Montag, 9. März 2020 INTERNATIONAL 5
Die grosse Ungewissheit vor dem CDU-Parteitag
Armin Laschet und Friedrich Merz scharen ihre Anhänger hinter sich
CHRISTOPH PRANTNER, BERLIN
Es sind noch knapp siebenWochen bis
zum Parteitag.Am 25.April werden 10 01
Delegierte in Berlin in geheimerWahl
über diePersonaliean der Spitze abstim-
men. Bis dahin sammeln sich dieTruppen
der Kandidaten, formieren sichLager,
bilden sich Präferenzen.Aus welcher Ge-
mengelage von Machtansprüchen und
politischen Bedürfnissen diese erwach-
sen, ist im Dickicht ausLandesverbän-
den , Parteiorganisationen und Interes-
senvertretungen nicht immer leicht aus-
zumachen.DieZugehörigkeiten der
Delegierten sind mehrfach,ihre Loyali-
täten sind gebrochen, dasAbstimmungs-
verhalten ist schwer vorherzusehen.
Zweikampf zeichnet sichab
Wie 20 18 zeichnet sich ein Zweikampf
um den CDU-Parteivorsitz ab:Auf der
einen Seite steht dasTeam aus dem
Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfa-
lens ArminLaschet und Bundesgesund-
heitsministerJens Spahn, auf der ande-
ren der ehemaligeFraktionschefFried-
rich Merz. Einhellige Meinung in der
Partei ist, dass der nächste Chef ent-
wederLaschet oder Merz heissen wird.
Dem Bundestagsabgeordneten Norbert
Röttgen werden bestenfallsAussensei-
terchancen eingeräumt.
DerVorsta nd desLandesverban-
des Nordrhein-Westfalen hat sich – in
geheimer Wahl, wie gern betont wird
- für den eigenen Ministerpräsidenten
Laschet und gegen dieLandsleute Merz
undRöttgen ausgesprochen.Auch im
Präsidium der CDU Niedersachsen ten-
diert man «zu90 Prozent» (Landesvorsit-
zender Bernd Althusmann) zuLaschet.
BeideLandesparteienkommen aufdeut-
lich mehr als 400 Delegiertenstimmen.
Die konservativereLandes-CDU in
Baden-Württemberg dagegen empfiehlt
ih ren 153 Delegierten, Merz zu wählen.
DieLandesparteien in Hessen, wo es
hitzige Debatten imVorstand gab, und
in Rheinland-Pfalz neigen jeweils fif-
ty-fifty zuLaschet und Merz. In Ost-
deutschland dürften die insgesamt gut
100 Delegierten derLandesparteien mit
deutlicher Mehrheit Merz favorisieren.
Kontinuität gegen Aufbruch
Bei den Interessenverbänden hat sich
die mächtige Mittelstandsunion, die
über 378 Stimmen verfügt, für Merz aus-
gesprochen. Der Arbeitnehmerflügel,
die Christlich-Demokratische Arbeit-
nehmerschaft (CDA), hat nochkeine
Empfehlung abgegeben. Allerdings:
Der CDA-Chef Karl-JosefLaumann ist
Arbeitsministerim Kabinett Laschet.
Er hat sich bereits öffentlich für seinen
Chef starkgemacht. DieFrauen- und die
Senioren-Union dagegen haben sich bis-
her nicht deklariert, dieJunge Union
will ihre Empfehlung einer Mitglieder-
befragung unterziehen.
Gebunden sind die einzelnen Delegier-
ten daran jedenfalls nicht. Deswegen gilt:
«Wo es früher eine klareAnsage bei Dele-
giertentreffen gab, an die sich dann jeder
hielt, entscheiden heute alle gemäss eige-
nen Überlegungen», sagt ein CDU-Funk-
tionär, der nicht genannt werden will.
Es spielten diesmal auch viel deut-
licherideologische Erwägungen eine
Rolle sowie der jeweilige Platz in der
Parteihierarchie: Je höherrangiger,
desto freundlicher gegenüberLaschet
seien die Delegierten, und je näher
an derParteibasis, desto mehrSympa-
thien gebe es für Merz. Dessen Nar-
rativ vonKontinuität contraAufbruch
scheine anzukommen.
Bei Michael Littig ist es so. Er ist
Delegierter aus Rheinland-Pfalz, CDU-
Kreisvorsitzender in Kaiserslautern,
Funktionär der Mittelstandsunion und
IT-Unternehmer. 2018 hat er Jens Spahn
unterstützt, jetzt ist er insLager von
Friedrich Merz gewechselt.Von ihm er-
hofft er sich, dass er das Profil der CDU
schärft, mehr für Marktwirtschaft ein-
tritt und auch in Migrationsfragen eine
klarePosition einnimmt.
Se rap Güler ist Staatssekretärin für
Integration in Nordrhein-Westfalen und
Parteitagsdelegierte, und sie unterstützt
ihren Ministerpräsidenten mit Nach-
druck. Eine Entfremdung von derBasis
gebe es nicht.«Es geht ein Riss durch die
Gesellschaft und auch durch diePartei.
ArminLaschet hat bereits 2012 in NRW
gezeigt, dass er eine am Boden liegende
Partei wieder zusammenführen kann.
Das wird ihm im Bund wieder gelingen.»
Die «übertriebene Kritik» der
Gegenseite am Merkel-Kurs und an der
LoyalitätLaschets zur Kanzlerin kann
sie nicht nachvollziehen.Dass sichTeile
der CDU bei einer neuerlichen Nieder-
lage von Merz ganz von derPartei ab-
wenden, glaubt sie nicht. Ebenso wenig,
dass die neue Flüchtlingskrise an der
griechisch-türkischen Grenze eineRolle
bei derWahl spielen wird. DiePosition
aller Kandidaten in der Sache sei doch
die gleiche: Kein neues 2015. Grenzen
nicht öffnen.Vor Ort helfen.
In denkommendenWochenkönnen
die Delegierten bei «CDU live»-Talks
und digitalen«Townhall»-Versammlun-
gen bewerten, ob die Unterschiede tat-
sächlich so klein sind.
Abschuss von MH17 kommt vor Gericht
Prozess zum Fl ugzeugab schuss in der Ukraine dürfte zur Aufklärung der Tragödie beitrag en
ANDREASRÜESCH
Knapp sechsJahre nach dem Abschuss
einer malaysischen Boeing über dem
ostukrainischenRebellengebiet mit 298
Toten beginnt am Montag der Prozess
gegen viermutmasslicheVerantwort-
liche. Es handelt sich um dreiRussen
und einen Ukrainer, die wegen Mor-
des und vorsätzlicher Herbeiführung
eines Flugzeugabsturzes angeklagt sind.
Die Männer werden mit grössterWahr-
scheinlichkeit demVerfahren in einem
Hochsicherheitsgerichtssaal beim Ams-
terdamer Flughafen fernbleiben, da sie
sich im Separatistengebiet in der Ost-
ukraine oder inRussland aufhalten und
von Moskau nicht ausgeliefert werden.
Jahrelange Detektivarbeit
Trotzdem ist der Prozessbeginn ein
wichtiger Schritt zurAufarbeitung der
Tragödie vom17. Juli 20 14, für die Mos-
kau trotz erdrückender Beweislast wei-
terhin jeglicheVerantwortung abstrei-
tet. Das zuständige niederländische Be-
zirksgericht kann dasVerfahren auch in
Abwesenheit der Angeklagten führen.
In einer ersten Phase wird die Staats-
anwaltschaft ihre Er kenntnisseüber
den Abschuss präsentieren. Dabei kann
sie sich auf die Arbeit desJoint Inves-
tigationTeam (JIT) stützen, einervon
den Niederlanden, Belgien, der Ukraine,
Malaysia undAustralien gebildeten Er-
mittlergruppe. Es handelt sichum die
aufwendigste Strafuntersuchung in der
niederländischen Geschichte.
Die Niederlande sind federführend,
weil sie weitaus am meisten Staatsbürger
un ter denToten zu beklagen hatten.Die
Boeing der Malaysia Airlines mit der
Flugnummer MH17befand sichauf einer
Route vonAmsterdam nachKuala Lum-
pu r, als sie über der Ostukraine von den
Radarschirmen verschwand. Sehrrasch
fiel derVerdacht auf dieprorussischen
Separatisten, die das Gebiet um die Ab-
sturzstelle in der Provinz Donezkkon-
trollierten.Die Bergung der Leichen und
derWrackteile gestaltete sich wegen der
Kämpfe in derRegion schwierig.Zudem
verweigerteRussland eine Zusammen-
arbeit mit dem JIT.
Dennochkonnte das Ermittlerteam
in jahrelanger Arbeit belegen, dass der
Abschuss durch eine Flugabwehrrakete
des Typs Buk-M aus russischen Bestän-
den erfolgt war. Für andere, vor allem
von Moskau propagierteVersionen wie
ein Abschuss durch ein ukrainisches
Kampfflugzeug oder eine ukrainische
Boden-Luft-Rakete fand sichkeine Be-
stätigung. Das JIT stützte sichnebst
der Untersuchung vonWrack- und Ge-
schossteilen vor allem auf abgehörte
Gespräche der Separatisten. Darin
sprachen diese über die Ankunft eines
russischen Buk-Systems und über einen
erfolgreichen Abschuss, wobei sie an-
fänglich davon ausgingen, ein ukrai-
nisches Militärflugzeug getroffen zu
haben.
Angeklagt ist erstens der frühere rus-
si sche Geheimdienstoberst Igor Girkin
alias «Strelkow», der damals als«Ver-
teidigungsminister» der abtrünnigen
Volksrepublik Donezkamtierte. Gir-
kin hatte bereits bei der Besetzung der
uk rainischen Halbinsel Krim imFrüh-
ling jenesJahres eine aktiveRolle ge-
spielt. Wie den übrigen Beschuldigten
wird Girkin nicht vorgeworfen, direkt
den Befehl zum Abschuss des Flugzeu-
ges gegeben zu haben, aber er soll eine
übergeordnete Kommandoverantwor-
tung tragen.
Angeklagt ist zweitens der russische
Generalmajor Sergei Dubinski alias
«Chmury», der denTransport der Buk-
Rakete vonRussland ins ostukrainische
Rebellengebietüberwacht haben soll.
Er stammt aus dem russischen Militär-
geheimdienst GRU und soll einen Ab-
leger dieses Dienstes im Donbass ge-
leitethaben. Beim dritten Beschuldig-
ten, Oleg Pulatow, handelt es sich laut
der Anklage um einen Stellvertreter
Dubinskis und weiteren hohen Offizier
mit Hintergrund im GRU. Dereinzige
Ukrainer in derVierergruppe ist Leo-
nid Chartschenko, ein lokaler Rebellen-
kommandant, der laut den Ermittlern
Dubinski unterstellt war.
Obwohl die Umstände des Abschus-
ses gut dokumentiert sind, stellen sich
heikle juristischeFragen. So dürfte der
Vorwurf des Mordes schwierig zu unter-
mauern sein.Voraussetzung dafür wäre
der Nachweis einesVorsatzes. Viele Indi-
zien sprechen jedoch für einen Irrtum,der
dazu führte, dass dieRebellen ein Zivil-
flugzeug angriffen.Inrechtlicher Hinsicht
spie lt auch eineRolle, wie derKonflikt in
der Ostukraineeinzustufen ist.
Beschränkter Blick der Justiz
In einem bewaffneten internationalen
Konflikt ist der Einsatz tödlicher Ge-
walt erlaubt,sofern er nicht das Gebot
der Verhältnismässigkeit verletzt. Den
Separatisten und der russischen Militär-
führungkönnte allerdings derVorwurf
gemacht werden, durch grobfahrlässi-
ges Verhalten denTod von Zivilisten
in Kauf genommen zu haben.Das wäre
ein Kriegsverbrechen.Auffallend ist je-
doch, dass die Anklagebehörde auf eine
- im niederländischen Strafrecht mög-
liche –Verfolgung wegen Kriegsverbre-
chen verzichtet.
Wie so oft ist eine juristische Unter-
suchungkein Ersatz für eine politische
Aufarbeitung. Letztere hätte dieFrage
zu stellen, ob die Hauptverantwor-
tung für denTod der 298 Insassen nicht
beim Kremlliegt. Die Entscheidung, die
Rebellion in der Ostukraine militärisch
zu unterstützen und damit die territo-
riale Integrität einesNachbarlandes zu
verletzen, dürfte an oberster Stelle ge-
fällt worden sein.Auch dieVerlegung
eines Buk-Systems aus der 53. Flug-
abwehrbrigade von der russischen Stadt
Kursk in die Ostukraine ist ohne Anord-
nung aus Moskau schwer vorstellbar.
Beachtung verdient ferner dieFrage,
ob es einFehler war, dass die Ukraine
keine vollständige Schliessung des
Luftraums im Osten desLandes an-
ordnete, nachdem dort in denTagen
zuvor mehrere Militärflugzeuge ab-
geschossenworden waren. An jenem
- Juli war der Luftraum für zivile
Flugzeuge nur bis zu einer Höhe von
9800 Met ern gesperrt. Die Flughöhe
von MH17 betrug rund 10000 Meter–
niemand hatte offenbar damit gerech-
net, dass dieRebellen über ein derart
leistungsfähiges Flugabwehrsystem wie
die Buk-M verfügenkönnten.
Eines derWrackteile der malaysischenBoeing, die nach dem Abschussim Juli 2014 geborgenwerden konnten. ANTONIO BRONIC / REUTERS
Trump beruft
neue n Stabschef
RENZORUF, WASHINGTON
Mit der überraschendenBerufungzum
Stabschef desWeissen Hauses wechselt
Mark Meadows von der Legislative in die
Exekutive, aber seinen Überzeugungen
bleibt er treu:DerAbgeordnete aus North
Carolina gehört seit langem zu den treus-
ten Verbündeten von Präsident Donald
Trump. Als eines derAushängeschilder
der Parlamentariervereinigung«House
Freedom Caucus», einer Gruppierung von
konservativen Hardlinern und Staatskriti-
kern,profilierte er sich während derRuss-
land-Affäre und des Impeachment-Ver-
fahrens alsVerteidigerTrumps.
DieseTreue hat der Präsident dem
Abgeordneten nun mit der Berufung
zum Stabschef desWeissen Hauses ver-
golten. Erkenne Meadows schon lange
und habe ein sehr gutesVerhältnis zu
ihm, schriebTrump amFreitagabend
auf Twitter. Sein bisheriger Stabschef,
Mick Mulvaney, werde künftig als Son-
dergesandter fürNordirlandtätig sein–
ein Posten, der seitTrumps Amtsantritt
vakant gewesen war.
Überraschend an derPersonalent-
scheidung ist vor allem der Zeitpunkt:
Das Weisse Haus ist in der Defensive,
weil Kritiker den Präsidenten beschuldi-
gen , die Coronavirus-Epidemie zu lange
nicht ernst genommen zu haben. Eine
schlechteFigur machte vor allem das
Gesundheitsministerium, weil bisher in
den USA nur wenige Menschen auf das
Virus getestet wurden. Die Zeitschrift
«The Atlantic» sprichtvon 1895 Perso-
nen, in einemLand mit fast 330 Millio-
nen Bewohnern.
In all derAufregung machte sich
Mulvaneyrar und überliess das Schein-
werferlicht Trump, Vizepräsident Mike
Pence und Gesundheitsminister Alex
Azar. Bereits zuvor sorgte er wiederholt
für Verstimmungen bei seinem Chef. So
räumte der 52-Jährige, der sich als dog-
matischerFinanzpolitiker einen Namen
gemacht hatte, im Oktober2019 ein,
dass die amerikanischeRegierung sehr
woh l dieAuszahlung von Hilfsgeldern
an die Ukraine mit derAufnahme von
Ermittlungen gegenTrumps parteipoliti-
sche Gegner verknüpft hatte. Auch sagte
er kürzlich, dass Amerika dringend auf
mehr Einwanderer angewiesen sei. Dies
mag zwar derWahrheit entsprechen,
Trump verfolgt aber gegenteilige Ziele.
Nunalso übernimmt Meadows das
wichtige Amt imWeissen Haus. Er ist
bereits der vierte Stabschef seit dem
AmtsantrittTrumps imJanuar 2017. Er
gilt alsVollblutpolitiker, der amrechten
Rand derRepublikaner gut vernetzt ist.
Er tauscht sich angeblich täglich telefo-
nisch mit dem Präsidenten aus. Auch mit
Jared Kushner, dem Schwiegersohn des
Präsidenten, soll er sich gut verstehen.
Ob er länger durchhält als seineVor-
gänger, muss sich noch zeigen.