Handelsblatt - 03.03.2020

(やまだぃちぅ) #1
Donata Riedel Berlin

U


m große Worte sind
NRW-Ministerpräsident
Armin Laschet (CDU)
und sein Wirtschaftsmi-
nister Andreas Pinkwart
(FDP) selten verlegen. Nordrhein-West-
falen sei ein Land in Bewegung, das di-
gitale Dynamik entfacht, den Kohleaus-
stieg für einen Innovationsschub nutzt,
keine Schulden mehr macht und den
Stau auf seinen Autobahnen auflöst.
Und natürlich investiere man beherzt
in Bildung und Forschung und be-
kämpfe endlich die Kriminalität.
Im Kanzlerkandidaten-Wettbewerb
der CDU preist Laschet seit vergange-
ner Woche die Wirtschaftspolitik seiner
Landesregierung als Blaupause für
ganz Deutschland. Pinkwart nennt sei-
ne Gesetzesinitiativen für den Ausbau
erneuerbarer Energien, den Abbau
von Bürokratie, die elektronische Ge-
werbeanmeldung und den Ausbau di-
gitaler Netze plakativ „Entfesselungspa-
kete“. Die Botschaft, die er an diesem
Dienstag einmal mehr mit einer neuen
Studie des RWI – Leibniz Instituts für
Wirtschaftsforschung unterfüttern will,
ist klar: Nach den schwunglosen rot-
grünen Regierungszeiten von Vorgän-
gerin Hannelore Kraft (SPD) bringt
Schwarz-Gelb die Wirtschaft im bevöl-
kerungsreichsten Bundesland jetzt
richtig nach vorn.
Soweit Wirtschaft mindestens zur
Hälfte Psychologie ist, zeigt der verbale
Wirbel Erfolg. „Die schwarz-gelbe Lan-
desregierung hat es geschafft, Akzente
zu setzen und so das Vertrauen der
Wirtschaft zurückzugewinnen“, sagte
Ralf Mittelstädt, Hauptgeschäftsführer
der Industrie- und Handelskammer
(IHK) NRW, dem Handelsblatt. Es helfe
der Wirtschaft, dass Genehmigungsver-
fahren für Gewerbebetriebe forciert
und Planungsverfahren beschleunigt
werden. „Und das Wirtschaftsservice-
portal, das die Regierung gemeinsam
mit der Wirtschaft aufbaut, kann Stan-
dards auch für den Bund setzen und
der Digitalisierung einen Schub verset-
zen“, sagte er.

Innenminister feiert Erfolge
In harten Zahlen allerdings sind die
Verbesserungen noch kaum angekom-
men: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP)
von NRW wächst auch seit dem Lan-
desregierungswechsel im Mai 2017
langsamer als im Bundesdurchschnitt.
Der Anteil der NRW-Wirtschaft am
deutschen BIP sank sogar von 21,5 Pro-
zent im Jahr 2014 auf 20,8 Prozent im
Jahr 2018. Auch die Arbeitslosenquote
liegt noch immer über der im Bund.
Schnelle Erfolge feierte vor allem In-
nenminister Herbert Reul (CDU): Mehr
Stellen, mehr Befugnisse und bessere
Ausrüstung der Polizei schlagen sich
bereits in sinkenden Kriminalitätsraten
nieder.
Zur Halbzeitbilanz der Landesregie-
rung im November 2019 nannte der
Düsseldorfer Politikwissenschaftler
Thomas Poguntke die Regierungsar-
beit unterm Strich „unspektakulär,
aber professionell“: Laschets Regie-
rung mache wenig Fehler, entfache
aber auch keine allzu große Dynamik.
Viele Programme der Vorgängerregie-
rung führt sie fort wie die Förderung
des flächendeckenden Breitbandaus-
baus.
Auch die Pro-Kopf-Verschuldung ist
nach wie vor die höchste nach den
Stadtstaaten und dem Saarland. Neue
Schulden allerdings nimmt die Regie-
rung seit 2017 nicht mehr auf. Der Kon-
junktur sei Dank, sagt der frühere
NRW-Finanzminister Norbert Walter-
Borjans, heute SPD-Co-Chef: Er habe
den Haushalt 2017 bereits mit schwar-
zer Null geplant.

Die Sparpolitik wiederum zeigt Ne-
benwirkungen: Eigentlich will NRW
seine Grundschullehrer besser bezah-
len, um im Kampf gegen Lehrerman-
gel voranzukommen – nur dafür fehlt
das Geld. Auch Mittelstädt sieht Berei-
che mit Rückständen: „Investitionen,
etwa in Infrastruktur und Breitband,
könnten schneller steigen“, sagte er.
Auch die versprochene Verbesserung
der Kommunalfinanzen komme nicht
vom Fleck. „Da hoffen wir, dass wir
mit dem Bund für Land und Kommu-
nen bald Lösungen erreichen wer-
den“, sagte er mit Blick auf das von
Bundesfinanzminister Olaf Scholz an-
gekündigte Altschuldenprogramm.
Das Aufholen langjähriger wirtschaft-
licher Rückstände brauche Zeit, be-
tont der IHK-NRW-Chef.
So lastet der gleichzeitige Ausstieg
aus Kohle und Atom besonders auf
NRW, dessen Industrie geprägt ist von
Energiekonzernen, Chemie, Stahl und
Auto. Experten trauen der Laschet-Re-
gierung aber zu, dass sie nicht rück-
wärtsgewandt an alten Schwerindus-
trie-Strukturen festhält, sondern tat-
sächlich auf Modernisierung der
gesamten Wirtschaft setzt.

Ökonom: Lob ist verfrüht
Der Düsseldorfer Ökonom Jens Süde-
kum hält es für verfrüht, wenn Laschet
sich bereits jetzt für seine Wirtschafts-
politik lobt und NRW als Vorbild hin-
stellt. Allerdings: „Er hat im Rahmen
des Kohlekompromisses für NRW ex-
zellent viel Geld herausgehandelt“, sag-
te Südekum dem Handelsblatt. Mit die-
sen 15 Milliarden Euro für die nächsten
20 Jahre könne er das rheinische
Braunkohlerevier „zu einer echten Mo-
dellregion weiterentwickeln“. Der Öko-
nom empfiehlt der Landesregierung,
den geplanten Ausbau von Wasserstoff-
technologie zur emissionsfreien Stahl-
und Chemieproduktion konsequent
durchzuziehen. Dann könne NRW tat-
sächlich Innovationsvorbild für ganz
Deutschland werden.
Auch die Batterieforschungsfabrik,
die in Münster entstehen soll, könnte
zum großen Erfolg von Laschets Regie-
rung werden – realistisch betrachtet
aber wohl erst in einigen Jahren. Wirt-
schaftspolitik auf Landesebene zeitigt
generell selten schnelle Erfolge: Dass
Bayern gut dasteht, basiert bis heute
auf der Wirtschaftspolitik von Franz Jo-
sef Strauß, der gezielt Luftfahrt- und
Elektroindustrie nach Bayern lockte.
Wie schlecht oder gut unterschiedli-
che Regionen dastehen, hängt stark
von den jeweiligen Schlüsselbranchen
ab. Die Kosten der Energiewende schla-
gen in NRW laut Leibniz-Institut für
Wirtschaftsforschung besonders stark
zu Buche – wegen des hohen Anteils an
Braunkohle. Ausgerechnet, als die Au-
tokonjunktur brummte, schloss Opel
sein Werk in Bochum. Auch der tradi-
tionell hohe Anteil an Grundstoffindus-
trie war lange von Nachteil: In keinem
reichen Industrieland kann sie noch
großes Mengenwachstum erzielen.
Allerdings ist NRW kein wirtschaft-
licher Monolith. Das Münsterland
und Ostwestfalen boomen seit Jah-
ren, das Rheinland wächst stetig. So-
gar das Ruhrgebiet kennt Leuchttür-
me, etwa die Start-ups rund um die
TU Dortmund.
Als größte Schwäche von Laschets
Wirtschaftspolitik macht die Oppositi-
on von SPD und Grünen die Verkehrs-
politik aus. Der Ausbau des öffentlichen
Nahverkehrs stockt, der Radschnellweg
Ruhr kommt nur sehr langsam voran.
Das CDU-Wahlversprechen, den Dauer-
stau aufzulösen, nahm Verkehrsminis-
ter Hendrik Wüst kurz nach Amtsantritt
zurück: Straßenausbau braucht Zeit.
Die Staus sind seit Laschets Amtsantritt
länger statt kürzer geworden.

Nordrhein-Westfalen


Blaupause für


Deutschland?


Ministerpräsident Armin Laschet preist


seine Wirtschafts- und Standortpolitik als


vorbildlich. Experten halten sie für solide.


Armin Laschet: Der
NRW-Landesvater ist
seit Juni 2017 im Amt.

Dominik Asbach/laif

Starke Wirtschaft, hohe Verschuldung
Bruttoinlandsprodukt in Deutschland
in Mrd. Euro,
davon: Nordrhein-Westfalen

2014 2015 2016 2017 2018

630

2 939

649

3 049

664

3 160

685

3 277

705

3 386

Die drei Bundesländer mit
der höchsten Verschuldung

Arbeitslosen-
quote 2019
in Prozent

6,
175
Mrd. €

Mrd. €

Mrd. €

61


54


5,


Nordrhein-
Westfalen

Bundes-
durchschnitt

Nordrhein-
Westfalen

Nieder-
sachsen

Berlin

HANDELSBLATT • 1) In jeweiligen Preisen; 2) Stand: Sept. 2019 • Quellen: Destatis, Bundesagentur für Arbeit

Wirtschaft & Politik
DIENSTAG, 3. MÄRZ 2020, NR. 44
8

Arbeitszeiterfassung

Schlechte Karten für Altmaier


Der Wirtschaftsminister will
keine umfassende Pflicht zur
Arbeitszeiterfassung. Doch
seine Rechtsgutachter halten
sie für notwendig.

Frank Specht Berlin

D


ie Bundesregierung muss das
Arbeitszeitgesetz ändern, um
dem Urteil des Europäischen
Gerichtshofs (EuGH) zur Arbeitszeit-
erfassung Genüge zu tun. Bei der Ge-
staltung hat sie aber großen Spiel-
raum. Zu diesem Schluss kommen
die Münchener Juristen Volker Rieble
und Stephan Vielmeier in einem Gut-
achten für Wirtschaftsminister Peter
Altmaier (CDU), das dem Handels-
blatt vorliegt.
Altmaier, der Firmen vor neuer Bü-
rokratie bewahren will, hat die Ex-
pertise bisher unter Verschluss gehal-
ten. Der EuGH hatte im Mai 2019 in
einem spanischen Fall entschieden,

dass Arbeitgeber ein System einrich-
ten müssen, mit dem die von jedem
Arbeitnehmer geleistete tägliche Ar-
beitszeit gemessen werden kann. In
Deutschland sind bisher, abgesehen
von strengeren Regeln für einzelne
Branchen nach dem Mindestlohnge-
setz, nur Überstunden zu erfassen.
„Das nationale Recht muss ange-
passt werden“, heißt es deshalb im
Gutachten. So sei allein mit einer Er-
fassung der Überstunden die gebote-
ne Kontrolle und Sicherung der Ru-
hezeiten nicht zu leisten. Auch das
Überwachungsrecht des Betriebsrats
genüge den Anforderungen nicht.
Arbeitsminister Hubertus Heil
(SPD) hat bereits eine „behutsame“
Anpassung des Arbeitszeitgesetzes
angekündigt. Allerdings stand bislang
Altmaier auf der Bremse. Die wird er
jetzt wohl lockern müssen. Hier greift
der attestierte Gestaltungsspielraum
für den Gesetzgeber.
So kann er etwa eine Regelung er-
lassen, die nach Branchen, Betriebs-

größen, technischen Gegebenheiten
der Unternehmen oder Einkommen
der Arbeitnehmer differenziert. Auch
ist es aus Sicht der Arbeitsrechtler
möglich, die Erfassung der Arbeits-
zeit an die Arbeitnehmer zu delegie-
ren, etwa auf einem Blatt Papier oder
in einer Excel-Tabelle. Entscheide
sich der Arbeitgeber aber für eine
technikbasierte Zeiterfassung, so
dürften einzelne Arbeitnehmer nicht
ohne Weiteres hiervon ausgeschlos-
sen werden.
Weil eine Differenzierung aber
Komplexität und Abgrenzungs-
schwierigkeiten mit sich bringe, zie-
hen Rieble und Vielmeier eine gleich-
förmige, möglichst einfache Regelung
vor. Arbeitgeber sollten selbst ent-
scheiden dürfen, welche Technik der
Aufzeichnung sie wählen, einschließ-
lich der Delegation an die Arbeitneh-
mer. Diese Option soll aber zurückge-
nommen werden können, wenn Mit-
arbeiter dies wünschen oder die
Aufsicht Missbrauch feststellt.

Die Opposition erwartet, dass die
Bundesregierung jetzt endlich die
Karten auf den Tisch legt, wie sie
zehn Monate nach dem EuGH-Urteil
weiter vorgehen will. „Der Wirt-
schaftsminister blockiert, und das Ar-
beitsministerium hat noch nicht ein-
mal einen Zeitplan“, kritisiert die Vi-
zechefin der Linksfraktion, Susanne
Ferschl. In einem Antrag, der am
Donnerstag im Bundestag debattiert
werden soll, fordert die Linke die Re-
gierung auf, endlich ein Gesetz vor-
zulegen, das Arbeitgeber verpflichtet,
Beginn, Ende und Dauer der tägli-
chen Arbeitszeit sowie die Dauer der
Ruhepausen aufzuzeichnen.
Auch Rieble und Vielmeier werben
für ein Gesetz: „Regulatorische Untä-
tigkeit würde durch deutsche Arbeits-
gerichte beantwortet“, mahnen sie.
Die Bundesregierung sollte deshalb
den durch den EuGH aufgezeigten
Gestaltungsspielraum nutzen – „auch
um die berechtigten Interessen der
Arbeitgeber zu wahren“.

Energiewende

Regierung streitet über Wasserstoff


Die Wirtschaft hat klare
Vorstellungen von einer
Wasserstoffstrategie. Doch die
Bundesregierung ringt noch
um einen Kurs.

Klaus Stratmann Berlin

D


ie Bundesregierung kann
sich nicht auf eine Strategie
für das Thema Wasserstoff
verständigen. Unter den beteiligten
Ministerien gibt es in wesentlichen
Fragen unterschiedliche Sichtweisen.
Eine Staatssekretärsrunde konnte am
vergangenen Freitag die Streitpunkte
nicht ausräumen. Die Wirtschaft be-
trachtet die Entwicklung mit Sorge –
und geht mit eigenen Forderungen in
die Offensive.
„Wir brauchen eine Strategie, die
sich nicht im Klein-Klein verhed-
dert“, sagte Bundesforschungsminis-
terin Anja Karliczek (CDU) am Mon-
tag. Wenn Deutschland Leitanbieter
für die Wasserstofftechnologie sein
wolle, dann müsse in Deutschland
auch der Leitmarkt entstehen. Kar-
liczek will deshalb das Ziel festschrei-
ben, dass in Deutschland bis 2030
Elektrolyseure mit einer Kapazität
von zehn Gigawatt (GW) entstehen.
In denen wird aus Wasser mittels
Strom, der aus erneuerbaren Quellen
stammt, Wasserstoff hergestellt.
Sowohl das Wirtschaftsressort als
auch das Umweltressort halten aber
eine Kapazität von bis zu fünf GW für
ausreichend. Im Bundesforschungs-
ministerium wird darauf verwiesen,
dass in den Niederlanden allein in
der Region Groningen bis zu zehn
GW Elektrolyse-Kapazität entstehen
sollen.
Bereits Ende Januar hatte Bundes-
wirtschaftsminister Peter Altmaier
(CDU) den Entwurf einer „Nationalen
Wasserstoffstrategie“ vorgelegt. Alt-
maier ist bei dem Thema federfüh-
rend. Der Entwurf befindet sich der-
zeit in der Ressortabstimmung. Vor
zwei Wochen hatte Bundesumwelt-
ministerin Svenja Schulze (SPD) mit

einem eigenen „Impulspapier“ zum
Thema Wasserstoff gekontert.
Noch in der vergangenen Woche
hatte für es für einen Moment so aus-
gesehen, als könne die Wasserstoff-
strategie bereits Anfang März vom
Kabinett verabschiedet werden. Nun
deutet aber alles darauf hin, als
brauchten die beteiligten Ressorts
noch bis zum 18. März, ehe eine Kabi-
nettsbefassung möglich wird.
Der 18. März ist der letzte planmä-
ßige Kabinettstermin vor Beginn des
„Berlin Energy Transition Dialogue“
am 24. März. Die Bundesregierung
erwartet zu dieser Veranstaltung
2000 Teilnehmer aus 90 Ländern.
Viele Staaten verfolgen mit Interesse,
wie sich Deutschland beim Thema
Wasserstoff positioniert.

BDI legt Papier mit Kern-
forderungen vor
Aus Sicht der deutschen Wirtschaft
wird es daher höchste Zeit, einen
konkreten Plan auf den Tisch zu le-
gen. In einem Positionspapier, das
dem Handelsblatt vorliegt, umreißt
der Bundesverband der Deutschen
Industrie (BDI) seine Kernforderun-
gen. Der BDI mahnt, in einer An-

fangsphase auch blauen Wasserstoff
zu nutzen: „Das Ausschließen von
blauem Wasserstoff würde aus Sicht
des BDI die Entwicklung von Wasser-
stofftechnologien auf der Anwen-
dungsseite aufgrund von bis 2030
noch fehlender Volumina von grü-
nem Wasserstoff um Jahre verzö-
gern“, heißt es in dem Papier. Bei
den anstehenden Investitionsent-
scheidungen der Grundstoffindustrie
bedürfe es Investitionssicherheit da-
rüber, dass der Wasserstoffbedarf tat-
sächlich gedeckt werden könne.
Blauer Wasserstoff wird anders als
grüner auf Erdgas-Basis hergestellt. Da-
bei wird CO 2 freigesetzt. Das CO 2 muss
daher abgetrennt und gespeichert wer-
den (Carbon Capture and Storage,
kurz CCS). Nach Definition des Wirt-
schaftsministeriums ist blauer Wasser-
stoff CO 2 -neutral. Daran entzündet sich
Kritik, weil in der Prozesskette von der
Erdgasförderung bis zur Speicherung
CO 2 in die Atmosphäre gelangt. Zudem
ist die CCS-Technologie umstritten.
Karliczek und Schulze klammern da-
her blauen Wasserstoff in ihren Über-
legungen aus. Mit blauem Wasserstoff
werde das Problem nur verschoben,
sagte Karliczek am Montag.

Der BDI warnt davor, bei der Defi-
nition von Elektrolysekapazitäten zu
vage zu bleiben. Zwar definieren
Wirtschafts- und Umweltressort
übereinstimmend das Ziel, bis 2030
Elektrolysekapazitäten von bis zu
fünf GW aufzubauen. Nach Über-
zeugung des BDI sollten die fünf
GW der Mindestwert sein, außer-
dem müsse ein Zwischenziel für
2025 eingeführt werden. Dahinter
steckt die Befürchtung, es werde am
Ende in Deutschland gar kein Markt
für grünen Wasserstoff entstehen,
wenn bis Mitte der 2020er-Jahre
nicht eine Reihe von Investitionen
verwirklicht worden sei. Zusätzlich
hält der BDI es für unerlässlich, ein
Importziel für grünen Wasserstoff
für 2035 zu definieren. Es ist unbe-
stritten, dass Deutschland in erheb-
lichem Maß auf den Import von
Wasserstoff angewiesen sein wird.
Die entsprechenden Strukturen
existieren aber noch nicht.
Für zu unverbindlich hält der BDI
das Konzept des Wirtschaftsressorts
mit Blick auf eine Befreiung des Elek-
trolyse-Stroms von Abgaben und Um-
lagen. Tatsächlich ist in dem Entwurf
nur die Rede davon, man müsse
staatlich induzierte Strompreisbe-
standteile „prüfen“. Forschungsmi-
nisterin Karliczek kämpft an dieser
Stelle auf der Seite des BDI. Nur
wenn der für die Produktion einge-
setzte Strom von der Umlage zur För-
derung erneuerbarer Energien be-
freit werde, werde aus grünem Was-
serstoff ein Geschäftsmodell.
Der BDI spricht sich zusätzlich da-
für aus, den Markthochlauf von Was-
serstoff auch über den Verkehrssek-
tor zu unterstützen. Der „richtige ers-
te Schritt“ sei die Anrechenbarkeit
von grünem Wasserstoff in Raffine-
rieprozessen auf die Treibhausgas-
minderungsquote. In Kombination
mit der zusätzlichen Anrechenbarkeit
von synthetischen Kraftstoffen könn-
te der Markthochlauf für andere Ver-
kehrsbereiche, etwa den Luftver-
kehr, vorbereitet werden, so die Kal-
kulation des BDI.

Produktion von
grünem Wasserstoff
bei Enertrag: Aus
Windstrom wird Gas.

laif

11


STUNDEN
beträgt die vorge-
schriebene Ruhezeit
für Beschäftigte pro
24-Stunden-Zeitraum.

Quelle:
EU-Arbeitszeitrichtlinie

Wirtschaft & Politik
DIENSTAG, 3. MÄRZ 2020, NR. 44
9
Free download pdf