Handelsblatt - 06.03.2020 - 08.03.2020

(Greg DeLong) #1
Carsten Volkery London

D


as aktuellste Foto von Frederick und
David Barclay ist mehr als 19 Jahre alt.
Es zeigt die beiden Zwillingsbrüder
im November 2000 nach ihrem Rit-
terschlag durch Queen Elizabeth II.
Sie lächeln und halten ihre Orden in die Kamera.
Sie seien gut gelaunt, sagten sie damals dem „Daily
Telegraph“ in ihrem ersten Interview seit 30 Jahren.
Danach verschwanden sie wieder aus der Öffent-
lichkeit.
Die Brüder verschwiegen zu nennen wäre eine
Untertreibung. Umso größer ist daher in diesen Ta-
gen die Überraschung, dass ausgerechnet diese bei-
den Milliardäre ihre schmutzige Wäsche nun öf-
fentlich vor Gericht ausbreiten. Sir Frederick, 85,
und seine einzige Tochter Amanda, 41, sind die Klä-
ger vor dem Londoner High Court. Angeklagt sind
drei Söhne und ein Enkel von Sir David – wegen
Vertrauensbruch und Verletzung der Privatsphäre.
Davids Söhne Aidan, Howard und Alistair sollen
ihren Onkel Frederick monatelang bei privaten Ge-
sprächen abgehört haben – und zwar im berühm-
ten Palmengarten des familieneigenen Luxushotels
Ritz, wo der Senior gern eine Zigarre rauchte und
mit seiner Tochter redete. Die Sache flog auf, als
Alistair Barclay abends am 13. Januar beim Hantie-
ren mit einer Abhöreinrichtung gefilmt wurde.
Der Familienstreit bietet Einblicke in die geheim-
nisvolle Familie. Bruder gegen Bruder, Cousins ge-
gen Cousine, auf dem Spiel stehen Milliarden. Die
Abhöraktion ist nur der Anlass, der zur Eskalation
führte. Im Hintergrund wird schon länger erbittert
um das Erbe gekämpft. Es geht darum, welche Tei-
le des Familienimperiums zu welchem Preis ver-
kauft werden. Neben dem Ritz besitzt die Familie
unter anderem den Kataloghändler Very, den Lie-
ferdienst Yodel, die Tageszeitung „Daily Telegraph“
und das Wochenmagazin „The Spectator“. Für die
beiden Titel war auch Premierminister Boris John-
son jahrelang als Journalist tätig. Mit der britischen
Großbank Barclays haben die beiden Brüder trotz
des gleichen Namens hingegen nichts zu tun.

Diese Woche erhöhte Kläger Frederick den Ein-
satz. In einem Statement warnte er die Familie sei-
nes Bruders, dass das Ritz nicht unter Preis ver-
kauft werden dürfe. Er habe mehrere Angebote
über mehr als eine Milliarde Pfund erhalten, teilte
er mit. „Ein Verkauf unter dem vollen Wert würde
zu weiteren Klagen führen. Das wäre bedauerlich.“
Der Patriarch betonte, wie stolz er auf das Ritz
sei, „seit ich persönlich 1995 einen Scheck über 7,5
Millionen Pfund als Anzahlung unterschrieben ha-
be“. Die 450 Angestellten machten einen fantasti-
schen Job. Laut den neuesten Zahlen hat sich der
Gewinn im Jahr 2018 jedoch auf sieben Millionen
Pfund halbiert.
Die Familie hatte die 114 Jahre alte Londoner Iko-
ne 2019 zum Verkauf angeboten. Laut Medienbe-
richten hat ein saudischer Investor 750 Millionen
Pfund für das Fünf-Sterne-Haus am Piccadilly gebo-
ten. Offenbar sind Aidan und Howard Barclay, die
die Familienfirma Ellerman Investments führen,
bereit, über das Angebot zu reden.
Sir Frederick und seine Tochter Amanda können
die Verwandten am Verkauf nicht hindern. Die bei-
den Zwillingsbrüder haben schon seit Längerem
keine Anteile am Geschäft mehr. Und Fredericks
Tochter Amanda hält nur 25 Prozent und kann von
ihren Cousins überstimmt werden. Im Januar war
sie zudem von ihren Verwandten aus dem Auf-
sichtsrat in mehreren Familienfirmen entfernt wor-
den, darunter auch dem Ritz.
Sir Frederick, der zehn Minuten jüngere Zwil-
ling, will offenbar nicht akzeptieren, dass seine
Tochter so an den Rand gedrängt wird. Er zeigte
sich auch „zutiefst betrübt“ über die Verletzung
seiner Privatsphäre. Er hoffe, dass man die Angele-
genheit lösen und nach vorn blicken könne.
Die Brüder waren 1934 im Westlondoner Stadt-
teil Hammersmith geboren worden. Sie wuchsen
als zwei von zehn Geschwistern auf. Als sie zwölf
Jahre alt waren, starb ihr Vater. Mit 16 stiegen sie
als Maler ins Berufsleben ein. Später eröffneten sie
einen Süßwarenladen.

Der Grundstein für ihr Vermögen wurde gelegt,
als David Zoe Newton heiratete, eines der bestbe-
zahlten Models des Landes. Mit dem Geld stieg Da-
vid ins Immobiliengeschäft ein, später stieß Bruder
Frederick dazu. In den 1970er-Jahren besaßen die
Brüder bereits mehrere Londoner Hotels in besten
Lagen. Ihr Vermögen vermehrte sich wie im Spiel
Monopoly. Sie kauften Zeitungen und expandierten
in andere Branchen. Heute wird ihr Vermögen auf
mehrere Milliarden Pfund geschätzt.
1993 kauften die Brüder die kleine Kanalinsel
Brecqhou, die von der Nachbarinsel Sark aus ver-
waltet wird. Dort errichteten sie für 27 Millionen
Pfund ein neugotisches Schloss mit Türmen, Zin-
nen und Hubschrauber-Landeplatz. Jeder hatte sei-
nen eigenen Wohnbereich, auf der abgeschiedenen
Insel waren sie vor Paparazzi sicher.
Inzwischen lebt Sir David allein auf dem Schloss.
Einen Teil des Jahres verbringt er zudem – ebenso
wie sein Bruder – in Monaco. Die Brüder haben
sich Berichten zufolge seit Jahren nicht gesehen.
Sie sind berüchtigt für ihre Prozesslust, bisher rich-
tete sie sich allerdings gegen Außenstehende.
Das hat sich nun geändert. Der Prozess vor dem
Londoner High Court macht die tiefe Kluft zwi-
schen den beiden Zweigen der Familie öffentlich.
Es gebe zu diesem Zeitpunkt bereits weitreichende
Beweise, dass das Abhören von Gesprächen im
Ritz eine Fülle an vertraulichen Geschäftsinforma-
tionen ergeben habe, sagte der Richter vergangene
Woche. Die Gespräche hätten sich um mögliche
Veräußerungen des Familienbesitzes gedreht.
Neben dem Ritz steht auch die „Telegraph“-Grup-
pe zum Verkauf. Die Brüder hatten die Zeitungen
2004 für 665 Millionen Pfund gekauft. Die Auflagen
sind im freien Fall, und alle Titel machen Verluste.
Deshalb müsste die Familie wohl deutliche Verluste
gegenüber dem ursprünglichen Kaufpreis hinneh-
men. Beobachter schätzen den Wert auf nur noch
200 Millionen Pfund. Ein salomonischer Beobach-
ter käme wohl zu dem Urteil: Das sollte immer
noch für alle Erben reichen.

David und Frederick Barclay


Die Zwillinge und das Ritz


David und Frederick Barclay haben ein Imperium gebaut. Unter den Erben kommt es nun zum Streit.


David und Frederick
Barclay: Die Zwillinge
gehen längst getrennte
Wege.

ROTA/CAMERA PRESS/laif

Ein Verkauf


unter dem


vollen Wert


würde zu


weiteren


Klagen führen.


Das wäre


bedauerlich.


Sir Frederick Barclay
Unternehmensgründer

Familienunternehmen


des Tages


WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
60

Clemens Tönnies

Steigende Preise


treiben den Umsatz


E


s klingt alles ein bisschen
nach „business as usual“ in
der offiziellen Mitteilung des
Schlachtimperiums der Familie Tön-
nies in Rheda-Wiedenbrück, die dem
Handelsblatt vorab vorlag. Weltweit
verarbeitete das Unternehmen 20,8
Millionen Schweine, davon mehr als
drei Viertel in Deutschland. Hinzu ka-
men noch 440 000 Rinder. Auch
wenn die Zahlen gegenüber dem Vor-
jahr nicht gestiegen sind, wuchs der
Umsatz um fast zehn Prozent auf 7,3
Milliarden Euro.
Der Grund: Die Preise für Schwei-
nefleisch stiegen enorm infolge der
afrikanischen Schweinepest in China
und lukrativer Exporte dorthin. Bran-
chenkenner Klaus-Martin Fischer,
Partner der Beratung Ebner Stolz, ur-
teilt, dass die Afrikanische Schweine-
pest (ASP) die Preise für Schweine-
fleisch extrem nach oben getrieben
habe: „Vor drei Jahren noch wollte
sich niemand vorstellen, dass ein Vi-
rus in China solchen Einfluss auf den
deutschen Fleischmarkt hat.“ Die
Chinesen kaufen den Markt leer. Was
sich für die Schlachtbetriebe positiv

auswirkt, ist für die Wurstbranche
kritisch. Bei der Zur-Mühlen-Gruppe,
die zum Konzern gehört, ist das auch
spürbar, sie habe sich aber „erfolg-
reich entwickelt“.
Tönnies rechnet zudem damit,
dass der erste Spatenstich für die ers-
te außereuropäische Fabrik des Fa-
milienkonzerns in China in Koopera-
tion mit der chinesischen Dekon
Group wie geplant noch in diesem
Jahr erfolgen werde – trotz des Coro-
navirus. Auf die Frage, wie sich das
Virus auf das Chinageschäft auswir-
ke, sagte Miteigentümer Clemens
Tönnies, dass die Export-Infrastruk-
tur in China aktuell sehr angespannt
sei. Dies belaste die Nachfrage aus
China. „Wie lang sich diese Situation
hält, ist für uns aktuell nicht ein-
schätzbar“, sagte der 63-Jährige.
Das von dem inzwischen verstorbe-
nen Bruder von Clemens Tönnies 1971
gegründete Unternehmen gehört zu
gleichen Teilen der Familie von Cle-
mens Tönnies sowie Robert Tönnies,
dem Sohn von Firmengründer Bernd.
Seit vergangenem Jahr ist erneut ein
Streit entbrannt. Clemens Tönnies sagt
dazu: „Im Unternehmen wird der Eini-
gungsvertrag gelebt und von der Ge-
schäftsführung und dem Beirat erfolg-
reich umgesetzt.“ Robert Tönnies will
sich nicht öffentlich äußern, die juristi-
schen Auseinandersetzungen laufen
weiter. Anja Müller, Katrin Terpitz

Sophia Thomalla

Erfolgreich


mit Schotter


T


V-Zuschauer kennen die Berli-
nerin Sophia Thomalla als Ju-
rorin der RTL-Tanzshow
„Dance Dance Dance“, Darstellerin
in der Sat-1-Soap „Eine wie keine“
oder als Kandidatin bei „Let’s
Dance“. Ihr Showtalent nutzt die
Tochter von Schauspielerin Simone
Thomalla seit November nun erst-
mals auch als Unternehmerin.
Mit einer „hohen sechsstelligen
Summe“, wie das Unternehmen be-
stätigt, war die 31-Jährige vor der Jah-
reswende als Gesellschafterin bei
dem Gütersloher Logistik-Start-up
Schüttflix GmbH eingestiegen. Nun
zeigt sich, wie sehr ihre Beteiligung
für die Gründer Christian Hülsewig
und Thomas Hagedorn zum Glücks-
fall wird. „Der Umsatz hat sich seit-
her in etwa verdoppelt“, berichtet
jetzt eine Firmensprecherin. „Die Er-
löse nehmen Monat für Monat um 50
Prozent zu.“ Zu verdanken haben die
zwei Gründer den Zuwachs nicht zu-
letzt dem körperlichen Einsatz ihrer

Mitgesellschafterin. So ließ sich Tho-
malla vor dem Jahreswechsel für ei-
nen hochwertigen Wandkalender ab-
lichten, teils in lasziven Posen vor
Baggerschaufeln oder ausgestreckt in
einer Sandgrube.
Für knapp 40 Euro war die auf
10 000 Exemplare limitierte Auflage
vor dem Weihnachtsfest zu haben.
Kalendermotto: „Jeden Tag einen
Schüttstorm“. Der Wirbel um die Auf-
nahmen war programmiert, was
dem 2018 gegründeten Start-up weit
über die Logistikbranche hinaus ho-
he Aufmerksamkeit verschaffte.
Vor dem Einstieg hatten es der
33-jährige Hülsewig, zuvor Logistik-
Konzernchef von Microsoft in Seattle,
und der 48-jährige Gütersloher Ab-
bruch-Großunternehmer Hagedorn
zunächst auf eine Million Euro Jah-
resumsatz gebracht. Herzstück der
Schüttflix GmbH ist eine App, über
die sich Sand, Schotter und Split be-
schaffen lässt. Gedacht ist die Online-
börse für Kunden aus dem Tief-, Gar-
ten- oder Landschaftsbau, die nach
günstigen Baustoffproduzenten und
Spediteuren suchen.
Lob gab es für die Gründung be-
reits von Bitkom-Präsident Achim
Berg. Im Business-to-Business-Seg-
ment gelte Schüttflix als „Best Case“

in Sachen Plattformökonomie, er-
klärte der Verbandschef.
Bis Ende 2020, gab das Start-up
am Donnerstag als neues Ziel aus,
wolle man „jede Baustelle Deutsch-
lands zu besten Konditionen, pünkt-
lich und in jedem Umfang mit Sand,
Kies und Schotter beliefern“. Mit
mehr als 600 Lieferanten und Spedi-
teuren habe man die größte Marktab-
deckung in Deutschland und liefere
innerhalb Nordrhein-Westfalens bin-
nen vier Stunden. In den kommen-
den Monaten werde Schüttflix sein
Wachstum auf weitere Ballungsräu-
me deutschlandweit fokussieren.
Schauspielerin Thomalla ist nach
wie vor von ihrem Investment über-
zeugt. „Schüttflix birgt ein enormes
Marktpotenzial“, erklärte sie auf An-

frage des Handelsblatts. Täglich seien
allein in Deutschland 150 000 Schütt-
gut-Lkws auf der Straße unterwegs.
„Wenn man sich dann vorstellt, dass
Schüttflix diese Lieferungen effizien-
ter macht, braucht man kein BWL-
Studium, um sich auszurechnen,
dass da einiges vom Kuchen über-
bleibt.“
Ihre Verbindung zu den Ostwestfa-
len entstand über den Bundesliga-
Klub FC Schalke 04, bei dem Serien-
gründer Thomas Hagedorn finanziell
engagiert ist. Als Manager des Gelsen-
kirchener Vereins zeichnete dort jah-
relang der vor einem Jahr verstorbe-
ne Manager Rudi Assauer verant-
wortlich. Mit ihm war ihre Mutter
Simone Thomalla lange Zeit liiert.
Christoph Schlautmann

Sophia Thomalla:
Die 31-Jährige ist
bei Schüttflix ein-
gestiegen.

dpa

Der Großschlachter steigert
die Erlöse auf mehr als sieben
Milliarden Euro. Doch das
Coronavirus lähmt die
Exporte nach China.

Der Einstieg der
TV-Schauspielerin beim
Online-Logistiker Schüttflix
beschert dem Start-up eine
Umsatzverdoppelung.


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Familienunternehmen des Tages


WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
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