Neue Zürcher Zeitung - 09.03.2020

(Steven Felgate) #1
Montag, 9. März 2020 SCHWEIZ 9

Das Shoppingcenter Spreitenbachhat bei der Eröffnung


vor 50Jahrenden Nerv der Zeit getroffen SEITE 10


Fälle imGraubereich zwischenAuftrag undGefälligkeit


haben juristischihre Tücken SEITE 12


Nach der Crypto-Affäre blockiert der Bund


Exporte von Verschlüsselungstechnik


Mehrere Ausfuhrgesuche sind bei den Behörden hängig – die Kunden reagieren verärgert


Eine Nachfolgefirma der von der


CIAkontrollierten CryptoAG


will diversenLändern


Verschlüsselungstechnik liefern.


Wegen der politischen Brisanz


wird sich wohl der Bundesrat


mit demFall befassen.


TOBIASGAFAFER


In der Affäre um die CryptoAG steht
die Vergangenheit imVordergrund. Die
ZugerFirma soll bis 2018 mit amerika-
nischen Geheimdiensten zusammen-
gearbeitet und manipulierte Chiffrier-
geräte verkauft haben. Doch ihr Name
exist iert weiter, auch wenn das Unter-
nehmen vor gut zweiJahren aufgespal-
ten wurde. Eine der beiden Nachfolge-
firmen ist die Crypto InternationalAG,
die sich um das globale Geschäft küm-
mert. Sie droht nun in existenzielle Pro-
bleme zugeraten.
GemässRecherchen der NZZ sind
beim Staatssekretariat fürWirtschaft
(Seco), der Exportkontrolle des Bun-


des, mehrere Ausfuhrgesuche der
Crypto InternationalAGhängig. Die
Firma produziert Verschlüsselungs-
technik sowie Produkte für die Cyber-
sicherheit. Exporte von zivil und mili-
tärisch verwendbaren Produkten, soge-
nanntenDual-Use-Gütern, sind bewil-
ligungspflichtig.


Langwieriger Prozess


Zwar kann der Bund Herstellern Gene-
ralausfuhrbewilligungen für Empfänger-
staaten erteilen, die er als unproblema-
tisch erachtet. Diese machen einen gros-
sen Teil der Lieferungen vonDual-Use-
Gütern und besonderen militärischen
Gütern aus. Von derRegelung profitie-
ren Mitgliedstaaten der EU sowieLän-
der wie die USA, Südkorea,Japan, aber
auch dieTürkei. Bedingung ist unter
anderem, dass dieFirmenverantwort-
lichen nicht wegen Gesetzesverstössen
verurteilt worden sind.
Wirtschaftsminister Guy Parme-
lin (svp.) hat jedoch im Dezember die
Generalausfuhrbewilligungen fürdie
Crypto InternationalAG sistiert, bis die
offenenFragen geklärt sind. Dies dürfte
noch länger dauern. Gegenwärtig unter-
suc ht die Geschäftsprüfungsdelegation
(GPDel), die Geheimdienstaufsicht des
Parlaments, die Affäre. Ihr Bericht soll
bis EndeJuni vorliegen.
Das Secoäussert sichwegen des
Geschäftsgeheimnisses nicht zu hängi-
gen Exportanträgen. Ein Sprecher sagt
lediglich, es sei nach wie vor möglich,
Einzelgesuche der Crypto Internatio-
nal zu behandeln.Firmenchef Andreas
Linde bestätigt aber, dass sein Unter-
nehmen eineReihe von Exportgesu-
chen eingereicht habe. Alle hängigen
Begehren wären von den zwei suspen-
dierten Generalausfuhrbewilligungen
abgedeckt gewesen. Somit geht es kaum
um Geschäfte, die der Bund als heikel
betrachtet.
Bei Einzelgesuchen überprüft das
Seco, wer der Empfänger ist und ob er


die Produkte weitergebenkönnte. Der
Prozess ist für die Herstellerfirma auf-
wendiger. Bei unproblematischen Staa-
ten sollte eine Lieferung dennochrasch
möglich sein. Nach den Enthüllungen
über die CryptoAGschätzen die Be-
hörden die Exportanträge der Nach-
folgefirma jedoch offenkundig als heikel
ein. In solchenFällen entscheidet eine
Expertengruppe, an der das Seco, das
Aussen-, dasVerteidigungsdepartement
und der Nachrichtendienst beteiligt sind.
Kommtkeine Einigung zustande, kann
das Seco den Bundesrat anrufen.
Laut mehreren Quellen in derVer-
waltung muss aber wohl ohnehin die
Landesregierung über die Gesuche ent-

scheiden. Von den involvierten Bundes-
stellen dürfte sichkeine dieFinger ver-
brennen wollen. Der Bundesrat hat
schon in früherenFällen dieVerant-
wortung übernommen, namentlich bei
umstrittenen Lieferungen von Kriegs-
material.
Politiker fordern nun, dass dieRegie-
rung die Gesuche nicht vorbehaltlos
genehmigt. Die Crypto International
müsse belegen, dass bei derVerschlüs-
selungstechnikkeine Hintertüren mehr
eingebaut seien, sagt der Zürcher Natio-
nalratBalthasar Glättli,Fraktionschef
der Grünen. Der Bund solle von der
Firma verlangen, ihre Produkte von
einer unabhängigen Stelle überprüfen

zu lassen, etwa von derETH Zürich.
Andernfalls habe der Bundesrat den
Untersuchungsbericht der GPDel ab-
zuwarten, bevor er entscheide.

EU-Staaten beschweren sich


Die Crypto InternationalAG wehrt
sich dagegen, mit derVorgängerfirma
und deren Geschäftspraktiken gleich-
gesetzt zu werden. Erkönne zwar nach-
vollziehen, dass die Enthüllungen über
die CryptoAG in der Schweiz zu einer
Debatte über die Neutralität geführt
hätten, sagtFirmeninhaber Andreas
Linde. «Diese Diskussionen beziehen
sich aber auf ein anderes Unternehmen

in einer anderen Zeit, mit anderen Be-
sitzern und unterschiedlichen Produk-
ten.» Der Schwede hat von derVor-
gängerfirma laut eigenenAussagen geis-
tiges Eigentum, den Namen Crypto und
grösstenteils dieVerkaufsmannschaft
übernommen.
Linde ist frustriert, dass die Export-
bewilligungen seiner Firma wegen
Vorwürfen gegen die CryptoAGsis-
tiert worden sind.«Wir ve rkaufen oder
unterhaltenkeine der Produkte, die
in den Medienberichten erwähnt wor-
den sind.» Die Arbeit seinerFirma sei
von der SchweizerRegierung blockiert
worden, weil diese zeigen wolle, das sie
etwas tue. Der Entscheid sei unter fal-
schen Annahmen getroffen worden.
Die fehlenden Bewilligungen stellen
die Crypto InternationalAGund ihre
Kunden vor eine Geduldsprobe. «In
den letztenWochen haben sich mehrere
Regierungen, darunter solche von EU-
Staaten, fru striert gezeigt, wie langsam
das Seco die Gesuche behandelt», sagt
Linde. Dabei handle es sich um hochpro-
fessionelle Behördenstellen, derenFach-
experten die Produkte von Crypto Inter-
national als sicher beurteilten. Diese hät-
ten kein Verständnis dafür, weshalb die
Schweiz ihre dringend benötigten Liefe-
rungen blockiere.

Verzug gefährdet Existenz


DieseWoche soll es nun zu einerAus-
sprache zwischen dem Seco und der
Crypto InternationalAG kommen.Das
Unternehmen beschäftigt rund100 Per-
sonen, rund dreiViertel von ihnen in
Zug. Linde will neue Büros beziehen
und dieFirma umbenennen – und dürfte
inzwischen bereuen, dass er diesen
Schritt nicht längst vollzogen hat. Um

Vertrauen zurückzugewinnen, bemüht
er sich umTransparenz. Unsicherheit ist
aber für jedeFirma Gift.Verzögert sich
ein Auftrag immer weiter, weil die Be-
willigung fehlt, gerät der Hersteller in
Schwierigkeiten.
Im Jahr 2014 zogen mehrereFir-
men ihre Exportgesuche von Über-
wachungstechnik zurück, weil das Seco
die Entscheide während Monaten vor
sich herschob. Darunter war unter ande-
rem die umstrittene deutsch-britische
Firmengruppe Gamma. Damals han-
delte es sich umTechnologien zur Über-
wachung des Internets oder Mobilfunks,
die teilweise fürrepressive Staaten be-
stimmt waren.
In derFolge verschärfte dasWirt-
schaftsdepartement die Exportbestim-
mungen mittels einer Notverordnung,
die nun ins ordentlicheRecht über-
geführt werden soll. Mindestens in
einemFall erfolgte eine Lieferung der
Software dennoch, aber über ein ande-
res Land. DerartigeAusweichmanöver
sind imFall der Crypto International
AG, die in der Schweiz nicht blosseinen
Briefkasten hat, kaum möglich.

Die Vorgängerfirma der Crypto InternationalAG hat bereits in den 1950erJahren Chiffriermaschinen hergestellt. ENNIO LEANZA/KEYSTONE

«Wir sind ein anderes


Unternehmen in einer
anderen Zeit, mit

anderen Besitzern
und unterschiedlichen

Produkten.»


AndreasLinde
Chef der Crypto InternationalAG

Andreas Linde
Chef der Crypto
PD InternationalAG
Free download pdf