Handelsblatt - 03.03.2020

(やまだぃちぅ) #1
Ulf Sommer Düsseldorf

D


ax und Dow Jones minus zwölf Pro-
zent, Deutsche Post minus 15 und
Lufthansa minus 21 Prozent. Das ist
die Bilanz an der Börse in der vergan-
genen Woche. Als viele Anleger ihre
Aktien verkauften, dürfte nicht nur pure Angst vor
Corona der Auslöser gewesen sein. Vielmehr wer-
den auch rationale Überlegungen eine Rolle gespielt
haben: Sie wollen sich von Unternehmensanteilen
trennen, weil es den Firmen als Folge der Ausbrei-
tung des Coronavirus künftig schlechter gehen wird
als vor ein paar Wochen gedacht. In den Negativsog
gerieten beispielsweise Unternehmen, deren Erträ-
ge überdurchschnittlich stark sinken, weil ange-
sichts geschlossener Fabriken weniger Autos und
Zulieferteile produziert werden.
Im Fokus stehen einmal mehr die vielen export-
starken deutschen Unternehmen, die auf einen flo-
rierenden Welthandel und auf grenzüberschreiten-
de Lieferketten angewiesen sind, die jetzt aber viel-
fach unterbrochen sind. Wie kaum ein anderes
Unternehmen in Deutschland spiegelt BASF die Co-
rona-Krise und die daraus folgenden Spekulationen
an den Finanzmärkten wider. Als weltgrößter Che-
miehersteller versorgt BASF Unternehmen aus so
gut wie allen Branchen mit chemischen Grundpro-
dukten. Sinkende Nachfrage und unterbrochene
Lieferketten wirken sich sofort auf das Geschäft aus.
Erstmals veröffentlichte BASF Ende vergangener
Woche keine konkrete Jahresprognose mehr, son-
dern nur noch Ertragsspannen: etwa für das Ergeb-
nis vor Steuern und Zinsen zwischen 4,2 und 4,
Milliarden Euro im Gesamtjahr. Die breite Spanne
spiegelt nach den Worten von Konzernchef Martin
Brudermüller die ganze Unsicherheit wider. 2020
werde schlechter als bislang angenommen, und er
erwarte nicht, „dass die Corona-Effekte im Jahres-
verlauf vollständig ausgeglichen werden können“.
Besonders betroffen ist die deutsche Autoindus-
trie. Bei Daimler wackelt die Gewinnprognose, wie
seit Tagen von Analysten zu hören ist. „Daimlers
deutliche Dividendensenkung ist ein Warnsignal,
dass der deutsche Autosektor unter enormem Stress
steht“, urteilt Commerzbank-Analyst Andreas Hür-
kamp. Der Stuttgarter Autobauer hat seine Dividen-
de von 3,25 auf 0,90 Euro gekürzt. Das ist unge-
wöhnlich in Zeiten, in denen die Unternehmen,
wenn es irgendwie geht, an ihrer Dividende festhal-
ten, um Anlegern Kontinuität zu bieten. Daimler er-
wirtschaftet ein Drittel seiner Umsätze in China, bei
Volkswagen sind es sogar 40 Prozent. Für die Auto-
bauer ist China der mit Abstand wichtigste Einzel-
markt. Der Branchenverband VDA strich seine Prog-
nose 2020 für den wichtigen chinesischen Absatz-
markt auf ein Minus von sieben Prozent zusammen.

Im Januar waren die Verkaufszahlen in China um 20
Prozent auf 1,6 Millionen Fahrzeuge eingebrochen.
Gewinnzuwächse von gut zehn Prozent, wie sie
Analysten im Schnitt für die 30 Dax-Konzerne in die-
sem Jahr bislang erwartet hatten, sind angesichts ih-
res China-Anteils von 15 Prozent am Gesamtumsatz
nicht mehr zu halten. Die Sportartikelhersteller Adi-
das und Puma teilten mit, dass ihre Umsätze in Chi-
na in den vergangenen Wochen um bis zu 85 Prozent
eingebrochen sind. „Wir erwarten negative Auswir-
kungen auf unsere Umsatzerlöse und unser operati-
ves Ergebnis vor Zinsen und Steuern im ersten Quar-
tal 2020“, warnte Puma-Vorstandschef Björn Gul-
den. Für Adidas ist China mit einem Umsatzanteil
von 25 Prozent weltweit der größte Einzelmarkt.

OECD sieht ernste Gefahren
Betroffen sind vor allem Unternehmen mit Chinage-
schäft, doch nicht nur sie. Die OECD sieht die ge-
samte Weltwirtschaft in ernsthafter Gefahr. Lau-
rence Boone, Chefökonomin der Industrieländer-
Organisation, präsentierte am Montag in Paris zwei
Szenarien. Im günstigen Fall bricht in diesem Quar-
tal in China die Wirtschaft auf eine Wachstumsrate
zwar auf unter fünf Prozent ein. Der Virus-Ausbruch
kann aber schnell eingehegt werden. Auch in
Europa, Nordamerika, Südkorea und Japan gelingt
die Eindämmung: Dann würde die Weltwirtschaft
0,5 Prozentpunkte Wachstum verlieren, Deutsch-
land 0,1 Prozentpunkte.
Zu Beginn dieser Woche sah es jedoch eher so
aus, als rutsche die Welt ins schlechtere Szenario der
OECD, indem sich das Virus rasant ausbreitet. Eine
Rezession in Europa, Japan und den USA wäre dann
unausweichlich. Boone appellierte daher an die Re-
gierungen, alles gegen eine Ausbreitung des Virus zu
tun: Aktuell bedeute dies, das Gesundheitssystem zu
stärken und für notleidende Betriebe Kurzarbeiter-
geld und Überbrückungskredite zu zahlen.
Besonders deutlich werden die Folgen des Aus-
bruchs an ihrem Ursprungsort China: Produktion,
Aufträge und Beschäftigtenzahl fielen im Februar so
stark wie noch nie seit Beginn der monatlichen Um-
frage vor rund 16 Jahren, wie die Mediengruppe Cai-
xin und das Forschungsinstitut IHS Markit zu ihrer
monatlichen Unternehmensumfrage am Montag
mitteilten. Der entsprechende Einkaufsmanagerin-
dex brach um 10,8 auf 40,3 Punkte ein. Erst ab 50
signalisiert das Barometer ein Wachstum. „Der star-
ke Rückgang ist auf die stagnierende Wirtschaftstä-
tigkeit im ganzen Land zurückzuführen, die durch
die Coronavirus-Epidemie verursacht wurde“, sagte
Caixin-Chefökonom Zhengsheng Zhong.
Als einer der größten Logistikkonzerne weltweit
gilt die Post als Seismograf für die Weltwirtschaft.

„Eine weltweite Krise wie der Coronavirus geht an
uns nicht spurlos vorbei“, räumte Deutsche-Post-
Vorstandschef Frank Appel ein. „Deshalb müssen
wir unsere Ergebnisprognose nun unter Vorbehalt
stellen.“ Mitarbeiter, Anleger und Analysten werte-
ten dies als indirekte Gewinnwarnung. Die Post sieht
negative Effekte auf ihr Vorsteuerergebnis von etwa
60 bis 70 Millionen Euro im Februar. Ob die ange-
peilte Jahresprognose von mehr als fünf Milliarden
Euro beim Betriebsgewinn (Ebit) noch zu schaffen
ist, stellte Appel infrage.
Weil immer mehr Menschen mit einem Mal im-
mer weniger reisen, trifft die Krise vor allem Luft-
fahrtgesellschaften. Sie verringern ihre Kapazitä-
ten. Die Deutsche Lufthansa senkt die Zahl ihrer
Flüge auf der Kurz- und Mittelstrecke um bis zu 25
Prozent – am stärksten auf den Strecken nach Ita-
lien und Asien. Zudem prüft Europas größter Bran-
chenriese Möglichkeiten, Kurzarbeit zu beantragen
und Neueinstellungen auszusetzen. Der Konzern
mag die Kosten samt Gewinneinbußen noch nicht
beziffern, weil die Unsicherheiten groß sind. Doch
Analysten senken im Tagesrhythmus ihre Gewinn-
schätzungen: In den vergangenen drei Monaten fie-
len sie um rund zehn Prozent. Betroffen sind auch
Wettbewerber wie Easyjet. Der Billigflieger legte
ein Sparprogramm auf und stellte Einstellungen
und Beförderungen zurück. Die British-Airways-
Mutter IAG kündigte Einsparungen und Flugstrei-
chungen an. Der Rivale Finnair warnte, dass der
Betriebsgewinn 2020 deutlich unter dem des Vor-
jahres liegen werde.
In fast allen Ländern kappen immer mehr Unter-
nehmen ihre Prognosen. Der weltgrößte Bierbrauer
Anheuser-Busch Inbev rechnet wegen des Coronavi-
rus mit einem Gewinneinbruch. Der Gewinn vor
Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda) werde
in den ersten drei Monaten um rund zehn Prozent
sinken, teilte der Brauer von Marken wie Beck‘s,
Budweiser und Corona mit. Allein im Januar und
Februar drückten die Folgen des Virus das Ergebnis
um 170 Millionen Dollar. In den USA geht das Soft-
wareunternehmen Microsoft davon aus, wegen der
Coronavirus-Krise sein Umsatzziel in seiner wichti-
gen PC-Sparte zu verfehlen. Zuvor hatte Apple als ei-
nes der ersten Unternehmen schon vor gut zwei
Wochen die Umsatzprognose kassiert. Grund dafür
sind Lieferengpässe bei iPhones, weil die Produkti-
on und der Absatz angesichts vieler geschlossener
Läden in China langsamer läuft als geplant.
„Nach Apple und Microsoft bereiten sich Investo-
ren auf einen Tsunami an Gewinnwarnungen vor“,
sagte Jochen Stanzl vom Brokerhaus CMC Markets.
Mehr als ein Viertel der 500 größten börsennotier-
ten US-Unternehmen warnten in ihren Bilanzen für

Zerstörte


Gewinn-


Hoffnungen


Immer mehr Unternehmen warnen vor den


negativen Folgen der Corona-Epidemie und


verabschieden sich von bisherigen Prognosen.


Die OECD senkt die Erwartungen für die


Weltwirtschaft. Das belastet vor allem


die exportstarken Konzerne in Deutschland.


Nur mit Mundschutz: Viele Läden in China blei-
ben leer. Apple warnte vor niedrigeren Erträgen.

Bloomberg

15


PROZENT
ihres Gesamt-
umsatzes erzielen
die Dax-Konzerne in
China. In keinem
anderen Land
Europas sind die
Konzerne so sehr
von China abhängig.

Quelle:
Unternehmen, HRI

Titelthema


Im Corona-Fieber


DIENSTAG, 3. MÄRZ 2020, NR. 44
4

Weniger Produktion: Weil der Welthandel
lahmt, sinkt bei BASF die Nachfrage.

BASF SE,

das abgelaufene Quartal vor den negativen Auswir-
kungen des Virus. Etliche davon korrigierten bereits
ihre Prognosen nach unten, darunter die Handta-
schenmarke Coach und deren Holding-Mutter Tape-
stry, ebenso der Wettbewerber Michael Kors und
das Kosmetik-Unternehmen Estée Lauder. Auch
Mastercard stimmte die Aktionäre auf schlechtere
Zeiten ein. Weil Kunden vor allem in China weniger
einkaufen, sinken die Umsätze und Gewinne des Fi-
nanzinstituts. Einer der prominentesten Mahner ist
Nike. Es sei kurzfristig mit „erheblichen Auswirkun-
gen“ auf das Chinageschäft zu rechnen, hieß es
beim weltgrößten Sportartikelhersteller angesichts
der vielen geschlossenen Filialen und Produktions-
stätten in China. Mit knapp sieben Milliarden Dollar
Umsatz und zweistelligen Wachstumsraten in den
vergangenen Jahren ist China für Nike der mit Ab-
stand wichtigste Auslandsmarkt. Knapp ein Fünftel
trug das Land zuletzt zum Gesamtertrag bei.
Selbst ein rasches Ende der Corona-Epidemie mit
wieder funktionierenden Handelsketten, normalem
Reiseverkehr und funktionierendem öffentlichem
Leben würde den Unternehmen nicht sofort helfen.
Denn auch jene Unternehmen, denen die Behörden
in China die Wiederaufnahme des Geschäfts nach ei-
ner wochenlangen Zwangspause genehmigt haben,
leiden weiter unter einem Mangel an Arbeitern,
Kunden und funktionierenden Lieferketten. Hinzu
kommen Langzeitfolgen. Für die Munich Re, den
weltweit größten Rückversicherer, summieren sich
allein die Ausfallversicherungen von Großveranstal-
tungen, die jetzt abgesagt werden, auf einen mittle-
ren dreistelligen Millionenbetrag, wie Vorstandsmit-

glied Torsten Jeworrek erläuterte. Die größten Fol-
gen könnte eine Pandemie für die Munich Re in der
Lebensversicherung haben – bislang aber nur theo-
retisch und als Schreckensszenario. Wenn dem Vi-
rus Hunderttausende Menschen zum Opfer fielen,
könnte dies den Rückversicherer im schlimmsten
Fall 1,4 bis 1,5 Milliarden Euro kosten, rechnete Je-
worrek kühl vor.

Lage war schon zuvor schwierig
Die Virus-Epidemie trifft die Unternehmen in einer
ohnehin angespannten Situation. Die Globalisierung
hatte schon vor der Krise an Schwung verloren und
der Welthandel sich so schwach entwickelt wie seit
zehn Jahren nicht mehr. Im vergangenen Jahr haben
die 306 im deutschen Prime Standard gelisteten Un-
ternehmen nach Ermittlungen der Wirtschaftsprü-
fungsgesellschaft EY insgesamt 171 Gewinn- oder
Umsatzwarnungen veröffentlicht – so viele wie noch
nie seit 2010 und 25 Prozent mehr als im Jahr davor.
„Die weltweite Konjunktur hat deutlich an Kraft ver-
loren, der amerikanisch-chinesische Handelskonflikt
sorgte für zusätzliche Unsicherheit“, sagt EY-Partner
Martin Steinbach. Mit Blick auf das laufende Jahr
warnt der Experte: „Die Ausbreitung des Coronavi-
rus wird neben den humanitären auch erhebliche
wirtschaftliche Folgen haben.“ Derartige Ereignisse
aber könnten die Unternehmen in ihrem Erwar-
tungsmanagement nur schwer vorhersehen. „Im
Laufe des Jahres dürften wir daher“, so Steinbach,
„je nach weiterer Ausbreitung des Coronavirus wei-
tere Prognosekorrekturen sehen.“
Mitarbeit: Donata Riedel

200

150

100

50

0

Schon vor Corona viele Hiobsbotschaften von deutschen Unternehmen
Ertragswarnungen im Prime Standard1 Anteil der Firmen mit Gewinnwarnung
in der Branche 2019

HANDELSBLATT 1) 306 börsennotierte Unternehmen in Deutschland; 2) Mindestens eine Warnung; • Quelle: EY

171

2011 2019

Konsum-
güter

Techno-
logie

Auto- Industrie Chemie
mobil

83 %

57 % 54 %
52 %
44 %

Weniger Arbeit: Die Lufthansa streicht viele
Flüge, weil die Kunden weniger reisen.

dpa

Lage in Deutschland und Europa

Mahnung zur Besonnenheit


D


as Robert Koch-Institut
(RKI) hat wegen der Aus-
breitung des Coronavirus
das Risiko für die deutsche Bevölke-
rung um eine Stufe auf „mäßig“ he-
raufgesetzt. Bis Montag registrierte
das für Infektionskrankheiten zu-
ständige Bundesinstitut deutsch-
landweit 150 nachgewiesene Fälle.
RKI-Chef Lothar Wieler nannte die
Lage „sehr dynamisch“, mahnte
aber zugleich zur Besonnenheit.
Der Direktor des Instituts für Virolo-
gie der Berliner Charité, Christian
Drosten, wies darauf hin, dass die
Gefährlichkeit des Virus noch nicht
abschließend beurteilt werden kön-
ne. In den meisten Fällen verlaufe
die durch das Virus ausgelöste
Atemwegserkrankung aber milde.
Wieler und Drosten gehören zu ei-
ner Riege renommierter Experten,
mit denen Bundesgesundheitsminis-
ter Jens Spahn (CDU) am Montag in
Berlin gemeinsam vor die Presse trat.
Mit „Sachinformationen“ wolle man
Ängsten in der Bevölkerung entge-
genwirken, so der Minister. Die Epi-
demie werde „unser Gesundheitssys-
tem unter Stress setzen“, insgesamt
sei Deutschland aber gut vorbereitet.
Spahn erklärte, er halte eine
Schließung von Grenzen und Ein-
schränkungen der Reisefreiheit in
Europa weiterhin für „keine ange-
messene Entscheidung“. Auch eine
Einstellung von Direktflügen aus Chi-
na, dem Ursprungsland des Virus,
lehnte der CDU-Politiker als unver-
hältnismäßig ab. Ein solcher Schritt
könne dazu führen, dass bis zu rund
30 000 Deutsche aus China ausgeflo-
gen werden müssten.
Schließungen ganzer Unterneh-
men als Schutzmaßnahme steht der
Minister ebenfalls skeptisch gegen-
über. Grundsätzlich müsse gelten:
Das „lokal tätige Handwerksunter-
nehmen“ sei anders zu bewerten als
ein internationaler Konzern, bei
dem regelmäßig Mitarbeiter aus
dem Ausland kämen. Ähnliches Au-
genmaß fordert Spahn im Umgang
mit Großveranstaltungen. Als Minis-
ter könne er nicht alle Veranstaltun-
gen absagen, die örtlichen Gesund-
heitsämter würden jeden Einzelfall
anhand von festgelegten Kriterien
abwägen. So hänge die Bewertung
vom Teilnehmerkreis ab, aber auch
von Faktoren wie der Belüftung des
Veranstaltungsorts.
Um die Folgen der Epidemie für
die Wirtschaft abzufedern, wird in
der Bundesregierung über ein Kon-
junkturprogramm diskutiert. Bun-
deswirtschaftsminister Peter Altmai-
er (CDU) äußerte sich am Montag zu-
rückhaltend. Zwar sei eine
Unterstützung von Unternehmen et-
wa über steuerliche Anreize denkbar,
insgesamt habe Deutschland aber ei-
ne „sehr widerstandsfähige Wirt-
schaft“. Die größte Belastung sei ge-
genwärtig die Unsicherheit, gerade
auch mit Blick auf mögliche Wachs-
tumseinbußen in China.
EU-Wirtschaftskommissar Paolo
Gentiloni zeigte sich handlungsberei-
ter als Altmaier: „Die EU ist bereit,
wenn nötig alle zur Verfügung ste-
henden Politikoptionen zu nutzen,
um unser Wachstum gegen die Ab-
wärtsrisiken zu schützen.“ Es sei Zeit,
zu handeln und das Vertrauen der

Wirtschaftsakteure zu stärken. Die
Finanzminister der Euro-Staaten
würden am Mittwoch in einer Tele-
fonkonferenz über Stützungsmaß-
nahmen sprechen. Dort werde es zu-
nächst um kurzfristige Maßnahmen
wie Liquiditätshilfen für unter den
Folgen der Epidemie leidende Unter-
nehmen gehen.
Über eine Koordinierung mögli-
cher fiskalischer Maßnahmen zur
Stützung der Konjunktur werde vo-
raussichtlich erst am 16. März beim
regulären Treffen der Finanzminister
diskutiert. Gentiloni betonte, ein
Konjunkturstimulus müsse „zum
richtigen Zeitpunkt“ kommen – man
dürfe weder vorschnell handeln
noch zu lange warten.
Angesichts der zunehmenden Aus-
breitung des Coronavirus richtete
EU-Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen eine Arbeitsgruppe
aus fünf Kommissaren ein, die die
Reaktion in den unterschiedlichen
Bereichen koordinieren soll. Die
Kommissionschefin lobte auch die
Zusammenarbeit unter den Mitglied-
staaten. Das Europäische Zentrum
für die Prävention und Kontrolle von
Krankheiten (ECDC) stufte das Risiko
einer Ansteckung mit dem Virus in
Europa am Montag höher ein, auf
„moderat bis hoch“.

Steuern ausgesetzt
Besonders betroffen in Europa ist Ita-
lien. Allein am Wochenende gab es
500 neue Fälle, wie der Zivilschutz
meldet. „Wir werden erst Ende der
Woche sehen können, ob die Schutz-
maßnahmen effektiv waren“, erklärt
Silvio Brusaferro, Chef des Nationa-
len Gesundheitsamts ISS. Italien ha-
be alles Mögliche getan, aber erst
nach 14 Tagen könne man beurtei-
len, ob die Maßnahme, die beiden
Infektionsherde im Norden abzurie-
geln, gegriffen habe. Seit dem 23.
Februar sind elf Gemeinden in der
Lombardei und in Venetien von der
Außenwelt abgeschnitten. In beiden
Regionen wurden außerdem Schulen
und Universitäten geschlossen. Das
gilt für eine weitere Woche. Für ganz
Italien wird Heimarbeit empfohlen.
Erste Maßnahmen für die Wirt-
schaft und den Export hatte die Re-
gierung schon in der vergangenen
Woche beschlossen. Dazu gehören
das Aussetzen von Steuerzahlungen
und die Befreiung von Energierech-
nungen für die betroffenen Gebiete.
Bis Freitag soll ein Konjunkturpaket
mit einem Volumen von 3,6 Milliar-
den Euro stehen. Dafür benötigt die
Regierung in Rom noch die Zustim-
mung der EU-Kommission, da Ita-
lien mit den finanziellen Maßnah-
men das vereinbarte Defizitziel
überschreiten wird.
Großbritanniens Premierminister
Boris Johnson erwartet, dass die Epi-
demie „wahrscheinlich in den kom-
menden Tagen und Wochen für das
Land an Bedeutung gewinnen dürf-
te“. Die Regierung habe sich auf ei-
nen Notfallplan geeinigt. Der beste
Ratschlag sei aber weiterhin, sich die
Hände „mit heißem Wasser und Seife
zu waschen und dabei „zweimal
Happy Birthday zu singen“, sagte
Johnson nach einer Krisensitzung
seines Kabinetts. T. Hoppe, R. Krieger,
K. Leitel, G. Waschinski

Im Corona-Fieber


DIENSTAG, 3. MÄRZ 2020, NR. 44
5
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