Süddeutsche Zeitung - 03.03.2020

(Tina Sui) #1
Berlin –Die Verteidigung der Menschen-
würde und die Bekämpfung von Rassis-
mus und Rechtsextremismus sollen Chef-
sache werden – mit dieser Botschaft hat
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den


  1. Integrationsgipfel im Kanzleramt abge-
    schlossen. „Für mich sind alle Menschen,
    die hier leben, zu schützen“, sagte Merkel
    am Montag in Berlin. Artikel 1 des Grundge-
    setzes, wonach die Würde des Menschen
    unantastbar sei, gelte für Bürger aller Her-
    künfte in Deutschland. „Immer von dem
    Wir und dem Ihr zu sprechen“, sei inakzep-
    tabel, so Merkel. Auch Minderheiten gehör-
    ten zum deutschen Wir. Nach einer Serie
    rechtsextremistischer Gewalttaten und is-
    lamfeindlicher Hassverbrechen werde
    nun ein Kabinettsausschuss gegründet,
    der sich mit Fragen des Rassismus und des
    Rechtsextremismus befassen soll.
    Seit 2006 lädt Merkel regelmäßig zum
    Integrationsgipfel ins Kanzleramt ein. Ziel
    des Treffens ist es, ein Gesprächsforum für
    Vertreterinnen und Vertreter von Migran-
    tenorganisationen, Bund, Ländern und
    Kommunen sowie der Zivilgesellschaft zu


schaffen – und statt übereinander mitein-
ander zu reden. Anders als im vergange-
nen Jahr nahm diesmal auch Bundesinnen-
minister Horst Seehofer (CSU) teil. Die Inte-
grationsbeauftragte der Bundesregierung
Annette Widmann-Mauz (CDU) kündigte
einen „entschiedenen Kampf gegen Rassis-
mus und Diskriminierung“ an.

Ob dieses Versprechen eingelöst wird,
bezweifeln viele Nachkommen von Ein-
wanderern in Deutschland allerdings. „Wir
fragen uns, ob wir in diesem Land, in unse-
rem Land, in unserem Deutschland noch si-
cher sind“, sagte Sylvie Nantcha, die beim
Integrationsgipfel das African Network of
Germany vertrat. Deutschland erlebe Ter-
ror und Rassismus, der sich gegen Musli-
me und Juden, Sinti und Roma richte,
„auch schwarze Menschen werden in die-
sem Land diskriminiert“.

Der Integrationsgipfel, bei dem es ei-
gentlich um bessere Voraussetzungen für
die Zuwanderung von Facharbeitern nach
Deutschland gehen sollte, stand im Schat-
ten der Entwicklung an der griechisch-tür-
kischen Grenze. Nicht wenige Einwande-
rer der zweiten und dritten Generation erle-
ben seit den hohen Flüchtlingszahlen des
Jahres 2015 eine schleichende Deklassie-
rung in Deutschland. Sollte sich die Flücht-
lingsdebatte nun wieder verschärfen, so
die Befürchtung, würden ihre Anliegen er-
neut in den Hintergrund gedrängt. Seit
dem Anschlag in Hanau fragen sich inzwi-
schen aber auch viele, inwieweit deutsche
Sicherheitsbehörden Menschen mit Migra-
tionsgeschichte schützen wollen.
„Institutioneller Rassismus in deut-
schen Sicherheits- und Ermittlungsbehör-
den“ stehe einer lückenlosen Aufklärung
rechter Straftaten entgegen, sagte Deniz
Nergiz vor Beginn des Integrationsgipfels.
Die Geschäftsführerin des Bundeszuwan-
derungs- und Integrationsrates (BZI) wies
auch auf „strukturell verankerte Vorurtei-
le, diskriminierende Alltagsroutine sowie

rassistische Denkmuster“ in deutschen Be-
hörden hin. Vertreter der Bundesregierung
betonten nach Abschluss des Integrations-
gipfels hingegen stärker die Chancen der
Einwanderung in Deutschland.

Im Mittelpunkt stand dabei vor allem
das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das
am 1. März in Kraft getreten ist. Es soll
auch Menschen aus Nicht-EU-Ländern die
Einwanderung in den deutschen Arbeits-
markt erleichtern. Die bislang außeror-
dentlich komplizierten und unübersichtli-
chen Regeln wurden vereinfacht. Wirt-
schaftsvertreter befürchten allerdings, die
Hürden zur Fachkräfteeinwanderung sei-
en immer noch hoch.
Ein Schlüssel für mehr Einwanderung
von beruflich qualifizierten Fachkräften
sei es, schon in den Herkunftsländern fal-
sche Erwartungen abzubauen und für ge-

eignete Qualifikation zu sorgen, sagte die
Integrationsbeauftragte der Bundesregie-
rung, Annette Widmann–Mauz. Wer Fach-
kräfte gewinnen wolle, müsse in die Verbes-
serung der Ausbildung vor Ort und gerade
auch in Sprachkurse investieren. „Deutsch-
land muss sich im Übrigen sehr anstren-
gen, denn wir stehen im internationalen
Wettbewerb.“ Ein Nationaler Aktionsplan
Integration soll nun für zielgerichtete Qua-
lifikation auch vor Ort sorgen
Es sei nicht so, „dass alle uns die Bude
einrennen“, betonte auch Bundesarbeits-
minister Hubertus Heil (SPD). Gemeint
war die Tatsache, dass Deutschland schon
wegen der Sprache nicht als bevorzugtes
Ziel ausländischer Fachkräfte gilt. Zudem
haben viele Einwanderungswillige eher
zermürbende Erfahrungen mit der deut-
schen Bürokratie gemacht. Bisher seien
viele Botschaften unterbesetzt, viele An-
tragsteller müssten „monatelang warten“,
sagte Sylvie Nantcha. „Da müssen wir bes-
ser werden.“ Deutschland müsse attrakti-
ver werden „auch in afrikanischen Län-
dern“. constanze von bullion

Berlin – Als Norbert Walter-Borjans am
Montag gegen neun Uhr das Willy-Brandt-
Haus betritt, hat er das Telefon schon am
Ohr. Der SPD-Co-Vorsitzende ist auf dem
Weg zu den Gremiensitzungen seiner Par-
tei. Es ist viel los, mehr als sonst. Das liegt
im Moment an zwei Männern, die der SPD
in der Vergangenheit oft das Leben nicht
unbedingt leicht gemacht haben.
Der eine heißt Recep Tayyip Erdoğan
und ist Präsident der Türkei. Seit dem
Wochenende hindert er Flüchtlinge nicht
mehr daran, weiter nach Europa zu reisen.
Jetzt fragen sich viele im politischen Ber-
lin, was das bedeutet: Erlebt Deutschland
bald eine neue Flüchtlingskrise?
Der andere Mann heißt Sigmar Gabriel,
er ist Ex-Chef der SPD und arbeitet sich
nach seinem Rückzug von der Parteispitze
energisch an seinen Nachfolgern ab. Jetzt
hat er ein Buch geschrieben, die Neuen an
der Spitze der SPD kommen – wenig über-
raschend – mal wieder nicht gut weg.
Des Weiteren auf der Liste der politi-
schen Themen für diese Woche: Corona-
virus, Integrationsgipfel im Kanzleramt,
Rechtsterrorismus, das Koalitionstreffen
am kommenden Wochenende. Um es kurz
zu machen: Für Norbert Walter-Borjans
und seine Partnerin im Vorsitz der SPD,
Saskia Esken, die beide erst im Dezember
gewählt wurden, endet mit diesem Montag
endgültig die Schonfrist. Sie stecken jetzt
mittendrin in all den kleinen und großen
Problemen der SPD. Walter-Borjans lä-
chelt trotzdem kurz, bevor er den Fahr-


stuhl ansteuert und in die Chefetage der
Parteizentrale fährt. Das kann ja was wer-
den in einer Woche, die noch einiges an Kri-
senmanagement verlangen wird.
Gerade in der Außen- und Sicherheits-
politik haben Walter-Borjans und Saskia
Esken kaum Erfahrung. Das zeigte sich
schon zum Jahresbeginn, als die gezielte
Tötung des iranischen Generals Qassim So-
leimani durch das US-Militär international

heftige Turbulenzen auslöste. Damals hat-
ten mehr oder weniger die Außen- und Si-
cherheitspolitiker die Partei durch die Aus-
nahmetage gesteuert. Am Montag hat Es-
ken das Glück, Boris Pistorius im Vorstand
zu haben, der ist Innenminister in Nieder-
sachsen und war Ende 2019 auf Lesbos. Er
kennt die Lage in den überfüllten Flücht-
lingslagern. Mit ihm steht jemand auf der
Bühne, der sich ganz gut vorstellen kann,
was auf Griechenland zukommt, wenn An-
kara tatsächlich aus dem EU-Türkei-Ab-
kommen aussteigt. Das soll dafür sorgen,
dass die Flüchtlinge gerade nicht nach Eu-
ropa weiterziehen. Dafür bekommt Anka-
ra Milliardenhilfe. Von einem Leben könne
in den Lagern kaum die Rede sein, so
schlecht seien die Zustände dort, erzählt
Pistorius. Europa, so lautet seine Progno-
se, werde es nicht mehr lange ertragen, die
Lage dort mit anzuschauen. Pistorius
gehört zu jenen, die früh vorgeschlagen
haben, Minderjährige bis 14 von Lesbos
nach Deutschland zu holen. Ein Vorschlag,
den Esken nun gerne aufgreift für ihre Ge-
spräche mit der Union. So hilft man sich ge-
rade in der SPD-Spitze – wenn es gut läuft.
Wenn nicht, dann dürfen die neuen Vor-
sitzenden in den Medien über sich lesen,
was sie alles falsch machen. Ex-Chef Sig-
mar Gabriel hat seiner Partei in seinem
Buch über Jahre andauerndes Führungs-
versagen vorgeworfen. Mit Blick auf Esken
und Walter-Borjans schreibt Gabriel: „Es
ist gewiss richtig, den beiden neu gewähl-
ten Vorsitzenden eine faire Chance zu

geben und ihnen ihre gewiss nicht einfa-
che Aufgabe nicht noch schwerer zu ma-
chen.“ Den Mitgliederentscheid, der sie an
die Spitze gebracht hat, nennt er jedoch
„aberwitzig“. Ohne ihre Namen zu nennen,
hält Gabriel seinen Nachfolgern Esken und
Walter-Borjans vor, in ihrem Wahlkampf
um den Vorsitz den Eindruck vermittelt zu
haben, die Koalition verlassen zu wollen –
um am Ende doch zu bleiben. „Links blin-
ken und dann rechts abbiegen verwirrt alle
anderen Verkehrsteilnehmer.“ Thematisch
und strategisch beklagt er die „Verzwer-
gung“ der SPD.
Natürlich könnte man Sigmar Gabriels
Text als Genörgel eines frustrierten Man-
nes abtun. Er ist von seinen Nachfolgern
regelrecht aus dem Zentrum der Macht her-
ausgedrängt worden. Der Innenpolitiker
Lars Castellucci aus dem Bundestag will
sich den Start in die Woche nicht verder-
ben lassen: „Neue Woche in Berlin. Viel-
leicht geht alles mal einen Ticken weniger
hysterisch. Es gibt nichts, was man nicht
mit Vernunft gut bewältigen könnte. Und
nein, Bücher eines ehemaligen SPD-Vorsit-
zenden helfen nicht“, schreibt er auf Twit-
ter. Nur, das Problem geht tatsächlich tie-
fer: Andrea Nahles scheiterte als Parteiche-
fin (nach Gabriel und Martin Schulz) auch
deshalb, weil sie solchen Angriffen am En-
de nicht standhalten konnte. Die SPD hatte
sich nach ihrem Rückzug einen anderen
Umgang miteinander verordnet. Geht es
wieder los, dass die Partei ihre eigene Füh-
rung kaputt macht? mike szymanski

von claudia henzler

Stuttgart–Im Vereinsheim der Neuen
Schützengesellschaft Stuttgart im Stadt-
teil Botnang ist an diesem Abend einiges
los. Kurz vor den Kreismeisterschaften wol-
len einige Schützen noch ein letztes Mal
trainieren. Auf den Bahnen zwei und drei
zielt ein Ehepaar konzentriert mit Kleinka-
liberwaffen am ausgestrecktem Arm auf
Papierscheiben in 25 Meter Entfernung,
ein paar Bahnen weiter rechts feuert ein
35-Jähriger beidhändig mit einer Glock-
Pistole Neun-Millimeter-Geschosse ab. Pa-
tronenhülsen aus Messing prasseln auf
den kalten Betonboden.
Der Vereinsvorsitzende Martin Böttger
hat zu einem Ortstermin eingeladen, um
ein paar entscheidende Fragen zu klären:
Warum wollen Sportschützen eine eigene
Waffen besitzen? Und müssen sie die zu
Hause aufbewahren? Darüber wird wieder
einmal diskutiert, seit Ende Januar ein
Sportschütze im württembergischen Rot
am See sechs Angehörige tötete und zwei
weitere verletzte. Und diese Fragen stellen
sich verschärft, weil auch der mutmaßli-
che Täter im hessischen Hanau Mitglied in
Schützenvereinen in München und Frank-
furt war. Er brachte neun Menschen um,
bevor er sich und seine Mutter tötete.
Aus Sicht der Sportschützen im Botnan-
ger Vereinsheim sind die Fragen leicht zu
beantworten. Sie üben einen Sport aus, bei
dem es auch im Breitensportbereich auf
Präzision ankommt, und sie schätzen nicht
nur die Herausforderungen, die das Schie-
ßen an Konzentration und Körperbeherr-
schung stellt, sie wollen auch möglichst gu-
te Ergebnisse erzielen. Deshalb müsse die
Waffe optimal zum Schützen passen, sa-
gen sie, der Griff wird individuell angefer-
tigt, um perfekt in der Hand zu liegen,
auch die Visierung der Waffe – auch als
Kimme und Korn bekannt – wird auf das
Auge des Schützen angepasst. Nicht zu-
letzt geht es um den Zustand von Pistole
und Gewehr. Die Schützen wollten sicher
sein, dass die Waffen gut gepflegt sind,
nichts klemmt und die Kugel nicht vom
Ziel abweicht, erklärt der junge Mann mit
der Glock.
Wie bei so vielen Sportarten gibt es auch
im Schießsport inzwischen viele verschie-
dene Disziplinen. „Wenn man verschiede-
ne Disziplinen schießen möchte, braucht
man verschiedene Waffen“, erklärt ein Ver-

einsmitglied. Mit Luftdruckwaffen fängt
man an, manche Schützenvereine be-
schränken sich auf diese Waffenart. Vielen
reicht das jedoch nicht aus. Luftpistole sei
wie Fahrradfahren, sagt einer der Botnan-
ger Schützen. Danach steige man aufs Mo-
fa um, also aufs Kleinkaliber, und irgend-
wann wolle man ein richtiges Motorrad fah-
ren, und das wären in diesem Vergleich die
Großkaliberwaffen, die mit ihrem Rück-
stoß deutlich schwieriger zu handhaben
sind.
Die Frage nach der Aufbewahrung zu
Hause beantwortet sich für den Vereinsvor-
sitzenden fast von allein: Wenn jedes der
240 Vereinsmitglieder zwei Waffen hätte –
und die meisten haben mehr –, dann wür-
de ein Schützenhaus mit einem zentralen
Waffenlager zu einem lohnenden Ziel für
Kriminelle. Das Waffengesetz schreibt vor,
dass in unbewohnten Häusern maximal
drei Gewehre aufbewahrt werden dürfen.

Für Schützenvereine sind zwar Sonderge-
nehmigungen möglich, wenn sie ein über-
zeugendes Aufbewahrungskonzept vorle-
gen. Böttger ist aber kein Verein bekannt,
der eine zentrale Aufbewahrung für alle
Mitgliederwaffen hat: „Wenn man das än-
dern wollte, dann müsste man jeden Schüt-
zenverein in ein Fort Knox verwandeln.“
Seit dem Amoklauf von Winnenden, der
sich am 11. März zum elften Mal jährt, wur-
de das Waffenrecht dreimal verschärft.
Seitdem können die Ordnungsämter die
Zuverlässigkeit und Eignung von Waffen-
besitzern häufiger überprüfen. Außerdem
stiegen die Anforderungen an die Sicher-
heit von Waffenschränken. Nun wird noch
eine Abfrage beim Verfassungsschutz zum
Standard. Die Mitglieder der Neuen Schüt-
zengesellschaft Stuttgart halten ihren
Sport für ausreichend reglementiert.
Wer eine Waffe besitzen will, muss sei-
nem Ordnungsamt neben der persönli-
chen Eignung zuallererst ein „Bedürfnis“
für genau diese Waffe nachweisen. Er
muss mindestens seit einem Jahr Mitglied
eines Sportschützenvereins sein und ein
Schießbuch führen, das seine Aktivitäten
in der gewünschten Disziplin dokumen-
tiert. Der Antrag muss von einem der aner-

kannten Schießsportverbände unterstützt
werden, von denen der Deutsche Schützen-
bund mit nach eigenen Angaben 1,35 Milli-
onen Mitglieder der größte ist. Daneben
gibt es den Bund Deutscher Sportschüt-
zen, der seinen Schwerpunkt auf Großkali-
berwaffen legt und 75 000 Mitglieder hat.
Pierre de Coubertin ist einer der Väter
dieses Sports. Der Gründer der Olympi-
schen Spiele der Neuzeit soll ein begeister-
ter Pistolenschütze gewesen sein. 1896 hat
er mehrere Wettbewerbe mit Pistolen und

Armeegewehr ins Programm genommen.
Inzwischen werden bei den Olympischen
Spielen jedoch keine Großkaliber mehr ab-
geschossen, am Start sind nur noch Luftpis-
tole und Luftgewehr sowie Kleinkaliber-
waffen. Was in Deutschland als Schieß-
sport gilt, dürfen Verbände mit mindes-
tens 1000 aktiven Mitgliedern selbst festle-
gen – sie müssen sich ihre sogenannten
Sportordnungen jedoch vom Bundesver-
waltungsamt genehmigen lassen. Diese
Sportordnungen sind die Grundlage, auf

der die Ordnungsämter Waffenbesitz ge-
nehmigen.
Solange also Disziplinen mit Großkali-
bern in den Sportordnungen deutscher Ver-
bände auftauchen, können Schützen dafür
Waffen beantragen. Daran hat sich nach
Winnenden nichts geändert. Lediglich die
Altersgrenze für den Umgang mit Großkali-
bern wurde erhöht: Musste man bis 2009
14 Jahre alt sein, um mit diesen besonders
gefährlichen Waffen zu trainieren, beträgt
das Mindestalter heute 18 Jahre.

Leipzig –Derbisherige Landesvize der
Thüringer CDU, Mario Voigt, ist neuer Chef
der Erfurter Landtagsfraktion. Bei der au-
ßerplanmäßigen Vorstandswahl am Mon-
tag erhielt der Hochschulprofessor aus
Jena 15 Ja-Stimmen. Jeweils drei Abgeord-
nete stimmten gegen ihn oder enthielten
sich. Einen Gegenkandidaten gab es nicht.
Voigt folgt auf Mike Mohring, der die
Fraktion zwölf Jahre lang führte, seit der
Landtagswahl Ende Oktober jedoch zu-
nehmend an Rückhalt verloren hatte. Nach
dem Eklat um die Ministerpräsidenten-
wahl Anfang Februar hatte Mohring nach
Druck aus den eigenen Reihen seinen

Rückzug als Partei- und Fraktionschef
angekündigt. Voigt gilt seit Jahren als in-
nerparteilicher Gegner Mohrings. Zuletzt
hatte er mit drei Parteikollegen und Ver-
tretern von Linken, SPD und Grünen den
sogenannten Stabilitätsmechanismus aus-
gehandelt. Das Protokoll sieht bis zu einer
Neuwahl des Thüringer Landtags im April
kommenden Jahres eine projektbasierte

Zusammenarbeit von CDU und rot-rot-grü-
ner Minderheitsregierung vor. Unter ande-
rem soll ein neuer Haushalt aufgestellt
und die AfD bei der Umsetzung politischer
Ziele außen vor gelassen werden.
Entscheidende Hürde für die Umset-
zung der Vereinbarung bleibt die Minister-
präsidentenwahl am 4. März, bei der Bodo
Ramelow nicht der einzige Kandidat sein
wird: Die Thüringer AfD stellt ihren Lan-
despartei- und Fraktionschef Björn Höcke
auf, mit dem Ziel, Christdemokraten und
Liberale unter Druck zu setzen. Wenn
Ramelow mehr als die 42 Stimmen von
Linken, SPD und Grünen erhielte, hätten
„CDU und FDP ihre Versprechen gebro-
chen, Ramelow nicht zu wählen“, erklärte
die AfD am Montag. Ramelow fehlen vier
Stimmen für eine absolute Mehrheit, die er
im ersten Wahlgang aus den Reihen der
CDU oder der FDP erwartet. „Die AfD stellt
ihr extrem rechtes Aushängeschild Höcke
als MP-Kandidaten auf“, twitterte die
Partei- und Fraktionschefin der Thüringer
Linken, Susanne Hennig-Wellsow. „Dem
Letzten muss klar werden, dass es keine Al-
ternative zu Bodo Ramelow gibt. Die Demo-
krat:innen müssen – bei allen Differenzen


  • zusammenhalten.“ Bei der Ministerpräsi-
    dentenwahl Anfang Februar hatte die AfD
    im dritten Wahlgang ihren Kandidaten
    fallen gelassen und den FDP-Politiker Tho-
    mas Kemmerich gewählt. Erstmals waren
    damit AfD-Stimmen ausschlaggebend für
    die Wahl eines Ministerpräsidenten in
    Deutschland. ulrike nimz  Seite 4


Ende der Schonfrist


Corona breitet sich aus, Erdoğan macht die Grenze auf, Sigmar Gabriel schreibt ein Buch: Die SPD-Spitze ist im Krisenmodus


„Für mich sind alle Menschen, die hier leben, zu schützen“


Beim Berliner Integrationsgipfel macht Angela Merkel den Kampf gegen Rassismus zur Chefsache. Doch viele zweifeln, dass sie das Versprechen auch hält


„Dann müsste man jeden
Schützenverein in ein Fort Knox
verwandeln“, sagt der Vorsitzende

Berlin– Der künftige CDU-Vorsitzende
muss sich nach der Wahl auf dem Son-
derparteitag am 25. April auf dem tur-
nusgemäßen Parteitag im Dezember
erneut zur Wahl stellen. Das wurde
nach Beratungen der Bewerber mit der
Parteispitze am Montagabend in Berlin
bekannt. Bis zum Sonderparteitag sol-
len sich die aussichtsreichsten Bewer-
ber – Armin Laschet, Friedrich Merz
und Norbert Röttgen – in mehreren
Formaten den Fragen von Mitgliedern
stellen. Geplant sind Formate wie ein
„CDU live“-Talk und zwei „digitale
Townhalls“. Gemeinsame Auftritte vor
Landesverbänden seien nicht geplant.
Merz wurde am Montag vom CDU-Wirt-
schaftsflügel als Kandidat für den Par-
teivorsitz nominiert. Die Mittelstands-
und Wirtschaftsunion teilte mit, Merz
sei „genau der Richtige“, um die Neuaus-
richtung der CDU voranzutreiben.dpa


Schießsportvereine, wie hier in München, haben in Deutschland eine lange Tradition. Doch nach jeder Gewalttat, bei der
Sportwaffen verwendet wurden, wächst das Verlangen nach strengeren Regeln für Schützen. FOTO: STEPHAN RUMPF

Gablenz/Berlin– Das Auto des AfD-
Vorsitzenden Tino Chrupalla ist nach
einem mutmaßlichen Anschlag in der
Nacht zu Montag ausgebrannt, die Poli-
zei ermittelt wegen des Verdachts der
Brandstiftung. Chrupalla (FOTO: DPA) teilte
der Deutschen Presse-Agentur mit, der
Wagen habe auf dem abgeschlossenen
Grundstück seines Hauses im nordost-
sächsischen Gablenz gestanden. Nach
Angaben der Polizei konnte die Feuer-
wehr eine Ausbreitung der Flammen
verhindern, das Auto aber nicht mehr
retten. Die Polizei, die Chrupallas Na-
men nicht nannte, berichtete weiter,
der Fahrzeughalter habe nach eigenen
Löschversuchen über Atembeschwer-
den geklagt und sei vorsorglich in ein
Krankenhaus gebracht worden. „Ich
habe noch Atembeschwerden“, sagte
Chrupalla am Vormittag. Er habe sich
selbst aus dem Krankenhaus entlassen.


Das Landeskriminalamt Sachsen teilte
mit, man gehe von einer Brandlegung
aus, der polizeiliche Staatsschutz prüfe
einen politischen Hintergrund. Chrupal-
la sagte der ZeitungBild: „Bei aller
Schärfe in der politischen Auseinander-
setzung, aber das ist ein direkter An-
griff auf meine Familie. Das überschrei-
tet alle nur denkbaren Grenzen. Diese
Eskalation muss aufhören.“ Der Co-Vor-
sitzende Jörg Meuthen erklärte: „Er-
neut zeigt sich, wohin die unverantwort-
liche Stimmungsmache der anderen
Parteien führt.“ Politiker und Journalis-
ten sollten sich in ihrer Kritik an der
AfD mäßigen, „denn Extremisten ver-
stehen diese als Aufforderungen zu
schlimmsten Straftaten“. Auch Politiker
anderer Parteien äußerten sich empört.
„Es gibt überhaupt keine Toleranz ge-
genüber Gewalt gegen Sachen und Per-
sonen“, sagte Sachsens Ministerpräsi-
dent Michael Kretschmer (CDU): „Wer
zu solchen Methoden greift, spaltet die
Gesellschaft, sorgt für neue Aggressi-
on.“ Der sächsische Vize-Ministerpräsi-
dent Martin Dulig (SPD) schrieb auf
Twitter, Gewalt gegen Politiker sei „in-
akzeptabel“, er verurteile „das aufs
Schärfste“. Der FDP-Bundestagsabge-
ordnete Marco Buschmann twitterte:
„Gewalt darf kein Mittel der politischen
Auseinandersetzung sein – gegen nie-
manden.“ Chrupalla war erst im Dezem-
ber zum Nachfolger von Alexander
Gauland an die AfD-Spitze gewählt
worden. dpa, sz  Seite 4


Jedem seine


eigene Waffe


Nach den Morden von Hanau gerät der Schießsport wieder
einmal in die Kritik. Ortstermin bei einem Schützenverein

Einwanderer fragen sich nach
Hanau, wie deutsche Behörden
sie schützen wollen

Es sei nicht so, dass „alle uns
die Bude einrennen“,
sagt Arbeitsminister Heil

Härtetest für den Neuen


ThüringerCDU-Fraktion wählt Chef, Höcke tritt für die AfD an


Mario Voigt, 43,
Hochschulprofessor
aus Jena, wurde am
Montag zum Nachfol-
ger von Mike Moh-
ring an der Spitze
der CDU-Fraktion
im Thüringer Land-
tag gewählt.
FOTO: MARTIN SCHUTT / DPA

Weltpolitisch ist die neue SPD-Co-Chefin
Saskia Esken unerfahren. FOTO: W. KUMM/DPA

6 HMG (^) POLITIK Dienstag,3. März 2020, Nr. 52 DEFGH
CDU plant „digitale Townhalls“
Auto von AfD-Chef brennt aus
INLAND

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