz-
ministeriumeineFreistellung gewäh-
ren. Für Aktienkäufe spreche auch, dass
Zinssenkungen aufgrund des bereits er-
reichten niedrigen Zinsniveaus anWirk-
samkeit eingebüsst hätten.
Nicht nur dasFed,sondern auch
neun weitere Notenbanken haben seit
Jahresanfang ihre offiziellen Zinssätze
um zwischen 25 und 50Basispunkten ge-
kürzt. China, das vom Coronavirus am
heftigsten betroffeneLand, beschränkte
sich allerdings auf einen Schnitt von 10
Basispunkten.Wenn die Europäische
Zentralbank nachzieht, stellt sich die
Frage, was eine weitereZinssenkung bei
negativem Zinsniveau noch erreichen

kann. Marc Chandler hälteineVerän-
derung der Bedingungen der bestehen-
den langfristigenRefinanzierungsopera-
tion (TLTRO-III) für sinnvoller – oder
eine weitere Operation gezielter Art.

Verschärfungder Repo-Krise


Auf diereduzierteWirkung von Zins-
senkungen weist auch dieVerschärfung
der seit September in den USA herrschen-
denRepo-Krise hin. MancheKommen-
tatoren befürchten sogar, dass die Zins-
senkungkontraproduktiv gewirkt habe.
Hintergrund sind die in der vergangenen
Woche durchwegsdeutlich überzeichne-
ten Übernacht-Repos und länger laufen-
denRückkaufgeschäfte desFed.Diese
Überzeichnungen – bis um über das Drei-
fache – signalisieren, dassBanken und an-
dereFinanzmarktteilnehmer einschliess-
lich Hedge-Fonds mit hoherFremdfinan-
zierung weiterhin heftige Liquiditätseng-
pässeverzeichnen.DerRepo-Spezialist
der Credit Suisse, ZoltanPozsar, rät dem
Fed, bei der drohenden Corona-Rezes-
sion die Zinssenkungen mit unbegrenzten
Repo-Fazilitäten, quantitativer Locke-
rung undSwap-Linien zukombinieren.

Der menschliche Makel am Markt

Gefühlsregungen und Denkfehler kostenKleinanleger Rendite – es gibt aberStrategien, umdie eigeneUnzulänglichkeit zu überwinden


CHRISTIANGATTRINGER


Konstantin hält nicht viel von Aktien.
Der 36-jährige technischeVerkäufer
parkiert den grösstenTeil seiner Erspar-
nisse auf einemFestgeldkonto. Zwar
investiert Konstantin immer wieder
kleine Beträge in bestimmte Einzeltitel



  • meist von Unternehmen, über die er in
    den Nachrichten gelesen hat.Doch diese
    Investments sind für ihn eher Spielerei
    alsTeil einer Anlagestrategie. DieKurs-
    entwicklung geht ihm dennoch nahe.
    Manuelist deutlich risikofreudiger.
    AlsFührungskraft bei einemWeltkon-
    zern erhält er ein gutes Salär. Einen gros-
    se n Teil davon investierter inAktien, zu-
    meist in dividendenstarke Einzeltitel, da
    ihm die Idee gefällt, irgendwann von sei-
    nenVermögenserträgen zu leben. Ma-
    nuelversucht, seine Investments nach
    Ländern und Branchen zu diversifizie-
    ren. Im abgelaufenenJahrkonnte er sich
    über hoheKursgewinne freuen. Doches
    gab auchRückschläge. So kaufte er für
    mehr als 10 000 Fr. Obligationeneines
    KMU, das nach längerer Schieflage
    schliesslich inKonkurs ging – für Ma-
    nuel einTotalverlust.


Verlorene Prozentpunkte


Konstantin und Manuel sind zwei von
Millionen von Privatanlegern. Die aka-
demische Forschung zeigt, dass Pri-
vatanlegerim Mittel schlechtere An-
lageergebnisse erzielen als derDurch-
schnittsinvestor. Die Forscher Brad
Barber undTerrance Odean von der
University of California haben etwa be-
rechnet, dass der durchschnittliche US-
Kleinanleger – nach Handelskosten–
zwischen1991 und1996 einennegati-
ven Ertrag von 3,7 Prozentpunkten im
Vergleich mit der Marktrendite erzielte.
Warum schneiden Privatanleger
bei der Geldanlage so schlecht ab?
Ein wesentlicherFaktor sind die Han-
delskosten. Kleinanleger haben wenig
Marktmacht, wodurch sie imVerhält-
nis höhereCourtagen zahlen müssen.
Zudem kaufenund verkaufen sie oft
nur sehr kleineTr anchen,bei denen die
Handelskosten stärker ins Gewicht fal-
len.WennKonstantin etwa ein Aktien-
paket imWert von 10 00 Fr. kauft, zahlt
er dafür mehr als 10Fr. an seineBank.
BeimVerkauf werden noch einmal 10
Fr. fällig. DamitmussKonstantin bereits
einenKursgewinn von 2% erzielen, um
überhaupt seine Handelskosten zu ver-
dienen – in Zeiten niedrigerRenditen


keine Selbstverständlichkeit. DieBank-
gebühren erklären aber nur einenTeil
der schlechtenPerformance. Ein wich-
tigerFaktor ist das Anlageverhalten der
Privatinvestoren selbst. Eine der tra-
genden Säulen der klassischenFinanz-
markt-Theorie ist derrational agierende
Investor. Dieser verarbeitet alle verfüg-
baren Informationen kühl und kalkulie-
rend und trifft vernunftorientierte Ent-
scheidungen. EchteMenschenverhal-
ten sich allerdings selten so, wie es die
Theorie verlangt. Sie lassen sich von
Gefühlen leiten und tun lieber nichts
als womöglich dasFalsche. In derFolge
leidet dasPortfolio.
Einer der wichtigstenTr eiber für das
Investmentverhalten von Individuen ist
die Angst vorVerlusten. Daher trennen
sich Kleinanleger oft vorschnell von
anWert gewinnenden Aktien und hal-
ten gleichzeitig Nachzügler zu lange im
Portfolio, in der Hoffnung, dass sich die
Kursverluste wieder ausgleichen.Wohin
dieserWeg führen kann, zeigt Manuels
Anleiheinvestment: Nachdem dieKurse

über Monate hinweg gesunken waren,
stand am Ende derTotalverlust. Ein
rationaler Investor hätte wohl früher die
Reissleine gezogen und wäre mit einem
blauenAuge davongekommen.
Eng verbunden mit der Angst vor
Verlusten ist dieFurcht, dasFalsche zu
tun. Menschen nehmen dasNichtstun im
Vergleich mit dem Tätigwerden meist
nicht als bewusste Handlung wahr. Folg-
lich ärgern sich viele Privatanleger weni-
ger, wenn sie etwa durchPassivität ein
Rally am Aktienmarkt verpassen oder
trotz negativerKursentwicklung nicht
rechtzeitig ihrePositionenreduzieren,
als wenn sie eine Handlung vornehmen,
die sich im Nachhinein als falsch erweist.
DieFolge ist eine finanziell ungesunde
Liebe zum Status quo.
Wenn sie schliesslich aktiv werden,
so dieForschung, überschätzen Klein-
anleger oft ihre Marktkenntnisse und
ihreFähigkeiten,die «richtigen»Invest-
ments zu tätigen. Sie geben sich der Illu-
sion hin, informierte Entscheidungen
zu treffen, obwohl die Erkenntnis, dass

man nichts weiss, meist dierentablere
Geisteshaltung ist– wennsie dazu führt,
dass Anleger breit gestreut investieren,
anstatt zu versuchen, durch dieAuswahl
von Einzeltiteln den Markt zu schlagen.
Konstantin etwa erzielt mit seinen spo-
radischen Aktieninvestments bei höhe-
rem Risikoeine geringereRendite als
ein simpler Indexfonds – waswiederum
seinen Eindruck vomFinanzmarkt als
Glücksspiel verstärkt und dazu führt,
dass er zu wenig seiner Ersparnisse in
Aktien anlegt.
Eine weitere gefährlicheFalle für
Privatanleger ist die emotionale Bin-
dungan bestimmte Investments. Die
Position wird dann nicht mehr nur nach
ihrem finanziellenWert zum aktuellen
Zeitpunkt beurteilt, sondern auch unter
nostalgischen Gesichtspunkten.Wenn
sich etwa eine Aktie überJahre sehr
gut entwickelt hat, mag manch stolzer
Investor zögern, sie zu verkaufen, weil
nach demVerkauf das saftige Plus aus
der Positionsübersicht verschwindet.
Ein irrational hoherWert wird oft auch

Aktivabeigemessen, die man geerbt
oder geschenkt bekommen hat.
Neben ihren Emotionen sitzen Pri-
vatanleger oft auch bestimmten Denk-
fehlern auf. Einer davon ist die «geistige
Buchhaltung», bei der Menschen Geld
unterschiedlich behandeln, wenn es aus
unterschiedlichen Quellen stammt oder
unterschiedlich veranlagt ist.Wer etwa
vom Arbeitgeber einen Bonus erhält,
geht mit diesem oft sorgloser um als mit
seinemregulären Arbeitseinkommen.

Trügerische Anker


Grossen Einfluss auf das Anlageverhal-
ten hat auch der Ankereffekt. Dieses
psychologische Phänomen beschreibt
dieTatsache, dass Menschen ihr Urteil,
ob etwa ein bestimmter Preis hoch oder
niedrig ist, unbewusst anhand zumTeil
komplett zufälligerWerte, der «Anker»,
fällen. Bei der Geldanlage ist der Ein-
standspreis ein solcher Ankerwert.Da
sich Börsenkurse – grob gesprochen–
zufällig entwickeln, hat er für die Be-
urteilung des jeweiligenTageskurses
keinerlei Bedeutung. Dennoch ist er für
den Halter eines Investments meist der
wichtigste Indikatordafür, ob deraktu-
elle Börsenpreis als hoch oder niedrig
betrachtet wird.
Wie kann der Privatanleger sei-
ner Unzulänglichkeit Herr werden?
Der besteRat ist, sich die geistigen
und emotionalen Stolpersteine auf
demWeg zum Anlageerfolg stets vor
Augenzu halten.Finanzexperten nen-
nen verschiedene Strategien. Gegen
allzu starke emotionale Bindungen an
bestimmtePositionen hilft es etwa, sich
zu fragen, ob man das gleiche Invest-
ment zum aktuellenKurs noch einmal
tätigen würde. Wenn nicht, ist es wohl
Zeit für denVerkauf. Der Einfluss von
Ankerwerten lässt sich vermindern, in-
dem man die Einstandspreise und die
Kursgewinne und -verluste aus derPosi-
tionsübersicht ausblendet. So kann der
aktuelle Börsenkurs zumindest weniger
voreingenommen analysiert werden.
Gegen die Angst vorVerlusten und
vor falschem Handeln helfen Selbst-
disziplin und gelegentlichesWieder-
holen der Grundsätze erfolgreicher
Geldanlage, insbesondereder Bedeu-
tungausreichenderRisikodiversifika-
tion. Am wichtigsten ist es aber, realisti-
sche Erwartungen zu haben. Sokönnen
die meisten Kleinanleger schon zufrie-
den sein, wenn sie den gleichen Ertrag
erzielen wie der Marktdurchschnitt.

Fed-Präsident Jerome


Powell ist kein Freund
negativer Zinsen.

Er bevorzugt
We rtpapierkäufe.

Am Computer dasPortfolio umzuschichten,ist zwar leicht – viele verzichten dennoch darauf, auch wennVerluste drohen. KARINHOFER / NZZ
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