Handelsblatt - 06.03.2020 - 08.03.2020

(Greg DeLong) #1
Catrin Bialek Düsseldorf

E


in Unternehmen im Ausnahmezu-
stand. Webasto, Zulieferer für Autotei-
le, hat seinen Firmensitz im bayrischen
Stockdorf, einem beschaulichen Ort
zwischen München und Starnberg, wo-
hin sich nur wenige Menschen verirren. Seit Ende
Januar ist das anders. Kamerateams und Journalis-
ten aus allen Ecken der Republik pilgern dorthin.
Denn Webasto ist das Unternehmen null, mit dem
Patienten null – das erste Unternehmen in Deutsch-
land, das einen mit dem Coronavirus angesteckten
Mitarbeiter hatte.
Der Befund schockte Unternehmen wie Öffent-
lichkeit. Immer mehr Mitarbeiter zeigten Sympto-
me und wurden positiv auf Covid-19 getestet, wie
die vom Coronavirus ausgelöste Krankheit heißt.
Insgesamt neun Webasto-Mitarbeiter und fünf der
Angehörigen erkrankten. Für das familiengeführte
Unternehmen, das bisher kaum Erfahrung mit Kri-
senkommunikation hatte, glichen die turbulenten
Wochen im Februar einem fortwährenden Sprung
ins kalte Wasser. Jeden Tag aufs Neue.
„Wir hatten von Anfang an die Bereitschaft in un-
serem Unternehmen, offen und transparent zu
kommunizieren – intern wie extern“, erzählt Pres-
sesprecherin Antje Zientek. Eine Haltung, die der

Krisenkommunikation das nötige Maß an Glaub-
würdigkeit verlieh, wie Beobachter heute meinen.
Weitgehend ohne Unterstützung externer Kommu-
nikationsspezialisten schaffte es das Unternehmen,
nicht nur die rund 14 000 Mitarbeiter fortwährend
zu informieren, sondern auch das Interesse der
Medien, die am liebsten die Infizierten im Kranken-
haus direkt gesprochen hätten, zu befriedigen.
Webasto hat vorgemacht, wie auch mit Krisen
unerfahrene Unternehmen eine solche meistern
können. Denn längst nicht alle Unternehmen sind
auf einen solchen Fall vorbereitet. Vor allem Mittel-
ständler trifft es oft unvorbereitet. Dax-Konzerne
und andere Großunternehmen haben dagegen in
der Regel Krisenrichtlinien ausgearbeitet und Kri-
senstäbe benannt, auch ohne akuten Fall.
Beispiel Bertelsmann: Martin Kewitsch ist Leiter
des Krisenstabs des Medienkonzerns. Bertelsmann
hat zwar bislang keinen Krankheitsfall, die Vorbe-
reitungen laufen aber auch ohne akuten Ernstfall.
„Mit der Ausbreitung des Coronavirus kommen im-
mer neue Fragen auf “, sagt Kewitsch. „Viele betref-
fen die Auswirkungen der Epidemie auf den Ar-
beitsalltag und das Arbeitsumfeld.“ Antworten auf
diese Fragen zu geben ist eine der Hauptaufgaben
seines Krisenstabs in Gütersloh. Seit dem Ausbruch

der Erkrankungen in China, wo Bertelsmann allein
mehr als 3 500 Menschen beschäftigt, tagt das Gre-
mium regelmäßig unter Kewitschs Leitung.
Anders beispielsweise beim Pharmakonzern Bay-
er in Leverkusen. Er definiert das Thema Coronavi-
rus unternehmensintern derzeit nicht als Krisenfall
für das Unternehmen. Entsprechend ist auch nicht
der Konzernkrisenstab für die aktuelle Koordinati-
on des Themas zuständig. Stattdessen verfolgt eine
Kernarbeitsgruppe mit Vertretern aus den Berei-
chen Sicherheit, Risikomanagement, Personalwe-
sen, Kommunikation und anderen wichtigen Funk-
tionen die Situation. Die Arbeitsgruppe hält Kon-
takt zu den Organisationen und erstellt Richtlinien
zu Hygiene und Reisen.
Maßnahmen, die auch bei Webasto eilig unter-
nommen werden mussten. Denn die Ereignisse
überschlugen sich seit Ende Januar. Nachdem eine
chinesische Mitarbeiterin drei Tage in verschiede-
nen Meetings in der Stockdorfer Zentrale verbracht
hatte, dann nach China zurückflog, die Symptome
spürte, Ärzte aufsuchte und am Sonntag die Diag-
nose des Virus erhielt, brach bei Webasto am Mon-
tagmorgen der Sturm los. Das Management unter
Führung des Vorstandsvorsitzenden Holger Engel-
mann richtete eine Taskforce ein, der zwei Dut-

Ausnahmezustand


in Firma null


Krisenkommunikation in Zeiten von Corona: Während viele Dax-Konzerne und


Großunternehmen Pläne vorbereitet haben, trifft es Mittelständler meist unerwartet.


So auch den Autozulieferer Webasto. Doch die Firma bekam den Krisenfall in den Griff.


Firmenzentrale
in Stockdorf:
Kamerateams
belagerten
wochenlang
das Gebäude
von Webasto.

REUTERS

Holger Engelmann:
Der Vorstandsvorsit-
zende von Webasto
ist ein gefragter Inter-
viewpartner.

dpa

Unternehmen


& Märkte


WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
18

zend Mitarbeiter angehörten, die aus diversen Ab-
teilungen entsandt wurden.
„Wir haben sofort Listen erstellt mit den Kon-
taktpersonen der Gruppe eins, so wie das Robert
Koch-Institut sie definiert hat“, erzählt Pressespre-
cherin Zientek. Danach müssen die Kontaktperso-
nen beispielsweise mindestens 15 Minuten im sel-
ben Raum wie die infizierte Person gewesen sein.
In einem Nebengebäude schlugen Ärzte ihr Lager
auf und testeten alle Verdachtsfälle auf das Virus:
Mit jedem weiteren Fall wurden neue Listen er-
stellt, und wieder alle Mitarbeiter informiert.
Das war in einem Betrieb, der über zahlreiche
Produktionsstätten verfügt und dessen Mitarbeiter
mitunter keine Arbeitsrechner haben, nicht immer
einfach. Die jeweiligen Standortleiter von Webasto
druckten die neuen Meldungen, die an manchen
Tagen mehrfach am Tag erschienen, aus und häng-
ten sie ans schwarze Brett. Die Taskforce bezog ei-
ne ganze Etage in Stockdorf, der Rest des Gebäu-
des war verwaist, denn das Management hatte den
Standort für zwei Wochen geschlossen. Eine Vor-
sichtsmaßnahme, um das Virus einzudämmen.
„Wir haben uns sehr schnell eine Struktur erar-
beitet“, sagt Zientek. Zügig wurden immer neue
Pressemitteilungen und Mitarbeiterinformationen
getextet. In den Hochzeiten kamen Dutzende Me-
dienanfragen innerhalb weniger Stunden. Webasto
machte kontinuierlich einen Abgleich mit den
Kommunikationsstrategien der anderen Akteure,
wie etwa den involvierten Krankenhäusern oder
dem Robert Koch-Institut. Wann muss man wieder
etwas sagen, und wie muss man es sagen?

Das Motto muss sein: „We care“
Die Beantwortung von Fragen wie diesen sind auch
das Geschäft von spezialisierten Krisenkommuni-
katoren. „Man muss solche Prozesse in guten Zei-
ten institutionalisieren“, meint Bodo Kirf, CEO der
Beratung DJM Communication. Ist der Krisenfall
erst einmal eingetreten, dann gilt: „Man muss ehr-
lich und wahrhaftig kommunizieren, man darf
nichts verschweigen, das erwarten die Menschen
einfach“, sagt Kirf. Orientierung bieten, Vertrauen
herstellen, und Spezialisten wie Ärzte im Fall Coro-
na hinzuziehen. Alles unter dem Motto „We care“.
Krisenkommunikation ist zu einem wichtigen
Bestandteil der Unternehmenskommunikation ge-
worden. „Deutsche Unternehmen sind in dieser
Hinsicht in den vergangenen Jahren deutlich pro-
fessioneller geworden“, findet Kirf. „Sie haben den
Wert von Kommunikation erkannt“, ergänzt DJM-
Geschäftsführer Kai-Nils Eicke.
Im Krisenfall gilt es, eine hitzige Diskussion zu
versachlichen und die Menschen aufzuklären. Bil-
der von leer geräumten Supermarktregalen, die die
Hamsterkäufe der Menschen symbolisieren, stehen
dann im Widerspruch zu der Beruhigungskommu-
nikation der Behörden. Zudem gibt es Verunsiche-
rung durch widersprüchliche Aussagen von Exper-
ten und Gegenexperten. „Über die sozialen Medien
findet oft eine Skandalisierung statt“, meint Kirf.
„Die Medien bestimmen die Wahrnehmung der
Krise“, fügt Eicke hinzu. Unternehmen, die selbst
von der Krise betroffen sind, können schnell Scha-
den nehmen – müssen rasch reagieren.
So wie Webasto. In der Taskforce habe es keine
Hierarchien gegeben, jede Stimme sei gleich be-
deutend gewesen, berichtet Zientek. Eine externe
Agentur machte das Monitoring und gab Ratschlä-
ge. „Nach Bekanntwerden der ersten Fälle bei We-
basto haben wir unmittelbar verschiedene Maß-
nahmen, wie die 14-tägige Schließung unserer Fir-
menzentrale in Stockdorf, eingeleitet. Das hat sehr
gut funktioniert, und wir konnten so eine weitere
Verbreitung des Virus im Unternehmen verhin-
dern“, resümiert CEO Engelmann. Er ist derzeit ein
gefragter Interviewpartner; am Donnerstagabend
tritt er in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ auf.
Bis heute ist bei Webasto keine Normalität einge-
kehrt. Vor wenigen Tagen wurden die Erkrankten
aus dem Krankenhaus entlassen. Aber die Sorge ih-
rer Mitmenschen ist groß. Übergroß mitunter. So
wurde die Steuerberaterin einer Mutter einer We-
basto-Mitarbeiterin von ihrem Arbeitgeber vorsorg-
lich nach Hause geschickt. „Man kann nur für Auf-
klärung sorgen“, meint Zientek.

Coronavirus

Luftfahrt leidet immer


heftiger unter den Ausfällen


Mit Flybe muss eine erste
Fluggesellschaft Insolvenz anmelden.
Der Welt-Airlineverband IATA rechnet
mit branchenweiten Umsatzverlusten
von bis zu 113 Milliarden US-Dollar.

D


as Coronavirus hat ein erstes Opfer in der
Luftfahrt gefordert: Der britische Regional-
flieger Flybe musste in der Nacht zu Don-
nerstag Insolvenz anmelden. Man habe „alles Mög-
liche versucht“, eine Pleite zu verhindern, versi-
cherte Flybe-Geschäftsführer Mark Anderson den
rund 2 000 Mitarbeitern. Noch am Mittwoch hatte
die Airline Gespräche mit der britischen Regierung
geführt, um die Pleite abzuwenden – aber der Ver-
such scheiterte.
Flybe ist zwar nicht alleine an den Folgen der
Lungenkrankheit gescheitert. Die Auswirkungen
der Epidemie dürften dem Konsortium, das hinter
Flybe gestanden habe, vielmehr die perfekte Aus-
rede gegeben haben, um nicht noch mehr Geld in
ein Geschäft zu investieren, das keine Gewinne
machte, sagt Analyst Ralph Hollister von Global-Da-
ta. Schon vor dem Ausbruch des Virus befand sich
die Airline in Schieflage. Doch der Fall zeigt, dass
schwache Fluggesellschaften die Zusatzbelastun-
gen durch Corona kaum stemmen können.
Denn die werden immer heftiger. Die israelische
Regierung hat zum Beispiel angeordnet, Reisende
aus mehreren Ländern, darunter auch aus
Deutschland, nicht mehr ins Land zu lassen. Da-
raufhin sagte Lufthansa am Donnerstagnachmittag
alle Flüge nach Tel Aviv und Eilat für die kommen-
den drei Wochen ab. Insgesamt hat die Airline nun
im März 7 100 Flüge alleine in Europa gestrichen.
Hinzu kommt der Ausfall diverser Langstrecken-
Verbindungen, die sich auf die Kapazität von 25
Langstreckenjets summieren. Unter dem Strich hat
die nach Umsatz größte europäische Fluggesell-
schaft nun rechnerisch 150 ihrer 770 Flugzeuge
wegen Corona vorübergehend aus dem Verkehr
gezogen.
Noch heftiger trifft die Anordnung in Israel die
dortige Airline El Al. Um die Ausfälle auf Kostensei-
te abzufedern, trennt sich das Unternehmen von
1 000 Zeitarbeitskräften und Festangestellten. Bes-
ser bezahlte Mitarbeiter sollen auf 20 Prozent ihres
Gehalts verzichten. Die Geschäftsführung und der
Verwaltungsrat gehen hier voran und verzichten
ebenfalls auf 20 Prozent ihrer Einkünfte.

Angesichts der enormen Dynamik hat der Welt-
Airlineverband IATA nur zwei Wochen nach der
letzten Revision seiner Prognose die Aussichten für
die Branche noch einmal drastisch nach unten kor-
rigiert. Statt eines Umsatzverlusts von 29,3 Milliar-
den US-Dollar erwartet der Verband nun mindes-
tens Ausfälle in Höhe von 63 Milliarden Dollar.
Diese Summe unterstellt aber, dass sich das Vi-
rus nicht noch in weiteren Ländern ausbreitet als
bisher. Geschieht das, könnte der Umsatzverlust
sogar bis zu 113 Milliarden Dollar betragen.

Chinas Regierung hilft Airlines
Im harmloseren Szenario geht die IATA etwa für
Deutschland von einem Rückgang bei den Passa-
gierzahlen von zehn Prozent aus. In Italien – das
Land hat in Europa die meisten Corona-Erkrankten
und auch Opfer des Virus zu beklagen – könnte der
Rückgang sogar 24 Prozent betragen.
Im schlimmsten Szenario – also dem einer Aus-
breitung in weiteren Ländern – dürften die Passa-
gierzahlen auch in Deutschland um bis zu 24 Pro-
zent fallen. Damit würde Deutschland zusammen
mit Italien, Österreich, Frankreich, den Niederlan-
den, Norwegen, Spanien, der Schweiz, Schweden
und Großbritannien zu den am meisten betroffe-
nen Regionen in Europa zählen.
Angesichts dessen rief Alexandre de Juniac, der
Generaldirektor der IATA, die Regierungen dazu
auf, Pläne wie etwa eine höhere Luftverkehrssteu-
ern neu zu überdenken und auszusetzen.
In China, wo das Virus wohl seinen Ursprung
hat, ist man schon weiter. Hier will der Staat den
Airlines helfen. So hat die Zivilluftfahrtbehörde von
China (CAAC) am Mittwoch verkündet, dass so-
wohl chinesische als auch ausländische Fluggesell-
schaften Subventionen bei der chinesischen Regie-
rung beantragen können. Es handelt sich dabei um
eine Zahlung, die Fluggesellschaften bekommen
sollen, die während der Coronakrise noch inner-
halb Chinas und von China zu internationalen Flü-
gen gestartet oder gelandet sind.
Demnach sollen die Unternehmen bei Code-Sha-
ring-Flügen – also jenen, die mit anderen Airlines
angeboten werden – 0,0176 chinesische Yuan
(0,0023 Euro) pro Sitz und geflogenen Kilometer
bekommen. Bei den anderen Flügen sind es 0,
Yuan. Das chinesische Wirtschaftsmagazin „Caixin“
hat ausgerechnet, dass manche Airlines so umge-
rechnet bis zu 23 Millionen Euro Finanzhilfe erhal-
ten könnten. jkn,ll,dah

Flybe-Jets
in Manchester:
Die Coronakrise
gab der schwer
angeschlagenen
Regional airline
den Rest. REUTERS

Man muss


ehrlich und


wahrhaftig


kommuni -


zieren,


man darf


nichts


verschweigen,


das erwarten


die Menschen


einfach.


Bodo Kirf
DJM Communication

Unternehmen & Märkte


WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
19
Free download pdf