Süddeutsche Zeitung - 03.03.2020

(Tina Sui) #1
von claudia tieschky

T


heoretisch gibt es zwei Möglichkei-
ten, den Roman „Nelly B.s Herz“ des
schwedischen Schriftstellers Aris Fio-
retos zu lesen. Ein unbefangener Leser
nimmt den Roman zur Hand. Er liest den
Bericht der achtunddreißigjährigen Nelly,
die erzählt, wie sie die Beherrschung über
ihr Leben verliert von dem Moment an, als
ihr im Dezember 1924 eine junge Frau die
Hand auf die Hand legt. Der Text hat einen
halb die Erinnerung streichelnden Ton,
halb den eines sachlich-flotten Sprechens.
Diese Nelly redet davon, wie sie zu der Per-
son wird, die den Kosenamen Duvölligver-
rückte hinreißend findet und das Ausgelie-
fertsein und das Warten auf die Geliebte.
Dabei ist diese Person kein Mäuschen, son-
dern Fliegerin oder mit dem schönen altmo-
dischen Wort gesagt Aviatikerin. Absolven-
tin der Kunsthochschule in Stockholm, be-
seelt vom Gedanken an das „Vage und Ge-
waltige“. Furchtlos. Herzkrank. Leidend un-
ter Nicht-mehr-Fliegen-Können. Vertraut
mit einem seelischen Zustand, den sie
„schlammig werden“ nennt. Und nach ei-
nem Absturz anfällig für die Wirkung mor-
phinhaltiger Tropfen – „alles verwandelte
sich in Sonnendunst“. Eine spektakuläre
Verliebte voller Zweifel und Depressionen.


Dieser Leser wird hingerissen sein vom
Funkeln der Erzählung, von der Eleganz
der Bilder und Nebenher-Erfindungen,
mit denen Fioretos den Text schmückt. Sei-
ne Nelly ist eine Person, die als Künstlerin
Wolkenskulpturen aus Gips entwarf und
sie beschreibt als „rippenstraff und selbst-
ständig“ oder „schwerelos, wie warme,
schaumig geschlagene Luft“. Mit Irma, der
angebeteten Blonden, wird sie noch einen
letzten Flug unternehmen, obwohl sie
nicht mehr sollte. Nelly denkt Dinge wie:
„Ich komme zur Ruhe wie Regen in einer
Tonne“. Sie katalogisiert im November so
umständlich wie gewissenhaft Nuancen
von Zementgrau bis Grabsteingrau – „und
die ungewohnte Nelly, dieses graue Ge-
schlecht, wuchs von innen“. Oder sie syste-
matisiert drei Arten Hautgefühl, die erste
„ist die Mechanikerin, die eine Dichtung
festdreht und im richtigen Moment inne-
hält, bevor sie reißt“. Und die dritte: „DIE
Haut ist der Ort, an dem man gerettet
wird“. Fioretos verleiht der Figur eine In-
nenausstattung, die alle äußeren Abenteu-
er in den Schatten stellt, ein Luxus aus lyri-
scher Gefährdung und Flugbenzingeruch.
Vielleicht hat der unbefangene Leser
das Buch von einem einschlägig bestück-
ten Tisch des Berliner Kulturkaufhauses
Dussmanns weg gekauft, wo neben Ampel-
männchen-Fruchtgummi auch Christo-


pher Isherwoods „Leb wohl, Berlin“ (1939)
lag, dessen Held genau wie Nelly in einer
Pension logiert, wenn auch in einer weni-
ger bürgerlichen. Vielleicht wird er die Le-
bensumstände dieser Nelly etwas zu reprä-
sentativ für ihre Zeit erdacht finden, dem
Autor vielleicht anlasten, dass diese Haupt-
figur allzu viel Bekanntes sieht, liest und er-
lebt in den Zwanzigerjahren des 20.Jahr-
hunderts, auf dem derzeit so schicken
Schauplatz Babylon Berlin.
Aber wie wahrscheinlich ist es, dass je-
mand die Geschichte als kühne, prächtige
Erfindung liest? Wo Fioretos doch den Ro-
man im Nachwort als „literarische Fanta-
sie“ kenntlich macht und damit die Mög-
lichkeit des naiven Lesens versperrt?
Tatsächlich folgt er – zwar „ohne biogra-
fische Treue“, aber doch weitgehend – der
Lebensgeschichte der 1886 in Dresden-
Laubegast geborenen und 1925 gestorbe-
nen Amelie Hedwig „Melli“ Beese-Bou-
tard, die im September 1911 ihre Fluglizenz
erwarb, als erste Frau in Deutschland und
gegen großen Widerstand der Männer. Ver-
heiratet war Beese, wie Nelly, mit einem
französischen Flieger. Wie Nelly hatte sie
an der Kunstakademie in Stockholm stu-
diert, wie Nelly betrieb sie mit ihrem Mann
eine Flugschule auf dem Flugplatz Johan-
nisthal, wo sich vor Tempelhof die Berliner
Luftfahrt abspielte. Damals flog man win-
ters noch im Pelz, wegen des offenen Cock-
pits. Von Melli Beese gibt es ein sehr apar-
tes Foto im Flugpelz. Sie wäre wie gemacht
gewesen für die Art Werbeverträge, mit de-
nen andere frühe Fliegerinnen bald Geld
verdienten. Die elf Jahre jüngere Amelia
Earhart brachte nach ihrem ersten Atlan-
tik-Alleinflug sogar eine eigene Modelinie
heraus. Bei Fioretos verliebt sich die Fliege-
rin vielleicht nicht zufällig hemmungslos
in Irma, das Girl aus der Werbebranche.
Abgesehen davon, dass das Wissen um
Beeses Leben den Plot brutal spoilert:
Wenn das Abenteuerliche dieses Lebens
nicht erfunden ist – wie verhält es sich
dann mit dem wilden Innenleben dieser
Frau? Was fängt man als Leser damit an, so
wie es auf die historische Figur draufge-
packt ist? Ist es nur notwendig, um die
ebenfalls wilde Biografie zu motivieren?
Der Verdacht nährt ein Misstrauen, das
sich bei der Lektüre nie abschütteln lässt:
Stützt ein Detail etwas historisch Verbürg-
tes oder gehört es in die höheren Luft-
schichten der Imagination – zum Vagen
und Gewaltigen, wie Nelly sagen würde?
Anders ausgedrückt: Das Wissen um
die echte Melli Beese stellt für die feine
Kraft der Erzählung eher ein Hindernis
dar. Dabei könnte der immer wieder zitier-
te Spruch „Fliegen tut not, Leben tut nicht
not“, der bei Zeitgenossen heroisch geklun-
gen haben wird, hier ein Gleichnis sein –
das Fliegen für das Abheben des Textes
von der Biografie. Er könnte das poetologi-
sche Programm dafür abgeben, wie das li-
terarische Halbwesen Nelly aus Geschich-

te und Erfindung gefügt wurde. Aber kon-
sequent arbeitet Fioretos das nicht aus.
Nelly ist eine Vielleicht-Erfindung ge-
worden. Und als solche kann sie auch ge-
schmeidig andocken an die Kontexte hun-
dert Jahre später, wenn beim Nachdenken
über Geschlechterrollen ausgerechnet die
Toilettentür bemüht wird, das Reizstück
der Genderdebatte.
Interessant ist die Erzählung vor allem
da, wo Fioretto seine Abenteurerin sich in
ein langsames Verlöschen hineinreden
lässt. Sie ist eine Abhängige – erst vom Flie-
gen, dann von der „Kohlensäure“ in den
Adern, die sie mit Irma spürt, schließlich
von den Drogenvorräten des Mitbewoh-
ners Reinhardt, die sie auf Würfelzucker
träufelt und später in die Adern spritzt.

Fioretos erfindet (und Paul Berf über-
setzt) großartige Gedanken und Sätze,
wenn seine Fliegerin beinah irre wird, die
Zahl ihrer beim Absturz gebrochenen Rip-
pen mit der von Urvater Adam vergleicht,
und diese Zahl mit der Abweichung des juli-
anischen vom gregorianischen Kalenders
übereinstimmt: „Wenn die Gefühle durch-
einandergeraten sind, entdecke ich einen
Zusammenhang nach dem anderen.“ Oder
sie diskutiert die Muskeln über Irmas Ge-
säß, berührt Flaumhaare mit der Zunge, be-
trachtet jede Hautfalte. Nein, Angst vorm
Fliegen hat diese Nelly nicht, auch nicht im
Sinn von Erica Jongs Skandalroman. Aber
sie wünsche sich, sagt sie einmal, „Irma
würde sich vorbeugen und in mich hinein-
schauen wie in einen Briefschlitz und da-
nach erkären, da drinnen sei offenbar alles
in Ordnung“. Was es natürlich nicht ist.
Die Fantasie soll aber immer wieder zu-
rück zum Beese-Plot. Darum muss Nelly
sehr oft unbedingt von Flugfeldern oder ei-
nem Fallschirmsprung berichten. Sogar
dann, wenn sie gerade etwas ganz anderes
im Kopf hat, Selbstmord beispielsweise,
sinniert sie über die technische Entwick-
lung von Otto Lilienthal bis zu Junckers F


  1. Auf das Fliegen kommt Fioretos immer
    wieder zurück, ausgerechnet das Fliegen
    erdet paradoxerweise die Erzählung,
    pflockt sie entschlossen fest. Wo sie doch
    so wunderbar schweben kann.


Alles verwandelt sich in Sonnendunst


ArisFioretos’ Roman „Nelly B.s Herz“ erzählt die hinreißende Geschichte einer spektakulär verliebten Fliegerin. Sie beruht auf der Biografie der ersten


Frau, die in Deutschland eine Fluglizenz erwarb, Melli Beese. Nutzt es dem Roman, wenn man von ihr weiß?


Die alte Bundesrepublik hat es sich in polit-
ästhetischer Hinsicht gern leicht gemacht.
Konservative etwa sollten immer ein biss-
chen aussehen wie Helmut Kohl. Er stand
„für einen gewissen Nichtzusammenhang
von Politik und Lebensform“ und „für in
seinem Sinne gelungene Politik, bei in je-
dem Sinne misslungener Formgebung“.
Das schrieb der Kulturkritiker Diedrich
Diederichsen unter dem Eindruck eines
Schocks. Denn die 1998 gewählte Regie-
rung war eindeutig besser in Form. Als Vi-
zekanzler trat ein früherer Hausbesetzer
und Turnschuhträger an. Nun steckte er zu-
sammen mit dem Rotwein trinkenden, Zi-
garre rauchenden Kanzler in teuren italie-
nischen Anzügen: Das rot-grüne Kabinett
hatte sich als Karikatur eines kapitalisti-
schen Boardrooms verkleidet.
In der neuen Mitte war ästhetisch also
bereits einiges in Fluss geraten, als es aus
der Sozialdemokratie erneut zu Verunsi-
cherungen kam. Zumindest die Abgren-
zung von den politischen Rändern schien
bis dahin klaren Regeln zu gehorchen. Neo-
Nazis waren leicht als das Andere guter De-
mokraten zu erkennen: Sie trugen Glatzen
und verbotene Symbole, Bomberjacken
und Springerstiefel, Baseballschläger und
Lonsdale-Pullover.
Doch dann saß plötzlich ein Bundes-
banker mit SPD-Parteibuch in den Talk-
shows und erklärte, „70 Prozent der türki-
schen und 90 Prozent der arabischen Bevöl-
kerung in Berlin“ ließen sich vom Staat
durchfüttern und würden „ständig neue
kleine Kopftuchmädchen“ zeugen, um
Deutschland über die Geburtenrate zu „er-
obern“. Das Land war verdattert. Konnte
dieser adrette Mann, der noch dazu dau-
ernd mit Statistiken hantierte – wirklich
ein Rassist sein? Klar. Aber weil Sarrazin es
eben nicht auch für Blinde offensichtlich
war, fanden seine Thesen monatelang gro-
ßen Anklang.
Zu dieser Zeit muss einigen Leuten ein
großer Fernsehstudio-Scheinwerfer aufge-
gangen sein. So leicht lässt sich die Demo-
kratie überrumpeln? Man muss sich nur
eine Tarnkappe auf die Glatze setzen, ein
paar Störsignale senden („Wir sind doch
nur besorgte Bürger“) und auf eindeutige
Reize verzichten (Hitlerbärtchen) – und
voilà, schon ist die Rechte stubenrein und
alle wollen mit ihr reden. Das ist jedenfalls
der Eindruck, den das Buch „Die Neue
Rechte und ihr Design“ hinterlässt. Der
Autor Daniel Hornuff ist Professor für The-


orie und Praxis der Gestaltung an der
Kunsthochschule Kassel. Er behauptet, be-
sonders interessant am aktuellen Rechtsra-
dikalismus sei nicht die altbekannte Ideolo-
gie: „Das Neue an der Neuen Rechten ist ihr
Design.“
Wer allerdings tatsächlich neues Design
sucht, sollte nicht Hornuff, sondern Ange-
la Nagle lesen. Die irische Journalistin hat
in ihrem 2017 erschienenen Buch „Kill All
Normies“ die im Netz entstandene rechte

US-Gegenkultur ausgeleuchtet: Ihre neu-
en Medien (Reddit, 4chan, 8chan), neuen
Methoden (trolling, doxing, memes), neu-
en Kulturkämpfe (Gamergate) und neuen
Helden (Milo Yiannopoulos, Gavin McIn-
nes, The Donald), von denen sich einer so-
gar bis ins weiße Haus getrollt hat. Die eng-
lischsprachigen Reaktionäre tragen ihre
Mischung aus Rassismus, Frauenfeindlich-
keit, Homophobie und Verschwörungsthe-
orien auf irritierend hippe, technisch avan-

cierte, ironische, punkige und flamboyan-
te Weise vor.
Hornuffs deutschsprachige Rassisten da-
gegen wollen die Normies nicht killen, son-
dern sein. Ihr Design ist weder neu noch un-
gesehen, stattdessen sehen seine Nazis
jetzt aus wie alle anderen: „Viele Glatzen
sind hipster-kompatibel überwuchert. Und
tausende Springerstiefel wurden durch
Sneakers ersetzt. [...]Die Feinde der offenen
Gesellschaft erscheinen in den Gewändern
der offenen Gesellschaft.“ Man weiß daher
nicht wirklich, was gemeint sein soll, wenn
der Klappentext behauptet: „Der Angriff
auf die offene Gesellschaft wird vor allem
mit ästhetischen Mitteln geführt.“ Halit Yoz-
gat und Walther Lübke wurden jedenfalls
nicht durch den Anblick rechtsradikaler
Motivkaffeetassen zu Tode erschreckt. Sol-
che Tassen werden aber ausführlich be-
schrieben, ebenso Greta-Thunberg-Ver-
schwörungstafeln, „Es gibt immer weniger
Deutsche“-Powerpoints und andere rassis-
tische Mitmachspiele.
In der Hauptsache geht es jedoch um
Nazis, die sich verkleiden: Als falsche Wahl-
helfer („aktiv über mögliche ungültige
Stimmen mitentscheiden“), falsche Flücht-

lingshelfer („Erste Familien kehren zu-
rück“), falsche Umweltschützer („Umwelt-
schutz ist Heimatschutz“), falsche Feminis-
ten („weil die Politik uns durch unkontrol-
lierte Zuwanderung ... Vergewaltigungen,
Belästigungen und Misshandlungen im-
portiert hat“), falsche Nachrichtenmagazi-
ne („Compact“ sieht für Hornuff im We-
sentlichen aus wie der „Stern“) und falsche
Normalos („angesiedelt irgendwo zwi-
schen Start-up-Belegschaft, NGO-Gruppe
und Mitgliedern eines Dorf-Sportclubs“).
Fast könnte man meinen, die ästheti-
sche Aufrüstung und Ausrüstung der extre-
men politischen Rechten fände in völlig un-
terschiedlichen Schulen statt: In den USA
in einer eskalierenden Mediensphäre, die
immer grellere rechte Charaktere produ-
ziert – einen Präsidenten aus dem Reality
TV, irrsinnige Fox News- und Breitbart-
Demagogen und 8chan-Attentäter. Also
laute, politisch abstoßende Menschen, die
man anstarrt wie einen spektakulären Au-
tounfall.
Hier dagegen, das weiß man etwa durch
das NPD-Verbotsverfahren, die NSU-Mor-
de und Hans-Georg Maaßen, unterhält die
Rechte eine bedenkliche Nähe zum Verfas-
sungsschutz. Das ist auf jeden Fall der Ein-
druck, den die von Hornuff porträtierten
„Neuen“ Rechten machen. Sie scheinen
durch eine gute Schule der Unauffälligkeit
gegangen zu sein.

Allerdings stolpert auch Hornuff irgend-
wann über eher unzweideutiges Fascho-
Design. Etwa wenn die Junge Alternative
Thüringen mit dem Bild einer entsicherten
Pistole zur Selbstjustiz auffordert. Der Wil-
le zur Maskerade scheint mit wachsendem
Erfolg zu schwinden. Nach der Ermordung
Walther Lübckes schaut Hornuff tief in die
rechte Blase und ist entsetzt über die plum-
pe Eindeutigkeit: „Pistolen und Galgen
wechselten sich mit Parolen ab, die ein ‚An
die Wand stellen!‘ forderten“. Damit ist al-
lerdings auch das Wundern vorbei, ob die
das wirklich alles so meinen. Immer wie-
der betont Hornuff, die offene Gesellschaft
dürfe nicht aufhören, auch mit ihren Geg-
nern zu sprechen, sie müsse jedenfalls im-
mer genau hinsehen und dürfe auf keinen
Fall die Nuancen aus dem Blick verlieren.

Das gipfelt in einem absurden Vorwurf
an den SPD-Abgeordneten Martin Schulz.
Der hatte im Bundestag zu Alexander
Gauland gesagt, er gehöre „auf den Mist-
haufen der deutschen Geschichte“. Horn-
uff findet das empörend: „In solchen Au-
genblicken mögen sich die Gegner der Neu-
en Rechten zwar noch als Anwälte einer
freien und offenen Gesellschaft wahrneh-
men – tatsächlich aber vollenden sie in Stil
und Duktus, in Sprache und Bildern, in Ha-
bitus und Symbolik, ja letztlich im Denken
und Handeln, was sie zurückzudrängen
vorgeben.“ Wer Faschisten Faschisten
nennt, ist also Faschist?
In einer Hinsicht hat der Bildwissen-
schaftler allerdings Recht. Schulz’ „Mist-
haufen der deutschen Geschichte“ hat tat-
sächlich Bild-oberflächliche Ähnlichkei-
ten mit Gaulands Greatest Hit „Hitler und
die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über
1000 Jahren erfolgreicher deutscher Ge-
schichte“. Beide Metaphern klingen Schei-
ße – aber nur Gaulands riecht auch so.
Schulz will den besiegten Faschismus
kleinhalten, Gauland den gestrigen kleinre-
den, um den von heute groß zu machen.
Solche Nuancen sind aber nur solange
wichtig, bis einer die Knarre rausholt.
Wenn sich rechte Mobs bewaffnen, tau-
sendfach drohen und hundertfach mor-
den, sollte mal Schluss sein mit den ewigen
Samthandschuhen. Ist es wirklich nötig,
den „Neuen Rechten“ immer wieder aufs
Neue zu beweisen, dass ihr Verhältnis zu
„klassisch“ gewaltbereiten Rechtsradika-
len alles andere als trennscharf ist? Irgend-
wann müsste man das doch mal verstan-
den haben – und Schritte einleiten.
Die „neue“ rechte Masche – erst „Selbst-
verharmlosung“ betreiben und dann bei
geringster Gegenwehr „Ausgrenzeritis“
schreien (beide Begriffe: Götz Kubitschek)


  • wird doch selbst in den eigenen Reihen
    nicht mehr durchgehalten. Darum findet
    sogar Hornuff am Schluss erstaunlich kla-
    re Worte: „Hier kann es tatsächlich nur die
    Beziehung der sozialen Ächtung und gesell-
    schaftlichen Ausgrenzung geben – auch
    auf die Gefahr hin, die Glut damit erst
    recht zum Lodern zu bringen.“ Da hat er
    Recht. jan füchtjohann


Daniel Hornuff:Die Neue Rechte und ihr Design.
Vom ästhetischen Angriff auf die offene Gesell-
schaft. Transcript Verlag, Bielefeld 2019. 142 Sei-
ten, 19,99 Euro.

Die Bücher der Holtzbrinck-Verlage
werden ab dieser Saison mit einem
neuen Aufkleber ausgeliefert. Der Auf-
kleber ist grün und trägt den Slogan
„Der Umwelt zuliebe“. Betroffen sind
die Verlage Droemer Knaur, Kiepenheu-
er & Witsch, Rowohlt und Fischer. Holtz-
brinck-CEO Jörg Pfuhl, der zuletzt we-
gen seiner Personalpolitik beim Ham-
burger Rowohlt-Verlag für Aufsehen
gesorgt hatte, möchte mit dem neuen
Aufkleber darauf aufmerksam machen,
dass sein Haus schon seit 2014 klima-
neutral wirtschafte, berichtet das Fach-
magazin „buchreport“. In den vergange-
nen 5 Jahren hätten die deutschen Holtz-
brinck-Buchverlage ihren CO2-Ausstoß
in Deutschland um 31 Prozent redu-
ziert, heißt es weiter. sz

Nachdem die französische Regierung
aus Sorge vor einer Ausbreitung des
Corona-Virus’ Veranstaltungen mit
über 5000 Teilnehmern untersagt hat,
fällt neben dem PariserSalon du Livre
auch die „Paris Manga et Sci-Fi Show“
in Versailles aus. Die Lit.Cologne und
die Leipziger Buchmesse hingegen
halten an ihren Plänen fest, auch die
Londoner Buchmesse soll wie geplant
stattfinden. Deren Hallen leeren sich
allerdings nahezu stündlich: Vor Redak-
tionsschluss haben neben dem amerika-
nischen Verlag Simon&Schuster auch
die US-Ableger von Penguin Random
House, HarperCollins, Macmillan und
Hachette sowie Amazon ihreTeilnah-
me abgesagt. Bereits im Vorfeld haben
sich Aussteller aus China, Japan und
Südkorea zurückgezogen. Die Londoner
Messe erklärte, man fahre wie geplant
fort, solange es von Seiten der briti-
schen Regierung keine anderslauten-
den Anweisungen gebe. Ihren verbliebe-
nen Teilnehmern empfehlen die Veran-
stalter, Desinfektionsmittel mitzubrin-
gen und auf Sauberkeit und Hygiene an
ihren Ständen besonderen Wert zu le-
gen. Spanien meldet unterdessen den
ersten Schriftsteller, der sich mit dem
Virus infiziert hat: Der chilenische Au-
torLuis Sepulveda, der im Norden des
Landes lebt, habe sich vermutlich in
Portugal angesteckt, wo er kurz zuvor
am Festival „Correntes d’Escritas“ teil-
genommen habe, berichtet die französi-
sche Zeitschrift „Livres Hebdo“. sz

„Storch Heinar“ heißt die vom Juso-Projekt „Endstation rechts“ betriebene satiri-
sche Kampagne, die eine bei Rechtsextremen beliebte Marke parodiert. FOTO: DDP

Allzu viel Bekanntes sieht


die Figur im derzeit so schicken


Berlin der Zwanzigerjahre


„Tausende Springerstiefel
wurden durch
Sneakers ersetzt.“

Die Schule der Unauffälligkeit


Daniel Hornuff untersucht, wie sich neue Rechte wie liberale Bürger gebärden. Darauf sollte man sich aber nicht mehr einlassen


Immer wieder betont Hornuff,
die offene Gesellschaft müsse auch
mit ihren Gegnern sprechen
Neue Aufkleber

Absagen in London und Paris


Aris Fioretos:
Nelly B.s Herz. Roman.
Aus dem Schwedischen
von Paul Berf.
Carl Hanser, München 2020.
331 Seiten, 24 Euro.

Sie diskutiert die Muskeln über
Irmas Gesäß, berührt Flaumhaare
mit der Zunge

(^12) LITERATUR Dienstag, 3. März 2020, Nr. 52 DEFGH
Hedwig Amelie „Melli“ Beese war ein Mädchen aus gutem Hause, aber eines mit Vorliebe für Abenteuer. 1911 legte sie die
Pilotenprüfung ab. Bald darauf eröffnete sie in Berlin-Johannisthal eine Flugschule. FOTO: PICTURE ALLIANCE / DPA
KURZ GEMELDET

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