Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1
1 Gramm der Brennstoffe Tritium und Deuterium könnte bei einer Fusion
so viel Energie liefern wie die Verbrennung von 11 Tonnen Kohle.

In der Donut-förmigen Brennkammer werden
schwere Wasserstoffkerne, Deuterium und Tritium
genannt, auf 150 Millionen Grad Celsius erhitzt.
Tritium und Deuterium bilden ein Plasma.
Ein Magnetfeld stabilisiert die Teilchen.

Die Kerne verschmelzen zu Helium.
Dabei setzen sie ein Neutron mit hoher
Energie frei.

Die Neutronen werden
in der Hülle des Reaktors
abgebremst und erzeugen
dabei Wärme.

In der späteren Anwendung wird
mit der Wärme wie in herkömm-
lichen Kraftwerken zunächst
Wasserdampf erzeugt, über
Turbinen lässt sich anschließend
Strom produzieren.

Deuterium

TritiumTritium

Helium

Neutron

Gebändigtes Sternenfeuer
Funktionsweise des Fusionsreaktors Sparc

100


Wissen

Es werde Sonne


PhysikMit neuen Reaktoren wollen millionenschwere US-Start-ups den alten Menschheitstraum
von der Fusionsenergie wahr machen. Die technischen Hürden sind enorm hoch.

D


er Mann, der in einer Fabrikhalle
das Feuer der Sterne entzünden
möchte, verfolgt seinen Plan
wie eine Geheimoperation. Nein,
sagt Robert Mumgaard, der Chef der Fir-
ma Commonwealth Fusion Systems (CFS)
aus Cambridge bei Boston, die Werkstatt
dürfe man nicht betreten. Nicht einmal ein
kurzer Blick sei erlaubt. »Wir sind noch
dabei, unsere Erfindungen zu schützen«,
fügt er hinzu.
Das Einzige, was Mumgaard zu zeigen
bereit ist, wirkt unscheinbar: ein metal -
lischer Streifen, breit wie eine Bandnudel
und fast so biegsam wie Papier. Er ist
der wichtigste Bestandteil seiner Maschine.
Es handelt sich um einen neuartigen Hoch-
temperatur-Supraleiter. Durch ihn fließt
Strom ohne Widerstand, und zwar extrem
viel Strom. Mumgaards Ingenieure win-
den diese Streifen zu menschenhohen
Elektromagneten, den stärksten ihrer
Größe. Jede Magnetspule bestehe aus
500 Kilo meter Supraleiter, und 18 Stück
benötige er für seine Maschine, sagt Mum-
gaard. Das ist alles, was sich ihm über seine
Wundermagneten ent locken lässt.
Macht eine Firma ein solches Geheim-
nis um sich, kann es zweierlei bedeuten:
Entweder hat sie etwas zu verbergen,
oder sie ist etwas Großem auf der Spur,
vielleicht sogar einem Menschheitstraum



  • wie dem von einer unerschöpflichen
    Energiequelle.
    Der Bau eines Fusionskraftwerks gehört
    zu den kühnsten Unternehmungen der
    modernen Physik. Anders als in einem ge-
    wöhnlichen Kernkraftwerk werden Atom-
    kerne in einem Fusionsreaktor nicht ge-
    spalten, sondern verschmolzen – wie in
    Sonnen. Dabei wird Wasserstoff in Helium
    verwandelt, und eine enorme Menge Ener-
    gie wird frei. Aus einem Gramm Brenn-
    material kann ein Fusionskraftwerk so viel
    Energie gewinnen wie ein herkömmliches
    Kraftwerk aus elf Tonnen Kohle. Nur dass
    der Reaktor dabei keine klimaschädlichen
    Gase ausstößt.
    Fusionskraftwerke sind nicht darauf
    angewiesen, dass Wind bläst oder die
    Sonne scheint, und sie könnten Mega -
    städte genauso mit Strom versorgen wie
    die Schwerindustrie. Gegenüber der Kern-
    spaltung haben sie zwei große Vorteile:
    Die Reaktion kann nicht zu unkontrollier-
    baren Kernschmelzen führen, und es fällt


kein hoch radioaktiver Müll an, der für
Jahrmillionen irgendwo verbuddelt wer-
den muss. Stattdessen ist es möglich, Ab-
fälle vor Ort zu verwahren, und die Strah-
lung ist nach wenigen Jahrzehnten weit-
gehend abgeklungen.
Fusionsreaktoren haben aber auch einen
Nachteil: Noch hat keine Maschine es ge-
schafft, mehr Energie zu erzeugen, als man
zum Betrieb in sie hineinstecken muss. Das
kontrollierte Sternenfeuer auf Erden funk-
tioniert bislang nur in der Theorie.

Die Wende soll ein internationales Groß-
forschungsprojekt namens Iter bringen.
Der riesige Reaktor wächst in der südfran-
zösischen Forschungsanlage Cadarache
heran und wird einmal die Höhe eines
zehnstöckigen Hauses haben. Iter, latei-

nisch für »der Weg«, kostet mindestens
20 Milliarden Euro und liegt neun Jahre
hinter dem Zeitplan – die Projektleiter
müssen auf die Befindlichkeiten von
35 Ländern Rücksicht nehmen, die das
Vorhaben bezahlen. Und wenn der Reak-
tor voraussichtlich im Jahr 2025 in Betrieb
geht, wird er keinen Strom erzeugen. Iter
ist ein wissenschaftliches Experiment, eine
Schablone für künftige Kraftwerke. Und:
eine ewige Verheißung.
Commonwealth Fusion Systems möch-
te beweisen, dass es schneller geht. Das
Start-up ist das jüngste Mitglied einer
Gruppe finanziell extrem gut ausgestatte-
ter privater Fusionsunternehmen. Es gibt
zwei Dutzend davon, vorwiegend in Nord-
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