Handelsblatt - 06.03.2020 - 08.03.2020

(Greg DeLong) #1

D


ie Wirtschaftsuniversität Wien (WU)
genießt international einen exzellen-
ten Ruf. Mit mehr als 23 000 Studie-
renden gilt sie als größte Wirtschafts-
uni in Europa. Auf dem weitläufigen,
modernen Campus der WU hat Otto Randl sein Bü-
ro direkt neben dem markanten Bibliotheksgebäu-
de, das die Stararchitektin Zaha Hadid entworfen
hat. Der 46-Jährige ist wissenschaftlicher Leiter des
renommierten Finance-MBA-Programms der Hoch-
schule. Für deutsche Manager hat der österrei-
chische Finanzexperte eine provokante These mit-
gebracht: Wer hoch hinaus will in seiner Karriere,
sollte erst einmal damit beginnen, die Zahlen zu le-
sen, bevor er sich anmaßt, die Menschen zu lesen.
„Die Schlüsselfähigkeit Finanzwissen“, sagt Randl
im Gespräch mit dem Handelsblatt, „wird im Ma-
nagement gern unterschätzt.“

Herr Professor Randl, haben Sie eigentlich eine
Lieblingskennzahl?
Ja, die Renditekennzahl „Return on Invested Capi-
tal“ oder „Return on Investment“, kurz ROI.

Ein ziemlicher Klassiker. Wir haben Extravagante-
res erwartet.
Warum? Das Schöne am ROI ist doch: Man kann
ihn wunderbar mit den Kapitalkosten vergleichen.
So ein Spiegelbild lügt selten.

Sie sagen: Ein profundes Finanzverständnis ist der
Schlüssel ins Topmanagement. Sind Führungs-
qualitäten oder ein solides Netzwerk nicht min-
destens genauso wichtig?
Das Finanzwissen ist für den unternehmerischen
Erfolg absolut entscheidend. Vom Unternehmen
aus gesehen ist das wichtiger, als dass sich ein Ma-
nager gut selbst vermarkten kann. Womit ich nicht
sagen will, dass es die anderen Aspekte überhaupt
nicht braucht. Die Schlüsselfähigkeit Finanzwissen
wird nur gerne unterschätzt.

Aber was wäre denn so schlimm daran, wenn ei-
nem als Führungskraft dieses Wissen fehlt?
Die letzten Wirtschafts- und Finanzkrisen haben
gezeigt, dass die klassischen Kriterien, nach denen
Unternehmen Gewinne machen sollen, langfristig
gesehen die nachhaltigsten sind.

Das müssen Sie erklären.
Nehmen Sie einmal die Dotcom-Blase in den spä-
ten Neunzigern. Damals haben Unternehmen ein-
fach ein „.com“ oder ein „.de“ an ihren Firmenna-
men gehängt – und die Aktienkurse sind in die Hö-
he geschossen. Das ist nicht nachhaltig.

Auch heute gehen Unternehmen mit gigantischen
Bewertungen an die Börse, ohne ein Gewinnjahr
in ihrer Bilanz stehen zu haben. So viel hat sich
scheinbar nicht geändert.
Der Unterschied ist: Es ist heute kein Massenphä-
nomen, so wie zu Dotcom-Zeiten. Und: Eine Firma
muss nicht per se jetzt schon profitabel sein, damit
sie wertvoll ist. Ob jeder Marktwert aktuell in der
Höhe gerechtfertigt ist, ist schon wieder eine ande-
re Frage.

Haben Sie Erkenntnisse darüber, wie gut oder
schlecht es um das Finanzwissen im deutschen
Management bestellt ist?
Eine Statistik habe ich nicht, auch zu einzelnen Un-
ternehmen kann ich wenig sagen. Was ich aber
hier im MBA-Programm erlebe, ist: Für unsere Be-
werber steht der Karrieresprung in der Regel nur
an zweiter Stelle. Den meisten Teilnehmern geht es
darum, sich Kompetenzen anzueignen, die sie vor-
her nicht hatten. Das betrifft im Wesentlichen den
Bereich Finance.

Ist Ihre These vom Finanzwissen als Türöffner
fürs Topmanagement auch eine Erklärung dafür,
dass in letzter Zeit immer mehr ehemalige Finanz-
chefs CEO werden?
International ist das schon länger Usus. Eine Analy-
se der Fortune-500-Unternehmen hat einmal ge-
zeigt, dass jeder dritte CEO ursprünglich eine Fi-
nanzkarriere gemacht hat. Spannend ist aber auch:
Nur fünf Prozent kamen direkt aus einer CFO-Posi-
tion an die Unternehmensspitze.

Also ist ein Tim Höttges, der innerhalb der Tele-
kom direkt vom Finanzvorstand zum Vorstands-
vorsitzenden aufgerückt ist, eher die Ausnahme
als die Regel?

Otto Randl


„Der Cashflow


ist für Manager die


härteste Währung“


Wer auf der Karriereleiter nach oben will, braucht keine


Führungskräfteseminare, sondern Finanzwissen, sagt ein Professor


der größten Wirtschaftsuniversität Europas. Ein Gespräch über


Schwarzbrot-Tugenden und Schlüssel für das Topmanagement.


Kennzahlen,


die mit der


Liquidität


eines


Unternehmens


zu tun haben,


sind fürs


Management


essenziell.


imago/Ikon Images

Karriere
WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
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Wenn Sie so wollen: ja. Aber Herr Höttges hat auch
viel operative Erfahrung – und das ist wiederum sehr
typisch für CEOs. Als Vorstandschef müssen Sie
schließlich vieles können: Operatives Umsetzen, stra-
tegisches Denken und die Ergebnisse im Blick behal-
ten. Oft ist das Finanzwissen dafür aber die Basis. Sie
können ein Unternehmen nicht erfolgreich lenken,
wenn Ihnen das Verständnis über Kapitalstrukturen,
Finanzierungen, Kosten- und Risikofaktoren fehlen.

So weit verständlich. Aber wofür braucht, sagen
wir mal, ein Personalvorstand ein tief gehendes
Finanzwissen?
So tief in der Materie wie ein CEO muss ein Perso-
nalmanager nicht stecken. Ich glaube aber schon,
dass Personalverantwortliche verstehen müssen,
welche Finanzkontrakte welche Folgen haben. Bei-
spiel: Jahresboni. Über diesen Leistungsanreiz las-
sen sich Menschen kurzfristig sehr gut motivieren.
Die Finanzkrise hat aber auch gezeigt, dass die Aus-
sicht auf die Boni mit dafür gesorgt hat, dass Mana-
ger im Banking-Bereich deutlich risikoaffiner agiert
haben als nötig und so ihre Unternehmen in eine
ungesunde Lage gebracht haben.

Das heißt in der Konsequenz, dass im Investment-
banking der Personalbereich jahrelang seine
Hausaufgaben nicht gemacht hat?
Diese Verträge gab es auch auf oberster Ebene...

...was nichts daran ändert, dass Sie aus finanzwis-
senschaftlicher Sicht sagen: Das war Irrsinn.
Ich sage mal so: Es wäre sicherlich die Aufgabe des
Aufsichtsrats oder Boards gewesen, die Verträge so
zu gestalten, dass sie mit den Interessen des Unter-
nehmens übereinstimmen. Das ist nicht überall
passiert.

Eine sehr diplomatische Antwort. Was sagt es um-
gekehrt über eine Firma aus, wenn die Mitarbeiter

vornehmlich über das Ziel Kostendisziplin ge-
führt und gefordert werden?
Das kommt stark auf die Branche und das einzelne
Unternehmen an. In der klassischen Industrie kön-
nen Sie in Hochlohnländern wie Deutschland oder
Österreich gar nicht mehr ohne Kostendisziplin
überleben. Da hat das Controlling eine ganz wich-
tige Aufgabe. Anders ist das natürlich bei Wachs-
tumsunternehmen. Da würde man Chancen liegen
lassen, wenn man dauerhaft Investitionen zurück-
hält.

Muss beispielsweise auch schon ein Mittelmana-
ger Finanzprofi sein?
Finanzprofi muss keiner sein, dafür gibt es die Fi-
nanzabteilung und den CFO. Für jeden Ent -
scheidungsträger im Unternehmen ist aber ein
grundlegendes Verständnis darüber wichtig, was
das Ziel des Unternehmens ist und welche Ka -
pitalkosten und Risiken in den eigenen Bereich fal-
len. Je tiefer es in die Organisation hineingeht, des-
to spezialisierter und kleinteiliger ist dieses Wis-
sen.

Den ROI hatten Sie anfangs ja schon genannt. Was
sind denn weitere Kennzahlen, die jeder Manager
parat haben sollte?
Der Cashflow ist definitiv die härteste Währung.
Deshalb sind alle Kennzahlen, die mit der Liquidi-
tät eines Unternehmens zu tun haben, fürs Ma-
nagement essenziell – auch weil sie sich taktisch
schwieriger beeinflussen lassen als etwa Umsatz-
oder Gewinnkennzahlen, die gerne in Bilanzen
nach vorn gestellt werden.

Werden Umsatz und Gewinn also überschätzt?
Es ist zumindest Vorsicht angebracht. Sie können
sich zusätzlichen Umsatz zeitweise erkaufen, etwa
indem Sie die Preise senken und so kurzfristig den
Absatz ankurbeln. Diese Taktik kann sich aber

schon im Folgejahr rächen. Auch bei Gewinnen
wird oft der Ermessensspielraum in der Bilanz
kreativ ausgenutzt. Man muss sich genau anschau-
en, wie der Ertrag, der unterm Strich steht, ent-
standen ist.

Sehen Sie die Gefahr, dass bestimmte Kennzahlen
vom Management instrumentalisiert oder miss-
braucht werden?
Ob es ein Missbrauch ist, weiß ich nicht, aber ich
sehe bei Investitionsrechnungen von Unternehmen
häufig zwei Probleme. Das eine ist die Pay-back-Pe-
riode.

Also der Zeitraum, innerhalb dessen sich eine An-
schaffung amortisiert.
Genau. Hier wird gern zu kurz gegriffen. Was zur
Folge hat, dass man langfristig profitable Investiti-
onsmöglichkeiten außer Acht lässt, obwohl sie viel-
leicht gut fürs Unternehmen gewesen wären.

Eine vertane Chance. Und das zweite Problem?
Sind die Cashflow-Prognosen. Die sind in fast je-
dem Unternehmen zu optimistisch angesetzt. Das
führt bei vielen Bewertungen dazu, dass man an
anderen Faktoren wie zum Beispiel der Diskontie-
rung schraubt, damit die Berechnung irgendwie
hinkommt. Es ist aber noch nie eine gute Idee ge-
wesen, einen Fehler dadurch auszugleichen, dass
man einen weiteren Fehler begeht.

Was sollten Manager Ihrer Meinung nach tun?
Realistischere Schätzungen abgeben. Aber das
scheinen sich viele nicht zu trauen.

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Herr Randl, vielen
Dank für dieses Interview.

Die Fragen stellten Lazar Backovic und
Studio Huger Peter Brors.

Karriere
WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
55

Der Professor Otto
Randl, 46, ist akade-
mischer Direktor des
Professional MBA
Finance an der Wirt-
schaftuniversität
Wien (WU). Vor sei-
ner Tätigkeit an der
WU war er im
Management einer
Wiener Vermögens-
verwaltung tätig.

Die Universität Die
WU ist mit mehr als
23 000 Studenten
Europas größte Wirt-
schaftsuni. Laut
„Financial Times“
zählt sie zu den
50 besten Business-
Schools in Europa.

Vita
Otto Randl





 




 



 


  


 




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