Der Spiegel - 29.02.2020

(Jeff_L) #1
USA

Australien

Kanada
Großbritannien

Niederlande

PlatzPlatz : Deutschland: Deutschland

zum Vergleich:
saisonale Grippe

RusslandRussland

BrasilienBrasilien

ChinaChina Japan

am besten vorbereitet
besser vorbereitet
am wenigsten vorbereitet
keine Daten

Gewappnet


für die Pandemie?
Weltweiter Gesundheits-
Sicherheits-Index*,
Ranking 2019 (Auswahl)
Ansteckungs- oder
Übertragungsfähigkeit
Covid-19-Erreger


1 Erkrankter 1 Erkrankter

2 bis 3 Infizierte ca. 1,3 Infizierte

*Bewertung bspw. nach Entdeckungs- und Reaktions-
fähigkeiten, medizinischer Versorgung, Umweltbedingungen


Quellen:
GHS Index, WHO, Lancet,
BMC Infectious Diseases,
Journal of Travel Medicine

21

4

51

63

14

1 3

22

5
2

Regionen außerhalb von Hubei ermittelt
hat, wäre sie sogar siebenmal so hoch.
»Jedes Virus, das wie der Covid-19-Er-
reger leicht übertragbar ist, die Lunge be-
fällt und zum Tod führen kann, muss man
ernst nehmen«, sagt Florian Klein, Direk-
tor des Instituts für Virologie an der Kölner
Uniklinik. »Vor allem, wenn es wie Sars-
CoV-2 auf eine nicht immune Bevölkerung
trifft.« Und Heiko Schneitler, langjähriger
Leiter des Düsseldorfer Gesundheitsamts,
mahnt: »Wir wissen noch immer nicht ge-
nau, warum das neuartige Coronavirus
welche Menschen tötet.«
Sich auf die Ausbreitung eines solchen
völlig neuartigen Erregers gut vorzuberei-
ten, so Schneitler, schaffe man nicht in
zwei Wochen oder zwei Monaten. »Dafür
braucht man eher 20 Jahre.«
Doch ausgerechnet Deutschland, das
für Gesundheit pro Kopf so viel ausgibt
wie kaum ein anderes Land in Europa,
schneidet bei der Pandemie-Vorbereitung
allenfalls mittelmäßig ab. Beim Global
Health Security Index etwa stuften inter-
nationale Experten Deutschland unter
195 Ländern lediglich auf Platz 14 ein, in
der Kategorie »Notfallvorsorge und Ge-
fahrenabwehr« sogar auf den wenig
schmeichelhaften Platz 67.
»Wir sind überhaupt nicht vorbereitet«,
sagt Michael Kochen, langjähriger Präsi-
dent der Deutschen Gesellschaft für All-
gemeinmedizin und Familienmedizin
(Degam). »Wo sind die Plakate an Bushal-
testellen, U-Bahnhöfen und Litfaßsäulen,
dass man sich regelmäßig die Hände wa-


schen und in ein Taschentuch oder in den
Ärmel husten soll? Warum ist die Website
des Robert Koch-Instituts so unübersicht-
lich, dass man die wichtigen Informatio-
nen kaum finden kann?«
Wenn es ein Land gibt, das dem neuar-
tigen Virus Einhalt gebieten kann, dann
ist das wahrscheinlich Singapur. Das
Mount Elizabeth Hospital im Novena-Vier-
tel sieht eher aus wie ein Fünfsternehotel
denn wie ein Krankenhaus: Teure Autos
stauen sich auf der großen Rampe, die
schwungvoll zum opulenten Eingang hi-
naufführt, die Patienten müssen sich regis-
trieren und ihre Temperatur messen lassen,
bevor sie Zugang erhalten.
Im siebten Stock residiert Leong Hoe
Nam, 49, einer der führenden Virologen
des asiatischen Stadtstaats. Leong hat
2003 Sars überstanden. »Aber diesmal«,
sagt er, »haben wir es mit einer viel größe-
ren Herausforderung zu tun. Dieses Virus
muss ganz anders gemanagt werden.«
Man könne den Kampf gegen den neu-
en Erreger mit einer Seeschlacht verglei-
chen: »Die großen Krankenhäuser sind in
dieser Schlacht unsere Flugzeugträger. Sie
haben das höchste strategische Gewicht
und müssen geschützt und abgeschirmt
werden von den Gesundheitsämtern und
niedergelassenen Ärzten.«
So ungefähr könnte es auch in Deutsch-
land laufen, wenn die Zahl der Infizierten
steigt – theoretisch. Erste Anlaufstelle für
die meisten Patienten wären entsprechend
nicht die Kliniken, die sich allein um die
wirklich schweren Fälle kümmern sollen,

sondern – nach telefonischer Vorankündi-
gung – die Hausärzte. Sie sollen, geschützt
mit Atemmaske und Schutzkleidung, die
Proben für den Virustest entnehmen und
die Patienten dann je nach Schwere der
Symptome ins Krankenhaus oder in die
Isolation nach Hause schicken. So etwa
steht es jetzt schon in der Coronavirus-
Information der Degam.
Doch viele niedergelassene Ärzte fühlen
sich von Behörden und Politik alleinge -
lassen. »Und Bundesgesundheitsminister
Jens Spahn meint allen Ernstes, Deutsch-
land sei gut auf eine Pandemie vorberei-
tet«, sagt ein Berliner Herzmediziner. Au-
ßer den Infos im Internet gebe es keine
Memos oder Anschreiben der Gesund-
heitsbehörden an die niedergelassenen
Ärzte. »Wir stehen komplett im Dunkeln.«
Vor allem, dass es viel zu wenig Atem-
schutzmasken der Schutzstufe FFP-3 und
Schutzanzüge gibt, macht den Ärzten große
Sorgen. »Die Vorbereitungen sind aus mei-
ner Sicht alles andere als optimal«, sagt
Frank Unger, Allgemeinmediziner im Berli-
ner Stadtteil Marzahn. »Ich finde, dass jede
Praxis eine Art Carepaket mit 20 bis 100
Schutzmasken und Schutzanzügen bekom-
men sollte«, sagt Unger. »Aber davon kann
keine Rede sein. Wenn wir nicht selbst aktiv
geworden wären, hätten wir jetzt gar nichts.«
Tatsächlich sind Masken und Schutz -
anzüge, die zum großen Teil in China pro-
duziert werden, hierzulande kaum noch
zu bekommen.
Die gebürtige Chinesin Ming Gutsche
vertreibt mit ihrer Firma in Rastatt Schutz-

DER SPIEGEL Nr. 10 / 29. 2. 2020 11

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