Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

oder – wie Alcator C-Mod – nicht die er-
forderliche Temperatur.
Das Problem: Plasma liegt niemals ru-
hig. Ständig geraten seine elektrisch gela-
denen Teilchen in Turbulenzen, verlassen
ihre Bahn und prallen gegen die vergleichs-
weise kalte Wand. Berechnungen zufolge
bieten sich zwei Lösungen für dieses Pro-
blem an. Man kann den Donut entweder
größer bauen, um den heißen Plasmakern
besser von der Wand abzuschirmen. Das
ist der Weg von Iter. Oder man baut stär-
kere Magneten, um das Plasma enger zu-
sammenzudrücken. Das ist der Weg von
Commonwealth Fusion Systems.
Unter Physikern gibt es einen verbrei-
teten Witz, schon seit den Sechzigerjahren:
Fusionsenergie, lautet der, liege immer
drei Jahrzehnte in der Zukunft. Das US-
amerikanische Energieministerium stuft
Fusionsenergie weiterhin als Grundlagen-
forschung ein, so wie die Suche nach dunk-
ler Materie. In einem aktuellen Bericht des
Bundeswirtschaftsministeriums zum The-
ma heißt es, Fusionsenergie werde »vo-
raussichtlich erst nach 2050 verfügbar«
sein. Für das Ziel, bis zur Mitte des Jahr-
hunderts weitgehend CO
²
-neutral zu wer-
den, käme sie zu spät.


Die öffentliche Förderungvon Fusions-
projekten halten Kritiker für Geldver-
schwendung. Die Grünen im Bundestag
haben vor allem Iter im Visier, in das über
die EU auch Millionen Euro aus Deutsch-
land fließen. Iter werde »immer mehr zum
Verpackungsschwindel«, weil es die Ener-
giewende nicht vorantreibe. Das Geld ste-
cke man besser in Ausbau und Erforschung
erneuerbarer Energien.
Robert Mumgaard, der CFS-Chef, hält
wenig davon, die Kernfusion und erneu-
erbare Energiequellen gegeneinander aus-
zuspielen. Zumal sich »Megastädte wie
Seoul, Tokio oder Singapur niemals mit
erneuerbarer Energie versorgen werden«,
glaubt er. Allein auf Sonne, Wasser und
Wind zu setzen – das klingt für ihn naiv.
Mumgaard und sein Team arbeiten an
den ersten Elektromagneten aus den Band-
nudelstreifen. Etwa doppelt so stark wie
die von Iter sollen sie werden. Die Kraft
erzeugt einen extremen mechanischen
Druck. »Niemand hat einen solchen Mag-
neten je gebaut«, sagt Mumgaard.
Der Bau seines Tokamaks soll im nächs-
ten Jahr beginnen, er soll aus 18 Powermag-
neten um ein Plasmagefäß von lediglich
drei Meter Durchmesser bestehen – im Ver-
gleich zu Iter wird sein Reaktor ein Winz-
ling, weshalb Mumgaard mit einer kurzen
Bauzeit rechnet. Im Jahr 2025 soll der Ver-
suchsreaktor als erster das ersehnte Ergeb-
nis erzielen: mehr Energie zu erzeugen, als
man zum Betrieb reinpumpen muss.
Mumgaards Wundermaschine trägt
nicht zufällig die Abkürzung »Sparc« und


klingt damit wie das englische Wort für
»Funke«. Sparc soll eine Energierevolution
entfachen.
Fast alle privaten Fusionsunternehmen
versprechen einen durchschlagenden Er-
folg im Laufe dieses Jahrzehnts. Anders
als CFS verabschieden sie sich vom Toka-
mak – vor allem von den Megamagneten.
So arbeitet die kanadische Firma General
Fusion an einer Maschine, bei der 300 prä-
zise getaktete Kolben auf eine Plasma -
kugel einhämmern. Dabei werden die
Wasserstoffkerne für weniger als eine Milli -
sekunde so eng zusammengedrückt, dass
sie miteinander verschmelzen.
Derzeit sucht die Firma nach einem Bau-
platz für einen Prototyp. Kanada sei im
Gespräch, aber auch Großbritannien, sagt
General-Fusion-Chef Christofer Mowry.
»Wir haben die einzelnen Teile der Ma-
schine erfolgreich getestet«, sagt er, »in-
nerhalb der nächsten vier bis fünf Jahre
fügen wir alles zusammen.«
Von den Firmen finanziell am besten
ausgestattet ist vielleicht das kalifornische
Unternehmen TAE. Es residiert in Foothill
Ranch südöstlich von Los Angeles und hat
nach eigenen Angaben mehr als 700 Mil-
lionen Dollar an Kapital eingeworben.
Viele Jahre lang operierten die Wissen-
schaftler weitgehend im Geheimen, ohne

Website oder Firmenschild. Herausgekom-
men ist eine Maschine von der Länge zwei-
er Busse. Sie schießt Plasmakringel von
beiden Seiten aufeinander, die sich in der
Mitte des Reaktors zu einer zigarrenför-
migen Plasmawolke vereinen.
Die Maschine habe ihre Ziele in puncto
Hitze und Plasmadauer erreicht, teilt
die Firma mit und sieht sich für die ge -
plante nächste Generation auf einem
sicheren Weg: »Unseren Annahmen zu -
folge steigt die Stabilität des Plasmas mit
der Temperatur.«
Der Physiker Hartmut Zohm ist mit den
Konzepten der nordamerikanischen Fir-
men vertraut – und hat ernste Zweifel. Sie
hätten noch nicht bewiesen, dass sie das
Plasma so gut beherrschen können wie der
Tokamak. »Dessen Vorsprung müssen sie
erst einmal aufholen«, sagt er. Die Pläne
für Mumgaards Sparc-Reaktor hält Zohm
für das Konzept, das am meisten ver-
spricht. Der Weg zu einem späteren Kraft-
werk ist für ihn aber noch voller Unwäg-
barkeiten. »Da sind viele Science-Fiction-
Elemente dabei, die man erst entwickeln
muss«, sagt er. »Ich bin skeptisch, ob alles
immer schnell und schneller geht.«
Skepsis gehört nicht zu den Tugenden
von Start-ups, deshalb hat Robert Mum-
gaard längst ausrechnen lassen, welche
Leistung ein Kraftwerk auf der Basis der
Sparc-Technologie bereitstellen könnte;
man kam auf 200 Megawatt. Das ist etwa
ein Siebtel der Leistung eines durchschnitt-
lichen Kernkraftwerks. Mumgaard sieht
darin einen Vorteil: Sind Kernkraftwerke
heutzutage im Grunde extrem kostspielige
Einzelanfertigungen, könnten Fusions-
kraftwerke, einmal ent wickelt, in großer
Stückzahl industriell gefertigt werden.
Experten gehen davon aus, dass Fu -
sions energie zwar teurer produziert wer-
den würde als Strom aus Kernkraft und
fossilen Brennstoffen, aber günstiger als
Solar- und Windenergie. Doch viele Fra-
gen sind offen: Wie lange hält der Reaktor
der Hitze stand? Wie schnell wird die in-
nerste Wand durch die Neutronen radio-
aktiv oder spröde und muss ausgetauscht
werden? Vor allem aber: Wie wird das
Kraftwerk aussehen? Wird es Plasma mit
Kolben zusammendrücken, mit Kanonen
aufeinander schießen oder mit Supermag-
neten zusammendrücken?
Robert Mumgaard schrecken die Kon-
kurrenten nicht ab. »Fusionsenergie läuft
nicht Gefahr, dass zu viele Konzepte funk-
tionieren«, sagt er, »sondern dass am Ende
keines funktioniert.«
Es ist 70 Jahre her, dass Physiker erst-
mals eine winzige Sonne in ein Ge fäß
einzusperren versuchten. Die Sorge, dass
die Idee scheitern könnte, ist noch immer
da. Martin Schlak
Mail: [email protected]

102 DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020


Wissen

KEN RICHARDSON / DER SPIEGEL
Unternehmer Mumgaard am
Reaktor Alcator C-Mod
»Hier muss ein Wunder geschehen«

»Da ist viel Science-
Fiction dabei – ich bin
skeptisch, ob alles
immer schneller geht.«
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