Handelsblatt - 03.03.2020

(やまだぃちぅ) #1
Michael Maisch Frankfurt

E


s war eine mutige, vielleicht sogar eine
wegweisende Entscheidung. Im Herbst
2019 beschloss die französische Bank
Natixis, im Investmentbanking und im
Unternehmensgeschäft alle Finanzie-
rungen an den Konsequenzen für Klima und Um-
welt auszurichten. Dafür hat die Investmentbank
der französischen Sparkassen und Genossen-
schaftsbanken einen sogenannten Greenweighting-
Faktor entwickelt, den sie auf ihr gesamtes Portfo-
lio anwendet. Diese Methode sorgt dafür, dass die
internen Berechnungen der Bank grüne Projekte
belohnen und schmutzige Projekte bestrafen.
Es ist die bislang radikalste Lösung, die ein Geld-
haus entwickelt hat, um sein Kreditportfolio und
seine Finanzierungspolitik auf Nachhaltigkeit zu
trimmen. Ökologischer Wandel und grüne Invest-
ments sind seit vielen Monaten beherrschende
Trends in der Branche. „Das Thema Nachhaltigkeit
wird nicht mehr verschwinden“, sagt Armin von
Falkenhayn, Deutschlandchef der Bank of America
Merrill Lynch. „Nicht nur weil der politische und
der gesellschaftliche Druck steigt, sondern auch,
weil die Empirie zeigt, dass nachhaltig gemanagte
Unternehmen an den Kapitalmärkten besser ab-
schneiden, egal ob es um die Aktien- oder die An-
leiheseite geht.“
Die Aufseher machen ebenfalls mobil. Sie treibt
die Sorge um die Klimarisiken um, die in den Bilan-
zen der Geldhäuser schlummern. Diese Risiken

sind schwer zu messen. Aber sie sind so gefährlich,
dass die Ratingagentur Standard & Poor’s im ver-
gangenen Jahr sogar vor einer „Herausforderung
für die Stabilität des Finanzsystems“ warnte. Des-
halb haben die Aufseher die großen Geldhäuser in
der Euro-Zone verpflichtet, ab dem Jahr 2022 ihre
Umwelt- und Nachhaltigkeitsrisiken offenzulegen.

„Braune“ Deals kosten mehr
Mit dem Greenweighting-Faktor will Natixis beide
Seiten des Problems angehen: Klimarisiken in der
Bilanz realistisch bewerten und gleichzeitig grüne
Finanzierungen fördern. Der Plan mag konsequent
sein, aber er ist in der Branche auch heftig umstrit-
ten. Kritiker fürchten, dass vor allem der zweite
Teil – die Belohnung grüner Investments – zu einer
verzerrten Kapitalallokation führt. Im schlimmsten
Fall könnten sich die Banken neue Klumpenrisiken
in die Bilanzen holen. Die größten Skeptiker war-
nen gar vor einer grünen Blase in den Bankbü-
chern und an den Märkten.
Diese Bedenken will Orith Azoulay, verantwort-
lich für grüne und nachhaltige Finanzierungen im
Bereich Corporate- und Investmentbanking, bei
Natixis nicht gelten lassen. 18 Monate lang habe die
Entwicklungsarbeit für den Greenweighting-Faktor
gedauert. Jetzt seien Datenbasis und Methode so
ausgereift, dass die Bank die Umwelt- und Klimari-
siken in ihrem Portfolio wirklich verstehen und be-
werten könne. „Wir kamen zu der Schlussfolge-

rung, dass die risikogewichteten Aktiva der beste
Weg sind, um diese Risiken zu managen“, sagt die
Expertin.
Jeden Kredit, den Banken vergeben, müssen sie
je nach Qualität und Art der Finanzierung mit Ka-
pital unterlegen, die sogenannten risikogewichte-
ten Aktiva. Je weniger eine Bank für einen Kredit
zurücklegen muss, desto höher fallen die risikoge-
wichteten Erträge für einen Kredit aus. Der neue
Greenweighting-Faktor von Natixis funktioniert fol-
gendermaßen: In ihren internen Kalkulationen be-
rechnet die Bank für „grüne“ Finanzierungen bis
zu 50 Prozent weniger risikogewichtete Aktiva.
„Braune“ Deals, die der Umwelt und dem Klima
schaden, bekommen dagegen einen Aufschlag um
bis zu 24 Prozent. Die Folge: Haben zwei Finanzie-
rungen das gleiche Kreditrisiko, hätten die Natixis-
Banker mit der neuen Methode einen starken An-
reiz, sich für das grünere Projekt zu entscheiden.

Eine neue Blase?
Jede einzelne Finanzierung, die zur Entscheidung
ansteht, bekommt einen Farbcode, der auf einer
siebenstufigen Skala von dunkelbraun bis dunkel-
grün reicht. Dieses Verfahren wendet die Bank
aber nicht nur auf neue Deals an, sondern auch auf
ihr bestehendes Portfolio. Bislang sind 70 Prozent
erfasst. Gemessen an den risikogewichteten Aktiva
fallen 51 Prozent aller risikogewichteten Aktiva von
Natixis in die Kategorie braun, 26 Prozent sind neu-

Ringen um


die grüne Bank


Das französische Geldhaus Natixis hat einen radikalen Ansatz


für grünere Finanzierungen entwickelt. Das Konzept ist in der Branche


heftig umstritten.


Photovol-
taik-Park:
Mehr Anreiz
für grüne
Projekte. REUTERS

24


PROZENT
Risikoaufschlag können „braune“,
also umweltschädliche Deals bei
der Natixis-Bank bekommen.

Quelle: Unternehmen

Finanzen


& Börsen


DIENSTAG, 3. MÄRZ 2020, NR. 44
30


tral und 23 Prozent grün. Mit seiner Initiative gehe
„Natixis über das Mindestmaß hinaus und über-
nimmt eine gewisse Vorreiterrolle“, meint Chris-
toph Betz, Partner bei der Beratungsgesellschaft
KPMG. Aber Betz sieht auch die Schattenseiten des
Konzepts: „Kritiker befürchten, dass der Green-
weighting-Faktor zu einer Fehlallokation von Kapi-
tal führen könnte, dass also mehr Kapital in grüne
Projekte fließt, als wirtschaftlich sinnvoll wäre.“
Graham Clapp vom Vermögensverwalter RWC
Partners geht noch einen Schritt weiter. Er warnt
vor einer Blase an den Kapital- und Finanzmärk-
ten, ähnlich der, die sich Ende der 1990er-Jahre im
Technologiebereich aufblähte. „Wir glauben daran,
Kapital in Unternehmen zu investieren, die sich an
Umweltschutz, sozialer Gerechtigkeit und gutem
Management orientieren. Aber das darf nicht dazu
führen, dass fundamentale Kriterien vernachlässigt
werden“, warnt Crapp. Investoren würden derzeit
Geld in Unternehmen pumpen, nur weil sie das
Etikett Klimaschutz tragen, unabhängig davon, wie
viel Substanz dahinterstecke.
Als Beispiel nennt Crapp, dass Gewinnwarnun-
gen des weltgrößten Herstellers von Offshore-
Windturbinen dem Aktienkurs in keiner Weise ge-
schadet hätten. Tatsächlich sorgte die Warnung des
dänischen Konzerns Orsted, dass Windfarmen
nicht so viel Strom produzieren wie ursprünglich
geplant, nur für eine kurze Kurskorrektur, bevor
die Aktie auf neue Höchststände kletterte.
Die Furcht vor einer grünen Blase an den Börsen
lässt sich auf die Bilanzen der Banken und ihre Kre-
ditvergabe übertragen. Deshalb zögern viele Häu-
ser, dem Beispiel von Natixis zu folgen. „Es gibt ei-
ne ganze Menge, was die Branche im Kampf gegen
den Klimawandel tun kann, jenseits der Bevorzu-
gung grüner Projekte bei den internen Berechnun-
gen“, meint Richard Burton, Chef des Corporate-
und Investmentbankings der italienischen Groß-
bank Unicredit. Er ist überzeugt davon, dass „die
Kreditrisiken im Mittelpunkt stehen sollten, wenn
es um die Entscheidung für oder gegen eine Finan-
zierung geht“. Das gelte selbstverständlich auch für
ökologische Projekte.
Natixis-Expertin Azoulay betont, dass der Green-
weighting-Faktor nur einer von vielen Maßstäben
sei, die in Finanzierungsentscheidungen einfließen
„Natürlich löscht er nicht all die anderen Faktoren
aus, die in der Summe unser Risikomanagement
ausmachen.“ Die Bankerin berichtet von ermuti-
gendem Feedback. „Kunden und Investoren schät-
zen es, dass wir ein robustes und einfaches Werk-
zeug für die Entscheidungsfindung entwickelt ha-
ben.“ Auch von den Aufsehern gebe es viel
Interesse an der Idee der französischen Bank.

Misstrauische Aufseher
Allerdings ist dieses Interesse nicht immer wohl-
wollend. Das Thema Risiko sollte bei der Beurtei-
lung von Finanzanlagen und Krediten immer die
zentrale Rolle spielen, betonte Felix Hufeld, Präsi-
dent der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-
aufsicht, kürzlich. Leider würden Finanzrisiken im-
mer häufiger zugunsten anderer Ziele in den Hin-

tergrund geschoben, das gelte auch für die
„nachhaltige Finanzwirtschaft“.
Unstrittig ist dagegen auch für Hufeld und ande-
re Aufseher, dass die Finanzfirmen ihre Klimarisi-
ken erfassen und bewerten sollen. „Der Trend in
der Branche geht eindeutig zu mehr Transparenz,
das zeigen Beispiele wie der Terra-Ansatz von
ING“, meint KMPG-Experte Betz. Die niederländi-
sche Großbank hat für ihr Kreditbuch neun Berei-
che identifiziert, die zentral für den Klimaschutz
sind, von der Energieerzeugung über die Automo-
bilbranche bis hin zu Stahl- und Zementherstel-
lern. In diesen Bereichen will die Bank ihr Engage-
ment so steuern, dass es in Übereinstimmung mit
den Pariser Klimazielen steht.
Im Herbst des vergangenen Jahres veröffentliche
ING einen ersten Zwischenbericht zum Terra-Pro-
jekt. Das Ergebnis: Für fünf der neun Bereiche hat
die Bank eine Messmethode entwickelt und Ziele
für die CO2-Reduzierung festgelegt, die vier übri-
gen sollen in diesem Jahr folgen. In den Bereichen
Energieerzeugung und Zement liegt die Bank mit
ihren CO2-Zielen im Plan, in der Automobilbran-
che und bei Wohnimmobilien darunter. Bei den ge-
werblichen Immobilien verfügt ING noch nicht
über die nötige Datenbasis, um die Fortschritte
präzise genug zu messen. ING sieht vor allem zwei
Ansätze, um die Klimaziele zu erreichen. Zum ei-
nen will die Bank ihre bestehenden Kunden dabei
unterstützen, ihren Kohlendioxid-Ausstoß zu ver-
ringern. Der zweite Weg ähnelt im Ansatz dem Na-
tixis-Projekt: ING denkt darüber nach, die eigene
Kapitalallokation in Richtung klimafreundlicherer
Finanzierungen zu verschieben.
Trotz aller Kontroversen rund um den Green-
weighting-Faktor will Natixis an seinem Konzept
festhalten. Auch weil die Initiative einen wichtigen
Vorteil biete: Die Vorgaben helfen nach Meinung
von Azoulay, die Bank schnell und entschieden auf
Nachhaltigkeit zu trimmen: „Der Greenweighting-
Faktor ist ein sehr gutes Instrument, um echten
Wandel innerhalb einer Organisation voranzutrei-
ben“, meint die Expertin. Das sieht auch von Fal-
kenhayn von der Bank of America als wichtiges Ar-
gument: „Vielleicht ist in Zeiten des Übergangs ein
bisschen ordnungspolitische Verzerrung nötig, um
den Wandel wirklich in Gang zu bringen.“

CO2-negativ

CO2-negativ

Messbares Risiko
Bewertung von Umwelt- und Klimarisiken
in der Bilanz der Natixis Unternehmens- und Investmentbank

HANDELSBLATT Stand: September 2019 • Quelle: Natixis

Nominell in Prozent

Risikogewichtet in Prozent

Neutral CO2-positiv

Neutral CO2-positiv

51 % 26 % 23 %

38 % 19 % 43 %

Natixis-Bank:
Das Geldhaus will
Klimarisiken in
der Bilanz realis-
tisch bewerten.

Romain GAILLARD/REA/laif

Klimawandel

Fondsmanager


gegen Kohle


D


ie Klimaaktivisten von Extinction Rebelli-
on sind nicht gerade als Freunde des Fi-
nanz-Establishments bekannt. Den Lon-
doner Hedgefondsmanager Chris Hohn und seine
wohltätige Stiftung scheint das nicht zu stören.
50 000 Pfund hat Hohn im vergangenen Oktober
laut britischen Medien an Extinction Rebellion
überwiesen, die größte Einzelspende, die die
Gruppe jemals erhalten hat. Die Anekdote zeigt,
wie sehr Hohn das Thema Klimawandel am Her-
zen liegt. Deshalb hat der Hedgefondsmanager
jetzt Briefe an Mark Carney, den Gouverneur der
Bank of England (BoE), und an Christine Lagarde,
die Präsidentin der Europäischen Zentralbank
(EZB), geschrieben. Hohns Ziel: Finanzierungen
für Kohlekraftwerke sollen für die Geschäftsban-
ken so teuer werden, dass sie sich nicht mehr
rechnen.
Die Geldhäuser müssen für jeden Kredit je nach
Risiko Kapital zurücklegen. Hohn fordert von Car-
ney und Lagarde, dass sie überprüfen, ob die risi-
kogewichteten Aktiva, die die Banken für die Fi-
nanzierung von Kohlekraftwerken bereitstellen,
angemessen sind. Die Ergebnisse dieser Überprü-
fung sollen die EZB und die BoE veröffentlichen,
sodass den Banken und ihren Anteilseignern klar
wird, welch hohes Risiko die Finanzierung von

Kohleenergie darstellt. „Kohle ist die wichtigste
Einzelquelle von Treibhausgasen weltweit, und
das Risiko der anhaltenden Nutzung im Energie-
sektor wird von Regulierern und dem Finanzsys-
tem nicht adäquat berücksichtigt“, heißt es in den
Briefen, die von Hohns Stiftung Children’s Invest-
ment Fund Foundation verschickt wurden.
Ähnliche Schreiben hat die Stiftung an die drei
britischen Banken Standard Chartered, Barclays
und HSBC versandt. Die drei Institute sollen ihre
Finanzierungen für Kohlekraftwerke en détail of-
fenlegen und die Darlehen als Hochrisikokredite
bewerten. Standard Chartered hat bereits 2018
angekündigt, keine neuen Kohlekraftwerke mehr
zu finanzieren. Im vergangenen Jahr zog sich die
Bank aus drei Projekten in Asien zurück. Barclays
hat sich Anfang 2019 ebenfalls verpflichtet, keine
neuen Kohlekraftwerke oder deren Erweiterung
zu unterstützen. Ähnliche Zusagen hat auch HSBC
gemacht. Dabei hat die Großbank aber Vietnam,
Bangladesch und Indonesien bis 2023 als Ausnah-
me zugelassen – und damit die Kritik von Umwelt-
aktivisten auf sich gezogen.
In Deutschland ist Hohn vor allem wegen der
von ihm angezettelten Aktionärsrevolte bei der
Deutschen Börse bekannt. Damals, im Jahr 2005,
mussten am Ende Vorstandschef Werner Seifert
und der Aufsichtsratsvorsitzende und frühere
Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer ihre Posten auf-
geben. Zuletzt machte Hohn im VW-Skandal von
sich reden, als er die üppige Bezahlung des Volks-
wagen-Vorstands als eine „Schande“ bezeichnete.
Der Hedgefondsmanager selbst wird auf der Rei-
chenliste der „Sunday Times“ mit einem Privat-
vermögen von 1,2 Milliarden Pfund geführt. mm

50 000


PFUND
hat Chris Hohn im vergangenen Oktober
an Extinction Rebellion überwiesen.

Quelle: Britische Medien

Finanzen & Börsen


DIENSTAG, 3. MÄRZ 2020, NR. 44
31
Free download pdf