Berlin – Unternehmen, die dem Bund ge-
hören, sollen künftig mit gutem Beispiel
vorangehen, was den Anteil von Frauen in
Führungspositionen angeht. So sieht es
der Entwurf von Bundesjustizministerin
Christine Lambrecht und Frauenministe-
rin Franziska Giffey (beide SPD) für das
„Zweite Führungspositionen-Gesetz“ vor.
Konkret soll im Bundesgleichstellungsge-
setz bis 2025 für die Bundesverwaltung ei-
ne paritätische Teilhabe von Frauen und
Männern an Führungspositionen festge-
schrieben werden, sprich: fifty-fifty.
Gleichzeitig soll dieses Bundesgleichstel-
lungsgesetz auch für große Kapitalgesell-
schaften „im unmittelbaren oder mittelba-
ren Alleineigentum des Bundes“ gelten.
Dem Gesetzentwurf zufolge dürften
24 Unternehmen unter die Regelung fal-
len. Prominentestes Beispiel wäre die Deut-
sche Bahn, bei der zur Zeit zwei von sieben
Vorständen Frauen sind. Ebenfalls auf der
Liste: die Bundesdruckerei, die Deutsche
Flugsicherung, die Deutsche Gesellschaft
für Internationale Zusammenarbeit oder
die Bw Fuhrpark Service GmbH der Bun-
deswehr. Der Bund solle im Verhältnis zur
Privatwirtschaft „mit gutem Beispiel vor-
angehen“, heißt es in dem Entwurf.
Auch dort, wo der Bund über die Gremi-
enbesetzung in Unternehmen mitbestim-
men darf, soll er seinen Einfluss auswei-
ten. Parität soll er nicht mehr nur für Gre-
mien anstreben, in die er mindestens drei
Mitglieder entsendet, sondern schon für
solche, in denen er über die zwei Besetzun-
gen bestimmen kann.
Der Gesetzentwurf steckte lange im
Kanzleramt fest, Ende vergangener Woche
schaffte er es dann aber doch in die Ressort-
abstimmung. Der Grund für den bislang
hakeligen Lauf der Dinge ist aber weniger
die geplante Regelung für die Bundesunter-
nehmen, als vielmehr die Tatsache, dass
Lambrecht und Giffey erstmals strikte Vor-
gaben für die Vorstände einiger Unterneh-
men planen – was die Union ablehnt.
„Der Frauenanteil auf Vorstandsebene
wird im Geschäftsjahr 2019 noch deutlich
unter zehn Prozent liegen“, heißt es in dem
Entwurf. Und: „Auffällig ist auch die große
Anzahl von Unternehmen, die sich insbe-
sondere für den Frauenanteil im Vorstand
als Zielgröße für die kommenden Jahre wei-
terhin eine Null setzen.“ Beides wollen die
Ministerinnen verändern. Zum einen pla-
nen sie deshalb eine neue Regel für börsen-
notierte und paritätisch mitbestimmte Un-
ternehmen. Dort soll künftig für die Vor-
standsetage ein „Mindestbeteiligungsge-
bot“ gelten: In Vorständen mit mehr als
drei Mitgliedern müsste dann mindestens
eine Frau sitzen. Etwa 70 Unternehmen
könnte diese Regelung betreffen.
Außerdem soll die seit 2016 geltende fi-
xe Frauenquote für Aufsichtsräte auf mehr
Unternehmen ausgeweitet werden. Bis-
lang gilt sie für Firmen, die sowohl paritä-
tisch mitbestimmt als auch börsennotiert
sind. Das zweite Kriterium soll künftig weg-
fallen. Dadurch würde die feste Quote von
30 Prozent Frauen im Aufsichtsrat für
mehr als 600 statt nur gut 100 Unterneh-
men gelten. Die Ministerinnen erhoffen
sich davon ein „beachtliches Signal“.
Strenger sollen schließlich noch jene Un-
ternehmen behandelt werden, die zwar
nicht unter eine fixe Quote fallen, sich aber
feste Ziele für den Frauenanteil im Auf-
sichtsrat, Vorstand und den zwei Ebenen
darunter geben müssen. Zum einen soll ei-
ne Zielgröße von weiterhin null Frauen in
Zukunft begründet werden müssen. Zum
anderen sollen Unternehmen, die eine Ziel-
vorgabe ganz verweigern oder gegen die
Berichtspflichten zu ihren Zielen und Fort-
schritten verstoßen, „empfindliche Buß-
gelder“ zahlen müssen.
Aus der Union kommt weiterhin Kritik.
Zwar sagt Jan-Marco Luczak (CDU), rechts-
politischer Sprecher der Unionsfraktion,
dass gemischte Teams und Gremien, in de-
nen Männer und Frauen gleichermaßen
repräsentiert seien, effizienter arbeiteten
und eine bessere Arbeitsatmosphäre hät-
ten. „Unternehmen sollten deshalb selbst
ein Interesse daran haben, den Frauenan-
teil in Aufsichtsräten und Vorständen zu
erhöhen.“ Eine gesetzlich festgelegte Ge-
schlechterquote für den Vorstand stelle
allerdings „einen erheblichen Eingriff in
die unternehmerische Freiheit und die
operative Unternehmensführung dar“.
henrike roßbach Seite 4
DEFGH Nr. 52, Dienstag, 3. März 2020 HMG 15
von markus balser, michael
bauchmüller, bastian brinkmann
und jan willmroth
Berlin/München/Frankfurt–Im gläser-
nen Turm am Potsdamer Platz beobachten
sie die Folgen des Virus. Würden die Men-
schen weniger Bahn fahren und ihre Ti-
ckets stornieren, fällt das in der Zentrale
der Deutschen Bahn direkt auf. Hier laufen
die Daten über das Reiseverhalten des Lan-
des ein. Doch noch sind die Züge voll: „Die
Deutsche Bahn hat in den vergangenen sie-
ben Tagen keine Nachfrageeinbrüche ver-
zeichnet“, sagt ein Sprecher. „Im Vergleich
zum Vorjahr wächst die Zahl der Buchun-
gen im Fernverkehr zurzeit sogar weiter.“
Allenfalls könne das Wachstum etwas klei-
ner ausfallen.
Die Bahn steht für die Lage im ganzen
Land. Die Firmen befinden sich in besorg-
ter Erwartung, was da heranrollt, auch
wenn bei ihnen gerade alles noch im Regel-
betrieb läuft. Mitarbeiter schicken einan-
der Whatsapp-Fotos mit leeren Super-
marktregalen zu: Nudeln und andere halt-
bare Lebensmittel sind mancherorts aus-
verkauft. Firmen und Politik diskutieren,
was jetzt zu tun ist, die Debatten kreisen
um Absatzprobleme und Lieferengpässe.
„Der Umgang mit den Folgen des Coronavi-
rus hat für die deutsche Wirtschaft erhebli-
che Auswirkungen“, sagt Ilja Nothnagel,
Mitglied der Hauptgeschäftsführung des
Deutschen Industrie- und Handelskam-
mertags. „Nach wie vor ist es die wichtigste
Hilfe auch für die Wirtschaft, im Kampf ge-
gen das Virus erfolgreich zu sein.“
Manche Branchen spüren schon die ers-
ten Folgen. Hotels berichteten von Stornie-
rungen, weil Großveranstaltungen abge-
sagt wurden. Die Situation habe sich leider
deutlich verschärft, warnt der Deutsche
Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga).
Seriös ließe sich der Schaden noch nicht be-
ziffern, erste Rückmeldungen aus Betrie-
ben zeigten Einbußen im hohen sechs- bis
siebenstelligen Bereich. Die Branche erwar-
te deshalb politische Unterstützung. Der
Verband fordert Liquiditätshilfen und För-
dermaßnahmen, „die schnell und unbüro-
kratisch wirken“, etwa Steuersenkungen.
Auch die OECD bringt direkte Konjunk-
turhilfen für Unternehmen wegen des Co-
ronavirus ins Spiel. Vor allem im Finanzsys-
tem müsse angemessene Liquidität sicher-
gestellt sein, heißt es in der neuen Weltwirt-
schaftsprognose der Organisation. Die
OECD schätzt, dass sich das globale Wachs-
tum halbiert, falls das Virus nicht in den
Griff bekommen wird. Regierungen soll-
ten entschlossen handeln, unter anderem,
„um das finanzielle Überleben der am
stärksten betroffenen Unternehmen und
Haushalte zu garantieren“, sagte OECD-
Chefvolkswirtin Laurence Boone. Banken
müssten ausreichend Möglichkeiten ha-
ben, vor allem kleinen und mittelgroßen
Firmen mit kurzfristigen Geldsorgen über
die Zeit zu helfen. In besonders betroffe-
nen Regionen wären vom Staat organisier-
te Erleichterungen denkbar, beispielswei-
se Subventionen für Energiekosten oder
Steuerstundungen.
„Der Dienstleistungssektor ist anfällig“,
sagt Roland Döhrn vom Wirtschaftsfor-
schungsinstitut RWI. „Messen werden ab-
gesagt, Kreuzfahrten in Asien ebenso.“
Man müsse aber auch sagen: „Das allein
reißt Deutschland nicht in die Rezession“.
Für die Konjunktur problematischer
wird China. Das Land hat große Teile der
Wirtschaft stillgelegt, um den Virus zu be-
kämpfen. Die Folge: „Chinas Wirtschafts-
leistung im ersten Quartal wird einbre-
chen – und damit werden auch unsere Ex-
porte eingebrochen sein“, sagt Jörg Krä-
mer, der Chefvolkswirt der Commerz-
bank. „Ein Minus von zehn Prozent ist da
locker drin.“ Claus Michelsen vom Wirt-
schaftsforschungsinstitut DIW schätzt,
dass der China-Effekt das deutsche Wachs-
tum 0,2 Prozentpunkte kosten könnte. Das
Risiko sei zudem groß, dass der Einbruch
größer werde – und das in einem Jahr, für
das viele Ökonomen schon vor dem Corona-
virus nur ein Wachstum von um die ein Pro-
zent erwartet hatten.
Die Rufe der Firmen nach dem Staat
könnten daher erhört werden, Überlegun-
gen dazu gibt es auch innerhalb der Bun-
desregierung. Kurzfristige Liquiditätshil-
fen für Firmen existieren schon jetzt, etwa
über die Staatsbank KfW. Notfalls ließen
sich die Mittel dafür auch aufstocken,
heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.
„Eine Bürgschaft kann das unternehmeri-
sche Überleben sichern“, sagt Konjunktur-
forscher Michelsen. „Das lässt sich fallwei-
se gut überprüfen.“
Zusätzlich würde Bundeswirtschaftsmi-
nister Peter Altmaier (CDU) gerne Pläne for-
cieren, die schon länger in Arbeit sind. Et-
wa eine Steuerförderung digitaler Wirt-
schaftsgüter. Oder steuerliche Verbesse-
rungen für Personengesellschaften, was
zurückgestellte Gewinne angeht. Nicht um
Konjunkturprogramme gehe es, sagt Alt-
maier. Man müsse „zu gegebener Zeit“ oh-
nehin geplante Maßnahmen vorziehen,
um die Konjunktur zu stimulieren. „Steuer-
senkungen wirken schnell, wären aber
nicht zielgerichtet“, sagt Commerzbank-
Volkswirt Krämer.
Am Wochenende hatte Finanzminister
Olaf Scholz (SPD) ein Konjunkturpro-
gramm in Aussicht gestellt, sollte sich die
Lage verschärfen. Allerdings gibt es selbst
innerhalb der Wirtschaft Zweifel, ob ein
milliardenschweres Paket viel brächte: Es
würde den Fachkräftemangel weiter ver-
schärfen, und bei großen Infrastrukturpro-
jekten fehlt es nicht am Geld, sondern eher
an Baufirmen.
Möglich wäre auch, dass Firmen ihre
Mitarbeiter jetzt Überstunden abbauen
und sie später nacharbeiten lassen. Auch
Kurzarbeit ist denkbar – sie gilt vielen
Volkswirten als Maßnahme, die sich in Kri-
senfällen bewährt hat.
Die Unsicherheit ist groß. Auch bei der
Bahn weiß man, dass sich die Lage schnell
ändern kann. Im Konzern tagen regelmäßi-
ge Krisenrunden. Man sei „in ständigem
Austausch mit den Gesundheitsbehörden,
dem Bundesinnenministerium sowie dem
Bundesverkehrsministerium“. Die hätten
weitere Entscheidungen zum Bahnbetrieb
in der Hand, sagt ein Bahnsprecher. Bis-
lang gab es keinen begründeten Corona-
Verdachtsfall in den Zügen. Die Bahn aber
hat Pläne für diesen Fall vorbereitet: Der
betroffene Bereich werde gesperrt und
nach der Fahrt professionell gereinigt und
desinfiziert. Fahrgäste würden vom Zug-
personal informiert, dass sie ihre Kontakt-
daten hinterlegen sollten, um von den Be-
hörden bei Bedarf kontaktiert zu werden.
von hendrik munsberg
W
er hat Angst vor KI, also vor
künstlicher Intelligenz? Die
meisten Menschen merken gar
nicht, wenn ihnen im Alltag KI begegnet.
Dabei genügt schon ein Anruf im Telekom-
Service-Center: Man soll seine Kunden-
nummer nennen und fragt hilflos: „Wo
steht die denn?“ Eine seltsam freundliche
Stimme entgegnet: „Oben rechts auf Ihrer
Rechnung“. Was da spricht, ist ein Bot, ei-
ne primitive Form von KI – die Maschine
kann simple Situationen bewältigen. Bei
Sprachassistenten wie Siri oder Alexa re-
agieren viele schon ablehnender, aus Sor-
ge vor Rundum-Überwachung ihres Zu-
hauses. Aber Millionen Konsumenten
stört selbst das nicht, sie finden, dass KI
ihr Leben erleichtert, wenn Musikwün-
sche auf Zuruf erfüllt werden.
Inzwischen aber müsste jedem klar
sein, wie bedeutsam KI ist. Und warum
auch der Staat dringend gefordert ist,
klug steuernd einzugreifen. Denn schon
bald könnten Millionen Beschäftigte in
Deutschland fundamental an ihrem Ar-
beitsplatz betroffen sein: Wenn KI lücken-
los überwacht, was sie sagen und fühlen.
Und wenn daraus ernste berufliche Konse-
quenzen erwachsen.
Wie akut das Problem ist, hat der Mode-
händler Zalando gerade erst illustriert.
Ausgerüstet mit der Personalsoftware Zo-
nar bat das Bekleidungsunternehmen sei-
ne Mitarbeiter, sich gegenseitig zu beno-
ten. Zu Recht schlägt die Organisation Al-
gorithm Watch jetzt Alarm: Was, wenn im-
mer mehr Firmen auf solche WeisePeople
Analyticsbetreiben? Wenn sie mit han-
delsüblicher Software Daten über Mitar-
beiter nutzen, um deren persönliche Leis-
tungen vorherzusagen? Und wenn das zur
Grundlage von Personalentscheidungen
wird – am Ende sogar ein Auslöser fürs
Fördern und Feuern?
Die Aufregung kommt wie gerufen für
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil
und sein „Deutsches Observatorium für
Künstliche Intelligenz“, das der Sozialde-
mokrat an diesem Dienstag in Berlin eröff-
nen will. Dessen Hauptaufgabe soll sein,
die Auswirkungen von KI-Anwendungen
auf Arbeit und Gesellschaft zu untersu-
chen und staatliche Eingriffe vorzuberei-
ten. So entsteht ein TÜV für künstliche In-
telligenz in Firmen, zunächst als kleinere
Einheit im Arbeitsministerium. Doch
schon steht fest, dass daraus eine verita-
ble Behörde wird mit vielen neuen Stellen.
Das mag vernünftig klingen, gibt aber
auch Anlass zur Besorgnis – vor allem,
wenn sich eine solche Einrichtung im Ein-
flussbereich eines SPD-Ministers befin-
det, dessen bis in die Grundfesten erschüt-
terte Partei beinahe panisch darauf be-
dacht ist, im Zweifel durch symbolische
Politik Wählerstimmen zurückzugewin-
nen, obgleich das bisher nie funktionierte.
Fest steht jedenfalls: Gesetzliche Gren-
zen für den Einsatz vonPeople Analytics
in Firmen gibt es längst. Das Datenschutz-
recht erlaubt nur, was erforderlich ist für
das Beschäftigungsverhältnis. Wer Arbeit-
nehmerdaten analysieren will, um persön-
liche Leistungen zu prognostizieren,
braucht vorher die – freiwillige – Einwilli-
gung jedes Betroffenen. Eine andere Mög-
lichkeit ist, solche Verfahren per Betriebs-
vereinbarung zwischen Betriebsräten
und Unternehmensleitung zu regeln.
Wahr ist aber auch, dass die meisten Fir-
men und Beschäftigten noch viel zu wenig
wissen über KI und ihre Folgen für Betrie-
be. Deswegen experimentieren unprofes-
sionelle Firmenleitungen lieber in der Ver-
botszone. Zugleich verspüren aber auch
Betriebsräte wenig Drang, Betriebsverein-
barungen zu schließen, deren Folgen sie
nicht überblicken.
Was also macht ein intelligenter Ar-
beitsminister in dieser Lage? Zuerst sagt
er Sätze wie: Künstliche Intelligenz soll Ar-
beit besser machen, damit aus digitalem
Wandel auch sozialer Fortschritt wird.
Doch anschließend erlässt er nicht flugs
neue Gesetze und Verordnungen, sondern
informiert zunächst alle Betroffenen ge-
meinsam – Beschäftigte und Unterneh-
mensführungen – über die Spielarten
künstlicher Intelligenz in Produktionspro-
zessen und Betrieben. Zugleich verfasst er
eine Broschüre, in der die geltenden recht-
lichen Regelungen aufgeführt sind, die
längst auch für KI gelten.
Wenn er nicht nur intelligent, sondern
klug ist, dann stellt ein Minister wie Hu-
bertus Heil auch diese Frage: Ist es eigent-
lich typisch deutsch, dass es schon eine Be-
hörde für die Anwendung künstlicher In-
telligenz gibt, noch bevor diese Basistech-
nologie der Zukunft in deutschen Produk-
ten und Produktionsprozessen im welt-
weiten Maßstab nennenswert vorkommt?
Eine kluge Antwortet lautet: Nur wenn
Transparenz herrscht über KI und die Fol-
gen, wird sich dieses Geschäftsfeld in deut-
schen Firmen gedeihlich entwickeln.
Eine Comeback? Nein, versichern alle Be-
teiligten, ganz bestimmt nicht, nur eine
Übergangslösung. Aber wer weiß – viel-
leicht zieht es Jochen Zeitz, 56, ja doch zu-
rück ins Managerleben. Vielleicht braucht
der frühere Puma-Chef eine neue berufli-
che Herausforderung. Vielleicht reicht es
ihm nicht mehr, das Leben als Kunst-
Sammler, Familienvater und Ranch-Besit-
zer, die ständige Pendelei zwischen Lon-
don, Paris, Kapstadt und Kenia. Und nicht
zu vergessen zwischendurch auch nach
Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin.
Dort hat der legendäre Motorrad-Her-
steller Harley Davidson seine Zentrale, den
eine Ikone zu bezeichnen sicher nicht
falsch ist, auch wenn der Begriff an sich
überstrapaziert wird. Seit 116 Jahren gibt
es den Zweiradbauer, der spätestens seit
dem Film „Easy Rider“ 1969, als Peter Fon-
da auf einer Harley durch den weiten, ame-
rikanischen Westen cruiste, wie kein ande-
rer den ganz großen Traum von Freiheit
symbolisiert. Seit 13 Jahren sitzt Jochen
Zeitz im Aufsichtsrat von Harley Davidson.
Den Posten übernahm er, als er noch Chef
des deutschen Sportartikelherstellers Pu-
ma war. Nun übernimmt er den Vorstands-
vorsitz bei Harley. Nur vorübergehend,
heißt es offiziell.
Wie lange auch immer – der Job will auf
den ersten Blick so gar nicht zu dem The-
ma passen, das Zeitz bei seinen wenigen,
wohldosierten öffentlichen Auftritten und
Interviews in den vergangenen Jahren ger-
ne in den Mittelpunkt rückte: Nachhaltig-
keit. Gar den „Dalai Lama der Wirtschaft“
nannte ihn ein Magazin, das es inzwischen
allerdings nicht mehr gibt. Laute, spritfres-
sende Motorräder im Einklang mit der Um-
welt? Doch, doch, versicherte Zeitz erst vo-
rigen Sommer, das passe schon. Gerade
Harley Davidson denke groß, ganz neu und
in die Zukunft. Und im Übrigen klänge das
erste E-Bike der Marke eher wie ein Düsen-
jet als wie ein Motorrad.
Was alles nichts daran ändert, dass Har-
ley Davidson in der Krise steckt. Seit fünf
Jahren sinken die Verkäufe. Die vorwie-
gend männliche Kundschaft überaltert.
Die aggressive Handelspolitik von Donald
Trump führte dazu, dass Europäer und Chi-
nesen im Gegenzug höhere Einfuhrzölle
auf Harley-Importe verlangen, was die Ma-
schinen verteuert. Apropos Trump: Wegen
Produktionsverlagerungen von Harley ins
Ausland giftet der US-Präsident gerne öf-
fentlich gegen die Firma, was zu Boykott-
aufrufen seiner Unterstützer führte.
Als Folge von alledem muss nun Matt Le-
vatich nach insgesamt 26 Harley-Jahren
und davon fast fünf als Firmenlenker ge-
hen und Jochen Zeitz übernimmt. Der Arzt-
sohn und Hobbyjäger kennt sich mit Fir-
men in Not aus. Als er 1993 mit gerade mal
30 Jahren den Chefposten bei Puma über-
nahm, schien die angestaubte Sportartikel-
marke am Ende. Doch Zeitz, der ein halbes
Dutzend Sprachen spricht, machte daraus
eine trendige Sportmodemarke, einen Mil-
liardenkonzern und aus sich einen der best-
bezahltesten deutschen Manager. Dann al-
lerdings ging es abwärts. Puma hatte vor
lauter Mode an sportlicher Identität verlo-
ren. 2011 trat Zeitz ab und verabschiedete
sich zum damaligen Puma-Mutterkonzern
Kering nach Paris.
In den folgenden Jahren sortierte Jo-
chen Zeitz sein Leben neu, verlagerte seine
Aktivitäten vor allem nach Afrika und wid-
mete sich der Kunst. Im Hafen von Kap-
stadt (Südafrika) schuf er eines der wich-
tigsten Museen für zeitgenössische afrika-
nische Kunst. Zuvor hatte er auf einem Teil
seiner 200 Quadratkilometer großen
Ranch in Kenia ein Luxus-Ressort für Ur-
lauber eröffnet. Ob er dort in nächster Zeit
viel Zeit verbringt, ist fraglich. Bei Harley
Davidson geht es ums Überleben. 2020,
das gab ihm sein Vorgänger Levatich noch
mit auf den Weg, sei für die Firma das ent-
scheidende Jahr. uwe ritzer
Zielgröße null Prozent? Viele
private Unternehmen befördern
weiterhin nur Männer
WIRTSCHAFT
Passagiereeines Eurocity aus Venedig tragen Mundschutz: Die Deutschen fahren weiterhin Zug, meldet die Bahn. FOTO: LINO MIRGELER/DPA
NAHAUFNAHME
„DerVerwaltungsrat
und das Führungsteam von
Harley-Davidson werden
bei der Suche nach einem
neuen Vorstandschef
eng zusammenarbeiten.“
Jochen Zeitz
FOTO: DPA
Plan C
Die Hotels spüren ihn schon, den Corona-Effekt, die Bahn noch nicht: Deutsche Unternehmen fragen sich,
wie sehr das Virus sie treffen wird. Könnte die Politik ihnen helfen – zum Beispiel mit steuerlichen Vergünstigungen?
Frauenministerin Giffey (Bild) und Jus-
tizministerin Lambrecht arbeiten am
Führungspositionen-Gesetz. FOTO: DPA
KI IM ARBEITSLEBEN
Intelligenztest für Heil
Mit gutem Beispiel voran
Ministerin Giffey will, dass Bundesunternehmen Chefposten paritätisch an Frauen und Männer vergeben
Biker aus dem Museum
Ex-Puma-Chef Jochen Zeitz führt ab sofort Harley Davidson
Obwohl sie zu wenig wissen,
experimentieren einige
Arbeitgeber in der Verbotszone
Kurzarbeit hat sich in der
Krise bewährt, Firmen könnten
darauf zurückgreifen