Handelsblatt - 03.03.2020

(やまだぃちぅ) #1
Heike Anger Berlin

D


as Aufstöhnen in deut-
schen Amtsstuben war
förmlich zu hören, als
Bundesjustizministerin
Christine Lambrecht
(SPD) jüngst ihre Pläne zur Bekämp-
fung der Hasskriminalität im Internet
präsentierte: Noch mehr Arbeit!
Denn laut Gesetzentwurf sollen so-
ziale Netzwerke künftig verpflichtet
werden, dem Bundeskriminalamt
strafbare Inhalte wie Morddrohun-
gen und Volksverhetzungen zu mel-
den. Für die ohnehin überlasteten
Behörden dürfte das eine Flut neuer
Fälle bedeuten. Natürlich kann das
Internet kein rechtsfreier Raum sein.
Fraglos muss es eine wirksame Straf-
verfolgung geben. Trotzdem fürchten
die Staatsanwaltschaften schon jetzt
die neuen Aktenberge.
Die Ministerin verwies – wie bei
vielen anderen personalintensiven
Plänen der Großen Koalition, etwa
dem Gesetz zur Bekämpfung der Un-
ternehmenskriminalität – auf den
„Pakt für den Rechtsstaat“. Der sorge
schon dafür, dass genügend Personal
in der Justiz vorhanden sei. Doch ist
das so?
Tatsächlich hatten Union und SPD
in ihrem Koalitionsvertrag einen sol-
chen Pakt verabredet. Konkret besie-
gelt wurde das Prestigeprojekt dann
von Kanzlerin Angela Merkel (CDU)
und den Regierungschefs der Bun-
desländer im Januar 2019. Die Länder
sagten hierbei zu, gemeinsam 2 000
neue Stellen für Richter und Staats-
anwälte zu schaffen und zu besetzen


  • bezogen auf den Zeitraum von 2017
    bis 2021. Der Bund versicherte, die
    „Anstrengungen“ zu unterstützen:
    mit 220 Millionen Euro, die in zwei
    Tranchen ausgezahlt würden, jeweils
    nach Schaffung von 1 000 Stellen.
    Doch wie steht es aktuell um den
    Pakt für den Rechtsstaat? Eine Han-
    delsblatt-Umfrage unter den Bundes-
    ländern zeigt: Die Länder waren flei-
    ßig. Ende 2019 hatten bereits vier
    Länder ihr Soll erfüllt und mehr Stel-
    len geschaffen, als es gemäß König-
    steiner Schlüssel festgelegt war: Ber-
    lin, Bremen, Hamburg und Nieder-
    sachsen. Bundesweit wurden bis
    dahin knapp 1 600 neue Stellen ge-
    schaffen.


Bundesmillionen fließen
Mit dem laufenden Jahr werden zehn
Länder alle erforderlichen Stellen ge-
schaffen haben. Insgesamt gibt es
dann bereits 1 650 Positionen für
Richter und Staatsanwälte mehr als
vor dem Pakt. Mit dem Doppelhaus-
halt 2020/2021 erreicht dann auch
Baden-Württemberg seine Quote.
Im Jahr 2021 müssen nur noch 73
Stellen in sechs Bundesländern ge-
schaffen werden, um die jeweiligen
Länderanteile zu erreichen. Darunter
sind Nordrhein-Westfalen, Rhein-
land-Pfalz und Schleswig-Holstein.
Insgesamt wird die Anzahl der Stel-
len 2021 schließlich deutlich über
2 000 liegen. Denn in zahlreichen
Ländern steht die Haushaltsplanung
für das kommende Jahr noch aus.
Also läuft alles reibungslos beim
Pakt für den Rechtsstaat? So einfach
ist es dann doch nicht, wie ein Be-
richt der Länder zeigt, der Ende 2019
an den Haushaltsausschuss des Deut-
schen Bundestags ging und der dem
Handelsblatt vorliegt. Hier wurde vor
allem betont, „dass der Personalauf-
bau in den Ländern auf sehr unter-
schiedlichen Ausgangssituationen
aufsetzte“.
Demnach sehen sich manche Län-
der aufgrund eines Bevölkerungs-
rückgangs gezwungen, ihre Verwal-

tungs- und Gerichtsstrukturen orga-
nisatorisch zu verschlanken. Andere
Regionen hätten hingegen zu gewähr-
leisten, dass Administration und Jus-
tiz mit steigenden Bevölkerungszah-
len Schritt hielten. Weiter heißt es in
dem Papier: „Während einige Länder
notwendige Maßnahmen zur Konso-
lidierung ihrer Haushalte bereits er-
folgreich absolviert haben, sind ande-
re weiterhin gezwungen, Budgets zu
senken und Personalbestände zu re-
duzieren.“
Die Länder bekräftigten darum,
dass es um ein „länderübergreifen-
des Gesamtergebnis“ gehe. Wichtig
sei „eine spürbare weitere Stärkung
von Justiz und Sicherheitsbehörden
insgesamt“. Im Klartext: Wenn am
Ende einzelne Länder ihre Quote
nicht schaffen, die 2 000 Stellen aber
nachzuweisen sind, dann müssen die
Bundesmillionen auch fließen.
Beigefügt ist dem Bericht nur eine
Auflistung der zusätzlichen Stellen
„in der Ländergesamtheit“. Dem-
nach entstanden von 2017 bis 2018
insgesamt 1 217 Stellen für Richter
und Staatsanwälte. „Im Jahr 2018
wurden damit beim richterlichen
Personal Rekordwerte erreicht“,
heißt es in dem Bericht. Und weiter:
„Insofern bitten die Länder die Bun-
desregierung, die entsprechenden
Schritte zur Zahlbarmachung ihres
Finanzierungsanteils gemäß der ge-
troffenen Vereinbarung nunmehr in
die Wege zu leiten.“
Das geschah dann auch: Das zu-
ständige Bundesfinanzministerium
teilte dem Handelsblatt auf Anfrage
mit, dass die erste Tranche in Höhe
von 110 Millionen Euro den Ländern
Mitte Dezember 2019 zusammen mit
den weiteren Beträgen der bundes-
weiten monatlichen Umsatzsteuer-
verteilung überwiesen worden sei.

Stellen für Asylverfahren
„Unsere Erwartung an die Länder ist,
dass der Pakt schnell und konse-
quent umgesetzt wird“, mahnt der
rechtspolitische Sprecher der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion, Jan-Marco
Luczak. Das sei unabdingbar, um die
vielen neuen Aufgaben für die Justiz
auch stemmen zu können. Zudem
werde angesichts des zunehmenden
Populismus das Vertrauen der Bürger
in den Rechtsstaat – und damit auch
in die Demokratie – immer wichtiger.
Das Saarland zeigt indes, was für
ein Kraftakt die Umsetzung des Pakts
für den Rechtsstaat sein kann. Durch
die Haushaltsnotlagesituation bei Ein-
haltung der Schuldenbremse befin-
det sich das Land auf einem strengen
Konsolidierungspfad unter Aufsicht
des Stabilitätsrats.
Spielräume für neue Stellen für
Richter und Staatsanwälte gab es da-
rum zunächst gar nicht. Künftig sol-
len nun Stellen mit dem Vermerk
„kw“, also „künftig wegfallend“,
doch dauerhaft weiter zur Verfügung
stehen. Die „kw-Vermerke“ werden
entfernt. Zusätzliche Stellen sind das
aber eigentlich nicht.
Baden-Württemberg etwa schuf
mit dem Nachtragshaushalt 2019 al-
lein 80 Neustellen für Richter, nur
um die Verwaltungsgerichte bei der
„Asylverfahrenswelle“ zu entlasten.
Und Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Thüringen finanzieren via Pakt Stel-
len für Proberichter, die sowohl bei
einem Gericht als auch bei einer
Staatsanwaltschaft eingesetzt werden
können.
Wer sich in den Ländern zum Pakt
für den Rechtsstaat umhört, be-
kommt nicht nur Jubelmeldungen zu
hören. Die einmaligen Zahlungen des
Bundes an die Länder seien „gerade
einmal ein Tropfen auf den heißen

Pakt für den Rechtsstaat


Neue Stärke,


neue Arbeitsflut


Eine Umfrage zeigt: Die Länder haben die Zahl ihrer


Justizmitarbeiter erhöht. Kritik gibt es dennoch.


Nordrhein-Westfalen

HANDELSBLATT
1) Nach Königsteiner Schlüssel
2) Doppelhaushalt 2020/
3) 2017 bis 2020
Quelle: Eigene Recherche

Rheinland-Pfalz

Hessen

Saarland

Thüringen

Bayern

Baden-Württemberg

Sachsen

Sachsen-Anhalt

Niedersachsen

Mecklenburg-Vorpommern

Berlin

Schleswig-Holstein

Hamburg

Bremen
Brandenburg

19

52

45

3

10

22

42

20

21

101

100

158

220
41

37

35

35

(^8927)
195
346
38
56
251
219
147
4
95
12
50
19 60
51
40
188
422
68
97
260
311
103
24
149
100
53
55
Mehr Justizpersonal
Zusätzliche Stellen für Richter und Staatsanwälte
Stellen-Soll gesamt
2017 bis 2019
2020
2021
Getty Images
Recht & Steuern
DIENSTAG, 3. MÄRZ 2020, NR. 44
12
Stein“, moniert etwa der rheinland-
pfälzische Justizminister Herbert
Mertin (FDP). Sie deckten die zusätz-
lichen Personalausgaben der Länder
für nicht einmal zwei Jahre, während
die Länder Verpflichtungen für Jahr-
zehnte eingehen müssten.
„Währenddessen plant die Bundes-
justizministerin bereits weitere Pro-
jekte, die zu deutlicher Mehrarbeit
bei der Justiz führen könnten – etwa
die angedachten Meldepflichten für
soziale Netzwerke bei Hassrede oder
die geplante audiovisuelle Aufzeich-
nung von Strafprozessen“, kritisiert
Mertin. „Wenn der Bund hier zusätz-
lichen Aufwand bei den Ländern ver-
ursacht, muss er auch für die ent-
sprechenden Kosten aufkommen“,
fordert der FDP-Politiker.
„Die dauerhafte Absicherung der
Stellen sowie die auch in Zukunft
dringend nötigen weiteren Einstel-
lungen müssen die Länder aus eige-
ner Kraft stemmen“, erklärt auch die
Bremer Justizsenatorin Claudia Schil-
ling (SPD). Sie rechnet vor: Bremen
habe für die erste Tranche des Pakts
elf Stellen dauerhaft schaffen müssen



  • und erhalte dafür eine Einmalzah-
    lung in Höhe von 1,1 Millionen Euro.
    Dieser Betrag decke allerdings nicht
    einmal ganz die Gehaltskosten, die
    Bremen für die neu geschaffenen
    Stellen für zwei Jahre entstünden.
    Im Bericht an den Haushaltsaus-
    schuss des Bundestags heißt es: „Für
    die Besoldung der Richter und
    Staatsanwälte werden die Länder je-
    des Jahr voraussichtlich mindestens
    circa 240 Millionen Euro aufwen-
    den.“ Dazu kämen Millionen für das
    nichtrichterliche Personal plus Sach-
    kosten und Aufwendungen für die
    Büroarbeitsplätze.
    „Wirklich helfen würde ein dauer-
    hafteres Engagement des Bundes“,
    meint Hamburgs Justizsenator Till
    Steffen (Grüne). „Gerade auch im
    Kampf gegen Hasskriminalität und
    Hate-Speech im Internet braucht es
    gut ausgestattete Staatsanwaltschaf-
    ten und Gerichte.“ Deshalb werde
    der weitere Personalbedarf in Ham-
    burg permanent geprüft. Es laufe
    „die größte Personaloffensive seit 20
    Jahren“.
    Bei der Hamburger Staatsanwalt-
    schaft waren zuletzt 150 Mitarbeiter
    für rund 90 000 Verfahren zustän-
    dig. Eine Anschubfinanzierung für
    Verbesserungen stammt zum Teil
    auch aus dem Pakt für den Rechts-
    staat.


Nur ein Nullsummenspiel?
Der nordrhein-westfälische Justizmi-
nister Peter Biesenbach (CDU) hält es
für unabdingbar, die „verfehlte Spar-
politik im Bereich der Justiz“ zu be-
enden. Und laut Hessens Justizminis-
terin Eva Kühne-Hörmann (CDU)
dient der Pakt zu mehr als nur dazu,
die gerichtlichen Verfahren zu be-
schleunigen: „Unser Rechtsstaat ist
mehr als die Summe seiner Gesetze
und Justizstrukturen. Er ist ein Stück
deutsche Identität. Er verkörpert und
sichert unsere Demokratie und unse-
re Werte, indem er die Unabhängig-
keit der Justiz garantiert.“
Die „neue Stärke“ der hessischen
Justiz solle nun nicht nur im Kampf
gegen Hate-Speech, Wirtschafts- und
Internetkriminalität eingesetzt wer-
den. Die Justiz müsse auch „an-
sprechbarer, serviceorientierter und
leistungsfähiger“ werden.
Der Deutsche Richterbund (DRB)
ist allerdings skeptisch. „In der Justiz
ist die Belastungssituation heute
nicht durchgreifend besser als vor
dem Abschluss des Rechtsstaats-
pakts“, meint DRB-Bundesgeschäfts-
führer Sven Rebehn. Zahlreiche neue

Aufgaben zehrten den Personalzu-
wachs wieder auf. „Mit dem neuen
Gesetz gegen Hass und Hetze rollt be-
reits die nächste große Arbeitswelle
auf Staatsanwaltschaften und Gerich-
te zu“, beklagt Rebehn. Der Justiz ins-
gesamt fehlten heute immer noch ei-
nige Tausend Richter und Staatsan-
wälte, Rechtspfleger und Bürokräfte.
Zudem steht eine Pensionierungs-
welle bevor: Laut Richterbund gehen
bis 2030 über 40 Prozent der Richter
und Staatsanwälte in den Ruhestand.
Die neuen 2 000 Stellen wären in die-
sem Lichte ohnehin nur ein Nullsum-
menspiel.

Bleibt die Frage, ob die bewilligten
Stellen auch tatsächlich besetzt wer-
den. In Konkurrenz zu Unternehmen
und Kanzleien mit Topgehältern mag
es sein, dass die Karriere im Staats-
dienst beim Nachwuchs weniger An-
ziehungskraft entwickelt.
„Berlin ist eine attraktive Stadt und
die Justiz besser als ihr Ruf “, heißt es
dazu im Justizsenat der Hauptstadt.
Deshalb gebe es keine Probleme,
Richter- und Staatsanwaltsstellen zu
besetzen. „Die Zahl der geeigneten
Bewerbungen übersteigt immer die
Zahl der zu besetzenden Stellen“,
wird beteuert.

Angesichts überlanger Verfahren
und unbearbeiteter Fälle kann der
Vorsitzende der Vereinigung Berliner
Staatsanwälte diese Euphorie nicht
so recht teilen: „Wir sehen zwar, dass
sich diese Regierung von Vorgänger-
regierungen darin unterscheidet,
dass seit Langem das erste Mal für
nennenswerte Neueinstellungen Sor-
ge getragen wird“, sagt Ralph Knis-
pel. „Gleichwohl reichen die Zahlen
aus unserer Sicht insbesondere im
Lichte der absehbaren Welle von
Pensionierungen nicht aus, um dem
daraus drohenden Unheil wirksam
zu begegnen.“

Wirklich helfen


würde ein


dauerhafteres


Engagement


des Bundes.


Till Steffen (Grüne)
Hamburgs Justizsenator


 



  






 


  


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Recht & Steuern
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