Handelsblatt - 06.03.2020 - 08.03.2020

(Greg DeLong) #1
A. Kröner, M. Maisch, C. Herz Frankfurt

E


s war ein Schock für die Mitarbeiter im
Londoner Hauptquartier des briti-
schen Finanzriesen HSBC. Am Don-
nerstag wurde ein Mitarbeiter in der
Research-Abteilung der größten euro-
päischen Bank positiv auf das Coronavirus getestet.
Die Folge war eine Teilevakuierung des markanten
Hochhauses, das zu den Wahrzeichen des Finanz-
viertels Canary Wharf im Osten der britischen
Hauptstadt zählt. Die für die Funktionsfähigkeit
des Finanzsystems wichtige Arbeit in den Handels-
sälen sei von der Erkrankung nicht betroffen, heißt
es in Finanzkreisen. „Auf Basis medizinischer und
offizieller Empfehlungen bleibt das Gebäude geöff-
net, und es wird wie normal gearbeitet“, betont
HSBC in einer Mitteilung.
Es ist eine traurige Premiere für den wichtigsten
europäischen Finanzplatz. Der Vorfall im Haupt-
quartier von HSBC ist der erste bestätigte und öf-
fentlich bekannte Krankheitsfall in den Büros einer
großen Londoner Bank. Aber auch in Deutschland
wird die Gefahr konkreter. Die Hypo-Vereinsbank
meldete der Nachrichtenagentur Bloomberg zufol-
ge einen Fall bei einem ihrer Dienstleister in Mün-
chen. Die Person stehe unter medizinischer Auf-
sicht. Als Vorsichtsmaßnahme habe die Bank den

betroffenen Arbeitsraum umgehend geschlossen.
Die relevanten Teile des Gebäudes wurden gründ-
lich gereinigt und desinfiziert, hieß es.
Die Vorfälle liefern den endgültigen Beweis,
dass die Coronakrise Europas Banken erreicht hat.
Die Epidemie trifft die Institute gleich doppelt.
Aufseher und Politiker treibt die Furcht um, dass
durch Evakuierungen und Quarantänemaßnah-
men für eine Volkswirtschaft zentrale Funktionen
wie der Zahlungsverkehr oder der Wertpapierhan-
del ausfallen könnten. In der Londoner City, aber
auch in Frankfurt arbeiten die Banken deshalb be-
reits intensiv an Notfallplänen, die sicherstellen
sollen, dass sie auch bei einer Ausweitung der Epi-
demie unter allen Umständen handlungsfähig blei-
ben.
Doch das ist nur der eine Teil der Bedrohung für
die europäischen Geldhäuser. Die Furcht vor den
unkalkulierbaren Langfristfolgen des Virus sorgt an
der Börse für eine rasante Talfahrt der Bankaktien.
Der Kurs der Commerzbank brach am Donnerstag
noch einmal um 5,7 Prozent ein und stürzte damit
auf ein neues Allzeittief von 4,56 Euro. Seit dem
Zwischenhoch Mitte Februar ist die Aktie der
Frankfurter damit um mehr als ein Drittel abge-
sackt. Bei der Deutschen Bank sieht es nicht viel

besser aus, hier summiert sich das Minus auf mitt-
lerweile 30 Prozent.
Hinter dem Einbruch steckt die Furcht der Inves-
toren, dass die wirtschaftlichen Konsequenzen von
Corona für die ohnehin geschwächten deutschen
Großbanken zur Bedrohung werden. Die Rating-
agentur Scope warnt, dass das Virus die Einnah-
men aller europäischen Banken belasten wird, vor
allem im Geschäft mit Großkunden, im Investment-
banking, bei der Kreditvergabe und im Asset-Ma-
nagement. Dazu kommt die Gefahr, dass Zahl und
Volumen der ausfallgefährdeten Kredite durch eine
Rezession deutlich steigen könnten. Neue europäi-
sche Regeln zwingen die Banken, dafür früher als
bislang Mittel zurückzulegen, was die Gewinne und
die Kapitalpuffer belasten würde.
Ein weiterer kritischer Faktor ist die Geldpolitik:
Aus Furcht vor den gesamtwirtschaftlichen Folgen
von Corona hat die US-Notenbank Fed ihre Zinsen
bereits überraschend schnell und überraschend
deutlich um einen halben Prozentpunkt gesenkt.
Viele Experten erwarten, dass auch die Europäi-
sche Zentralbank (EZB) ihre ohnehin extrem ex-
pansive Geldpolitik noch einmal lockern wird. Da-
mit würde die Phase der ultraniedrigen Zinsen, die
seit Jahren die Margen der Banken drücken, noch

Banken im


Notfallmodus


Die Lage für die Geldhäuser spitzt sich zu. In London kam es zu einer Teilevakuierung.


An der Börse bricht die Commerzbank auf ein Allzeittief ein.


Frankfurter Skyline: Die
Coronakrise hat nun auch
Europas Banken erreicht.

REUTERS

4,56


EURO
beträgt das neue
Allzeittief, auf das die
Commerzbank-Aktie
am Donnerstag sank.

Quelle: Reuters

Finanzen


& Börsen


WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
28

einmal verlängert. Trotz all dieser Belastungsfakto-
ren halten die Experten von Scope eine neue Fi-
nanzkrise allerdings für unwahrscheinlich. Seit
2008 hätten die Banken große Fortschritte ge-
macht, was Kapitalausstattung, Liquiditätssiche-
rung, Bilanzqualität und Finanzierungsmix angeht.
Die Aufseher beschäftigt das Thema Corona be-
reits seit Wochen intensiv. Man befinde sich „in en-
gem Austausch mit Banken und anderen Finanz-
marktakteuren“ und analysiere fortlaufend die wei-
tere Entwicklung und mögliche Auswirkungen der
Epidemie, betont die deutsche Finanzaufsicht Ba-
fin. Die Bonner Behörde und die EZB haben die
Banken außerdem aufgefordert, ihre Notfallpläne
zu überprüfen.
Die Commerzbank hat ihre Notfallmaßnahmen
bereits verschärft. Seit dieser Woche hat das Insti-
tut in Deutschland Teams in wichtigen Bereichen
in mehrere Gruppen aufgeteilt, wie ein Sprecher
dem Handelsblatt bestätigte. „Ein Teil arbeitet wie
üblich im Büro, der andere an unserem Ausweich-
standort im Frankfurter Umland“, sagte er. Vom
geteilten Geschäftsbetrieb seien „betriebsnotwen-
dige Funktionen wie der Handel und unsere Trea-
sury-Abteilung“ betroffen. An ihren Standorten in
Asien hat die Commerzbank wichtige Teams be-
reits vor rund einem Monat aufgeteilt, in Nordita-
lien vor zwei bis drei Wochen. Darüber hinaus hat
Deutschlands zweitgrößte Privatbank alle Mitarbei-
ter aufgefordert, ihre Arbeitslaptops und Token für
den Zugang zum System jeden Tag mit nach Hause
zu nehmen. So können sie bei Bedarf von Zuhause
arbeiten.

„Split Business“ aus Selbstschutz
Andere Institute greifen ebenfalls auf die Erfahrun-
gen zurück, die sie in Asien gemacht haben, und be-
reiten die Teilung der Belegschaft in Gruppen vor.
„Split Business“ nennt sich diese Praxis im Fachjar-
gon. Die Deutsche Bank hat nach Aussagen einer
Sprecherin in Italien und in der Schweiz bereits teil-
weise auf Split Business umgestellt. Entsprechende
Vorbereitungen hat das größte heimische Geldhaus
auch für das Deutschlandgeschäft getroffen, aber
bislang läuft der Betrieb auf dem Heimatmarkt weit-
gehend normal weiter. In London prüfen Banken
wie Goldman Sachs oder JP Morgan, einen Teil ihres
Geschäfts in Ausweichquartiere am Stadtrand oder
in der Umgebung auszulagern.
Auch beim Versicherer Munich Re hat das Virus
bereits den Arbeitsalltag verändert. Der Rückversi-
cherer hat seine rund 40 000 Mitarbeiter bereits
vor einigen Tagen über einen Corona-Verdachtsfall
unterrichtet, der sich aber als falscher Alarm he-
rausstellte. Dennoch schickte der Konzern vor-
sichtshalber ein halbes Dutzend Mitarbeiter für
mehrere Tage nach Hause. Bei Europas größtem
Versicherer Allianz sind bisher keine Infektionsfälle
unter den rund 140 000 Mitarbeitern bekannt ge-
worden. Sollte sich die Lage verschärfen, stehen al-
lerdings Notfallpläne mit konkreten Handlungs -
anweisungen bereit, wie der Konzern versichert.
Aber nicht nur die großen Konzerne, auch die
Sparkassen beobachten die Entwicklung der Coro-
na-Epidemie genau. Noch sieht der Deutsche Spar-
kassen- und Giroverband (DSGV) aber „keinen An-
lass für hektische Aktivitäten“. „Unsere Notfallplä-
ne sehen unter anderem vor, dass Sparkassen auch
weiterhin telefonisch erreichbar sind, dass Online-
banking durchgeführt werden kann und dass die
Kernsysteme zur Abwicklung von Buchungs- und
Überweisungsvorgängen laufen.“
Im Kreis Heinsberg südwestlich von Mönchen-
gladbach gibt es vergleichsweise viele Coronafäl-
le. Und dass die Unsicherheit in der Region groß
ist, merkt auch die örtliche Kreissparkasse. Viele
Kunden meiden deren Filialen und wickeln ihre
Bankgeschäfte stattdessen über das telefonische
Servicecenter ab. „Zu Beginn der Woche haben
wir dort einen Rekordwert an Anrufen regis-
triert“, sagt Thomas Aymans, der das Vorstands-
sekretariat des Instituts leitet. Panik schüren will
man in Heinsberg aber auf keinen Fall. „Auch
wenn wir als Hotspot einer Seuche gesehen wer-
den, sind wir entspannt“, sagt Aymans. „Von ei-
ner Schließung von Filialen sind wir im Moment
noch sehr weit entfernt.“

Reaktion auf Coronakrise

Opec will Fördermenge


drastisch drosseln


Jakob Blume Wien

D


ie Organisation Erdöl expor-
tierender Länder (Opec) hat
sich darauf verständigt, ihre
Ölproduktion massiv zu drosseln. Die
13 Opec-Staaten seien sich einig, eine
Million Barrel (rund 159 Liter) Öl am
Tag weniger zu produzieren, wie die
Opec am Donnerstag mitteilte. Zu-
dem sollen die zehn verbündeten
Staaten der Opec+-Allianz ihre Förde-
rung um 500 000 Barrel reduzieren.
In der Opec+-Allianz sind neben den
klassischen Opec-Staaten zusätzlich
Länder, die zwar viel Erdöl fördern,
aber nicht der Opec angehören, bei-
spielsweise Russland.
Die nun beschlossenen Förderkür-
zungen übersteigen die Markterwar-
tungen deutlich. Damit dürfte die von
der Opec geförderten Ölmenge auf den
tiefsten Stand seit 2003 fallen. Den-
noch reagierten die Ölpreise am Don-
nerstag kaum auf die Entscheidung:
Der Preis für die Nordseesorte Brent
stagniert bei unter 52 Dollar pro Barrel.
Denn noch ist unklar, ob Russland, ne-
ben Saudi-Arabien das wichtigste Mit-
glied der Opec+, dem Deal zustimmt.

Der russische Ölminister Alexander
Nowak war am Mittwochabend, nach
Beratungen mit Saudi-Arabien und an-
deren Opec-Staaten in Wien, abgereist,
ohne seine Unterstützung für neue För-
derkürzungen zu signalisieren. Der ira-
nische Ölminister Bijan Namdar Zanga-
neh sagte jedoch vor Medienvertre-
tern, er rechne fest damit, dass auch
Russland neuen Kürzungen zustimmt –
wenn auch in letzter Sekunde.
Die Opec trifft sich in Wien, um
über eine Reaktion auf die Ausbrei-
tung des Coronavirus zu beraten. Mo-
hammed Arkab, Opec-Präsident und
Energieminister von Algerien, sagte,
die Auswirkungen der Corona-Epide-
mie könne kein Land allein bewälti-
gen. Der Ölpreis notiert derzeit
knapp 25 Prozent unterhalb des Jah-
reshochs von Ende Januar.
Am Freitag trifft sich schließlich
die erweiterte Opec+-Allianz, um eine
gemeinsame Linie der 23 Ölstaaten
zu finden. Dann kehrt auch der russi-
sche Ölminister Nowak für die Ver-
handlungen zurück nach Wien. Von
den Gesprächen am Freitag wird ab-
hängen, ob es der Allianz tatsächlich
gelingt, den Ölmarkt zu stabilisieren.

500


TAUSEND
Barrel (je rund 159
Liter) Öl weniger pro
Tag sollen künftig
produziert werden.

Quelle: Opec+

Ein Teil


arbeitet wie


üblich im


Büro, der


andere an


unserem


Ausweich -


standort.


Sprecher der
Commerzbank

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