Handelsblatt - 03.03.2020

(やまだぃちぅ) #1
C. Kerkmann, S. Scheuer
Düsseldorf

A


lles ist vernetzt: Fitness-
armbänder, Wasserko-
cher, Steckdosen und
sogar eine Personen-
waage. Alle Geräte sind
in schlichtem, weißem Design gehal-
ten. Und alle Geräte gehen auf die
chinesische Firma Xiaomi zurück. Im
Konferenzraum in Düsseldorf hat der
Finanzchef und Architekt der globa-
len Expansion von Xiaomi, Shou Zi
Chew, die Geräte drapieren lassen.
Chew ist der Mann, der Xiaomi
von einem mächtigen Digitalkonzern
in China zu einem globalen Spieler
machen soll. „Deutschland spielt für
uns eine zentrale Rolle“, sagt er im
Interview mit dem Handelsblatt. Auf
dem Heimatmarkt China hat sich das
Wachstum verlangsamt. Jetzt sollen
andere Märkte den Aufstieg von Xiao-
mi tragen.
Erst im August war Xiaomi offiziell
in der Bundesrepublik gestartet.
Aber schon heute sieht Chew
Deutschland als wichtigen Wachs-
tumstreiber. „Wir werden in den
kommenden 18 Monaten die Zahl un-
serer Mitarbeiter auf bis zu 50 aufsto-
cken“, sagt Chew. Derzeit nähmen
die ersten Xiaomi-Angestellten in
Düsseldorf ihre Arbeit auf. Im zwei-
ten Quartal 2020 werde ein Flagship-
Store in Düsseldorf eröffnet.

In nur zehn Jahren ist Xiaomi einer
der größten Smartphonehersteller
der Welt geworden. Lange trieb das
Geschäft auf dem Heimatmarkt die
Absatzzahlen. Heute will Xiaomi vor
allem international wachsen und hat
sein Portfolio auf Dutzende vernetzte
Geräte ausgeweitet. Deutschland und
Europa kommen dabei eine Schlüs-
selrolle zu. Damit steht die Firma
nicht allein da. Mit Rivalen aus China
wie Vivo, Oppo oder TCL wollen etli-
che Technologiefirmen ihren Fokus
auf Europa erweitern.
Xiaomi gilt schon jetzt als sehr er-
folgreicher Aufsteiger in Europa.
„Die Firma hat extrem Gas gegeben“,
sagt Gartner-Analystin Annette Zim-
mermann. Im letzten Quartal des
Jahres 2019 habe die Firma in West-
europa ihren Absatz von Mobilgerä-
ten verdreifachen können im Ver-
gleich zum Vorjahreszeitraum. „Mitt-
lerweile bekommt die Marke einen
Wiedererkennungswert“, sagt Zim-
mermann.
Von der vorläufigen Deutschland-
zentrale in Düsseldorf aus koordi-
niert Chew den Ausbau des Ge-
schäfts in der Bundesrepublik. Schon
heute verkauft die Firma ihre Geräte
über Händler wie Media Markt und
Saturn. Gleichzeitig vertreibt sie auch
eine kleine Zahl ihrer Produkte über
den Onlineshop mi.com. „Das wer-
den wir künftig deutlich ausbauen“,
kündigt Chew an.

Dabei geht Xiaomi davon aus, dass
in Europa nicht alles gut ankommt,
was in China und Asien funktioniert.
„Unsere Wasserfilter werden sich ver-
mutlich nicht ganz so gut verkaufen“,
schätzt Chew. „In Deutschland gibt
es ja gutes Trinkwasser aus dem
Hahn.“ Dafür schätzt er, dass andere
Geräte aus dem Xiaomi-Sortiment
sehr gut ankommen werden. Die
smarten Fitnessarmbänder mit Puls-
messer verkaufen sich schon heute
gut in Europa – und sind deutlich
günstiger als viele Konkurrenzpro-
dukte. „Auch bei unseren Luftfiltern
sehe ich großes Potenzial“, sagt
Chew. „In China filtern unsere Kun-
den damit Smog aus der Luft. In
Deutschland könnten Allergiker die
Geräte nutzen, um Pollen aus der
Luft zu saugen.“
Das wichtigste Produkt der
Chinesen sind allerdings
Smartphones. Das Geschäft
damit ist in China unter
Druck. Deshalb sucht der
Konzern nach anderen
Märkten.
Gartner-Analystin Zim-
mermann sagt, Xiaomi sei es
gelungen, ein Ökosystem von
vernetzen Produkten aufzubau-
en. „Xiaomi bietet ein großes
Sortiment.“ Zum Beispiel mit
Lösungen für die vernetzte
Wohnung – etwa die Steue-
rung von Licht, Türen oder

Saugrobotern – habe Xiaomi viele
Produkte im Portfolio. Allerdings sei
genau in diesem Feld das Geschäft in
Europa noch eher schleppend.
Lokale Niederlassungen wie das
Xiaomi-Büro in Düsseldorf sind bei
dieser Expansion wichtig: Die Unter-
nehmen sind damit für die Mobil-
funkanbieter und Handelsketten er-
reichbar, können die Produkte an
die lokalen Gegebenheiten anpassen
und Kundenservice organisieren.
„Es geht darum, ein vertrauenswür-
diger Partner zu sein“, sagt Francis-
co Jeronimo, Analyst beim Marktfor-
scher IDC.
Xiaomi-Manager Chew möchte das
Geschäft in Europa mit günstigen Ge-
räten ausbauen. Von der neuen Mo-
bilfunktechnik 5G will er neue Käu-
ferschichten überzeugen und in den
nächsten Monaten eine Reihe neuer
Produkte mit 5G-Technik auf den
Markt bringen.

Marktschwäche in
der Heimat
Elektronikhersteller wie Xiaomi, Op-
po und TCL haben mit China einen
riesigen Heimatmarkt. Dieser sei
nach vielen Jahren starken Wachs-
tums aber mittlerweile gesättigt, sagt
IDC-Analyst Jeronimo. 2019 sank die
Zahl der Auslieferungen um 7,5 Pro-
zent auf 367 Millionen Stück, in die-
sem Jahr dürfte die Verbreitung des
Coronavirus für zusätzliche Proble-
me sorgen. „Die Unternehmen su-
chen daher neue Märkte, um ihr Ge-
schäft auszuweiten.“
Dabei sind die USA und Europa
als große und reiche Wirtschaftszo-
nen besonders attraktiv: „Die Ver-
braucher geben mehr Geld für
Smartphones aus, die Hersteller er-
zielen höhere Margen.“ Zumal sich
gerade durch die Sanktionen der
USA gegen Huawei eine große Chan-
ce biete, wie der Analyst betont – oh-
ne Google-Dienste wie den „Play
Store“ sind die Geräte im Westen
kaum verkäuflich. „Andere Unter-
nehmen haben die Chance, Markt-
anteile von Huawei zu gewinnen.“

Technologie


Tech-Boom aus China


Technologiefirmen aus der Volksrepublik entdecken Europa und


vor allem Deutschland als Wachstumsmarkt. Der


Weltmarktführer für smarte Haushaltsgeräte, Xiaomi, will eine


Zentrale und einen Flagship-Store in Deutschland eröffnen.


Fotografieren mit Oppo-
Handy: Chinesische Kon-
zerne suchen neue Märkte.

Bloomberg

Xiaomi-Manager
Shou Zi Chew:
„Wir glauben an
freie Märkte.“

Visual China Group/Getty Images

Unternehmen & Märkte
DIENSTAG, 3. MÄRZ 2020, NR. 44
20

Bei Netzbetreibern und Händlern
stoßen die Firmen aus Fernost auf
Wohlwollen. Einerseits, weil sie ein
Gegengewicht zu Apple und Sam-
sung bieten, die das Premiumseg-
ment dominieren. Andererseits, weil
sie mit ihren Kampfpreisen die Ein-
führung der neuen Mobilfunkgenera-
tion 5G erleichtern. „5G ist eine dis-
ruptive Technologie, aber damit die
Verbraucher davon profitieren, brau-
chen sie bezahlbare Geräte“, sagt Je-
ronimo. Xiaomi, TCL und Oppo
könnten diese Nachfrage bedienen.
Kurz: Der neue Standard ist eine
Chance für neue Wettbewerber.
Die Ausbreitung des Coronavirus
wird die Ambitionen der chinesi-
schen Firmen womöglich dämpfen.
Der Marktforscher Strategy Analytics
erwartet Beschränkungen für die Zu-
lieferer, die die Produktion im ersten
Halbjahr 2020 dämpfen könnten – es
sei in einigen Ländern mit schleppen-
den Verkäufen zu rechnen. Grund-
sätzlich steht die Strategie der Her-
steller jedoch nicht infrage.

Probleme von Huawei
helfen Xiaomi
Die Auswirkungen durch den Aus-
bruch des Virus in China könnten
dramatische Folgen für die Firmen
haben. „Der Verkauf ist in China fast
komplett zum Erliegen gekommen“,
sagt Gartner-Analystin Zimmer-
mann. Einige Verbraucher hätten
vermutlich die Anschaffung nur auf-
geschoben. Sie würden dann einfach
die nächsten Geräte kaufen, sobald
die Produktion wieder angelaufen
sei. Es werde jedoch auch einige
Kundinnen und Kunden geben, die
schlicht auf ein neues Gerät verzich-
teten.

Xiaomi kann allerdings von einem
Sonderfall profitieren. Der chinesi-
sche Rivale Huawei steht massiv un-
ter Druck. Die USA werfen der Firma
vor, ein Risiko für die Cybersicherheit
darzustellen. Sie haben Huawei auf
eine Verbotsliste gesetzt. US-Firmen
ist daher die Zusammenarbeit mit
Huawei verboten. Bislang gibt es nur
wenige Ausnahmen.
Das führt zu großen Problemen für
das Unternehmen. Das neue Spitzen -
smartphone Mate 30 Pro verkauft
Huawei zwar in Deutschland. Der
Elektronikhändler Media Markt hat
derzeit eine Version des Geräts mit
256 Gigabyte Speicher für 1 009 Euro
im Sortiment. Allerdings sind auf den
Geräten die Dienste von Google nicht
installiert. Die Google-Mutter Alpha-
bet durfte aufgrund der US-Vorgaben
nicht länger mit Huawei zusammen-
arbeiten.
Das führt zu der für Huawei dra-
matischen Situation, dass die Firma
zwar ein Spitzensmartphone mit her-
vorragender Hardware ausliefern
kann. Kunden, die den stolzen Preis
von mehr als 1 000 Euro bezahlt ha-
ben, können jedoch beliebte Dienste

wie das Kartenprogramm Maps, den
E-Mail-Service Gmail oder die Pro-
grammdatenbank Playstore nicht
nutzen.
Allerdings könnte auch Xiaomi als
chinesisches Unternehmen in den
Fokus der US-Behörden geraten. Es
sei eigentlich aus US-Sicht nicht kon-
sequent, dass Huawei auf der Ver-
botsliste steht, Xiaomi aber nicht, ar-
gumentiert Gartner-Analystin Zim-
mermann. Xiaomi-Manager Chew
winkt ab. Das sei kein direktes Risiko.
„Wir glauben an freie Märkte und
den Nutzen, den wir Kunden überall
auf der Welt bringen“, sagt er.
Xiaomi sei bewusst, dass Cybersi-
cherheit und Datenschutz ein ganz
wichtiges Thema seien, argumen-
tiert Chew. Deshalb unternehme die
Firma viel, um die Informationen ih-
rer Kunden zu schützen. „Wir erfül-
len die Datenschutz-Grundverord-
nung in Europa komplett“, hebt
Chew hervor.
Xiaomi weiß viel über seine Nutzer


  • viel mehr als viele andere Unterneh-
    men. Denn dem Konzern liegen Da-
    ten nicht nur über Smartphones vor,
    sondern auch von anderen smarten
    Endgeräten. Zum Beispiel fertigen die
    Saugroboter der Firma Grundrisse
    der Wohnung an, die sie reinigen. Fit-
    nessarmbänder überwachen den
    Puls ihrer Träger und wissen, wie viel
    Sport sie treiben und wie viele Schrit-
    te sie gehen.
    Doch wo werden die Daten von
    Kunden in Deutschland gespeichert?
    Im Gespräch mit dem Handelsblatt
    sagt Chew, die Antwort auf diese Fra-
    ge müsse er nachreichen. Wenige Ta-
    ge später kommt die Rückmeldung
    aus China, dass der Speicherort von
    der Art des Dienstes abhänge. Cloud-
    Dienste auf den Smartphones wür-
    den über einen Server der Amazon-
    Tochter AWS in Deutschland abgewi-
    ckelt. Andere Daten würden
    hingegen auf Servern des chinesi-
    schen Technologiekonzerns Alibaba
    in Singapur gespeichert.


Unternehmen passen
ihre Strategien an
Neben Xiaomi weitet auch der chine-
sische Elektronikhersteller TCL sei-
nen Fokus auf Europa aus. Das Unter-
nehmen verkauft zwar schon
Smartphones in Europa, bislang aber
meistens unter anderen Markenna-
men, wie Alcatel und Palm. Nun will
die Firma mit neuen Geräten unter
dem eigenen Namen TCL neue Käu-
fer in Europa gewinnen.
Europa und Nordamerika seien
Schlüsselmärkte, so Kommunikati-
ons- und Strategiechef Jason Gerdon
gegenüber dem Handelsblatt. Alcatel
steht für preiswerte Geräte, bei de-
nen der Name im Hintergrund steht.
Viele werden günstig mit Prepaid-Ta-
rif oder ohne Sim-Karte verkauft. Die

eigene Marke stehe dagegen für Pre-
mium in der Mittelklasse: also Model-
le für bis zu 500 Euro mit hochwerti-
ger Ausstattung.
Das Kalkül: Das Smartphone soll
die Fernbedienung für zahlreiche Ge-
räte werden, die TCL verkauft, wie et-
wa Fernseher. „Die Marke ist über die
Jahre gereift, sie steht für ein Ökosys-
tem“, so Gerdon. Ähnlich wie Xiaomi

will das Unternehmen eine ganze Pa-
lette von Produkten mit einheitli-
chem Namen vermarkten.
Der Markt ist allerdings umkämpft.
Das räumt Gerdon unumwunden ein:
Gerade in Europa gebe es eine Viel-
zahl von Marken. Der Konzern will
die Bekanntheit aus dem TV-Geschäft
nutzen, wo bereits der Fußballer Ney-
mar als Markenbotschafter wirbt. Zu-
dem soll die Präsenz im Handel hel-
fen: Viele Netzbetreiber bieten bereits
Geräte von Alcatel an, viele Elektro-
nikmärkte die Fernseher. „Für Ver-
braucher mag TCL eine neue
Smartphonemarke sein, aber nicht
für die Unternehmen, die die Geräte
verkaufen.“
Um sich von der Konkurrenz abzu-
setzen, will TCL das Know-how aus
dem TV-Geschäft für die Bildschirme
nutzen. Wie genau, bleibt noch im
Ungefähren, es geht aber beispiels-
weise um die Verbesserung der Qua-
lität und flexible Displays. Zudem
hofft das Unternehmen auf den neu-
en Mobilfunkstandard 5G – der werde
in diesem Jahr einen Wendepunkt er-
reichen, ist Gerdon überzeugt. „Wir
helfen den Mobilfunkanbietern, mit
attraktiven Preisen die Technologie
zu verbreiten.“

2019

33,0 %
Samsung

11,4 %
Sonstige

2,1 %
Wiko

4,9 %
Xiaomi

27,1 %
Apple

21,5 %
Huawei

Das Geschäft mit Mobiltelefonen
Der europäische Smartphone-Markt 2019 Marktanteile in Prozent

Samsung
Apple
Huawei
Xiaomi
Wiko
Sonstige
Gesamt

40,
33,
26,
6,
2,
13,
122,

Verkaufte Einheiten
in Millionen

+2,
-2,
-8,
+53,
-27,
-17,
-3,

% % % % % % %

Veränderung
zum Vorjahr

HANDELSBLATT Quelle: IDC

Sättigung

7, 5


PROZENT
weniger Smartphones gingen in
China 2019 im Vergleich zum Vor-
jahr über die Ladentheken.

Quelle: IDC








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