Handelsblatt - 06.03.2020 - 08.03.2020

(Greg DeLong) #1
Roman Tyborski Düsseldorf

W


olfgang Schäfer versucht, nichts
zu beschönigen. „Von diesem
Geschäftsjahr haben wir mehr
erwartet“, sagte der Finanzvor-
stand von Continental auf der
Jahrespressekonferenz, die wie üblich per Live -
stream übertragen wurde. „Es ist für uns absolut
nicht zufriedenstellend.“
Damit fasste Schäfer treffend zusammen, wie es
um den Automobilzulieferer derzeit steht. Conti-
nental verdient weniger, macht mehr Schulden,
muss Werke schließen und Personal entlassen.
Gleichzeitig muss Conti die Wende zur Elektromobi-
lität bewältigen, die Antriebssparte Vitesco Techno-
logies abspalten und sich als Softwarekonzern etab-
lieren.
„Wir packen gerade alles an“, sagte Continental-
Chef Elmar Degenhart: „Unter dem Strich sind wir
mit 2019 ganz klar nicht zufrieden.“ Der Rückgang
der weltweiten Automobilproduktion habe mittler-
weile die Dimension der Krisenjahre 2008 und
2009 erreicht. „Wir befinden uns in einer massiven
Marktkrise in Zeiten einer umwälzenden Technolo-
gietransformation“, sagte Degenhart bei der Präsen-
tation der Jahresbilanz.
Das war bereits im vergangenen Jahr eine gigan-
tische Herausforderung. Seit dem Ausbruch des Co-
ronavirus spitzt sich die Lage bei Conti nun drama-
tisch zu. Das Coronavirus bringt derzeit die gesamte

Weltwirtschaft durcheinander. Werke müssen vorü-
bergehend geschlossen werden, Lieferketten wer-
den löchrig. Vor allem die Autoindustrie ist davon
betroffen. Denn kaum eine Branche ist so sehr ab-
hängig vom Absatzmarkt und Produktionsstandort
China.
Bei Conti haben die Folgen der Virusepidemie be-
reits tiefe Löcher in die Lieferkette gerissen. Bei be-
stimmten Komponenten gibt es Engpässe. Das be-
trifft Degenhart zufolge elektrische Bauteile wie
Kondensatoren oder Displays, die der Zulieferer vor
allem aus China bezieht. Die Produktion von Conti
wurde nach dem chinesischen Neujahrsfest im Ja-
nuar zwar nicht komplett stillgelegt. Aber sie wurde
drastisch heruntergefahren auf ein Niveau von rund
30 Prozent.
Bei kritischen Komponenten greift der Konzern
zu ungewöhnlichen Maßnahmen, um die Lieferket-
ten intakt zu halten. „Wir müssen in Betracht zie-
hen, dass Komponenten, die normalerweise per
Schiff nun für einige Wochen mit dem Flugzeug
transportiert werden, um Zulieferungen zu be-
schleunigen“, sagte Degenhart. Laut Finanzchef
Schäfer würde die Verlegung der Transportwege
natürlich Mehrkosten bedeuten. Es seien Hunderte
Mitarbeiter in Europa, China und Nordamerika da-
mit beschäftigt, die Situation zu beherrschen.
Continental liefert damit einen ersten Indikator,
welche Auswirkungen das Coronavirus auf die Zu-

liefererbranche hat. Der Dax-Konzern plant deswe-
gen sogar sein im September vergangenen Jahres
bekanntgegebenes Sparprogramm auszuweiten.
Das wirtschaftliche Umfeld habe sich nochmals ver-
schlechtert, sagte Degenhart. „Das Coronavirus
trägt dazu erheblich bei. Deswegen prüfen wir der-
zeit eine Anpassung des Programms.“ Mit ersten Er-
gebnissen könne im Mai gerechnet werden, erklärte
der Vorstandschef.

Sparprogramm nach Gewinnwarnung
Continentals Abwärtstrend hatte Ende Juli 2019 be-
gonnen, als der Zulieferer eine Gewinnwarnung he-
rausgeben musste. Ausschlaggebend dafür war un-
ter anderem der schwache chinesische Pkw-Markt.
Im September folgte das Sparprogramm, einen Mo-
nat später musste Conti seinen Goodwill, also die
Bewertung früherer Firmenübernahmen, nach un-
ten korrigieren. Unterm Strich schreibt Continental
deswegen auf dem Papier rote Zahlen.
Der operative Verlust (Ebit) lag im vergangenen
Jahr bei gut 268 Millionen Euro. Die Ebit-Marge
rutschte auf minus 0,6 Prozent. Bereinigt man die
Zahlen um die Wertberichtigung sieht es nicht viel
besser aus. So sackte der bereinigte Gewinn bei na-
hezu gleichbleibendem Umsatz um gut 21 Prozent
auf 3,2 Milliarden Euro ab. Die Marge sank von mehr
als neun Prozent im Geschäftsjahr 2018 auf 7,4 Pro-
zent. Die Gearing Ratio, also das Verhältnis von

Continental steht


heikles Jahr bevor


Der Dax-Konzern liefert einen ersten Indikator, wie stark die Virusepidemie die


Zuliefererbranche belastet. Conti leidet unter rückläufigen Produktionszahlen, löchrigen


Lieferketten – und erwartet 2020 einen weiteren Rückgang der Fahrzeugproduktion.


3,


MILLIARDEN
Euro hat Continental
im vergangenen
Jahr verdient.
Quelle:
Continental

dpa, Continental AG

Schwerpunkt


Dax-Konzern unter Druck


WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
6

Schulden zum Eigenkapital, ist erstmals seit zehn
Jahren gestiegen – von 9,1 auf 25,6.
An der Börse sorgten die Zahlen für Enttäu-
schung. Die Conti-Aktie sackte zwischenzeitlich fast
14 Prozent ins Minus und war damit der größte Ver-
lierer im Deutschen Aktienindex.
Das Kerngeschäft mit Autokomponenten sorgt
nach wie vor für Probleme. „Unterm Strich ist be-
sonders im Bereich Automotive das Ergebnis 2019
nicht zufriedenstellend“, stellt Konzernchef Degen-
hart fest. Die Marge sank im Vorjahresvergleich von
sieben auf 4,4 Prozent. Innerhalb des Automotive-
Bereichs bereitet vor allem die Antriebssparte Vites-
co Technologies dem Conti-Management Kopfzer-
brechen. Auf der einen Seite müsse die Antriebs -
sparte in einem Zeitraum von 15 bis 20 Jahren die
Verbrennertechnologie runterfahren und gleichzei-
tig die Fertigung von Komponenten für die Elektro-
mobilität hochfahren, sagte Degenhart. Das ist so-
wohl personell als auch wirtschaftlich ein Kraftakt.
Kein Bereich ist deswegen so stark vom Sparpro-
gramm betroffen wie die Antriebssparte. Im bayeri-
schen Roding und in Newport News in den USA wer-
den die Antriebswerke geschlossen, im sächsischen
Limbach Oberfrohna zahlreiche Jobs gestrichen.
Die Elektrowende schüttelt Vitesco durch. Zu-
nächst war für die Antriebssparte ein Teilbörsen-
gang vorgesehen. Doch wegen des sich eintrüben-
den Börsenumfelds mussten diese Pläne auf Eis ge-
legt werden und Conti auf Milliardeneinnahmen
durch den IPO verzichten. Stattdessen ist ein Spin-
off geplant.
Vitesco-Chef Andreas Wolf ist seitdem sehr darum
bemüht, den Eindruck vieler Marktbeobachter zu
widerlegen, dass es sich bei Vitesco um eine Bad
Bank handele, die Conti loswerden wolle. Gegen-
über dem Handelsblatt erklärte Wolf Anfang des Jah-
res, dass er Gespräche mit potenziellen Investoren
führe, um sie zu überzeugen, in das neue Unterneh-
men zu investieren.

Mitte März dürfte der Aufsichtsrat in einer außer-
ordentlichen Sitzung über den Spin-off von Vitesco
abstimmen. Danach müssen die Aktionäre auf der
Hauptversammlung am 30. April ihr Votum abge-
ben. Geht es nach Vitesco-Chef Wolf soll aus Vitesco
im Herbst ein eigenständiger MDax-Konzern mit et-
wa neun Milliarden Euro Umsatz werden.
Das Coronavirus könnte diesem Plan nun einen
Strich durch die Rechnung und weitere Sparmaß-
nahmen im Antriebsbereich erforderlich machen.
„Wir werden wieder Standort für Standort bewer-
ten, was die neue Situation für sie bedeutet“, sagt
Degenhart. „Weitere Portfolioanpassungen schlie-
ßen wir nicht aus.“
Ein Konflikt mit den Arbeitnehmervertretern
scheint unvermeidlich. Konzernbetriebsrat Hasan
Allak teilte mit, dass betriebsbedingte Kündigungen
inakzeptabel seien. „Mit Kahlschlag lässt sich keine
Transformation betreiben“, sagte Allak am Donners-
tag in Hannover.
Im Vergleich zu 2018 ist die Mitarbeiteranzahl bei
Conti bereits um fast 2 000 gesunken. Rund 1 000
davon sind im Rahmen des Sparprogramms aus
dem Unternehmen ausgeschieden. Es ist das erste
Mal seit zehn Jahren, dass die Mitarbeiteranzahl bei
Conti sinkt.

Schwacher Ausblick
Zumindest finanziell ist Continental gut aufgestellt.
Die Eigenkapitalquote liegt immerhin bei 37,3 Pro-
zent. Das Unternehmen sitzt auf einem Liquiditäts-
polster von acht Milliarden Euro.
Das Geld kann Conti gut gebrauchen. Denn auch
2020 rechnet der Konzern mit einem rückläufigen
Pkw-Markt. Insgesamt dürften es weltweit nur noch
83 bis 84 Millionen Pkws sein – gut zehn Millionen
weniger als 2017. Vor allem im wichtigen Markt Chi-
na wird mit einem deutlichen Rückgang der Ver-
kaufszahlen gerechnet.
Trotz des wirtschaftlich angespannten Umfeldes
ist der Investitionsdruck unverändert hoch. Allein
2019 hat Conti fast sieben Milliarden Euro in For-
schung und Entwicklung sowie in Sachanlagen und
Software investiert.
Finanzchef Schäfer hatte angekündigt, dass Conti
auch weiterhin hohe Investitionsausgaben anstrebt.
Diese dürften vor allem im Automotive-Bereich an-
fallen, in dem der Zulieferer seine künftigen Wachs-
tumsfelder der Fahrerassistenzsysteme, Konnektivi-
tätslösungen und Softwareprodukte bündelt. Der
Ausblick ist hier dementsprechend verhalten. Die
Ebit-Marge solle im laufenden Geschäftsjahr zwi-
schen drei und vier Prozent liegen. Nur dank des
nach wie vor starken Traditionsgeschäfts mit Reifen
sieht die Prognose für den Gesamtkonzern nicht
ganz so düster aus. Demnach werde Conti bei einem
Umsatz zwischen 42,5 und 44,5 Milliarden Euro ei-
ne Marge von 5,5 bis 6,5 Prozent erreichen.
Aber: „Insgesamt ist Conti seine lange ausgefüllte
Rolle als Starperformer der deutschen Autoindustrie
vollkommen los“, urteilt Metzler-Analyst Jürgen Pie-
per.
Dafür spricht, dass sich Continental von seiner
einstigen Umsatzzielmarke endgültig verabschiedet
hat. Ursprünglich wollte Conti 2020 seinen Umsatz
über die Marke von 50 Milliarden Euro treiben.

Mit


Kahlschlag


lässt sich


keine


Transfor-


mation


betreiben.


Hasan Allak
Konzernbetriebsrat
Continental

Produktion bei
Continental: Der
Konzern weitet das
Sparprogramm aus.

Continental

HANDELSBLATT *Negative Werte, weil im 3. Q. Abschreibungen auf Goodwill vorgenommen wurden • Quelle: Unternehmen

Kennzahlen 2019 Sparten

Gesamtkonzern

Automotive
Group

Rubber
Group Powertrain
Umsatz

Ergebnis (Ebit)

Ebit-Marge

Bereinigtes Ebit

Bereinigte Ebit-Marge

in Mrd. Euro

in Mrd. Euro

in Prozent

in Mrd. Euro

in Prozent

44,

-0,27* -2,1* 2,0 k. A.

-0,6 %* -7,9 %* 10,9 %

7,4 % 4,4 % 12,4 %

k. A.

k. A.

26,5 18,0 7,

3,

0,7 %

1,2 2,

ZF und Bosch

Die Konkurrenz


lauert


D


ie beiden direkten Continental-Konkur-
renten, Branchenführer Bosch und die
Nummer drei ZF Friedrichshafen, halten
sich mit konkreten Zahlen über die Auswirkun-
gen des Coronavirus noch zurück. Beide Stif-
tungsunternehmen sind ganz froh, dass sie nicht
so einen Berichtsdruck durch den Kapitalmarkt
haben wie die börsennotierte Continental AG.
„Die Auswirkungen auf unser Geschäft hängen
stark von den weiteren Entwicklungen ab“, sagt
eine Bosch-Sprecherin. Die Lieferketten seien
noch weitgehend stabil. Aber klar ist, es wird
auch Bosch und ZF treffen. „Es wird Spuren in
der Bilanz geben, allein durch Ausfälle in China“,
sagt ein ZF-Sprecher. Aber das Ausmaß sei noch
nicht abzuschätzen.
Die Zusatzbelastung durch Corona kommt zur
Unzeit: Bereits 2019 war für ZF wie auch alle Zu-
lieferer ein Stresstest aus schwacher Autokon-
junktur und hohen Kosten für die Transformati-
on zur Elektromobilität. Die weltweite Autopro-
duktion brach um sechs Prozent ein. Kurz vor
Jahresende hatte ZF-Chef Wolf-Henning Scheider
die im Sommer nach unten korrigierte Prognose
von 36 bis 37 Milliarden Euro Umsatz und einer
Ebit-Marge zwischen vier und fünf Prozent noch
bekräftigt. Aber der ZF-Chef ließ durchblicken,
dass die Ertragsziele schwer zu erreichen seien.
Bosch musste im Januar bereits einräumen,
dass in der Autosparte „Mobility Solutions“ 2019
die Umsätze bei 47 Milliarden Euro stagnierten.
„In Anbetracht der Lage um uns herum können
wir damit zufrieden sein“, sagte Denner damals.
Das Ergebnis vor Steuern und Zinsen sank 2019
von 5,3 auf drei Milliarden Euro. Damit ging die
Rendite von knapp sieben auf vier Prozent vom
Umsatz zurück. Auf Dauer ist dieser Wert auch
für den Stiftungskonzern zu niedrig. Aber noch
sind die Reserven bei einer Liquidität von 18 Mil-
liarden Euro im Vergleich zu Conti gewaltig. Wie
Bosch entscheidet auch ZF in der Transformation
zur Elektromobilität Werk für Werk über Perso-
nalanpassungen. Jetzt kommt die Coronaproble-
matik erschwerend hinzu.
ZF sieht einen Hoffnungsschimmer: In China
produziert ZF vornehmlich „local for local“, fast
alles, was dort hergestellt wird, bleibt auch in
China. Wenn die Chinesen die während der Coro-
nakrise nicht getätigten Autokäufe im Jahresver-
lauf nachholen, dann könnte der Rückstand zu-
mindest teilweise aufgeholt werden. Denn in Chi-
na scheint Corona abzuebben, wenn keine zweite
Welle kommt. ZF hat beispielsweise 40 Werke in
China mit 14 000 Beschäftigten. Alle Werke


  • selbst das in Wuhan mit 600 Beschäftigten – ar-
    beiten wieder, wenn auch nicht alle mit der glei-
    chen Kapazität. „Bis dato konnten wir die Liefer-
    ketten stabil halten“, betont ein Sprecher. Bei ei-
    nigen der über 1 000 chinesischen Lieferanten
    spüren die Friedrichshafener Einschränkungen.
    Um Engpässe zu verhindern, weicht ZF wenn
    möglich auf andere Lieferanten aus. In Ausnah-
    men werden Zulieferteile per Luftfracht geliefert.
    Solche unkonventionellen und teuren Ent-
    scheidungen trifft bei ZF eine Taskforce, die seit
    Ausbruch des Virus täglich in engem Kontakt mit
    Geschäftspartnern die Lage neu bewertet und Al-
    ternativen erarbeitet. Wie unkonventionell ZF da-
    bei vorgeht, zeigt ein Beispiel: Die chinesische
    Regierung schreibt vor, dass Arbeiter Atem-
    schutzmasken tragen. Nur wer Masken hat, darf
    produzieren. Aber die Masken sind rasch zur
    Mangelware geworden. Durch Zufall erfuhren ZF-
    Leute, dass im Süden Chinas eine kleine Fabrik
    zum Verkauf stand. China-Chef Holger Klein ent-
    schied sofort: „Wir kaufen die Anlage.“ Auf einem
    Lkw kutschierten die ZFler die Maschinen ins
    Werk Zhangjiagang bei Schanghai und bauten sie
    auf. Dort produziert sie seit Kurzem 100 000
    Masken am Tag. Was der Autozulieferer selbst
    nicht braucht, gibt er Bedürftigen oder stellt sie
    der Regierung zur Verfügung. Auch solche Ge-
    schichten schreibt Corona. Martin Buchenau


Dax-Konzern unter Druck


WOCHENENDE 6./7./8. MÄRZ 2020, NR. 47
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