Handelsblatt - 06.03.2020 - 08.03.2020

(Greg DeLong) #1
„Wir sind überzeugt, der Klimawandel ist
real. Der aggressive Wandel zur
Elektromobilität wird dieses Unternehmen
und unsere Industrie dramatisch verändern.“
Mary Barra, CEO General Motors, will bis 2025 umgerechnet
18 Milliarden Euro in die Elektromobilität und in autonomes Fahren
investieren.

Worte des Tages


Continental


Mehr als


ein Virus


D


as Coronavirus wird derzeit
für vieles, was bei Unter-
nehmen schiefläuft, verant-
wortlich gemacht. Auch Continental
beruft sich darauf und plant, sein
Sparprogramm zu verschärfen.
Doch an Contis Misere hat die Vi-
rusepidemie allenfalls einen gerin-
gen Anteil. Die Probleme des Zulie-
ferers liegen tiefer und sind struktu-
reller Natur.
Zehn Jahre lang hatte Continental
Zeit gehabt, den Konzern umzubau-
en – und sich den schlechtmöglichs-
ten Zeitpunkt dafür ausgesucht.
Mitten im Konjunkturabschwung,
der beschleunigten Elektrowende,
der zunehmenden Digitalisierung
des Geschäfts und der aktuellen Co-
ronakrise versucht Continental,
sich in eine Holding aufzugliedern
und die Antriebssparte Vitesco
Technologies abzuspalten.
Der Zulieferer will sich mehr auf
Wachstumsfelder konzentrieren.
Die verortet der Konzern im Be-
reich der Fahrerassistenzsysteme,
des autonomen Fahrens und in
Software-Produkten für die Auto-
mobilindustrie.
Um dort wachsen zu können, be-
nötigt Conti eine Menge Kapital.
Trotz sinkender Einnahmen inves-
tiert der Zulieferer Milliardensum-
men in die neuen Technologien
und plant, bis 2022 weitere 2000
Software- und IT-Experten einzu-
stellen.
Bislang allerdings bindet die An-
triebssparte Vitesco Technologies
noch große Mengen dieses Kapitals.
Durch einen Spin-off will sich Conti
finanziell mehr Luft verschaffen.
Doch das wirtschaftliche Umfeld,
zusätzlich vergiftet durch die Fol-
gen des Coronavirus, könnte nicht
schwieriger sein für eine Abspal-
tung. Es wäre erstaunlich, wenn
sich derzeit Geldgeber fänden, die
bereit sind, in ein Unternehmen
wie Vitesco Technologies zu inves-
tieren.
Vitesco ist auf externe Geldgeber
angewiesen. Denn nach der Abspal-
tung wird Continental kein Kapital
mehr zuschießen können. Für die
Antriebssparte bleibt daher nur die
Hoffnung, dass sich die Aufregung
um das Coronavirus so schnell wie
möglich wieder legt.


Der Zulieferer hat strukturelle
Probleme, die er zur denkbar
ungünstigsten Zeit zu lösen
versucht, meint Roman Tyborski.

Der Autor ist Redakteur im
Ressort Unternehmen & Märkte.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]


B


ei Henkel trauern immer noch viele den
Zeiten von Kasper Rorsted nach. Der
Däne hatte als externer Manager wenig
Hemmungen, seine Strategie durchzu-
ziehen. Er räumte beim Düsseldorfer
Konzern kräftig auf und trimmte ihn auf Rendite.
Wenn Rorsted auch nicht alles gelang: Sein klares
Profil und seine Persönlichkeit als smarter Manager
wirken bis heute nach – und das, obwohl sein Nach-
folger Hans Van Bylen den Konzern mehr als drei
Jahre lang führte.
Mit Carsten Knobel hat jetzt erneut ein Manager
den Chefposten übernommen, der das Unterneh-
men mit einer klaren Strategie prägen könnte. Statt
des Effizienztrimmers Rorsted ist nun aber ein Mann
für Wachstum gefragt.
Dazu braucht er Fantasie und Mut. Beides ist er-
forderlich, um die seit zwei Jahren andauernde Tal-
fahrt der Aktie zu stoppen. Fantasie, weil die Inves-
toren eine neue Story wollen. Mut, um wichtige Ent-
scheidungen im Unternehmen zu treffen.
Das gilt vor allem für die Sparte Beauty-Care. Der
kleinste Unternehmensbereich mit Marken wie Fa,
Schauma und Syoss wächst seit Jahren am schwächs-
ten. Das liegt daran, dass das Geschäft zweigeteilt ist


  • in ein gut laufendes mit Profiprodukten für Friseu-
    re und ein problematisches mit Massenprodukten
    für die Supermärkte. Knobels Vorgänger Van Bylen
    konnte sich nicht zu einer Entscheidung durchrin-
    gen, sich entweder aufs Profigeschäft zu konzentrie-
    ren und vom Konsumentengeschäft zu trennen –
    oder den gesamten Bereich zu verkaufen, nach dem
    Motto: hopp oder top!
    Es besteht die Hoffnung, dass sein Nachfolger die
    Hängepartie beenden will. Knobel kündigte ein „ak-
    tives Portfoliomanagement“ an. Er hat einen Ge-
    samtumsatz von einer Milliarde Euro im Konsumen-
    tengeschäft identifiziert, davon will er fünfzig Pro-
    zent verkaufen oder einstampfen. Gleichzeitig
    kündigte Knobel neue Akquisitionen an.
    Klar: Jetzt besteht für Henkel die Versuchung, mit
    dem möglichen Kauf von Wella sein Beauty-Care-Ge-
    schäft schnell zu vergrößern. Das wäre aber nur sinn-
    voll, wenn Henkel die Marke vom US-Konzern Coty zu
    einem angemessenen Preis übernehmen könnte. Und
    damit allein wäre es auch noch nicht getan. Denn
    Henkel müsste in die Marke Wella, an der sich in
    sechs Jahren schon zwei Eigentümer versucht haben,
    kräftig investieren, um sie erfolgreich zu machen.
    Es ist einen Gedanken wert, sich zu fragen, ob das
    Drei-Sparten-Modell von Henkel mit dem Klebstoff-,
    dem Waschmittel- und dem Beauty-Care-Geschäft
    noch zeitgemäß ist. Die Zeiten der Diversifikation un-


ter einem Dach sind eigentlich vorbei. Andere Konzer-
ne machen vor, wie es anders gehen könnte. Siemens
etwa hat sein Riesenkonglomerat aufgespalten. Und
Bayer hat sich von seinem Chemiegeschäft getrennt.
Dafür sorgte auch der Druck von Investoren. Bei
Henkel allerdings haben die bislang keine Chance,
den Hebel anzusetzen. Denn eine solche strategische
Entscheidung geht nur mit Zustimmung der Familie,
die mit 61 Prozent das Sagen hat. Deshalb muss Kno-
bel vor allem die Familie für seinen Plan gewinnen.
Knobel muss aber auch aufpassen, dass Henkel
seine führende Rolle als Weltmarktführer für Kleb-
stoffe nicht verliert. Denn den Großteil des Geschäfts
macht Henkel als Zulieferer für die Industrie. Des-
halb werden die Düsseldorfer die Konjunkturschwä-
che in der Auto- und Elektronikindustrie zu spüren
bekommen. Das ist gefährlich für die Sparte, die
knapp die Hälfte zum Konzernumsatz beisteuert und
in den vergangenen Jahren immer für hohe Renditen
stand.
Henkel hat erkannt, dass es sich in seinem Kleb-
stoffgeschäft nicht ausruhen darf. Um noch mehr In-
novationen als bisher zu fördern, baut das Unterneh-
men für die Sparte gerade ein neues großes For-
schungszentrum auf. Dort sollen die Wissenschaftler
im Konzern noch intensiver miteinander und mit
den Kunden zusammenarbeiten.
Vielleicht entwickeln sie auch neue Ideen, um
Henkel auf dem Weg zu einem nachhaltigen Konzern
schneller voranzubringen. Denn die Zeit drängt an-
gesichts des wachsenden Plastikmülls in den Mee-
ren. Knobel muss es gelingen, die Transformation zu
beschleunigen. Dann kann Henkel bei dem wichti-
gen Thema eine Vorreiterrolle gegenüber Konkur-
renten wie Procter & Gamble oder Unilever über-
nehmen – und gleichzeitig sein nachhaltiges Wachs-
tum stärken.
Knobels erster Auftritt als neuer Chef macht Hoff-
nung, dass er Henkel wieder auf Wachstumskurs
trimmen wird. Allerdings bleibt eine große Unbe-
kannte, das Coronavirus. Es ist noch nicht absehbar,
wie stark sich die Epidemie auf das Geschäft von
Henkel auswirkt. Klar ist aber, dass Corona seine
Spuren hinterlassen wird. Das gilt für das Industrie-
geschäft wegen drohender Probleme in der Liefer-
kette ebenso wie für das Konsumentengeschäft mit
Persil, Pritt und Co., weil der Verkauf im Einzelhan-
del womöglich leiden wird. Umso wichtiger ist eine
schnelle und klare Neuausrichtung des Konzerns.

Henkel


Die Hängepartie


muss enden


Vorstandschef
Carsten Knobel
sollte umgehend
überfällige
Entscheidungen
treffen, um den
Konzern auf
Wachstumskurs
zu trimmen, sagt
Georg
Weishaupt.

Es ist einen


Gedanken wert,


ob das Drei-


Sparten-Modell


mit dem


Klebstoff-, dem


Waschmittel -


und dem


Beauty -Care-


Geschäft noch


zeitgemäß ist.


Der Autor ist Redakteur im Ressort Unternehmen
& Märkte. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung


& Analyse
1

WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
26


„Quantität ist nicht das
Wichtigste für uns. Sondern
das sind natürlich die Leute,
die auch wirklich kaufen.“
Nanne Dekking, Chef der Kunstmesse Tefaf
Maastricht, die trotz der Corona-Ausbreitung
stattfinden soll

„Er steht vor einer gewaltigen
Aufgabe. Dafür braucht er Kraft,
aber auch Unterstützung von allen im
Konzern.“
Hans-Michel Piech, Volkswagen-Großaktionär, über den
VW-Vorstandschef Herbert Diess

D


as Virus Sars-CoV-2 ist gerade erst in Ber-
lin angekommen, es gibt die ersten Infi-
zierten, einzelne Schulen bleiben ge-
schlossen, Großveranstaltungen werden
abgesagt. Noch ist niemand gestorben. Die Büros
sind aber alle offenbar schon komplett durchseucht.
Bei Geschäftskontakten gilt nun: höflich ohne Hän-
de. Man winkt einander irgendwie verkrampft lä-
chelnd zu. Schließlich ist jeder Kollege oder Ge-
schäftspartner ein potenzieller Infektionsherd.
Auf manche Mitarbeiter scheint es allerdings wie
eine Befreiung zu wirken, dass sie endlich ihre Mit-
menschen nicht mehr berühren müssen. Vielleicht
konnten sie Menschen noch nie leiden. Sie halten
sich auf sechs Meter Abstand von allen anderen Or-
ganismen und würden sich auch einen ABC-Schutz-
anzug anlegen, wenn die nicht ausverkauft wären.
Eine heute auch sehr geläufige Geste: wenn der
Nebenmann hustet, wortlos aufzustehen und sich ei-
nen neuen Platz zu suchen. Was früher als ein Zei-
chen höchster Verachtung galt, das höchstens ange-
bracht war, wenn der Nebenmann erklärt hatte, eine
große Sympathie für Adolf Hitler zu hegen, gehört
nun zum normalen Verhaltensrepertoire.
Menschen, die mit vielen anderen Menschen Kon-
takt haben, die vielleicht sogar Kinder haben, die auf
Grundschulen gehen, sind ohnehin höchst verdäch-
tig. Es wird nicht mehr lange dauern, da wird man
Passanten wegen eines Hustenanfalls lynchen. Dabei
muss man sich fragen: Was ist denn nun so funda-
mental anders als früher? Es gab doch auch zuvor
schon äußerst ansteckende, potenziell gefährliche
Krankheiten, die Grippe etwa. Demnach war infekti-
onsschutzmäßig also das moderne Sozialverhalten
schon immer eine Katastrophe: das ganze Hände-

schütteln, Umarmen, Küsschen-Küsschen und
Chichi. Vielleicht ist nach der Coronawelle dann
Schluss damit und wir können uns auf eine Kultur
der distanzierten Kälte vorbereiten. Oder es wird
bald Frühling und der Spuk ist vorbei.
Dann gäbe es auch wieder etwas zu essen. In Ber-
lin sahen die Supermärkte zeitweise aus wie zu Zei-
ten der DDR. Irgendwie gab es nix. Bekanntlich sind
vor allem Nudeln oft ausverkauft. Wahrscheinlich
gibt es bald erste Meldungen, dass einzelne Spaghet-
ti zu Wucherpreisen auf Ebay gehandelt werden. Wir
haben, was Pasta betrifft, also eine Sonderkonjunk-
tur, was erfreulich für die italienische Wirtschaft sein
dürfte, die ja gerade unter dem Virus so stark lei-
det. Ich bin allerdings erstaunt, welche Lagerkapazi-
täten es offenbar in deutschen Haushalten gibt. Wo
bekommen die Leute das alles unter? Ich hätte für
Hamsterkäufe gar keinen Platz in meiner Woh-
nung. Alles redet über Wohnraumknappheit in den
Großstädten, aber ein paar Paletten Barilla einzula-
gern scheint kein Problem zu sein.
Die Frage ist nur, ob diese Unmassen an Nudeln
nun als eiserne Reserve für den Zusammenbruch ge-
nutzt werden – oder aber ob sie nun alle aufgegessen
werden. Dann gäbe es in Deutschland in den nächs-
ten Wochen nur noch Teigwaren auf dem Tisch. Er-
nährungsexperten sehen eine solche Diät sehr kri-
tisch: Wer hauptsächlich Nudeln isst, muss das Gan-
ze mit Ballaststoffen und frischer vitaminhaltiger
Kost begleiten. Ansonsten drohen nämlich Mangeler-
scheinungen. Am Ende wird noch jemand krank.

Prüfers Kolumne


Virus mit Nebenwirkung


Tillmann Prüfer
fragt sich, ob wir
auch nach Corona
auf Distanz bleiben
und nur noch
Nudeln essen
werden.

Der Autor ist Mitglied der Chefredaktion des
„Zeit-Magazins“. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

AFP, dpa, dpa

Illustration: Max Fiedler

General Motors


Strategie


gegen Tesla


D


ie ehrgeizigen Pläne zur
Elektromobilität zeigen,
dass es General-Motors-
Chefin Mary Barra ernst meint. Sie
will bis 2025 eine Million E-Autos in
den USA und China verkaufen und
hat für alle Marken neue batteriebe-
triebene Modelle vorgestellt. Aller-
dings ist Barra realistisch genug, zu
erkennen, dass E-Autos in den USA
zunächst vor allem in den Küstenre-
gionen des Landes gut ankommen –
dort, wo der E-Auto-Konkurrent
Tesla seine Erfolge feiert.
Barra will bis 2025 insgesamt 20
Milliarden Dollar in die Entwick-
lung von elektrischen und selbst-
fahrenden Autos investieren. Au-
ßerdem stellte sie für alle Marken
des Hauses E-Modelle vor. Das
reicht vom Luxus-SUV Cadillac Ly-
ric über den Chevrolet Bolt bis hin
zum E-Comeback des Schlacht-
schiffs Hummer. Mit einer Reich-
weite der Batterien von 400 Meilen
(knapp 644 Kilometer) würde GM
sogar den Elektropionier Tesla
übertreffen, dessen Autos bisher
auf maximal 390 Meilen kommen.
Mit der E-Auto-Offensive will die
GM-Chefin in den USA auch die
klassischen Märkte des Konzerns
verschieben und stärker die Küsten-
staaten erobern. General Motors ist
mit seinen Chevrolets und GMC-
Pick-ups und SUVs bisher vor allem
im Herzen der USA stark. Doch Bar-
ra weiß, dass das nicht das Zielpu-
blikum für neue Batterie-Autos ist.
Der Mittlere Westen will wohl auch
noch weiterhin Benziner fahren.
Das liegt nicht unbedingt daran,
dass Amerikaner, die jenseits der
hippen Städte wie San Francisco,
LA oder New York wohnen, rück-
wärtsgewandt sind und den Klima-
wandel leugnen. Es liegt vor allem
daran, dass es in großen Teilen des
Landes noch kein ausgebautes Netz
an Ladestationen gibt. In Regionen,
wo die Menschen schon heute
manchmal 50 Kilometer zur nächs-
ten Tankstelle fahren müssen, um
an Benzin zu kommen, ist ein Elek-
troauto wenig sinnvoll.
Barra tut gut daran, ihr elektroni-
sches Augenmerk auf die Küsten zu
richten: Dort sitzt das Geld, und die
Kunden werden dort mehr margen-
trächtige E-SUVs kaufen.

GM-Chefin Mary Barra meint es
ernst mit der Elektromobilität und
beweist bei ihren Plänen
Realismus, meint Katharina Kort.

Die Autorin ist
New-York-Korrespondentin.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte
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WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
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