Handelsblatt - 06.03.2020 - 08.03.2020

(Greg DeLong) #1

  1. (1) M. Friedrich, M. Weik
    Der größte Crash aller Zeiten
    Eichborn, Köln, 2019
    400 Seiten, 20,00 Euro

  2. (2) Max Otte
    Weltsystemcrash
    FinanzBuch, München, 2019
    640 Seiten, 24,99 Euro

  3. (5) B. Wallstabe-Watermann,
    A. Klotz, G. Baur, H. G. Linder
    Anlegen mit ETF
    Stiftung Warentest, Berlin, 2018
    176 Seiten, 19,90 Euro

  4. (3) Ashlee Vance
    Elon Musk
    FinanzBuch, München, 2015
    368 Seiten, 19,99 Euro

  5. (8) Gerd Kommer
    Souverän investieren mit
    Indexfonds und ETFs
    Campus, Frankfurt, 2018
    416 Seiten, 32,00 Euro

  6. (-) Beate Sander
    Aktien- und Börsenführerschein
    FinanzBuch, München, 2018
    336 Seiten, 29,99 Euro

  7. (-) Jens Berger
    Wer schützt die Welt vor
    den Finanzkonzernen?
    Westend, Frankfurt, 2020
    304 Seiten, 22,00 Euro

  8. (4) Ulrike Herrmann
    Deutschland,
    ein Wirtschaftsmärchen
    Westend, Frankfurt, 2019
    256 Seiten, 24,00 Euro

  9. (6) Peter Frankopan
    Die neuen Seidenstraßen
    Rowohlt, Berlin, 2019
    352 Seiten, 22,00 Euro

  10. (9) Friederike Sattler
    Herrhausen: Banker,
    Querdenker, Global Player
    Siedler, München, 2019
    816 Seiten, 36,00 Euro


Steven Levy:
Facebook –
Weltmacht am
Abgrund
Blue Rider Press
688 Seiten
26,00 Euro

Meistverkaufte


Wirtschafts-


bücher in


Deutschland


Die Bestsellerliste wird für das
Handelsblatt monatlich von
Campo-Data erhoben. Aus-
gewertet werden die Zahlen von
Buchhandlungen, Verlagen und
Internetverkäufen. Die aktuelle
Liste berücksichtigt den Verkauf
vom 1. bis zum 29. Februar 2020.


Neueinstieg 1
Die Börsen-
expertin gibt
viele konkrete
Tipps für alle,
die als Anle-
ger durchstar-
ten möchten.

Neueinstieg 2
Berger warnt
vor der Macht
der großen Fi-
nanzkonzerne
sowie vor Goo-
gle, Amazon
und Co.

Mark Zuckerberg


gefällt das nicht


Kein Journalist kam Facebook und seinen Entscheidern so


nah wie Steven Levy. Sein Buch offenbart den Blick des Konzerns


auf die Welt – und seine größten Fehler.


Larissa Holzki Düsseldorf

F


ür Facebook-Chef Mark Zuckerberg
geht es im Management um Krieg oder
Frieden. „Der Friedens-CEO bemüht
sich, Konflikte zu minimieren. Der
Kriegs-CEO hat für den Konsens nichts
übrig und toleriert auch keine Meinungsverschie-
denheiten.“ So erklärte es Zuckerberg seinen wich-
tigsten Managern im Sommer 2018.
Die Definition hat sich der Gründer beim Risiko-
kapitalgeber Ben Horowitz angelesen. Demnach
müsse ein guter Geschäftsführer über die Fähigkeit
verfügen, zwischen beiden Rollen wechseln zu
können. Naht eine existenzielle Bedrohung, muss
ein CEO also auch einmal unbarmherzig vorge-
hen– eben Kriegs-CEO spielen. So wie Zuckerberg.
Der steckte damals unter anderem wegen des Da-
tenskandals um die Beratungsfirma Cambridge
Analytica in der Klemme.
Aufgegriffen und aufgeschrieben hat die Szene
vom martialischen Mark der Autor Steven Levy.
Kein anderer Journalist ist Facebook und Zucker-
berg in den vergangenen drei Jahren so nahe ge-
kommen wie der US-Tech-Reporter. Und es waren
entscheidende Jahre: In ihnen gerieten die größten
Skandale und Fehler bei Facebook ans Licht der Öf-
fentlichkeit.

Aus seinen Recherchen hat Levy nun einen In-
sider-Report in Buchform veröffentlicht, deutscher
Titel: „Facebook – Weltmacht am Abgrund“. Und
tatsächlich verraten die knapp 700 Seiten viel da-
rüber, was beim größten sozialen Netzwerk der
Welt zuletzt nicht so gut lief.
Viele haben nach den Datenskandalen etwa bei
Cambridge Analytica kritisiert, wie der Milliarden-
konzern mit Nutzerdaten, Wettbewerbern, Propa-
ganda und Hetze umgeht. Dennoch sind Levys Ent-
hüllungen anders, intimer. Sie erzählen die Fir-
mengeschichte aus Sicht von Zuckerberg und
seinen wichtigsten Leuten.

Gute Einstiegslektüre
Man braucht keine Programmierkenntnisse und
muss auch nicht jede Episode im Streit von Facebook
mit den Behörden verfolgt haben, um Levys Erzäh-
lungen nachvollziehen zu können. Im Gegenteil: Sein
Buch eignet sich gut als Einstieg, um sich mit dem
größten sozialen Netzwerk der Welt zu befassen.
Dennoch ist es dem Buch auch gelungen, Kenner
und Experten der Branche mit neuen Details zu
versorgen. So etwa, dass Facebook die eigenen Mit-
arbeiter belogen haben soll, als der Konzern heim-
lich an einem eigenen Smartphone arbeitete. Fra-

imago/ZUMA Press

BESTSELLER


Literatur
WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
52


Mehr Kritik als


Selbstkritik


Im neuen Buch von
Sigmar Gabriel geht es
viel um Außen- und
Klimapolitik. Als Autor
versucht er aber auch, die
Deutungshoheit über die
eigene Karriere
zurückzugewinnen.

S


igmar Gabriel erlebt der-
zeit viele Brüche. Es hat
nicht nur ein neues Jahr-
zehnt begonnen, an dessen
Ende seine Tochter Marie voll-
jährig sein wird und an dessen
Beginn „seine“ SPD am Boden
liegt. Zugleich ist der frühere
SPD-Vorsitzende auch aus der
Spitzenpolitik ausgeschieden
und 60 Jahre alt geworden.
Grund genug also für Ga-
briel, ein Fazit seiner politi-
schen Laufbahn zu ziehen.
Der SPD-Politiker spannt in
seinem neuen Buch „Mehr
Mut!“ den ganz großen Bogen,
analysiert geopolitische
Schlüsselfragen, die Zukunft
der EU oder das Erstarken des
Populismus. Aber natürlich

widmet sich Gabriel auch der
SPD. Das Buch ist der Ver-
such, die Deutungsmacht über
seine Karriere zurückzugewin-
nen, nachdem Gabriel aus sei-
ner Sicht brutal vom Hof ge-
jagt wurde. Er selbst schreibt
von „Demütigungsversuchen
früherer Mitstreiter, die ich
mir nie hätte vorstellen kön-
nen“.
Gabriel räumt eine Reihe
von eigenen Fehlern ein: seine
Härte im Umgang mit Partei-
freunden, seinen Hang zu „ra-
schen Wendungen“ oder die
nicht erfolgte Aufarbeitung
der Wahlschlappe 2009. Aller-
dings kommt die Selbstkritik,
gemessen an der Kritik an
noch handelnden Personen
der SPD, noch immer zu kurz.
Der heutigen Parteiführung
wirft Gabriel „kollektives Ver-
sagen“ vor. Die SPD betreibe
eine „selbst verschuldete Ver-
zwergung“, weil sie mehreren
Irrtümern unterliegt. Einer
davon: Die Große Koalition sei
ein Grund für ihren Absturz.
Dabei sei die Regierungsbeteili-
gung „nur der Versuch, sich

um die Beantwortung schwieri-
ger Fragen zu drücken“.
Der zweite Irrtum sei der
Linkskurs. „Ich bin überzeugt,
dass sich das sozialpolitisch-pe-
kuniär verengte Politikkonzept
als nicht nachhaltig erweist
und inzwischen nur noch der
inneren Befriedung der Funkti-
onseliten dient“, schreibt Ga-
briel. Wenn dieser Weg erfolg-
versprechend wäre, hätte er
schon längst Wirkung zeigen
müssen.
Das Grundproblem der SPD
sei ein anderes: Für viele Funk-
tionsträger sei „die richtige
Haltung“ inzwischen wichtiger,
als die Probleme der Men-
schen zu lösen. Besonders auf-
fällig sei dies in der Flüchtlings-
politik. Der Widerstand gegen
einen von ihm in der Flücht-
lingskrise vorgeschlagenen So-
lidarpakt für die heimische Be-
völkerung sei ein typischer Fall
dafür und für den „Organisati-
onsstalinismus“ der SPD gewe-
sen, urteilt Gabriel. In Hinter-
zimmern würden sich Funktio-
näre, die noch nie in ihrem
Leben einen Wahlkreis gewon-
nen hätten, fortlaufend über
mangelnde Führung beklagen


  • und hätten so noch jeden
    Vorsitzenden gestürzt.
    Auch er sei maßgeblich da-
    ran gescheitert und hätte ei-
    gentlich schon 2015 nicht mehr
    als Vorsitzender antreten dür-
    fen, weil Teile der Partei ihn
    schon da nicht mehr gewollt
    hätten. Als er dann nicht mehr
    Vorsitzender war, habe sich
    der Ärger über ihn dennoch
    maßlos Bahn gebrochen. So
    hätte sich Generalsekretär Lars
    Klingbeil „in Gespenstervertrei-
    ben geübt, indem er möglichst
    häufig die Arbeit früherer SPD-
    Vorsitzender verunglimpft hat,
    um von der existierenden intel-
    lektuellen Wüstenlandschaft
    abzulenken, die sich mehr und
    mehr ausbreitet“.
    Der SPD empfiehlt Gabriel,
    sich an der dänischen Sozialde-
    mokratie zu orientieren, die
    soziale und innere Sicherheit
    verknüpfe. Dazu müsse die
    SPD aufhören, dem linkslibera-
    len Bürgertum zu gefallen und
    mehr für den Aufstieg unterer
    Klassen kämpfen.
    Neben diesen nachdenkens-
    werten Thesen zur SPD führt
    Gabriel den Leser den geopoli-
    tischen Zeitenwandel nach-
    drücklich vor Augen, in dem
    Europa zwischen die Fronten
    des amerikanisch-chinesischen
    Konflikts zu geraten droht. Ne-
    ben der mangelnden Selbstkri-
    tik gibt es noch einen weiteren
    Beigeschmack: Man fragt sich
    beim Lesen, warum Gabriel als
    Politiker nicht mehr aus seinen
    Selbstreflexionen gemacht hat.
    Ansonsten ist „Mehr Mut!“ ein
    empfehlenswertes Politiker-
    Buch. Martin Greive


Sigmar Gabriel arbeitet als
Autor für den Holtzbrinck-
Verlag, zu dem auch das
Handelsblatt gehört.

Sigmar Gabriel:
Mehr Mut! Auf-
bruch in ein neues
Jahrzehnt
Herder Verlag
336 Seiten
25,00 Euro

gen nach einem derartigen Projekt seien intern ver-
neint worden, heißt es in der Lektüre.
Nicht minder spannend sind die Einblicke in die
Strategie- und Personalentscheidungen Zucker-
bergs und seiner Co-Geschäftsführerin Sheryl
Sandberg. Als Sandberg in den Konzern wechselte,
soll Zuckerberg sie mit allem betraut haben, was
ihn nicht interessierte – darunter das Befolgen von
Richtlinien. Ein sogenanntes Wachstumsteam, das
viele dieser Regeln brechen sollte, berichtete ge-
zielt nur an Zuckerberg. Die Verstöße, mit dem das
Unternehmen später kämpfen musste, so legt es
das Buch nahe, waren also programmiert.
Levys Buch zeigt ungeschminkt auf, wie naiv Fa-
cebook dabei zusah, als das Beratungshaus Cam-
bridge Analytica Millionen Nutzerdaten absaugte.
Im Buch erzählt ein Facebook-Mitarbeiter: „Das
war echt Wildwest. Der Typ hatte Zugang zu den
Daten, und wir haben einfach nicht gerafft, was er
damit anstellte.“ „Der Typ“ ist in dem Fall der Wis-
senschaftler Aleksandr Kogan, von dem Cambridge
Analytica die Daten hatte.
Für Levy, den mehrfachen Buchautor und Re-
porter des US-Technologie-Magazins „Wired“,
dreht sich in seinem Buch alles um die Frage nach
Ursachen und Motiven solcher Vorfälle: Was hat
Zuckerberg und sein Unternehmen geprägt? Wel-
che Rolle spielten Mitgründer, Vertraute, diverse
Manager und insbesondere Sheryl Sandberg beim
Versagen in wichtigen Fragen?
Levy zeichnet das Bild eines Unternehmers, der
nach wie vor davon überzeugt ist, dass es gut für
die Welt sei, wenn alle Menschen miteinander
vernetzt sind und in Echtzeit alles äußern
dürfen, was ihnen so in den Sinn kommt.
Er sagt das mittlerweile im vollen Bewusst-
sein dessen, dass Menschen in seinen Netz-
werken hetzen, Morddrohungen ver-
schicken und Massaker per Live-
übertragung ins Netz stellen.
Viele Menschen seien wohl
konservativer als er, urteilt Zu-
ckerberg in Levys Buch. Sie
würden sich aus Angst nicht
mit Dingen beschäftigen, die
aus ihrer Sicht eigentlich pas-
sieren sollten. „Ich aber habe
mehr Angst, nicht das Bestmög-

liche zu tun, als davor, das Bestehende kaputt zu
machen. Ich denke einfach, ich gehe mehr Risi-
ken ein, und das heißt auch, ich mache mehr
falsch“, zitiert Levy den Facebook-Gründer. Klar
hätten sie im Rückblick bei Facebook auch falsche
Strategieentscheidungen getroffen, räumt Zucker-
berg ein: „Doch wenn man keine Fehler begeht,
wird man vermutlich nicht seinem ganzen Poten-
zial gerecht, oder?“
Auch zu der Frage, warum Politiker auf Face-
book Wähler anlügen dürfen, liefert Levy neue
Aussagen von Zuckerberg. So ist bekannt, dass da-
von derzeit in den USA vor allem die Republikaner
um US-Präsident Donald Trump Gebrauch machen
und profitieren. Zuckerberg kommentiert das ge-
genüber Levy mit den Worten: „Wenn man ein Un-
ternehmen hat, das zu 90 Prozent liberal ist, denke
ich, hat man auch eine gewisse Verantwortung und
muss sicherstellen, dass man sich nicht selbst im
Weg steht und Systeme erstellt, die nicht verse-
hentlich etwas verzerren.“

Keine Angst vor neuen Fehlern
Er habe Facebook „zu keiner Zeit“ so geleitet, „um
möglichst viel Geld zu verdienen“, sagt Zuckerberg
in Levys Buch über sich selbst. „Ich denke einfach,
wir haben uns nicht genug dem Thema Missbrauch
gewidmet, eben weil wir davon überzeugt waren,
dass dieses Netzwerk jede Menge Gutes in der Welt
ausrichten könnte.“
Mehr als 300 Menschen hat Levy nach eigener
Aussage für sein Buch befragt. Die meisten arbei-
ten für Facebook oder haben das Unternehmen
mittlerweile verlassen.
Bei vielen der Gespräche war ein Mitarbeiter des
Facebook-Presseteams dabei – was durchaus die
Frage aufwirft, wie unverstellt die Aussagen im
Buch wirklich sind. Das räumt der Autor selbst ein.
Levy beruft sich zwar auf die Vielzahl seiner Ge-
spräche, zusätzliche anonyme Zitatgeber und Quel-
len. Er verweist aber auch auf Ungereimtheiten.
Facebook, so viel steht fest, durfte das Buch vor-
ab nicht lesen. In einem Statement gegenüber dem
Technologie-Journalisten Casey Newton erklärt sich
der Konzern maximal umständlich zu Levys Buch:
„Während wir nicht mit allem übereinstimmen, was
er sagt, verneinen wir nicht die Herausforderun-
gen, die er beschreibt und arbeiten aktiv daran, sie
zu bewältigen.“ Heißt: Einiges stimmt schon, was da
in Levys Buch als Problem dargestellt wird.
Widersprechen würde Facebook konkret wohl
unter anderem Aussagen von Chamath Palihapi-
tiya. Der ehemalige Wachstumschef des Unterneh-
mens mit dem unaussprechlichen Namen hat Face-
books Expansion massiv vorangetrieben. Und
bringt im Buch eine wichtige Frage auf, die dem
Konzern schon häufiger vorgeworfen wurde: Hat
Facebook Daten über Menschen gesammelt, die
gar nicht auf der Plattform angemeldet waren, und
für sie Profile erstellt?
Facebook verneint das vehement. Laut Palihapi-
tiya habe Facebook jedoch Google-Anzeigen erwor-
ben, die erschienen, wenn Leute, die nicht in dem
Netzwerk aktiv sind, ihren Namen in die Suchma-
schine eingaben. Ziel dieser „Dark Profiles“ auf Fa-
cebook war es laut Palihapitiya – die Menschen doch
noch zur Anmeldung auf Facebook breitzuschlagen.
Der Whistleblower will dabei eine wichtige Schlüs-
selrolle gespielt haben: Palihapitiya hatte damals un-
ter anderem die Verantwortung dafür, dass der Kon-
zern neue Nutzer gewinnt.
Aussagen wie diese lassen mehr denn je
daran zweifeln, ob Facebooks kompromiss-
lose Wachstumsstrategie die richtige ist. Da-
mit hat der Kriegs-CEO schon zu viele
Schlachten verloren – und es ist nicht
ausgeschlossen, dass noch weitere
Niederlagen hinzukommen werden.

Facebook-Chef Mark
Zuckerberg: Welche
Rolle spielte er beim
Versagen wichtiger
Kontrollgremien?

Journalist Steven Levy:
Während seiner Recher-
che gerieten die größten
Skandale bei Facebook
ans Tageslicht.
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WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
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