Süddeutsche Zeitung - 03.03.2020

(Tina Sui) #1
von nora ederer

W


enn Erwachsene mit kleinen
Kindern sprechen, hört sich das
oft seltsam an. Ihre Stimme wird
höher. Sie lachen, reißen die Augen auf
und stellen Fragen, auf die sie keine
Antwort erwarten. Zu einem Hund sagen
sie Wauwau, aus einem Auto wird ein
Brumbrum, und wenn sich die Tochter das
Knie aufschlägt, hat sie keine Schmerzen,
sondern Aua. Babysprache eben.
Erwachsene mögen sich in der Öffent-
lichkeit albern vorkommen, wenn sie dem
Sohn übertrieben artikuliert erklären,
dass er von einem Brumbrum überfahren
wird, wenn er bei Rot über die Ampel läuft.
„Doch diese speziell an Kinder gerichtete
Sprache kann den Kleinen beim Sprechen-
lernen tatsächlich helfen“, sagt Katharina
Zahner. Die Linguistin forscht am Baby-
sprachlabor der Universität Konstanz zu
kindgerichteter Sprache. Zahner nennt sie
auch „Infant Directed Speech“.
Die Konstanzer sind Teil des „Many
Babies“-Konsortiums, einem Zusammen-
schluss von 67 Sprachlaboren aus Nord-
amerika, Europa, Asien und Australien.
Nun trägt die Partnerschaft erste Früchte:
In einer Studie, die demnächst im Fach-
blattAdvances in Methods and Practices in
Psychological Scienceerscheint, werten die
Forscher Experimente mit mehr als 2300
Babys und Kleinkindern aus aller Welt aus.
In den verschiedenen Laboren hörten die
Kinder Tonaufnahmen, von denen einige
in kindgerichteter Sprache gehalten waren,
andere in Erwachsenensprache. Im Kon-
stanzer Labor saßen die Kinder etwa auf
dem Schoß eines ihrer Eltern, während
eines von zwei roten Lichtern leuchtete, je
nachdem, aus welcher Richtung die Aufnah-
me kam. Katharina Zahner und ihre Kolle-
ginnen stoppten dann, wie lange die Babys
auf eines der beiden Lichter schauten. So
konnten sie ableiten, wie aufmerksam die
sechs bis neun Monate alten Kinder den ver-
schiedenen Sprechweisen lauschten.

Am Ende konnten die Wissenschaftler
bestätigen, was Generationen von Entwick-
lungspsychologen lange vermutet und im
Kleinen getestet hatten: Babys und Klein-
kinder folgen dem Gesagten aufmerksa-
mer, wenn sie es in Babysprache hören. Im
internationalen Durchschnitt bevorzugten
knapp 60 Prozent der Kinder die an sie
gerichtete Sprechweise. Je älter die Kinder
waren, desto deutlicher wurde diese Vor-
liebe für Babysprache. Diese zeichnet sich
nicht nur durch ihr vereinfachtes Vokabu-
lar aus. Erwachsene sprechen mit kleinen
Kindern auch langsamer und in einer höhe-
ren Stimmlage, dazu betonen sie Vokale
überdeutlich. „Das nennen Linguisten Hy-
perartikulation“, sagt Katharina Zahner.
So wird aus einer Tomate zum Beispiel
eine Too-maaa-te.

„Im Deutschen ist kindgerichtete Spra-
che immer noch relativ ähnlich zur Erwach-
senensprache“, sagt Zahner. „Ihre Sprach-
melodie ist zwar höher und variabler, im in-
ternationalen Vergleich ist sie aber immer
noch viel moderater als zum Beispiel ame-
rikanische Babysprache.“ Dass kindgerech-
te Sprache rund um den Globus verbreitet
ist, fiel dem US-Amerikaner Charles Fergu-
son als einem der Ersten auf. 1964 verglich
der Sprachwissenschaftler in einem Auf-
satz den „Baby Talk“ sechs verschiedener
Sprachen, darunter Englisch, Spanisch,
Arabisch und das in Indien verbreitete Ma-
rathi. Mittlerweile weiß man, dass kindge-
richtete Sprechweisen in vielen weiteren
Sprachen vorkommen, etwa in Mandarin,
Ungarisch, Schwedisch, Thai und Lettisch.
Deshalb vermuten manche Wissenschaft-
ler, dass diese Art, mit kleinen Kindern zu
sprechen, biologisch tief verwurzelt ist.
Doch es gibt auch Kulturen, in denen Baby-
sprache so gut wie gar nicht vorkommt –

etwa bei den Kisii im Westen Kenias oder
bei Nachfahren der Maya auf der mexikani-
schen Halbinsel Yucatán.
Doch wieso sprechen die meisten
Erwachsenen überhaupt so komisch mit
Kindern? „Im Grunde geht es darum, Auf-
merksamkeit zu erregen“, sagt Katharina
Zahner. Das gelingt eben am besten, in-
dem man überdeutlich und abwechslungs-
reich erzählt, das Gesicht verzieht, mit
dem Finger auf die Dinge zeigt, über die
man spricht. Denn interessiert sich das
Kind für das Gesagte, dann fällt ihm auch
das Sprechenlernen leichter.
Ein Forscherteam um die Linguistin
Naja Ferjan Ramírez von der University of
Washington hat kürzlich untersucht, wie
Eltern den Effekt von Babysprache am bes-
ten nutzen können. Dazu rekrutierten die
Wissenschaftlerinnen 71 Elternpaare und
baten sie, ein Jahr lang Sprachaufnahmen
zu machen von ihren sechs bis 18 Monate
alten Babys und ihrer Umgebung. Zu-
sätzlich besuchten knapp zwei Drittel der
Eltern Sitzungen bei Sprachexperten. Dort
hörten sie sich die Aufnahmen ihrer Kin-
der an und besprachen Übungen, wie sie
ihren Nachwuchs beim Sprechen unter-
stützen können. Zum Beispiel durch das
gemeinsame Ansehen eines Bilderbuchs
oder durch mehr Unterhaltungen im All-
tag, etwa beim Windelnwechseln, baden
oder einkaufen. Außerdem formulierten
die Eltern Ziele, die die Kinder bis zum
nächsten Termin erreichen sollten, etwa
das Sprechen erster Worte oder Sätze.
Tatsächlich zeigten die Sitzungen mit
den Sprachexperten Wirkung: Wie Ferjan
Ramírez und ihre Kolleginnen kürzlich in
der FachzeitschriftPNASberichteten, spra-
chen die gecoachten Eltern im Verlauf des
Experiments nicht nur mehr, sondern
auch zunehmend in kindgerichteter Spra-
che mit ihrem Nachwuchs. Gleichzeitig ver-
größerte sich das Sprachvermögen ihrer
Kinder schneller. So beherrschten die Kin-
der der gecoachten Eltern nach 18 Mona-
ten im Schnitt etwa 100 Wörter, während

die Babys der anderen Gruppe nur auf et-
wa 60 Wörter kamen.
Bettina Braun, Leiterin des Babysprach-
labors der Universität Konstanz, findet die
Studie ihrer Kolleginnen im Grunde gut,
vor allem wegen des langen Beobachtungs-
zeitraums und Aufnahmen aus dem Alltag.
Trotzdem gehe von der Studie ein falsches
Signal aus. „Zu uns kommen schon jetzt
viele verunsicherte Eltern, die Angst ha-
ben, ihre Kinder nicht richtig zu fördern“,
sagt Braun. Aus Erfahrung weiß die
Linguistin aber: „Eltern machen intuitiv
vieles richtig.“ So verfallen die meisten Er-
wachsenen automatisch in Babysprache,
wenn sie sich mit kleinen Kindern unter-
halten. Auch Katharina Zahner ist über-
zeugt: „Ein eigenes Coaching für Eltern
braucht es für eine gesunde Sprachent-
wicklung nicht.“

Trotzdem können Eltern ihren Nach-
wuchs natürlich unterstützen. Zum Bei-
spiel hilft es den Kleinen beim Wörter-
lernen, wenn in Gesprächen oft ihr eigener
Name fällt. „Wir wissen, dass Kinder an-
fangs noch keine Grenzen zwischen den
einzelnen Wörtern erkennen“, sagt Braun.
„Für sie ist alles ein großes Durcheinan-
der.“ So müssen Babys erst einmal lernen,
Anfang und Ende verschiedener Wörter
herauszufiltern, bevor sie verstehen, was
die einzelnen Wörter bedeuten. „Dabei
kann der eigene Name ein wichtiger Anker
sein“, so Braun. Denn von diesem wissen
selbst die Kleinsten schon, dass er ein
eigenständiges Wort ist. Später hilft es den
Kindern, wenn man in Unterhaltungen
immer wieder auf die Objekte zeigt, von
denen man gerade spricht. Am wichtigsten
ist laut den Experten aber eins: Entspannt
bleiben und so oft wie möglich mit den
Kleinen ins Gespräch kommen.

Anhänger der Selbstoptimierung klagen
gerneüber die viele nutzlose Zeit, die im
Schlaf vertan wird. Bis zu ein Drittel des Le-
bens geht schließlich fürs Schlummern
drauf. Dabei ist längst bekannt, wie wich-
tig ausreichender Schlaf für die Gesund-
heit ist. Nun beschreiben Mediziner aus
Harvard, dass unregelmäßiger Schlaf so-
gar die Gefäße angreift. Wer immer wieder
zu anderen Zeiten ins Bett geht und unter-
schiedlich lange schläft, erhöht demnach
sein Risiko für Herzinfarkt und Schlagan-
fall um mehr als das Doppelte.
Schlafforscher und Kardiologen um
Tianyi Huang beschreiben imJournal of
the American College of Cardiology,wiees
den fast 2000 Teilnehmern ihrer Studie er-
gangen ist, die sie im Mittel über fünf Jahre
beobachtet haben. Die Probanden im Alter
zwischen 45 und 84 Jahren trugen zwi-
schendurch für eine Woche Aktivitätsmes-
ser an den Handgelenken, sodass ihre
Wach- und Ruhezeiten nicht nur auf per-
sönlichen Angaben beruhten, sondern de-
tailliert nachverfolgt werden konnten. Die
Forscher unterteilten die Teilnehmer in
vier Gruppen, je nachdem, ob sich ihre
nächtliche Schlafdauer kaum veränderte
oder von Tag zu Tag mehr als zwei Stunden
Unterschied zeigte. Auch die Zeit, wann die
Probanden ins Bett gingen, wurde berück-
sichtigt – weniger als eine halbe Stunde Un-
terschied von Tag zu Tag galt als regelmä-
ßig. Das andere Extrem waren mehr als
90 Minuten Differenz von Tag zu Tag.
Je unregelmäßiger der Schlafrhythmus
ausfiel, desto stärker stieg das Risiko für
Gefäßkomplikationen. „Wenn es darum
geht, Infarkte oder Schlaganfall zu verhin-
dern, konzentrieren wir uns auf Ernäh-
rung und Bewegung“, sagt Huang. „Und
auch wenn wir über den Schlaf reden, geht
es meistens um die Dauer und nicht um die
Regelmäßigkeit und Auswirkungen, die es
hat, wenn jemand oft zu unterschiedlichen
Zeiten ins Bett geht oder jede Nacht unter-


schiedlich viel Schlaf bekommt.“ Die ak-
tuelle Studie zeige, dass es nicht nur um
die Quantität geht, sondern dass ständiger
Wechsel das Herz beeinträchtigt.
Umgerechnet auf 1000 Erwachsene mitt-
leren und höheren Alters hätten innerhalb
eines Jahres acht mit einem Infarkt oder
Schlaganfall zu rechnen, wenn ihr Schlaf-
muster regelmäßig ist, so die Forscher. Bei
besonders unregelmäßigem Schlaf wür-
den hingegen 20 von 1000 Erwachsenen ei-
nen kardiovaskulären Zwischenfall erlei-
den. „Der Schlafrhythmus lässt sich verän-
dern“, sagt Huang. „Insofern handelt es
sich um einen unterschätzten Risiko-
faktor, der leicht zu beeinflussen ist.“

Regelmäßiger Schlaf zu festen Zeiten
gilt als langweilig, ja geradezu spießig.
Doch spätestens wenn junge Menschen El-
tern werden, schätzen sie ihren Schlaf wie-
der mehr – und reagieren dünnhäutig,
wenn sie ihn nicht bekommen. Mediziner
wissen, dass zu wenig Schlaf die Neigung
zu Übergewicht und diversen Krankheiten
wie Diabetes erhöht. Schichtarbeiter und
Flugpersonal, das ständig in verschiede-
nen Zeitzonen unterwegs ist, haben ein
erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko. Zudem ist
das Gedächtnis gestört, und Gelerntes
wird schneller wieder vergessen, wenn
Schlaf fehlt. Eine weitere Erklärung für
den engen Zusammenhang zwischen
Schlaf und Kreislauf könnte sein, dass der
zirkadiane Rhythmus, also die Abfolge von
Aktivität und Ruhe, Wachen und Schlaf im
Tageslauf, eng mit den Rhythmen und
Funktionen von Blutdruck, Herzschlag
und Gefäßelastizität gekoppelt ist. Wird
das eine gestört, wirkt sich das negativ auf
das andere aus. werner bartens

In einem armenischen Kloster in Venedig
istdurch Zufall ein rund 5000 Jahre altes
Schwert entdeckt worden. Die Waffe soll
zu den ältesten Schwertern der Mensch-
heitsgeschichte zählen, sie stammt ver-
mutlich aus der Region um die bronzezeitli-
che Siedlung Arslantepe in der heutigen
Türkei.
Der Archäologin Vittoria Dall’Armellina
von der Universität Venedig war bei einem
Besuch des Klostermuseums auf der Insel
San Lazzaro die grünliche Waffe in einer
Vitrine aufgefallen. Keinerlei Inschrift
oder Dekoration zierte den Gegenstand, er
schien aber deutlich älter zu sein als
angegeben. Eine Laboruntersuchung der
Metallzusammensetzung bestätigte den
Verdacht: Das Schwert ließ sich auf Ende
des vierten oder Anfang des dritten
Jahrtausends vor Christus datieren und
besteht aus arsenhaltigem Kupfer. Diese
Legierung ist aus dem ostanatolischen


Arslantepe bekannt, einem der frühesten
Zentren der Metallverarbeitung. Durch die
Kombination von arsenhaltigem Erz und
Kupfer entstand Arsenbronze – eine harte
Verbindung, mit der sich erstmals Schwer-
ter schmieden ließen. Waffen dieser Gat-
tung sind rund tausend Jahre älter als
andere bekannte Schwerter.
Doch wie gelangte das Artefakt nach
Venedig? Die Archive des Museums liefern
lediglich den Hinweis, dass die Waffe in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
von der türkischen Schwarzmeerküste in
das armenische Kloster kam, als Geschenk
eines armenischen Kunsthändlers.
Da keine Gebrauchsspuren auf der
Schneide erhalten sind, ist unklar, wozu
sie einst diente – als Waffe für die Schlacht
oder eher als ritueller Gegenstand. Eine
Vermutung ist, dass das Schwert als
Grabschmuck einem gefallenen Kämpfer
in den Tod mitgegeben wurde. cvei

Babys und Kleinkinder folgen dem Gesagten aufmerksamer, wenn sie es in Babysprache hören. FOTO:IMAGO IMAGES / PANTHERMEDIA

Tooo-maaa-te!


Viele Eltern sind unsicher, wie sie ihre Kinder am besten beim Sprechenlernen unterstützen.


Zu Unrecht, sagen Experten. Denn das Wichtigste machen sie meist intuitiv richtig


Wichtig ist: Entspannt bleiben
und so oft wie möglich mit den
Kleinen ins Gespräch kommen

Es gibt auch Kulturen,
in denen Babysprache
unbekannt ist

Regelmäßiger Schlaf


für Herz und Hirn


Gestörte Nachtruhe erhöht das Infarktrisiko


Schwert aus der Kupferzeit


5000 Jahre alte Waffe in Venedig entdeckt


Zu wenig Schlaf fördert
Übergewicht und
diverse Krankheiten

(^14) WISSEN Dienstag, 3. März 2020, Nr. 52 DEFGH
Schwert aus „Arsenbronze“ FOTO: PH. ANDREA AVEZZU / CA FOSCARI UNIVERSITY OF VENICE
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