Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1
Schutzwand
aus besonders hitzebeständigem Material, z. B.
Beryllium. Sie schirmt den Rest des Reaktors von
der Hitze ab.

Blanket
soll im späteren Reaktor aus flüssigen Salzen
bestehen und die Wärme aus der Reaktion
abführen

Spezielle Elektromagnete
aus Hochtemperatur-Supraleitern pressen das
Plasma zusammen und sorgen so für die
Fusionsbedingungen.

Weitere Magnete halten das Plasma in Form.

Plasma (heißes, dünnes Gasgemisch) aus schwerem Wasserstoff

Stützen fangen die mechanischen
Kräfte auf die Magnete ab.

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amerika. Firmen wie TAE Techno logies
aus Kalifornien, die kanadische General
Fusion oder eben CFS aus Massachusetts
haben ausgefeilte Pläne. Zum Teil haben
sie schon Prototypen gebaut. Sie wollen
Fusionsenergie auf den Markt drücken
wie Tesla das Elektroauto oder SpaceX
die Weltraumraketen.
»Diese Start-ups sind überzeugt, dass
sie die Fusion einen Riesenschritt voran-
bringen können«, sagt der Physiker Hart-
mut Zohm vom Max-Planck-Institut für
Plasmaphysik in Garching, das selbst an
Iter mitarbeitet. »Und sie setzen ihre Pläne
energisch um.« Robert Mumgaard von
CFS sagt: »Unser Antrieb ist der Klima-
wandel. Als eine von wenigen Lösungen
wird Fusionsenergie dem ungeheuren Aus-
maß dieses Problems gerecht.«
Mumgaard, 36 Jahre alt und Chef von
etwa 50 Mitarbeitern, empfängt in einem
zweistöckigen Backsteinbau in Cambridge,
den sich die Firma mit dem Fusionsfor-
schungszentrum des Massachusetts Insti-
tute of Technology (MIT) teilt. Er trägt ei-
nen weiten Pulli und ausgebeulte Jeans.
Ihn faszinierten Bücher über Technikge-
schichte, erzählt Mumgaard. Er wolle ver-


stehen, warum sich manche Erfindungen
durchsetzen und andere vergessen werden.
»Eine Erfindung kann wissenschaftlich spit-
ze sein und es dennoch zu nichts bringen«,
sagt Mumgaard. Ein Start-up müsse von
Anfang an mitdenken, wie es sein Produkt
in großer Zahl produzieren könne und stets
an Kapital komme. »Steht auf deinem Plan
an irgendeiner Stelle: ›Hier muss ein Wun-
der geschehen‹, ist es kein guter Plan.«

Mumgaards eigenes Konzeptwurde von
finanzmächtigen Investoren für solide
befunden. In nur zwei Jahren hat CFS
115 Millionen Dollar eingesammelt, vor
allem von Risikokapitalfirmen. Aber die
technischen Probleme bleiben. Dazu ge-
hört, dass ein Reaktor hohe Drücke erzeu-
gen und ziemlich heiß werden muss, damit
Atomkerne verschmelzen: 150 Millionen
Grad Celsius. In der Hitze lösen sich im
Reaktor Elektronen und Atomkerne von-
einander und bilden ein Gemisch, das sich
Plasma nennt: ein dünnes, elektrisch gela-
denes Gas. Unter diesen Bedingungen ver-
wandeln sich zwei spezielle Wasserstoffker-
ne zu einem Heliumkern. Dabei entsteht
ein extrem energiereiches Neutron – das
Teilchen der Sehnsucht für eine stromhung-
rige Menschheit. In speziellen Reaktor -

modulen wird das Neutron abgefangen
und seine Energie in Wärme umgewandelt.
Mit ihr lässt sich Wasser erhitzen, eine Tur-
bine antreiben.
Kein Material der Welt hält aber
150 Millionen Grad aus – die Wand des
Reaktors ist deutlich kälter. Was wiederum
zur Folge hat, dass das Plasma abkühlt, so-
bald es die Wand berührt. Die Reaktion
erlischt. Das hat zwar den Vorteil, dass im
Störfall die Reaktion nicht außer Kontrolle
geraten kann. Es zeigt aber auch, warum
die Unternehmung so knifflig ist: Physiker
müssen ein Gefäß bauen, in dem Plasma
schwebt, ohne irgendetwas zu berühren,
gehalten etwa von den Feldern starker
Magneten.
Wenn Robert Mumgaard erklären möch -
te, warum er fest an seine Idee glaubt,
führt er durch eine Halle voller schrank-
großer Energiespeicher und ein Tor in
einer meterdicken Betonwand. Dahinter
verbirgt sich eine blassblau gestrichene
Riesentonne – das Vorbild für seine Son-
nenmaschine. Die Tonne heißt Alcator
C-Mod, der Reaktor ist ein Fossil der
Fusions forschung.
Jahrelang tüftelten Physiker des MIT
an der Tonne herum. Mumgaard stieß
2008 dazu und war verantwortlich für ei-
nes der vielen Messinstrumente am Reak-
tor. Durch ein armdickes Rohr schoss er
Teilchen ins Plasma und vermaß das mag-
netische Feld. Gemeinsam gelang es den
Wissenschaftlern, die Plasmawolke immer
besser zu formen. Schließlich, am vorerst
letzten Betriebstag im Jahr 2016, stellte
Alcator C-Mod einen Rekord auf. Der Re-
aktor presste die Wolke mit einem Druck
zusammen, der mehr als zweimal so hoch
ist wie in der Atmosphäre auf Meereshöhe.
Das ist zwar verschwindend gering für das
Sterneninnere, für einen Fusionsreaktor
jedoch unerreicht. Vor allem aber konnte
Alcator C-Mod diesen Druck lange hal-
ten – zumindest auf der Zeitskala von
Atomkernen: zwei Sekunden.
Alcator C-Mod gehört zu den sogenann-
ten Tokamaks. Das Gefäß dieses Reaktor-
typs ähnelt einem überdimensionalen Do-
nut mit starken Magneten drum herum.
Elektromagnetische Wellen heizen die
Plasmateilchen auf, und die Magnete hal-
ten sie auf ihrer Bahn. Eine Sonne, einge-
fasst von Magnetkraft.
Tokamaks sind die am weitesten ent -
wickelten Fusionsgefäße, jedoch längst
nicht die einzigen. So wird am Max-
Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifs-
wald ein sogenannter Stellarator erprobt;
laut theoretischen Vorhersagen könnte er
effizienter laufen als ein Tokamak, doch
sein Bau ist noch anspruchsvoller. Unab-
hängig vom Reaktortyp gestaltet sich der
letzte Schritt zum Sternenfeuer zum Ver-
zweifeln schwierig. Entweder erreichen
die Maschinen nicht den nötigen Druck
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