Handelsblatt - 06.03.2020 - 08.03.2020

(Greg DeLong) #1

D


ie Mitgründerin des Risikokapitalge-
bers La Famiglia ist eine der bekann-
testen Investorinnen Deutschlands.
Vor der Preisverleihung am Donners-
tagabend erklärt sie, warum Grün-
der mehr Platz in der politischen Themensetzung
verdienen.

Frau zu Fürstenberg, provokant gefragt: Braucht
es noch einen Start-up-Award, da es doch schon ei-
nige Start-up-Preise in Deutschland gibt?
Wir haben uns als Start-up-Verband unter der Ägi-
de von Christian Miele vor einigen Monaten neu
aufgestellt. Dazu gehört der German Start-up
Award. Ich hoffe, dass der Preis eine Strahlkraft
entfaltet– über die Szene hinaus auch in die Indus-
trie und die Politik. Wir haben ein hochkarätiges
Publikum und unterscheiden uns damit von vielen
lokalen Preisen. Zudem ist es der erste Award aus
der Szene für die Szene.

Nutzen Sie solche Wettbewerbe, um Gründer zu
finden?
Ja, auf jeden Fall. Bei La Famiglia analysieren wir
junge Unternehmen aus Wettbewerben, Inkubato-
ren und anderen Programmen. Solche Veranstal-
tungen können darüber hinaus dabei helfen, die
etablierte Industrie mit Gründern zu verzahnen.
B2B-Technologien sind eine große Stärke Deutsch-
lands und stoßen auf steigendes Interesse von Un-
ternehmenskunden und Kapitalgebern. Ein Beispiel
sind Start-ups, die es schaffen, Künstliche Intelligenz
für die klassische Industrie nutzbar zu machen.

Wieso sind diese Modelle so interessant?
In der ersten Welle des Internets haben wir sehr
viele auf Endverbraucher ausgerichtete Internet-
modelle gesehen. Jetzt greift das auf die gesamte
Wertschöpfungskette über. Logistik, Lieferketten
und Fertigung müssen beispielsweise auf die stär-
kere Individualisierung und Vielfalt von Produkten
ausgerichtet werden. Das wirkt alles auf klassische
B2B-Sektoren, die jetzt Veränderungsdruck spüren.

Liegen da besondere Chancen für Investoren?
Ja, auf jeden Fall! Das ist einer der spannendsten
Bereiche in Europa. Nicht zuletzt, weil viele der
Weltmarktführer in diesen klassischen Industrie-
segmenten in Europa beheimatet sind und hier ein
entsprechendes tiefes Prozessverständnis veran-
kert haben. Beispiele hierfür sind Kühne & Nagel,
BASF, die großen Automobilhersteller und zahlrei-
che andere. Es gibt also viele Fachleute auf unse-
rem Kontinent, die ein tiefes Verständnis dieser
Prozesse entwickelt haben und nun als Gründer
neue, fertig entwickelte Technologieprodukte des
maschinellen Lernens, wie Googles Tensor Flow,
auf ihnen bekannte Probleme anwenden. Das diffe-
renzierende Merkmal ist dann nicht die Technolo-
gie als solche, sondern das Prozessverständnis und
die Sektorkenntnis. Da sehe ich für Europa die
Chance, globale Champions zu bauen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?
Ja, unser Portfoliounternehmen Arculus. Das ist ei-
ne Ausgründung von ehemaligen Audi-Ingenieuren,
die eine neue modulare Produktionsplattform ge-
schaffen haben. Das zeigt den Weg weg von klassi-
scher Serienfertigung zu einer softwaregesteuerten
Produktion, die kleinere individuellere Stückzahlen
und flexible, modulare Fertigung ermöglicht.

Es fällt auf, dass der Preis explizit ein Deutscher
Start-up-Preis ist. Wie international ist die hiesige
Szene überhaupt?
Die Unternehmen sind extrem international aufge-
stellt. Bei den meisten vereinen sich viele Nationa-
litäten unter einer Flagge: Technologie ist eine lin-
gua franca und bringt Leute unterschiedlichster
fachlicher und kultureller Hintergründe zusam-
men. Ich empfinde das als einzigartig in seiner Viel-
falt. Auch wird Deutschland bei internationalen
Wagniskapitalgerbern, wie US-amerikanischen In-
vestoren, zunehmend wahrgenommen. Sie eröff-
nen hier Büros und verbringen viel Zeit hier.

Ist es denn nicht an der Zeit, den Deutschen Start-
up-Verband für diese Akteure zu öffnen?
Es würde wenig Sinn ergeben, die amerikanischen
Investoren da reinzuholen. Wir wollen uns schließ-
lich auf unsere Stärken besinnen und europäische
Champions bauen.

Wo hat die deutsche Szene Nachholbedarf?
La Famiglia [M]Europa macht viel richtig, aber es gibt noch einige

Ein


besonderes


Problem


haben wir


bei der


Aktivierung


von institu -


tionellen


Anlegern für


Risikokapital.


Die Mitgründerin des
Risikokapitalgebers
La Famiglia ist Teil der
Jury des German
Start-up Awards. Die
37-jährige Ökonomin
stammt aus der
Industriellenfamilie
hinter dem Duisbur-
ger Unternehmen
Krohne. Sie will mit
ihren beiden Fonds
unter anderem etab-
lierte Unternehmen
mit der Start-
up-Szene vernetzen
und Gründerinnen
fördern.


Seit 2010 ist die
Erbprinzessin Teil des
Hauses Fürstenberg
in Donaueschingen.


Vita Jeannette
zu Fürstenberg

„Wir müssen


Gründer


aufklären“


Die Investorin ist Jurymitglied des neuen


German Start-up Awards. Sie sieht steigendes


Verständnis für die Anliegen der Szene.


Jeannette zu Fürstenberg


Unternehmen & Märkte


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WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
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Details auf der Agenda des Verbands – etwa bei
Mitarbeiterbeteiligungen, dem Zukunftsfonds oder
dem digitalen EU-Binnenmarkt. Ein besonderes
Problem haben wir bei der Aktivierung von institu-
tionellen Anlegern für Risikokapital. In den USA in-
vestieren sehr viele Anleger in die Asset-Klasse Ven-
ture Capital. Wir haben es in der Breite zwar ge-
schafft, etliche Family Offices von Investments zu
überzeugen, aber institutionelle Anleger treffen in
Europa auf zu viele regulatorische Hürden, wenn
sie in Risikokapitalfonds investieren wollen.

Dringt der Verband mit Ideen in Berlin durch?
Es hat einen spürbaren Ruck gegeben, seitdem wir
den Verband neu aufgestellt haben. Ich erlebe eine
stärkere Wahrnehmung, um unsere Themen auf
der politischen Agenda zu platzieren. Der Verband
setzt sich aus sehr diversen Mitgliedergruppen zu-
sammen, und wir haben bewusst versucht, einen
Index aller relevanten Stakeholder für ein digitales
Deutschland abzubilden. Mit Verlaub liegen doch
gerade hier die Antworten auf viele Ängste und
Fragen, die Wähler aktuell beschäftigen. Wie be-
kommen wir die Luftverschmutzung in den Innen-
städten in den Griff? Wie gehen wir mit dem Weg-
fall von Arbeitsplätzen als Folge von Automatisie-
rung um? Wir haben ausreichend qualifizierte
Gründer und Geschäftsmodelle, die hierauf unter-
nehmerische Antworten formuliert haben, die
Platz in der politischen Themensetzung verdienen.

Das heißt: Der Neustart im Verband funktioniert?
Ja. Es ist ein Elan spürbar, der viel Freude macht.
Wir haben beispielsweise eine WhatsApp-Gruppe
für alle Vorstände des Verbands, wo wir uns eng
miteinander abstimmen.

Entsteht in dieser jungen Branche ein neuer Klün-
gel, wenn alle so eng beieinander sind?
Nein, die Gefahr sehe ich nicht. Wir brauchen viel-
mehr die Bündelung aller Ressourcen und Engage-
ments, um unsere Themen auf der politischen
Agenda zu platzieren. Gleichzeitig müssen wir Auf-
klärungsarbeit bei Gründern leisten, etwa dazu,
was am Markt übliche Beteiligungsmodelle sind.
Wir sehen immer wieder Start-ups mit viel Potenzi-
al, bei denen sich aber irgendein Investor für
10 000 Euro mal eben 30 Prozent der Anteile gesi-
chert hat. Solche Firmen sind dann einfach nicht
mehr finanzierbar. Da ist noch eine ganze Menge
zu tun. Die Wettbewerbsfähigkeit Europas hängt
davon ab, dass uns die digitale Transformation ge-
lingt, die von jungen Unternehmen getrieben wird.

Welche Bereiche sind besonders interessant?
Ich finde zwei Querschnittsthemen spannend: ein-
mal die Zukunft der Arbeit. Wir bei La Famiglia stel-
len uns die Frage, wie Menschen künftig zusammen-
arbeiten – und welche Geschäftsmodelle sich daraus
etwa für Automatisierung und Remote-Arbeit ablei-
ten wird. Zum anderen wird das Thema Nachhaltig-
keit sicherlich noch mehr Relevanz bekommen.

Frau zu Fürstenberg, vielen Dank für das Inter-
view.

Die Fragen stellte Christoph Kapalschinski.

Ecosia

eyeo

Hoffotografen

nebenan.de,

Daria Sarahova;

German Start-up Awards


Das sind die Gewinner


Getty Images News

Bester Newcomer

Christian Piechnick,
Wandelbots
2017 gründete der
Doktorand der TU
Dresden gemeinsam
mit Kollegen das
Start-up. Es bietet
verschiedene Techno-
logien an, mit denen
Roboter einfach und
intuitiv programmiert
werden können.

Christian Kroll,
Ecosia
Der Gründer und
sein Team nutzen
die Einnahmen aus
der Nutzung ihrer
Suchmaschine und
pflanzten damit
bereits weltweit
mehr als 86 Millio-
nen Bäume.

Bester Social Entrepreneur

Ina Remmers,
nebenan.de
2015 gegründet, soll
die Plattform Nach-
barschaften in
lebenswerte Orte
verwandeln. Die
Co-Gründerin und
Geschäftsführerin
will damit auch das
lokale Gewerbe
unterstützen.

Beste Gründerin

Tim Schumacher,
TS Ventures
Seit dem Verkauf der
von ihm co-gegründe-
ten Domain-Plattform
Sedo ist er als Investor
und aktiver Gründer
weiter aktiv: unter
anderem beim
Adblock-Anbieter
Eyeo.

Bester Investor

Andreas Pinkwart,
Wirtschaftsminister
NRW Der Politiker hat
es sich zur Aufgabe
gemacht, das Bundes-
land zum aktivsten
Standort für Gründer
in Deutschland zu
machen.

Bester Support

Ferry Heilemann,
FreightHub
Gemeinsam mit sei-
nem Bruder und zwei
Freunden gründete er
2016 die laut eigener
Aussage erste digitale
Spedition. Heute
arbeiten mehr als 150
Technologie- und
Logistikexperten an
fünf Standorten für
das Start-up.

Bester Gründer

Daria Saharova,
Vito One
Seit rund fünf
Jahren investiert
Saharova als Chefin
des Frühphasen-
Finanzierers der
Viessmann Gruppe
in Start-ups wie
etwa GridX oder
Simplinic.

Beste Investorin

Andreas Pein/laif,

Anne Kjaer Riechert,
ReDi School of Digital
Integration
Riechert gründete
2016 in Berlin eine
Schule, in der Migran-
ten und Flüchtlinge
programmieren lernen:
Das hilft bei Integrati-
on und Arbeitssuche,
vor allem in einem
Land, das dringend IT-
Kräfte sucht.

Beste Social Entrepreneurin

ooshi,

Beste Newcomerin

Der Preis Der Bundes-
verband Deutsche
Start-ups will seinen
neuen Preis als einen
Höhepunkt unter den
Start-up-Veranstaltun-
gen etablieren.
Die Auszeichnungen
wurden am Donners-
tagabend im Berliner
Theaterhaus „Tipi am
Kanzleramt“ in neun
Kategorien vergeben.
Mitmachen konnten
innovative Start-ups,
die jünger als zehn
Jahre sind und
wachsen. Newcomer
sollten in den vergan-
genen beiden Jahren
gegründet haben.
Die Jury suchte dabei
nach herausragenden

Persönlichkeiten des
deutschen Start-
up-Ökosystems.

Der Verband Der Bun-
desverband Deutsche
Start-ups hat Ende
2019 unter der Ägide
des E-Ventures-
Partners Christian
Miele einen Neustart
hingelegt. Seitdem
sind im Präsidium
viele neue bekannte
Köpfe aus der Start-
up-Szene vertreten.
Der Verband will die
Interessen von 900
jungen Unternehmen
und ihren Investoren
bündeln und auch in
der Politik für kon-
krete Projekte werben.

German Start-up Awards

Kati Ernst, ooshi
Die promovierte Betriebswir-
tin entwickelte gemeinsam
mit Kristine Zeller (links)
eine stark nachge-
fragte Perioden-
unterwäsche.
Sie gründeten
ooshi 2018.

Unternehmen & Märkte


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WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
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