Handelsblatt - 06.03.2020 - 08.03.2020

(Greg DeLong) #1
Kunstmarkt
WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
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Der Galeriegründer zwischen
einer Maske der Pende
aus dem Kongo und dem
unbetitelten Gemälde von
Armand Boua.

Handelsblatt/Claudia Scholz

Holzmaske
der Chokwe:
Aktuell präsentiert
auf der Tefaf
in Maastricht.

Didier Claes

Claudia Scholz Brüssel

D


idier Claes löst Emotionen aus in
der Kunstbranche – Entsetzen und
Bewunderung. Für verrückt hiel-
ten ihn die einen, für genial die an-
deren, als der Händler 2011 bei der
Brüsseler Kunstmesse Brafa nur ein einziges
Stück ausstellte. In einem schwarzen Kubus setz-
te er den Scheinwerfer auf einen afrikanischen
Nagelfetisch, der den Donnergott darstellt. Noch
unkonventioneller als die gewagte Inszenierung
war: Die mit Metallteilen gespickte Holzstatue
konnte niemand mehr erwerben. Sie war bereits
vorher verkauft worden. Für vier Millionen Euro,
spekulierte die Szene der Kenner.
Es geht dem heute 42-Jährigen um die Show.
„Ich wollte die Skulptur als zeitlose Ikone präsen-
tieren“, sagt der Modernisierer, der sich mittler-
weile weltweit unter den Stammeskunstsamm-
lern einen exzellenten Ruf erarbeitet hat. „Er hat
hohe Preise, aber man kann sich darauf verlas-
sen, dass die Stücke gut sind“, sagt Tomaso Vigo-
relli, Inhaber der Galerie Dalton Somaré, die
ebenfalls mit afrikanischer Kunst handelt.
Bis heute hält Claes an seinen ungewöhnlichen
Darbietungen fest. Im vergangenen Jahr zeigte

der Belgier auf der Brafa-Messe an einer riesigen
weißen Wand einfach nur Dutzende aufwendig
verzierte Kämme aus dem Kongo in einer Reihe.
Das hatte vorher noch keiner so gemacht.
Claes stammt anders als viele seiner Konkur-
renten nicht aus einer vermögenden Händlerdy-
nastie. „Ich hatte nur das Wissen, aber kein gro-
ßes Startkapital wie andere Galeristen. Ich konn-
te mir keine Fehler leisten. Und deswegen bin ich
so gut geworden.“ Grinsend fügt er an: „Um er-
folgreich zu sein, muss man hungrig sein. Andere
haben diesen Hunger nicht.“
Als Sohn eines belgischen Vaters und einer
kongolesischen Mutter wurde er im Kongo gebo-
ren. Sein Vater war Wissenschaftler und Einkäu-
fer für das Nationalmuseum in der Hauptstadt
Kinshasa. So begleitete der junge Claes den Se-
nior durch die Dörfer, um exquisite Stücke für
die Museumssammlung zu finden und zu kaufen.
Objekte, die das Museum nicht erwerben wollte,
hat der Vater anderen Händlern vermittelt. Mit 17
Jahren verließ Claes den Kongo. Nach Stationen
in Paris und New York eröffnete er 2002 im Alter
von nur 25 Jahren eine eigene Galerie im Brüsse-
ler Kunsthändlerviertel Sablon. Als jüngerer

Händler für alte Kunst möchte Didier Claes Men-
schen in seinem Alter zu Sammlern von morgen
heranziehen. Er ist auf den großen Messen prä-
sent wie der Tefaf in Maastricht (siehe S. 58) oder
in New York. Mittlerweile ist er nicht nur Vizeprä-
sident der Brafa, sondern auch seit 2014 Präsi-
dent der Bruneaf, der traditionsreichen Messe
für außereuropäische Kunst in Brüssel. Sehr
selbstbewusst sieht er es als sein Verdienst an,
dass sich Brüssel neben Paris St. Germain als
Marktplatz für die klassische afrikanische Kunst
in den letzten zehn Jahren behaupten konnte.
Als Mensch mit dunkler Hautfarbe ist Claes im
Kunsthandel nach wie vor eine Ausnahmeer-
scheinung. Die Mehrheit der Galeristen und
Kunsthändler ist weiß, auch und gerade im Be-
reich der alten Kunst aus Afrika. Früher habe er
mit vielen Ressentiments zu kämpfen gehabt,
räumt er ein. Heute sei es anders – dank seiner
Bekanntheit in der Branche. „Meine Herkunft ist
auch meine Stärke“, sagt Claes, der ab und zu
noch Rat sucht bei seinem Vater Patrick. Auf die
Frage, ob er mehr Freunde oder Feinde habe,
sagt er: „Ich werde lieber beneidet, als neidisch
zu sein.“

Showtalent


unter den Händlern


Didier Claes ist der Popstar im Markt für alte Kunst aus Afrika. Der 42-jährige Belgier sucht


Objekte von hoher Qualität und präsentiert sie auf dramatische Weise.


Kunstmarkt
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Nkonde: Diesen
Nagelfetisch aus dem
Kongo hatte Didier
Claes 2011 als einziges
Objekt auf der Brafa-
Messe ausgestellt und
kunstvoll beleuchtet.

Nagelfetisch aus dem
nordwestlichen Kongo-
gebiet: Auf der Brafa
2020 wurde das
Kultobjekt vom Ende
des 19. Jahrhunderts
für 110 000 Euro ange-
boten.

Didier Claes

Ich konnte mir


keine Fehler


leisten.


Deswegen bin


ich so gut


geworden.


Didier Claes
Kunsthändler in Brüssel

Zuletzt überraschte der junge Unternehmer
mit einem strategisch zu verstehenden Ortswech-
sel. Vor zwei Jahren verließ er das Sablon-Quar-
tier und zog mit seiner Galerie in das hippe Ixel-
les-Viertel, in dem viele Galerien für Gegenwarts-
kunst sitzen. „Der Sablon ist sehr traditionell,
Erneuerung fand wenig statt. Es ist mir ein biss-
chen langweilig geworden“, begründet er seinen
Schritt. Optisch und räumlich sucht Claes jetzt
die Nähe zur zeitgenössischen Kunst. Sein Spezi-
algebiet – die traditionelle Kunst des Kongos –
präsentiert er auf zwei Stockwerken im Stil eines
„White Cube“, wie ihn Galerien für zeitgenössi-
sche Kunst pflegen: weiße Wände, nichts lenkt
von der Kunst ab. Seine Nachbarin ist die Galerie
Almine Rech, die der Frau eines Enkels von Pa-
blo Picasso gehört.
Um auch die Sammler moderner und zeitge-
nössischer Kunst für sich zu gewinnen, präsen-
tiert Didier Claes afrikanische Masken und Statu-
en neben Kunst der Gegenwart. „Die Kombinati-
on erzeugt Aufmerksamkeit. Und sie kann ein
Türöffner sein, um Kunden auf den Messestand
oder in die Galerie zu bekommen“, hofft Claes.
Die Strategie scheint sich auszuzahlen. 2017 zeig-
te er auf der Brafa zwei großformatige abstrakte
Leinwände der zeitgenössischen belgischen Ma-
lerin Sophie Cauvin neben afrikanischen Objek-
ten. Das lockte einen neuen Kunden an den
Stand. Dieser Neuling erwarb dann das teuerste
Ausstellungsobjekt aus Afrika für 700 000 Euro.
Besonders beliebt seien, erzählt Claes, vor al-
lem jene alten Masken und Statuen, die Sammler
von heute an Gemälde von Paul Gauguin, Ame-
deo Modigliani und Pablo Picasso erinnern.
Denn die Avantgarde bezog vor 120 Jahren
fruchtbare Anregungen aus der afrikanischen
und ozeanischen Kunst.

Kunden kommen aus der Finanzwelt
„Die Zeit der verstaubten Galerien und Antiquitä-
tenhandlungen ist definitiv vorbei“, behauptet
Claes auch mit Blick auf die vielen kleinen Anti-
quitätenhändler rund um den Sablonplatz. Dort
präsentieren sie sich teils immer noch wie ethno-
logische Wunderkammern und nicht wie Kunst-
galerien von internationalem Rang. Dort stöber-
ten über Jahrzehnte ältere Ärzte, Notare, Univer-
sitätsprofessoren nach guten Stücken – fast „wie
Briefmarkensammler“, wie Claes lästert. Er hat
eine andere Käuferschaft im Blick.
Seine Kunden kommen mittlerweile aus der Fi-
nanzwelt, sind Manager, Selbstständige oder rei-
che Erben. Zu ihnen gehörte auch der kongolesi-
sche Geschäftsmann Sindika Dokolo, dessen
Sammlung rund 5000 Werke umfasst. Mit seiner
Stiftung wollte der 47-Jährige eine seriöse Institu-
tion für afrikanische Kunst aufbauen. Doch er
und seine Frau, die Ex-Präsidenten-Tochter Isabel
dos Santos, sind nun in einen Korruptionsskandal
verwickelt. Sie sollen ihre Beziehungen zum an-
golanischen staatlichen Ölkonzern und zum Dia-
mantenkonzern ausgenutzt haben, um sich zu be-
reichern. Laut einer Umfrage der französischen
Zeitung „Le Monde“ sind Dokolos Freunde in der
Kunstwelt trotz der Enthüllungen von seinen
Qualitäten überzeugt. Auch Claes sieht in ihm je-
manden, der „viel für die Kunstwelt getan hat“.
Aber er räumt auch ein: „Ich kann meinen Kun-
den nicht hinter die Brieftasche schauen.“
In den vergangenen Jahren kamen zu kaufkräf-
tigen Amerikanern und Europäern zunehmend
auch Vermögende aus Katar und den Emiraten
hinzu, zudem aus Brasilien, Singapur, China und
Afrika. „Während es 2006 vielleicht fünf Sammler
gab, die mehr als eine Million Dollar für eine afri-
kanische Skulptur ausgegeben haben, sind es
heute mehr als hundert“, sagt der Händler Hein-
rich Schweizer. Bei Sotheby‘s in New York betreu-
te der Deutsche bis 2015 den Bereich afrikanische
und pazifische Kunst. Der weltweite Wettbewerb
habe die Preise auf ein neues Niveau gehoben.
Den Weltrekord bei Auktionen hält immer
noch eine Senoufo-Statue, die 2014 von Sothe-
by‘s New York für umgerechnet über elf Millio-
nen Euro verkauft wurde. Händler wie Claes
oder Schweizer Premodern haben diesen
Höchstpreis jedoch bereits kassiert. So wurden
zuletzt für Spitzenstücke 20 Millionen Euro be-
zahlt, wie der seit Jugendtagen mit Afrika befass-
te Schweizer verrät. Vor 15 Jahren lagen Spitzen-
notierungen bei zwei bis drei Millionen Euro. Ge-

ringe Summen im Vergleich zu Meisterwerken
der Moderne, die sich für Preise bis zu 300 Mil-
lionen Euro verkaufen ließen.
Während es zwischen 2006 und 2015 ein dra-
matisches Wachstum gab, sei der Markt in den
letzten Jahren stabil geblieben, heißt es vom Auk-
tionshaus Christie‘s, das 2019 rund 20 Millionen
Dollar mit diesem Sammelgebiet umsetzte. 20,1
Millionen Euro habe auch Sotheby‘s in Paris ins-
gesamt erzielt. „Die Nachfrage nach seltenen und
wichtigen sowie ästhetischen Objekten, die eine
konsistente und umfassende Provenienz aufwei-
sen, ist groß und hoch“, sagt Jean Fritts, Leiterin
des Bereichs African & Oceanic Art bei Sotheby‘s.
„Dieser Markt ist sehr stark vom Angebot abhän-
gig, noch mehr als andere Kategorien, in denen
wir versteigern“, sagt Christie‘s.

Afrika selbst ist leer
Und dieses Angebot ist limitiert. „Afrika selbst ist
leer“, sagt Claes. Ein Händler lebe von dem Wissen
darüber, wer ein wertvolles Stück hat und wer be-
reit ist, es zum höheren Preis weiterzuverkaufen.
Deswegen sind Museen nicht seine Lieblingskun-
den. „An Museen zu verkaufen wäre nur gut für
mein Ego, aber es wäre nicht nachhaltig für mein
Geschäft.“ Denn ein Objekt, das an ein Museum
ginge, werde dem Markt für immer entzogen. Er
ziehe Privatsammler vor, „denn diese sind für mich
wie meine Bank, an die ich verkaufe und von de-
nen ich Stücke auch zurückbekommen kann“.
Für ein besonderes Projekt durfte sich der
Händler bei zwei vertrauten Sammlern bedienen.
Er lieh sich hochkarätige Statuen und Masken für
eine von ihm kuratierte Ausstellung im Brüsseler
Privatmuseum Van Buuren aus. Dabei inszenierte
er die Stücke inmitten der Art-déco-Ausstattung
des Hauses. Es sollte so wirken, als seien sie
schon immer Teil der Einrichtung gewesen.
Was Didier Claes von anderen Galeristen unter-
scheide, sei sein Marketing und die Aufmachung,
sagt Kunstexperte Heinrich Schweizer. „Es ist si-
cherlich einer der Wege, neue Käufer zu generie-
ren, aber nicht der einzige. Er spricht die Spra-
che der jungen Käuferschaft.“
Didier Claes hat sich zur Marke gemacht, lässt
Stoffbeutel mit seinem Namen bedrucken, fährt
im SUV mit Nummernschild „DC-1“ vor und lässt
seine Tausenden Fans täglich über Facebook und
Instagram an seinem Leben teilhaben. Die sozia-
len Medien seien für ihn ein wichtiges Kommuni-
kationsmittel, sagt Claes. In den Brüsseler Szene-
kneipen ist er stets umgeben von seiner Entoura-
ge aus jungen Leuten. Er feiert viel und ist für
seine Spendierfreude bekannt. „Ich bin gern um-
geben von Menschen. Vielleicht ist das meine
afrikanische Seite, aber ich mag sie.“

Didier Claes





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