Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1

W


urde je ein Mensch so innig
geschmäht wie die Bundes-
kanzlerin? Es gibt Leute, die
nennen Angela Merkel be-
harrlich Murksel, Mürkül oder Mehrkill
(da sie angeblich beabsichtigt, das »deut-
sche Volk« auszurotten). Besonders ge -
hässige Eiferer versteigen sich zu Adol -

fela Ferkel und
Schlimmerem.
Ei ne Stichpro-
be im Internet förderte weit über tausend
solcher Schmähvokabeln allein für die
Kanzlerin zutage.
Die abgründige Sammlung verdankt
man dem Sprachwissenschaftler Joachim
Scharloth; er hat sie auf Onlineplattformen
zusammengetragen, wo AfD-Anhänger,
Rechtsradikale und sonstige Hassbürger
verkehren. Das Publikum dort bringt es
offenbar kaum noch über sich, Merkel ein-
fach beim Namen zu nennen.
Auch sonst zeigen die neuen Rechten, wie
der Forscher herausgefunden hat, ei ne selt-
same Obsession für das Herum frickeln an
Wörtern. Sie schreiben gern vielsagend
ReGIERung und Büntesrepüblük, das Par-

lament schmähen sie als Abnickerabgeord-
netenkloake, und bei den Medien sehen sie
wahlweise Jour nalunken, Lügenpressen-
schmierulanten oder Presstituierte am Werk.
Scharloth ist Professor für Germanistik
an der Waseda-Universität in Tokio; mit
den bizarren Auswüchsen der Hassrede in
der Politik ist er schon länger befasst. Für
sein Projekt untersuchte er 29 beliebte An-
laufstellen der Rechten im Internet – vom
Magazin »Tichys Einblick« bis hin zum
extrem rechten Blog »PI-News«. Bei seinen
Recherchen tat sich dem Forscher ein riesi-
ger Fundus des Schmähens und Schimpfens
auf: Mehr als 25 000 verschiedene Voka-
beln hatte Scharloth am Ende beisammen.

Wie kommt eine solche Fülle an Be -
leidigungen zustande? Woher die Erfin-
dungswut?
Wer das verstehen will, muss sich die
Szene genauer ansehen. Sie besteht zu
einem großen Teil aus Leuten, die wenig
gemeinsam haben – außer dem Drang,
andere niederzumachen. Im gehässigen
Abwerten, glaubt Scharloth, finde die
neue Rechte überhaupt erst zusammen.
Wie es dabei zugeht, ist den einschlä-
gigen Kommentar-
spalten zu entneh-
men. »Dort spie -
len sich regelrechte
Überbietungswett-
bewerbe ab«, sagt
Scharloth. Der eine
Schreiber nennt die Kanzlerin Mehrkill,
der nächste erhöht auf Mehr killova (in die-
sen Kreisen wird die EU auch beharrlich
EUdSSR genannt). Und wo es wieder mal
um die verhassten Gutmenschen geht, ist
von BestmenschInnen oder gar von Super-
gutüberhochleistungsbestmenschen™ die
Rede. Je bizarrer das Spottkonstrukt, desto
besser die Aussichten auf den Beifall der
Gleich gesinnten.
»Jeder will möglichst noch eins drauf-
setzen«, sagt Scharloth, »noch radikaler
beleidigen.« Es gehe darum, Beachtung zu
finden, sich als der Härtere zu zeigen. Die

altgedienten Kampfbegriffe seien
dafür zu schlicht: »Einfach nur
mit Lügenpresse kann da keiner
mehr ankommen.«
Der Drang zum Eskalieren erinnert ein
wenig an die Schimpfwortduelle, die sich
Kinder gern liefern: »Du bist ein Pups -
kackgemüse!« – »Und du ein Pipipups-
kackgemüse.« So geht es bekanntlich, un-
ter Prusten und Kichern, mit Begeisterung
hin und her.
Auch Historiker kennen die Freude
am überdrehten Lästern. Es gebe gerade-
zu eine »Kunstform der rituellen Be-
schimpfung«, sagt Scharloth. Schon im

Rom der Antike pflegten die Senatoren
einander öffentlich wüst zu beleidigen,
nicht zuletzt um das Publikum auf ihre
Seite zu ziehen. In dieser Tradition steht
auch der moderne Battle-Rap, bei dem
die Musiker ihre Kontrahenten mit aus -
getüfteltem Schmäh gesang »dissen«.
Bei den Rechten hingegen geht es kaum
um die Pflege einer Kunstform. Sie begnü-
gen sich auch nicht mit der schlichten Be-
leidigung, die nur Einzelne trifft – und in
der Regel nicht lange vorhält. Was die
Hassbürger mit der Sprache treiben, geht
weit darüber hinaus. Sie setzen systema-
tisch ganze Gruppen herab.
Zu diesem Zweck schmähen die Leute
vom rechten Rand, wie es scheint, fast
oh ne Unterlass. Und sie sparen dabei
kaum etwas aus: Es geht nicht nur gegen
die gewählte Regierung (BRD-/DDR-Jun-
ta), die angeblich gezielt Flüchtlinge (Fi-
ckificki-Fachkräfte) ins Land holt, um die
angestammte Bevölkerung
auszurotten. Es geht auch
gegen den Islam, den Femi-
nismus, die Justiz, die De-
mokratie, kurz: das System.
Selbst das ominö se Volk,
dessen Willen man doch zu repräsen-
tieren vorgibt, ist oft Gegenstand ver-
ächtlicher Tiraden. Ein Sauvolk wird es
genannt, ein Hosenscheißervolk, eine
Herde von Schlafschlachtschafen.
So kann sich die neue Rechte als elitäre
Minderheit inszenieren, die alles längst
durchschaut hat, während die Massen
erst noch aufgeklärt werden müssen. Im

sprachlichen Furor gegen alles findet diese
Bewegung Form und Mitte. Sie sei, sagt
der Sprachforscher Scharloth, vor allem
eine »Schmähgemeinschaft«. Den Zusam-
menhalt stellt das gemeinsame Vokabular
her. Wortschöpfungen wie EUdSSR oder
Multi-kulti-ficki-ficki-Europakalifat, für
Uneingeweihte kaum verständlich, wirken
nach innen wie Signale der Zu gehörigkeit.
Die Sprache stellt ein »Wir« her, und
auf der anderen Seite stehen »die ande-

106 DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020

Wissen

Orgien des Beleidigens


LinguistikMehrkillova, Büntesrepüblük, Journalunken – die Rechten rüsten im Internet auch verbal auf.
Jetzt hat ein Sprachwissenschaftler den bizarren Schmähwortschatz untersucht.

SupergutüberhochleistungsbestmenschenTM

Kuffnuckenp*ack


Grabschylant


Lügenpressenschmierulant


GehirnpROTHese


Staats(ver)gewalt(igung)

ALImentsempfänger


KÖTERvolk


Fickificki-Fachkräfte


MitgliedX*/_Innen


EUdSSR


2.0-Einheitsregierung


Nordrhein-Wirdfallen


Blödmichelmassen


Regierige


Wahlbeschiss

Nazischuldneurose

Bundesverarschu


Grün-Mültikülti


Rapefugee-Gutmenschen

K(r)ampfkültürellen

Tätervolk

ReGIERung


Murksel


Fernsehvolk

Mürkül
Annekröt

Kuscheljustiz


Hosenscheisservolk

Schlafschlachtschafen


Zionazi-Junta Multikultifickificki-Europakalifat


WeiberXInnen

Müsülmün

Jubelvolk
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