Montag, 9. März 2020 SPORT 31
Millionäre auf Abwegen
Ein Gerichtsfall inden USA zeigt, woran die National Football Leaguekrankt –es geht um 13 ehemalige Spieler und 3,4 Millionen Dollar
CLAUDIA REY
ClintonPortis fuhr immer wieder zu die-
sem einen Bürogebäude inWashington
(DC). Manchmal früh morgens, manch-
mal spät abends. Er parkierte, blieb im
Auto sitzen, nebensicheine Pistole. Er
wartete auf den Mann, der seiner Mei-
nung nach Schuld daran trug, dass die
Millionen weg waren, diePortis alsFoot-
ballspieler verdient hatte. Portis hatte
sich vorgenommen, den Mann zu er-
schiessen.
Portis war einst der bestbezahlteRun-
ningback der NationalFootball League
(NFL). Er war bekannt für wechselnde
Liebschaften,einenverschwenderischen
Lebensstil und extravaganteAuftritte–
zu Interviews erschien er verkleidet,
trug neonfarbenePerücken, überdimen-
sionierte Sonnenbrillen. 2012 beendete
Portis die Karriere. 43,1 Millionen Dol-
lar hatte er verdient.
Kein Gespür fürGeld
Er kaufte seiner Mutter einenJaguar
und ein violettes Haus. Er gönnte sich
Villen, Luxusautos, verlor Geld beim
Glücksspiel. Er unternahm Reisen
nach Übersee, mitFrauen, die er kaum
kannte, manchmal waren es drei auf ein-
mal, manchmal vier. EinenTeil desVer-
mögens investierte er. Auf Anraten eines
Finanzberaters steckte er Millionen in
ein Kasino, das wenig später geschlos-
sen wurde, weil die Betreiber gegen das
Gesetz verstossen hatten. EinJahr nach
demRücktritt warPortis pleite.
Portis erzählte dem amerikanischen
Sportmagazin «Sports Illustrated» 20 17
von seinen Mordphantasien. In dieTat
umgesetzt hat er sie nie. Tr otzdemsteht
der38-jährigePortis ab Montag in den
USA vor Gericht. IneinemanderenFall.
Wieder geht es um Geld.
Portis ist einer von 13 ehemaligen
Footballspielern, denen in den USA
Versicherungsbetrug vorgeworfen wird.
Sie sollen sich mitgefälschtenQuit-
tungen 3,4 Millionen Dollar von einer
Krankenversicherung ergaunert haben.
DerFall legt offen, woran die NFL
krankt. Er zeigt, was mit jungen Män-
nern aus einfachenVerhältnissen pas-
sieren kann, wenn sie in dieTr aumwelt
der NFL geschleudert werden.Wenn
sie plötzlich Millionen verdienen, aber
ihnen ein Gespür für Geld undKennt-
nisse über ihr neues Milieu fehlen.
Laut einem Artikel der «Sports Illus-
trated» aus demJa hr 2009 sind 78 Pro-
zent der NFL-Spieler zweiJahre nach
ihremRücktritt pleite oder stecken in
finanziellen Nöten. Die Geschichten
ähneln sich: Ein junger Mann schafft
es, dank sportlichemTalent der Armut
zu entkommen. Er wird Profi-Football-
spieler, verdient Millionen. Er lebt ver-
schwenderisch, hatkeine Ahnung von
Geldanlagen, vertraut den falschenPer-
sonen, geht pleite. Portis sagte 20 17 im
In terview mit der «Sports Illustrated»:
«DieKomplikationen beginnen, weil
man dieFinanzberater nicht versteht.
Man weiss nicht,wassie sagen, aber man
lässt sich einfach darauf ein.»
Portis meldete 20 15 Privatkonkurs
an, er hatte Schulden in Höhe von 4,8
Millionen Dollar. Er verlor seineVil-
len, zog in eine 2½-Zimmer-Wohnung.
Laut der Anklage tauchte dannRobert
McCune auf, ein ehemaliger Team-
kollege. Er präsentiertePortis eine
Lösung für die Geldsorgen.
McCune, 40Ja hre alt, ist laut Anklage
einer der Drahtzieher imVersicherungs-
betrug. Er ist ein Mann, der auffällt: 111
Kilogramm schwer, bepackt mit Mus-
kelbergen, der Hals breiter als derKopf.
Die Legende sagt, dieTeamkollegen
seienjeweilsvor Ehrfurcht verstummt,
wenn McCune denRaum betreten habe.
Der höfliche Mister McCune
2013 trat McCune zurück, seither arbei-
tet er alsFitnessinstruktor und Mus-
kel-Model. Abgesehen von seinem Er-
scheinungsbild fiel McCune in der NFL
kaum auf: Er galt als höflich und diszi-
pliniert,sprachleise. Vor der NFL-Kar-
riere diente er einJahr langin der US-
Armee inKuwait undKorea. Seit der
Kindheit ist McCune Mitglied einer
Freikirche.Über demBauchnabel hat
er sich dasWort «blessed» – «gesegnet»
- tätowieren lassen. Nun bröckelt die
frommeFassade.
McCune soll laut Anklage ehema-
ligeFootballspieler zumVersicherungs-
betrug animiert und mehrfach Schmier-
geld in Höhe von 10 000 Dollar kassiert
haben. Er soll Briefe, Rezepte und Rech-
nungen für medizinische Hilfsgeräte ge-
fälscht haben, die nie bestellt wurden.
Laut der Staatsanwaltschaft sind
die Angeklagten dreist vorgegangen:
Sie sollen bei derVersicherung Quit-
tungen von medizinischen Geräten zur
Behandlung von Pferden eingereicht
haben. Und von Ultraschallgeräten, die
Gynäkologen verwenden. Dinge, die
kein ehemaligerFootballspieler braucht.
Auchkein kranker.
McCune und Co. gingen wohl davon
aus, dass nicht so genau hingeschaut
würde. Die Gesundheit der NFL-Spie-
ler ist in den USAein heiklesThema.
SeitJahren wird darüber debattiert, ob
der Sport wichtiger sein dürfeals die
Gesundheit der Athleten.
Beikeiner anderen Sportart erlei-
den die Athleten häufigerKopfverlet-
zungen als beimFootball. DieFolgen
sind Alzheimer, chronisch-traumatische
Enzephalopathie (CTE) und Demenz.
DieFootballspieler werden depressiv
und aggressiv. Die NFL hat lange abge-
stritten, dass die Stösse gegen denKopf
fürFootballspieler zuLangzeitschäden
führenkönnen. Mittlerweile sind die Be-
weise erdrückend.
So hat etwa eine amerikanische
Neuropathologin die Gehirne von 111
ve rstorbenen NFL-Spielern untersucht
und festgestellt, dass 110von ihnen an
CTE litten. Die Krankheit wird auch
Boxer-Syndrom genannt und entsteht
durch häufige Schläge gegen denKopf.
Sie führtzuDepressionen, Konzentra-
tionsstörungen, Gedächtnisverlust. Zu
den Gehirnverletzungen und psychi-
schen Problemen treten bei NFL-Spie-
lern nach demRücktritt häufigÜber-
gewicht, Knie-, Schulter-, Rücken-
beschwerden. Manche Sportlerkönnen
nach der Karriere kaum mehr gehen.
Die Spieler werden deshalb aus
Fonds und durch verschiedene Kran-
kenversicherungen finanziell entschä-
digt. Sie erhalten bis zu 1,5 Millionen
Dollar bei Anzeichen von Demenz und
bis zu 5 Millionen Dollar, wenn dieNer-
venkrankheit ALS diagnostiziert wird.
BeiPortis wurden während der Kar-
riere zehn Gehirnerschütterungen fest-
gestellt, wahrscheinlich waren es deutlich
mehr. Ihm stand wohl tatsächlich Geld
von Krankenversicherungen zu – einfach
erheblich weniger als von ihm eingefor-
dert.Portis’ Anwalt versucht nun,seinen
Mandanten als naiv und unwissend dar-
zustellen. Er teilte in einer Medienmit-
teilung mit: «ClintonPortis wusste nicht,
dassseineTeilnahme an dem von der
NFL genehmigten medizinischen Ent-
schädigungsprogramm illegal war.»
Und McCunes Anwalt argumentiert:
«McCune wurde fälschlich als Draht-
zieher dargestellt. Er hatsich bei NFL-
Spielen verletzt. Und er wurde von der
Versicherung als schwerbehindert ein-
gestuft.»
Ein persönlicher Geldautomat
Dass sich McCune in derFootball-Kar-
riere tatsächlich verletzt hat, wird von
der Staatsanwaltschaft überhaupt nicht
infrage gestellt. Im Prozess geht es um
gefälschteRechnungen für medizini-
sche Geräte, die nie gekauft wurden.
Der stellvertretende Generalstaats-
anwalt Brian Benczkowski sagte an
einer PressekonferenzimDezember
über die Angeklagten: «Sie benutzten
dieVersicherung, als sei sie ihr persön-
licher Geldautomat.»
Portis und McCune plädieren auf
unschuldig, Mitangeklagtehaben ein
Schuldeingeständnis abgelegt. Sie ge-
ben zu, betrogen zu haben,kooperieren
mit den Ermittlern, geben Insiderwissen
weiter, hoffen,soeine Strafreduktion zu
erhalten.Für Portis und McCune dürfte
es eng werden.Ihnen drohenimFalle
einerVerurteilung mehrereJahre Haft
und Bussen bis 250 000 Dollar. McCu-
nes Anwalt versucht, eineVerschiebung
des Prozesses zu erwirken. Sein Argu-
ment: DerFall sei zukompliziert.
Viel Wucht: ClintonPortis mit denWashingtonRedskins imJahr 200 7. IMAGO
PD
Robert McCune
Angeklagter
Ex-Footballspieler
ClintonPortis
Angeklagter
Ex-Footballspieler
Schadensbegrenzung
Tom Lüthi wird zum Saisonauftakt der Moto2-Klasse 10.
(sda)· Tom Lüthikonnte zumAuf-
takt der Moto2-Saison beim GP von
Katar mit einem 10. Platz Schadens-
begrenzung betreiben. Der Schweizer
WM-Mitfavorit machte auf der Kalex-
Maschine imVergleich mit dem völlig
verunglückten Qualifying achtPositio-
nen gut und sicherte sich so noch sechs
WM-Punkte. EinRennen zumVerges-
sen erlebte der zweite SchweizerJesko
Raffin. Der NTS-Pilot verlor bereits in
der erstenRunde vieleRänge und ver-
passte die Punkte als 23. deutlich.
Den Sieg holte sich der über-
raschendeJapanerTetsuka Nagashima,
der in seinem bereits 70. Moto2-GP
erstmals überhaupt aufsPodest fuhr.
Der Kalex-Fahrer war nur von Start-
platz 14 losgefahren, wurde aber gegen
Ende desRennens immer schneller.
Pole-MannJoe Roberts belegte hinter
den Italienern LorenzoBaldassarri und
EneaBastianini den 4. Platz. Die Bedin-
gungen waren für die Moto2-Fahrer un-
gewohnt, denn sie starteten wegen des
Fehlens der MotoGP zur Primetime
unter Flutlicht. Lüthis Motorrad funk-
tionierte imRennen deutlich besser als
in den letztenTr ainings und im Qualify-
ing. Er verbesserte sich gleich beim Start
vom18. auf den 12. Platz,konnte die
Pace aber nicht über die gesamteRenn-
zeit durchziehen. Erst am Ende schaffte
der Emmentaler wenigstens noch den
Sprung in dieTop Ten.
Nicht besser lief es WM-Neuling
JasonDupasquier in der Moto3-Klasse.
Der18-jährigeFreiburger startet unter
31 Fahrern von Platz 29. Er verlor be-
reits im Q1 fast zwei Sekunden auf den
JapanerTatsuki Suzuki, der danach auch
diePole holte.
Das Rennen der MotoGP musste auf
dem Circuit von Losail bereits Anfang
Woche gestrichen werden, da die Ein-
reisebestimmungen für Katar wegen der
Angst vor dem Coronavirus verschärft
wurden und so nicht alle beteiligtenFah-
rer hätten einreisenkönnen. DieTeams
der beiden unteren Klassen weilten be-
reits fürTestfahrten imLand. Die Motor-
rad-WM wird – stand jetzt – nach der
Verschiebung des GP vonThailand am
- April inAustin,Texas, fortgeführt.
Ein Schritt nach vorn
Dario Cologna holt über 50kmamHolmenkollenRang 6
(sda)· Dario Cologna hat im 50-km-
Massenstartrennen in klassischerTech-
nik am Holmenkollen mit dem 6.Rang
überzeugt. DenPodestplatz verpasste
der Bündner erst auf den letzten Kilo-
metern, im Ziel fehlten zwei Sekunden.
Cologna stiess bereits zum elften
Mal in diesemWinter in dieTop Ten
vor. Der vierfache Olympiasieger hat
imVergleich zum vergangenenWin-
ter wieder einen Schritt nach vorn ge-
macht.Der einzigeAusreisser nach oben
bleibt allerdings der 3.Rang vonDavos
im Einzelstart-Rennen über 15 km Ska-
ting. Für einenPodestplatz muss inzwi-
schen alles stimmen.
Bei garstigemWetter war der bald
34-jährige Bündner bis kurz vor Schluss
ein Anwärter auf einenPodestplatz auf
der prestigeträchtigen Strecke – es wäre
sein fünfter gewesen. Als der spätere
Sieger und erfolgreicheTitelverteidiger
Alexander Bolschunow und der Skiath-
lon-Olympiasieger Simen Hegstad Krü-
ger eine Lückeaufrissen, waren Cologna
und SjurRöthe ersteVerfolger. Aller-
dings wurdensie noch von einer wei-
teren kleinen Gruppe eingeholt.Damit
schwanden die Chancen aufsPodest,
denn der Holmenkollen-Sieger von 20 18
zählt nicht mehr zu den Endschnellsten.
Cologna muss sich nichts vorwerfen.
Er gestaltete dasRennen auf gutem Ma-
terial aktiv, er vollzog als einer der Ers-
ten aus der Spitzengruppe den Skiwech-
sel. Auch dank Materialvorteil zwischen
Kilometer 30 bis 40 drückte Cologna
aufsTempo und war massgeblichan der
Zäsur imFeld beteiligt. Dies lässt sich an
den Bonuspunkten ablesen. Der Bünd-
ner sammelte in den Zwischenwertun-
gen 38Weltcup-Punkte – für den 6.Rang
im Ziel kamen bloss noch 34 hinzu. Der
Schweizer und derWeltcup-Leader Bol-
schunow waren die Einzigen,die heuer
am Holmenkollen die Phalanx der Nor-
weger durchbrachen.
Das Weltcup-Wochenende in Oslo
fand wegen des Coronavirus offiziell
unterAusschluss der Öffentlichkeit statt.
Gleichwohl hatten sich zahlreicheFans
denWeg durch dieWälder rund um die
Hauptstadt gebahnt und die Aktiven an
der Strecke angefeuert.
Es droht
der tiefe Absturz
Davis-Cup-Teamverliert in Peru
(sda)· Dem SchweizerDavis-Cup-Team
droht derFall ins Bodenlose. Die Equipe
von CaptainSeverin Lüthi verlor das
Play-off-Duell in Lima gegenPeru 1:3
und muss im September um dieRück-
kehr in die Play-offs derWeltgruppeI
spielen.
Das Ende war symptomatisch für den
Auftritt der Schweizer Mannschaft im
stimmungsvollen ClubLawnTennis de
la Exposicion. HenriLaaksonen (ATP
137)kämpfte sich imDuell der beiden
Nummern1 gegenJuanPabloVaril-
las (ATP 135) nach Satzrückstand zu-
rück und führte imTiebreak 3:0. Aber
statt zum 2:2 auszugleichen, verlor der
Schweizer sieben Punkte hintereinander
und damit diePartie und die Begegnung.
«Ich bin mit meinemTennis nicht
dort, wo ich sein will», sagteLaaksonen.
Und Severin Lüthi hielt fest: «Es war
nicht einfach nur fehlendes Glück.» Die
dritte Niederlage inFolge seit derRe-
form desWettbewerbs zeigt, wie mäs-
sig die Qualität des Schweizer Männer-
tennis hinterFederer undWawrinka ist.