Süddeutsche Zeitung - 03.03.2020

(Tina Sui) #1
„Wir wollten zeigen, dass wir uns was trauen“, sagt Münchens Radverkehrsbeauftragte Bettina Messinger zu den neuen Radwegen in der Fraunhoferstraße. Seitdem zeigen die Anwohner, was sie davon halten. FOTO:STEPHAN RUMPF

D


ie Fraunhoferstraße in Mün-
chen war für Autos gemacht:
zwei Fahrspuren, dann eine
Reihe Parkplätze, dann Bür-
gersteige. Im vergangenen
Mai entschied der Stadtrat mit einer knap-
pen Mehrheit, dass sich das ändern soll.
Der Beschluss: Alle 120 Parkplätze fallen
weg, niemand darf mehr halten, stattdes-
sen werden zwei Fahrradwege aufge-
malert. Seit vergangenen August ist die
Fraunhoferstraße also auch eine Straße
für Fahrräder, bei Wikipedia heißt das
Kapitel „Verkehrswende“.
Einige Ladenbesitzer beschwerten sich,
der Bezirksausschuss tagte, dieAbend-
zeitungtitelte „Stoppt diesen Radlwahn“.
So groß war die Wut, dass man das Gefühl
hatte, es könne unmöglich um zwei 2,
Meter breite Streifen gehen. Und unmög-
lich um die Fraunhoferstraße.
Sie ist etwa 500 Meter lang und zieht
sich von der Isar Richtung Sendlinger Tor.
Im Sommer tragen die Münchnerinnen
und Münchner hier Bierkästen an den
Fluss, sie laufen vorbei an einer Buchhand-
lung, einem Blumenladen, einem Unver-
packt-Laden. Obendrüber wohnen Fami-
lien in Altbauwohnungen. Die perfekte
Straße für so einen Verkehrsversuch.
Vor gut einem halben Jahr wurden die
Fahrradwege aufgezeichnet, in fünf Mona-
ten entscheidet der Stadtrat, ob sie blei-
ben. Was kann man lernen aus der Wut?
Und vor allem: Wie ernst meinen die Men-
schen es mit der Verkehrswende? Denn
wenn es in der Fraunhoferstraße nicht
klappt, zwischen Glockenbachviertel und
Gärtnerplatz, wo die Grünen bei der Euro-
pawahl 42,9 Prozent der Stimmen holten –
wo soll es dann klappen?
Eine Radfahrt in vier Etappen.


Das Wirtshaus


Einmal hätte Beppi Bachmaier fast ein
Bild ersteigert. Das Bild war bei einer Aukti-
on angeboten für 600 Euro, gemalt um
1820, vielleicht 1830, so genau weiß er es
nicht mehr. Es zeigt die Fraunhoferstraße,
die damals noch „Zum Stadtbleichanger“
hieß. Ein Weg durch Felder. Auf dem Weg
fuhren keine Kutschen, da standen nur
zwei Häuser, in einem davon arbeitet und
wohnt er heute, es ist sein Lokal, das Fraun-
hofer. Er sagt: „Das Bild hatte eine so ruhi-
ge Ausstrahlung.“


Im Fraunhofer hängen die Decken voll
Stuck, die Wände sind mit Eichenholz
vertäfelt. Hirschgeweihe, Lorbeerkränze,
Zinnkrüge. Am Nachmittag ist das Wirts-
haus leer, Bachmaier geht zu seinem Lieb-
lingsplatz am Fenster. Vor 44 Jahren hat er
es übernommen, seitdem beobachtet er,
was auf der Straße passiert. Die Fahrrad-
wege hat er trotzdem nicht kommen gese-
hen. „Das ist etwas, was mich am meisten
irritiert, dass man immer sagt, gerade von
Seiten dieser doch links-grünen Kräfte,
der Bürger muss beteiligt werden. Und
dann ging es so schnell.“ Für ihn sind die


Fahrradwege wie eine Verordnung, aber
Bachmaier, der sich selbst zu den „links-
grünen Kräften“ zählt, möchte nichts ver-
ordnet bekommen. Das ist ein Grund für
seinen Ärger.
Ende Juli stellte das Baureferat Schilder
und Warnkegel auf. Dann fuhr ein Auto auf
und ab und malte rote Streifen und weiße
Begrenzungen auf den Asphalt. „Des is a
bisserl unguat ganga“, sagt Bachmaier. Er
ist 72 Jahre alt, ein Mann mit krausen grau-
en Locken und einer gestrickten Trachten-
weste. Er ist in München geboren und ge-
blieben, er wurde das Größte, was man in
dieser Stadt werden kann: Wiesn-Wirt,
aber das reicht ihm nicht. Er will, dass sich
München zum Guten verändert. Auch des-
halb tat er sich mit einigen anderen Laden-
besitzern zusammen. Sind nicht bald Kom-
munalwahlen? Geht es dabei nicht auch
um die Verkehrswende?
Seit er das Wirtshaus führt, hätten seine
Lieferanten immer Parkplätze gefunden.
Dort konnte der Biometzger halten, um die
Kisten mit den Schweinelenden zu entla-
den. Der eine Bauer mit den Kartoffeln und
Rüben, der andere mit den Eierkartons
und Milchflaschen. Und natürlich der Bier-
lieferant. Das Bier fließt durch Schläuche
in die Tanks im Keller der Gaststätte. „Ja,
was glaubens denn, wie lang man die zie-
hen kann?“, sagt Beppi Bachmaier, der
auch freundlich klingt, wenn er grantelt.
Gegenüber auf der Straße parkt ein Au-
to ein bisschen auf dem Fahrradweg, ein
bisschen auf dem Bürgersteig, eine Polites-
se tippt in ihr Gerät. Eine Frau läuft zu ihr,
sie reden, kein Strafzettel. So machen es
jetzt auch seine Lieferanten, sagt er, sie par-
ken auf dem Fahrradweg und auf dem Bür-
gersteig, und die Politessen schauen weg.
Wenn die Fraunhofer ein Bild wäre, wie
würde er es heute malen?
Beppi Bachmaier sagt, er könne sich so-
gar eine Fußgängerzone vorstellen, mit Be-
lieferungszeiten von sechs Uhr bis zehn
Uhr morgens. Die Trambahn solle weiter
fahren, die Gleise sind ja auch noch in der
Autospur. Auf jeden Fall wäre ihm ein Tem-
polimit wichtig, höchstens 30 Stundenkilo-
meter, ein paar Meter die Straße runter
liegt eine Grundschule. Gerade fahren alle
schnell, weil die Straße ohne die parken-
den Autos so schön überschaubar ist. „Je-
denfalls muss man sich noch mal Gedan-
ken machen und ned so hirnlos Radlwege
einzeichnen, so einfach is des a wieder
ned“, sagt er.
Aber Beppi Bachmaier ist nicht nur
Wirtshausbetreiber, und das macht die Sa-
che kompliziert. Er hat keinen Führer-
schein, er hat nie einen gebraucht. Mit dem
Rad fährt er an die Isar, um Weidenkätz-
chen zu schneiden, die er in Vasen auf die
Fensterbank stellt. Er fährt zum Hamber-
ger-Großmarkt, den Berg hoch, sein Arzt
sagt, das sei gut fürs Herz. Er habe sich
zwar nie unsicher in der Fraunhoferstraße
gefühlt, aber auf den Radwegen fahre es
sich schon besser. Wenn den Radfahrer
Bachmaier eines stört, dann das: Lieferwa-
gen, die auf den Fahrradwegen halten –
und er muss ausweichen.

Die Verkehrswende beschäftigt Forsche-
rinnen, Architekten, Politikerinnen, Inge-
nieure. Reicht es, wenn ein paar Leute ihr
Dieselfahrzeug verkaufen und sich eine
Ladestation fürs Elektroauto in die Garage
stellen? Wie schnell können U-Bahn-
Schächte gebaut werden, wie schnell Fahr-
radwege beschlossen? Und wie radikal dür-
fen solche Entscheidungen sein? Die Fra-
gen sind auch deshalb so schwer zu beant-
worten, weil die Städte nicht neu gebaut
werden – der Platz wird nur neu verteilt.
Verkehrswende, das bedeutet auch: Jeder
muss Platz abgeben.
Schaut man auf die Karte der Stadt Mün-
chen, sieht man ein Netz aus Straßen. 2330
Kilometer nur für Autos. Fahrradstraßen
sind auf der Karte grün eingezeichnet, mal
eine in Schwabing, mal eine in Haidhau-
sen, insgesamt 83 Stück mit einer Gesamt-
länge von 38 Kilometern. Fahrradwege hin-
gegen ziehen sich auf 970 Kilometern
durch die Stadt.
Das Problem: Wer über Fahrräder nach-
denkt, muss auch über Autos nachdenken.
Zumindest noch. Da muss der Stadtrat
überlegen, in welche Nebenstraßen der Ver-
kehr ausweicht. Wie die Ampelschaltun-
gen angepasst werden müssen. Und wer
für die Straße zuständig ist.

Die Radverkehrsbeauftragte


Das Büro von Bettina Messinger liegt im
sechsten Stock des Münchner Gewerk-
schaftshauses beim Hauptbahnhof. Von
ihrem Fenster aus schaut sie auf Ziegel-
dächer und Kräne, auf die Türme der
Stadt. Manche Dinge werden klarer, wenn
man sie von oben betrachtet. Messinger ist
52 Jahre alt, sie hat gewellte Haare und
trägt einen bunt bestickten Blazer. Für die
SPD sitzt sie ehrenamtlich im Stadtrat, als
Radverkehrsbeauftragte, und so ist sie ge-
rade vor allem eines: Ansprechpartnerin in
Sachen Fraunhoferstraße.
Ihre Eltern haben in der Au gewohnt,
dort im Hinterhof hat sie Fahrrad fahren
gelernt. Ihr Vater hat sie angeschubst, sie
rollte und rollte, dann verfing sich ihr Rock
in den Speichen. Aufgeschürfte Knie, bluti-
ge Ellenbogen, Tränen. „Mich hat’s oft ge-
schmissen, aber ich war unerschrocken.
Ich bin einfach wieder rauf aufs Rad.“ Mitt-
lerweile hat sie ein Tourenrad und ein All-
tagsrad mit tiefem Einstieg, mit dem fährt
sie manchmal von der Wohnung in Neu-
perlach zur Arbeit. Je zwölf Kilometer.
Als die Fahrradwege in der Fraunhofer-
straße aufgezeichnet wurden, unterstell-
ten viele der SPD, sie wolle damit nur Wäh-
lerinnen und Wähler der Grünen zurück-
gewinnen. Bettina Messinger sagt, sie wür-
den nicht so viele Anträge im Stadtrat ein-
bringen, wenn es Wahltaktik wäre.
Erst mal eine Klarstellung: Als sie 1997
in der SPD anfing, war das Thema „Radfah-
ren in München“ verschiedenen Referaten
zugeteilt. Müsste man das nicht bündeln,
dachte sie, und bündelte. Sie war schon für
Radwegeausbau, als das noch kein Thema
für Wahlplakate war. Aber natürlich kriegt
sie mit, wie sich das ändert.

Am 15. März wählen die Münchnerin-
nen und Münchner ihren Stadtrat, und es
gibt kaum eine Partei, die sich nicht mit
dem Radverkehr beschäftigt. Die Linke be-
klagt, dass die Stadt nicht fahrradfreund-
lich sei („Ausgebremst“). Die ÖDP („Rad
und Tat“) und die Grünen („Für Radl-Lust
statt Auto-Frust“) wollen das ändern. Die
CSU denkt stattdessen an die Autos. „Rot-
Grüne RADikal Politik bremst aus“ steht
auf den Plakaten, daneben ein Bild der
Fraunhoferstraße.
Erst vor Kurzem war eine interne Liste
mit 42 Straßen aufgetaucht, die der Stadt-
rat als Nächstes umbauen will. Wieder Dis-
kussion, wieder Beschwerden, Oberbürger-
meister Dieter Reiter (SPD) sagte, er wolle
bei jeder Straße eine sachliche Debatte füh-
ren. Am Mittwoch soll die Liste allen Stadt-
rätinnen und Stadträten vorgelegt werden.
Bettina Messinger dreht sich zum
Schreibtisch, zieht ein Blatt hervor, sie hat
Zahlen aufgeschrieben. 44 Prozent der
Menschen in der Stadt haben kein Auto –
81 Prozent der Haushalte aber mindestens
ein Rad. Schon jetzt sagten 18 Prozent der
Befragten, dass sie bei ihren täglichen We-
gen am liebsten das Rad nehmen. Eben
hier will sie ansetzen.
Mit einer radikalen Verkehrswende? „Al-
so, ich gehe jetzt nicht durch die Stadt und
sage: Da muss eine Autospur weg.“ In der
Fraunhoferstraße sind immerhin Parkplät-
ze weggefallen. „Wir wollten zeigen, dass
wir uns was trauen.“ Das kam allerdings
nicht nur gut an. „Mit so viel Widerstand
hätte ich nicht gerechnet. Ich finde das
auch nicht ehrlich. Vorher haben sich alle
beschwert, dass Radfahren unsicher war.
Jetzt beschweren sich wieder alle.“ Sie sagt
dann noch, dass die Ladenbesitzer ja Liefer-
zonen haben, in den Nebenstraßen, dass
sie manche Dinge mit einem Lastenfahr-
rad von dort in den Laden bringen könn-
ten. Kleine Bierfässer zum Beispiel.
Bettina Messinger muss dann weiter,
sie hat einen Termin im Rathaus. An die-
sem Tag nimmt sie die U-Bahn Richtung
Stachus, die S-Bahn Richtung Marien-
platz, fünf Minuten Verspätung, Men-
schen greifen über sie hinweg, um sich fest-
zuhalten. Ein einziges Gewusel.

Wenn sie aus der Sache mit den Rad-
wegen in der Fraunhoferstraße etwas für
andere Straßen lernen kann, dann dass sie
früher mit den Leuten reden müssen. Ih-
nen zuhören. Ansonsten wünsche sie sich

etwas, das Politik nicht leisten könne:
Mehr Gelassenheit und Rücksichtnahme
bei allen Verkehrsteilnehmern.
Nach der Kommunalwahl wird sie nicht
mehr im Stadtrat sitzen und auch weniger
arbeiten. Sie will mehr Freizeit haben, um
zu reisen, nach Italien. Und um Rad zu fah-
ren, das kann sie gerade nicht, sie wurde
von einem Hund umgerissen und kuriert
einen Schienbeinkopfbruch aus.
Kurz nachdem die Radwege in der
Fraunhoferstraße fertig waren, ging es vor
allem um Beschwerden. Wie sollen wir be-
liefert werden? Wo sollen wir parken? Der
Rossmann, hieß es, müsse deshalb sogar
schließen. Dabei macht der Drogeriemarkt
vor allem deshalb zu, weil der Laden zu
klein ist. Überhaupt klang es so, als seien al-
le Anwohner gegen die Radwege, was nicht
stimmt, und alle Ladenbesitzer sowieso,
was auch nicht stimmt. Von den Radfah-
rern war erst mal nicht die Rede.

Die Fahrradparkplätze


Die Fraunhofer kreuzt eine Nebenstra-
ße, man sieht von hier das Schild von Bach-
maiers Wirtschaft. An den Fahrradpark-
plätzen schließt ein Mann mit Warnweste
sein Rad auf. Vor ein paar Jahren fuhr er an
einem Auto vorbei, als die Tür aufging.
Zack, Unfall. Er weiß noch, wie sein Herz
schlug. „Als Radfahrer bin ich immer der
Dumme, auch wenn andere unvorsichtig
waren.“ In der Fraunhoferstraße habe es
viele Möglichkeiten gegeben, der Dumme
zu sein. Auf der einen Seite die parkenden
Autos, auf der anderen die fahrenden, er
wollte Abstand zu beiden halten. Er muss-
te deshalb oft über die Gleise der Tram-
bahn fahren, immer im spitzen Winkel, da-
mit das Vorderrad nicht stecken bleibt. Im-
mer mit einem mulmigen Gefühl. Wenn ei-
ne Stadt will, dass die Menschen Fahrrad
fahren, sagt er und zieht den Gurt am Helm
fest, muss Fahrradfahren sicher sein.
Ein paar Minuten später wird eine Frau
mit Lastenrad langsamer, vorne drin sitzt
die Tochter mit einem Plüschzebra. Sie ver-
steht die Aufregung um die Radwege nicht.
Ist es einer Stadt wirklich wichtig, Platz zu
haben, auf dem Autos stehen? Sie zeigt die
Fraunhofer rauf und runter. Wenn jetzt
noch Frühling wird, wenn die Ladenbesit-
zer Blumenkübel vor ihr Geschäft stellen,
„das ist doch auch eine Gelegenheit, dass
wir uns überlegen, wie unsere Stadt ausse-
hen soll“.
Wie die Stadt aussehen soll? In Saarbrü-
cken, Heidelberg, Traunstein radelten die
Menschen im vergangenen Jahr mit
Schwimmnudeln auf dem Gepäckträger,
um zu zeigen, wie viel Abstand Autos hal-
ten sollten. In Aachen, Bayreuth, Bielefeld
unterschrieben die Menschen Bürgerbe-
gehren für bessere Radwege. In München
sammelten sie 160 000 Unterschriften, der
Stadtrat – und somit auch die CSU – über-
nahm die Forderungen. Bis 2025 sollen die
Radwege in der Stadt so umgebaut wer-
den, dass sie zusammenhängen. Es ist
auch die Aufforderung, den Platz endlich
neu zu verteilen.

Der Schlüsseldienst


Marion Kilian geht vorbei an einer
Wand aus Schlüsseln. Buntbartschlüssel,
Chubb-Schlüssel, 100000 Rohlinge. In der
Werkstatt sirrt die Fräsmaschine, aber in
ihrem Büro ist es ruhig. Vor vierzehn Jah-
ren haben sie und ihr Bruder das Geschäft
der Eltern übernommen, am Ende der
Fraunhoferstraße. Mit dem Rad braucht
sie fünf Minuten zum Viktualienmarkt.
Marion Kilian ist 53 Jahre alt, eine Frau
mit Funktionsjacke und festen Schuhen.
Sie spricht ruhig und abwägend, auch
wenn sie etwas ärgert. Die Fahrradwege
vor ihrem Laden zum Beispiel.
Um den Ärger zu verstehen, muss man
vielleicht die Geschichte des Ladens ken-
nen: Nach dem Krieg kauften die Münch-
ner hier Nägel, Töpfe, Pfannen, dann kam
das Wirtschaftswunder und die Menschen
kamen zu Geld und Perlenkette, zu Din-
gen, die sie wegsperren wollten. Die Kili-
ans passten ihr Angebot an.
Wenn die Leute nur einen nachgemach-
ten Schlüssel abholen, können sie zu Fuß
kommen, sagt Kilian. Aber wie sollen ihre
Monteure die Schließanlagen aus der
Werkstatt zu den Lieferwagen bringen?
Wie einen Tresor schleppen? Sicher, sie hät-
ten auch früher nicht immer sofort einen
Parkplatz vor dem Laden gefunden, aber
jetzt sei es unmöglich.

Marion Kilian steht auf und geht ans
Fenster. Den Ladenbesitzern in der Fraun-
hoferstraße wurden Parkbuchten in den
Nebenstraßen zugeteilt, ihre liegt gleich ge-
genüber. Da ist ein Bereich mit Schildern
abgegrenzt, eingeschränktes Halteverbot,
aber zwischen den Schildern parkt ein Au-
to. „Sehen Sie, was ich meine?“
Marion Kilian ging in den Bezirksaus-
schuss, Abend um Abend, Beschwerde um
Beschwerde, sie war renitent. Sie hat kein
Problem mit Fahrradwegen, sie hatte ein
Problem mit diesen Fahrradwegen. Und so
haben sie und ihr Bruder sich eine Lösung
überlegt. Sie zieht ein DIN-A4-Blatt her-
aus, ein Architekt hat in ihrem Auftrag die
Straße neu geplant. Auf dem Plan sind die
Autospuren und die Bürgersteige schmä-
ler, so ist Platz für Parkbuchten. Für An-
wohner, die einen Handwerker brauchen.
Für Ladenbesitzer, die etwas geliefert be-
kommen. Um die Parkbuchten herum sind
Bäumchen eingezeichnet. Den Entwurf ha-
be sie im Bezirksausschuss vorgestellt,
sagt sie, und danach wären viele Leute zu
ihr gekommen. Endlich Platz für alle.
Im Sommer entscheidet der Stadtrat
noch mal. Bis dahin will sie den Plan weiter
besprechen und, wenn es sein muss, auch
weiter bearbeiten. Marion Kilian steckt
ihn zurück in die Klarsichtfolie.
Draußen vor dem Laden, auf der Fraun-
hoferstraße, ist es Abend geworden. Die
Ampel springt um. Da stehen die Autos, die
Scheinwerfer in der Dunkelheit, da stehen
die Fahrräder auf ihren roten Spuren, und
für einen kurzen Moment sieht die Straße
friedlich aus.

Beppi Bachmaier. GIN

Platz da!


Eine Straße in München hat zwei Fahrradwege bekommen und 120 Parkplätze verloren.


Seitdem gibt es jede Menge Ärger. Das Drama einer Umverteilung


von gianna niewel


Bettina Messinger. GIN

Marion Kilian. GIN

DEFGH Nr. 52, Dienstag, 3. März 2020 (^) DIE SEITE DREI 3

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